Architekturbiennale 2014 in Venedig

Die Welt der Dinge

Fundamentales auf der 14. Architekturbiennale

Was hatte man sich nicht alles erhofft von der Ankündigung, der niederländische – eher kosmopolitische, globale und polyglotte – Architekt Rem Koolhaas, Großmeister der globalisierten Architektur und weltweiten Recherchemaschinerie, würde die 14. Architekturbiennale in Venedig kuratieren. Die erste (Nicht)Überraschung in Venedig kommt dann prompt: Die Ausstellungshallen des Arsenale wirken auf den ersten Blick wenig architektonisch, dafür überbordend von audiovisuellen Reizen – hier hat Koolhaas, wie angekündigt, Tanz, Kino, Theater und Film mit ins Boot geholt. Konkrete Architektur satt gibt es dann in den Giardini, wo die unter dem gemeinsamen Motto „Absorbing Modernity 1914–2014“ stehenden Länderpavillons und die „Elements of Architecture“ genannte Hauptausstellung dieser „Fundamentals“ betitelten Biennale zu finden sind.

Fundamental ehrlich und pragmatisch ist der Auftakt: Der prächtig aufgehende Kuppelraum des Hauptausstellungsgebäudes in den Giardini wird zu etwa zwei Dritteln von einer abgehängten Decke gedrückt, wie sie in nahezu jedem nach 1970 gebauten Bürogebäude dieser Welt zu finden ist. Mit Periskopen kann man – einem U-Boot-Kommandeur gleich – über die Deckenelemente in die technikführende Ebene schauen. Das also ist das erste von insgesamt 18 Elementen, die Koolhaas zusammen mit seinem Recherche-Team AMO und unter gewichtiger Mithilfe des in München Architektur- und Kulturtheorie lehrenden Stephan Trüby ausgemacht haben will.

Die Schau ist dann tatsächlich wie ein Ausstellungskatalog aus dem Hause OMA/AMO. All überall findet der Besucher Informationen zu den einzelnen Elementen Wand, Fenster, Korridor, Boden, Balkon, Fassade, Feuerstelle, Wand, Toilette, Rolltreppe, Fahrstuhl, Treppe, Rampe, Dach und Tür. Diese werden ergänzt durch ein Intro, das den großen Bogen von Vitruv bis Neufert schlägt, einen abschließenden „Digitalen Corridor“ und – das überrascht vielleicht am meisten – einen fotografischen Kondensationspunkt aller Elemente in Form einer doppelten Projektion von Wolfgang Tillmanns Fotografien. Für letzteren wird man am Ende des überwältigenden Parcours als Ort der Erholung im Übrigen noch dankbar sein.

Rem Koolhaas auf der Architekturbiennale 2014, Foto: David Kasparek

Koolhaas, so scheint es, propagiert in Venedig, Architektur bestünde aus diesen 18 Elementen, und nicht aus mehr. Nun sind solche Aussagen im Fall des OMA-Gründers in doppelter Hinsicht mit Vorsicht zu genießen. Zum einen, weil ihn auch in der Vergangenheit bestimmte Themen bis zur totalen gedanklichen Absorption beschäftigten, zum anderen, weil es Koolhaas im gleichen Moment, in dem er 18 Elemente der Architektur benennt, natürlich bewusst ist, dass es darüber noch viel mehr gibt.

Die einzelnen Räume schließlich wirken wie ein riesenhafter Setzkasten eines manischen Sammlers – was insofern konsequent ist, da Rem Koolhaas hier sein aus Büchern bekanntes überbordendes Sammlertum einfach von der Ebene der Informationen auf die Welt der Dinge überträgt. Zu jedem Element hat das AMO-Team unglaublich viele Informationen, Materialproben, Varianten, Schaubilder, Diagramme, Konfigurationen, Textfragmente und Anwendungsbeispiele zusammengetragen. Anstatt sich nun auf bestimmte Teile dieser Recherche zu beschränken, hat man versucht, alles Gefundene in eine Form der Präsentation zu bringen – auch das ein aus den OMA/AMO-Publikationen bekanntes Muster.

Im Ergebnis sind diese Räume dann genauso unterschiedlich, wie die Elemente, die sie beleuchten. So werden diverse historische Fenster des Sammlers Charles Brooking der heutigen Fensterproduktion gegenübergestellt: Hölzerne Rahmen und feinteilige Scheiben in Rund- und Spitzbögen treffen hier auf unzählige Beschläge, Scharniere, Schrauben, Alu- und Kunststoffrahmen. Das Kompartiment, das sich der Tür widmet, zeigt den Weg auf von den wehrhaften Burgtoren mit Teerausgüssen, Speeranlagen und Falltoren hin zu heutigen Sicherheitsschleusen, wie sie uns von Flughäfen und sonstigen „sensiblen Bereichen“ vertraut sind. Das Nutzerdatensammelnde und lernfähige Thermostat der Firma Nest, die unlängst vom Bigdata-Giganten Google aufkauft wurde, steht in einer logischen historischen Linie mit der Mikrowelle und dem offenen Kamin. Der Scalaloge Friedrich Mielke spricht in einer Dokumentation sehr plastisch über Treppen und gleichzeitig können ganz pragmatisch in Auftritt und Steigung unterschiedlich konfigurierte 1:1-Treppenmodelle bestiegen werden.

In der Summe sind die „Elements of Architecture“ nicht nur ein gigantischer Setzkasten des Bauens, sondern auch eine Realität gewordene architektonische Grundlehre. Man möchte den Studierenden von heute zurufen, sie mögen sich doch zuerst an diesen Elementen versuchen, bevor sie sich an vermeintlich Höheres  begeben. Wie hoch die gestalterische Fallhöhe schon bei diesen fundamentalen Elementen sein kann, zeigt nicht zuletzt die abgehängte Decke zum Auftakt.

David Kasparek

Fundamentals, 14. Internationale Architekturbiennale
bis 23. November
Venedig
Elements of Architecture im zentralen Pavillon in den Giardini

Fotos: David Kasparek, Lena Witte

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