Spaziergänge mit Heiner Farwick

im gebirge und am meer

Selten waren Heiner Farwick, der Präsident des BDA, und Andreas Denk, Chefredakteur dieser Zeitschrift, räumlich weiter voneinander entfernt als bei ihrem diesmaligen „Spaziergang“: Der eine im bergigen Südtirol, der andere am Strand der Bretagne. Das Gespräch ist das letzte in der Amtszeit des Präsidenten, der bei den Wahlen im September nach drei Amtsperioden nicht wiedergewählt werden kann. Ein virtueller Dialog als Rückschau auf die vergangenen sechs Jahre der Präsidentschaft Heiner Farwicks und zugleich ein Ausblick auf die Notwendigkeiten der Architekturpolitik und -kultur der nächsten Jahre.

Andreas Denk: Herr Farwick, wenn Sie Ihre drei Amtsperioden in einzelne Abschnitte, in inhaltliche Kapitel gliedern müssten, was würde dabei herauskommen?

Heiner Farwick: Die drei Amtsperioden in Abschnitte oder gar inhaltliche Kapitel zu gliedern, würde der Arbeit der letzten sechs Jahre nicht entsprechen. Ich möchte eher von einer sukzessiven Weiterentwicklung insbesondere der inhaltlichen Positionierungen sprechen. In der Fortführung der bewährten Formate habe ich es für geboten gehalten, stärker programmatisch zu arbeiten in der Überzeugung, als BDA gehört zu werden, wenn er fundierte Inhalte einbringt.

Andreas Denk: Sie und das BDA-Präsidium haben gerade die letzten beiden Jahre zur gezielten Schärfung des Profils des BDA als einer politisch bedeutsamen Vereinigung genutzt. Aus heutiger Sicht fällt das zusammen mit einer Politisierung oder Bewusstwerdung von Teilen der Gesellschaft und damit auch der Architektenschaft, die dem ewigen „Weiter-So“ der Politik auf allen Ebenen Alternativen entgegensetzen möchte. Kalkül, Intuition oder Überdruss: Wie ist es aus Ihrer Sicht dazu gekommen?

Foto: Heiner Farwick

Heiner Farwick: Wenn wir uns im BDA zu unserer Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt – so wie es in unserer Satzung steht – ehrlich bekennen, ist eine klare Positionierung, was wir unter dieser Verantwortung verstehen, unausweichlich. Ich bin der Überzeugung, dass Architekten entschlossen auftreten und ihr umfangreiches Fachwissen gesellschaftlich nutzbringend einbringen müssen. Dazu gehören auch Positionierungen, die über die tägliche Arbeit hinausgehen und sich an die Gesellschaft, Politik und natürlich auch nach innen, an unsere Mitglieder richten. Das Präsidium und auch ich haben hier unsere Verantwortung gesehen.

Andreas Denk: Der BDA-Tag in Münster hat 2017 unter dem Motto „Die Stadt, die ich brauche – die Stadt, die ich liebe“ mehr Bewusstsein in Gesellschaft, Politik und Verwaltung für verantwortungsvolle, bürgernahe und nachhaltige Planungsprozesse in der Stadt gefordert. Sehen Sie inzwischen einen Erfolg dieser Bemühungen des BDA?

Heiner Farwick: Einerseits ja, andererseits nein. Viele politisch Verantwortliche verkennen meines Erachtens in erschreckender Weise, wie bedeutsam das bauliche Umfeld für die Gesellschaft und für den Einzelnen ist. In der seit 2013 aktuellen Debatte zu Engpässen bei der Versorgung mit erschwinglichem Wohnraum wurde beispielsweise die Wohnungsfrage zwar als bedeutendste soziale Frage dieser Zeit apostrophiert, das Bauministerium hat aber in der ministerialen Hierarchie nicht den Stellenwert, der ihm gebührt. Deswegen kommt das Thema insgesamt zu kurz. Auch in vielen Kommunen sind die Fragen des Städtebaus und der Qualität der Architektur nicht so im Bewusstsein, wie es aus der Sicht der Gesellschaft erforderlich wäre. Ebenso leisten die Medien selten einen guten Beitrag: Bauen eignet sich offensichtlich eher zur Skandalisierung als zur sachlich-inhaltlichen Berichterstattung, die viel dazu beitragen könnte, um Unklarheiten und Missverständnisse aufzulösen und vielleicht sogar Fehlentwicklungen zu verhindern. Dabei gibt es viele Beispiele, die zeigen, wie gute städtebauliche Projekte und herausragende Architektur eine positive Wirkung auf die Städte und damit auch auf die Menschen und deren Befinden haben. Ich will den Begriff der Identitätsstiftung nicht überstrapazieren, aber letztlich ist der Ausdruck von Gebäuden auch oder gerade in Zeiten der Digitalisierung ebenso Ausdruck des Selbstverständnisses einer Gesellschaft.
Daher sind die vielen Initiativen des BDA auf allen Ebenen, von den Ortsgruppen über die Landesverbände bis zum Bund, die diese Beispiele zeigen und auf die Bedeutung hinweisen, nicht ohne Wirkung. Die Pflege und Entwicklung unserer Städte und Regionen ist eine Daueraufgabe, die nicht so schnell messbar ist.

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: 2018 hat der BDA dann in Hamburg ausdrücklich über politische Handlungsfelder und Forderungen von Architektinnen und Architekten gesprochen. Die akklamatorische Verabschiedung der politischen Grundpositionen des BDA unter dem Titel „Nur effizient ist nicht genug“ hat der offenbar von fast allen als Aufbruch empfundenen Stimmung einen beeindruckenden Ausdruck gegeben. Inzwischen hat das Grundsatzpapier vor allem auf bundespolitischer Ebene die Runde gemacht, ist aber noch nicht in allen Ebenen des BDA selbst angekommen. Was sind für Sie die entscheidenden Punkte des Programms und wie lässt sich seine Wirkung weiter verbreiten und vermitteln?

Heiner Farwick: Ein wichtiger Impuls ist, dass der BDA sich klar und auch unbequem geäußert hat. Zu den wichtigsten Punkten gehören die Forderungen nach einer verantwortlichen, aktiven Liegenschaftspolitik, nach dem Primat eines werthaltigen Bauens mit hohem Qualitätsanspruch vor der kurzfristigen Renditeerwartung oder das Herausstellen der Bedeutung des Bestands. Aber gerade das Nachdenken – jenseits der vermeintlich engen Grenzen des Architekturschaffens hinaus – über die Fragen des öffentlichen Raums, der Polyzentralität oder über Konsequenzen der gesellschaftlichen Vielfalt erfüllt erst die Verantwortung, die wir als Architekten haben. Wir sprechen bei den „Grundpositionen“ bewusst von „Pos-tulaten“, weil sich auch die politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen ebenfalls mit diesen Fragestellungen auseinanderzusetzen haben. Schließlich sind sie die Entscheidungsträger und können Entwicklungen bremsen oder beschleunigen, oder deutlicher gesagt, die für die Zukunft richtigen oder falschen Entscheidungen treffen.
Die Wirkung unseres Programms lässt sich übrigens weiter vermitteln, wenn im BDA auf allen Ebenen diese Grundpositionen mit den jeweiligen Akteuren auf Länder-, Regional- und Lokalebene erörtert werden. Nur steter Tropfen höhlt den Stein – egal, aus welcher Höhe.

Andreas Denk:„Kulisse und Substanz“ war das Thema des BDA-Tags in Halle in diesem Jahr. Im Kern ging es um den Klimawandel und um einen Weckruf gegen die vermeintliche „Alternativlosigkeit“ eines resignativen Handelns. Vorausgegangen war dem BDA-Tag ein „Call for Projects“ unserer Zeitschrift und des DAZ, der 150 Ideen und Projekte für ökologische, energieeffiziente und klimaneutrale Vorhaben zusammenbrachte, die nicht nur beim BDA-Tag, sondern das Jahr über im DAZ und in der architekt vorgestellt und diskutiert werden. Zugleich verabschiedete der BDA-Tag das Papier „Das Haus der Erde“ mit klimagerechten Positionen für Stadt und Land, die sich auf das vor zehn Jahren als BDA-Initiative verfasste und von allen wichtigen deutschen Architektenorganisationen mitgetragene „Klimamanifest“ beziehen. Auch hier ist die Positionierung des BDA im gesellschaftlich-politischen Diskurs gelungen. Solche Manifeste bedürfen allerdings immer der Eng- und Nachführung. Wie kann es weitergehen?

Foto: Heiner Farwick

Heiner Farwick: Haben wir mit der Formulierung der Positionen für eine klimagerechte Architektur nicht sogar den Kern unserer Verantwortung als BDA getroffen? Dies nicht allein dadurch, dass wir unsere Thesen und die damit verbundenen Forderungen an uns selbst und an die Politik sehr dezidiert – und damit auch unbequem – postuliert haben, sondern weil eine klimagerechte Architektur nur eine qualitativ hochwertige Architektur sein kann. Für hohe Qualität kämpft der BDA seit Anbeginn. Auch hier gilt: Der Bund Deutscher Architekten ist der Verband, der in all seinen Strukturen thematisch arbeitet, der öffentlich wirksam ist und der vor allem wichtige Akteure aus allen Bereichen von Politik und Gesellschaft einbeziehen kann. Diese Vernetzung müssen wir gerade beim Thema der klimagerechten Architektur intensiv verfolgen. Sich in die aktuellen Debatten einzubringen, halte ich für eine Pflicht eines jeden BDA-Mitglieds, um die Bedeutung der Qualität von Architektur im Sinne einer echten Nachhaltigkeit und Verminderung von Ressourcenverbrauch breitenwirksam zu vermitteln.

Andreas Denk: Ihr Wirken für den BDA wird sicherlich immer mit der Formulierung eines allgemeinpolitischen Mandats – jenseits jeder Parteilichkeit – und mit einer Schärfung des Profils des BDA im gesellschaftlichen Diskurs verbunden sein. Wenn Sie auf Ihre sechs Jahre als Präsident des Bundes Deutscher Architekten zurückblicken: Welche Programme und Projekte scheinen Ihnen besonders gelungen und was hat nicht so funktioniert, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Heiner Farwick: Zunächst sehe ich die Positionierungen, über die wir gerade gesprochen haben, als wichtige Meilensteine für den BDA. Ich will nicht verleugnen, dass mir diese Ziele auch persönlich besonders wichtig sind. Es gab auch andere Projekte wie die Wanderausstellung „Neue Standards“ zur Wohnungsfrage, die sowohl inhaltlich sehr bereichernd war und auch an allen Ausstellungsorten, für die die Landesverbände mitverantwortlich waren, mit inhaltlich starken Veranstaltungen begleitet wurde. Aber auch unsere Bundesinitiative gegen „graue Verfahren“ im Wettbewerbswesen war richtig, um uns allen vor Augen zu führen, dass letztlich nur korrekte Verfahren für Auslober und Architekten zu guten Ergebnissen führen.
Und die Hochschultage möchte ich noch ansprechen, die wir aus unserer Verantwortung für die Ausbildung des Nachwuchses veranstalten. Die Ausrichtung zu den Schwerpunkten Generalist vs. Spezialist, Inhalt und Methodik der Grundlagenlehre und zuletzt zu den Chancen des Masterstudiums war gut gesetzt, betreffen sie doch das elementare Grundverständnis zur Ausrichtung der Lehre. Ich habe jedoch Zweifel, dass die negativen Auswirkungen des Bologna-Prozesses von den Universitäten und Hochschulen offen ausgesprochen werden. Die nicht nur, aber auch aus der Verknappung der Ausbildungszeiten und damit einhergehendem geringeren Kompetenzerwerb resultierenden Defizite bei vielen der Absolventen, dürfen doch nicht geleugnet werden. Hier müssen wir an die hohe Verantwortung der Hochschulen für die Zukunft unseres Berufsstands appellieren, offen über Probleme und Lösungen zu sprechen. Der Berufsstand ist insgesamt aufgefordert, sich der besseren Qualifizierung des Nachwuchses zu widmen.

Andreas Denk: Sie haben eine Phase der architektonischen Hochkonjunktur für die Positionierung des BDA nutzen können. Das haben Sie mit der Initiative gegen die Beteiligung von BDA-Mitgliedern an „grauen Verfahren“ und für ein ehrliches Verhalten der BDA-Mitglieder untereinander deutlich gemacht. Was muss der BDA tun, damit seine dringlichen politischen und umweltpolitischen Initiativen mit der gebotenen Intensität fortgeführt werden und nicht im Getriebe der berufspolitischen Widrigkeiten – wie der Unsicherheit um die HOAI und eine möglicherweise abflauende Konjunktur – versanden?

Heiner Farwick: Eine gute Qualität unserer gebauten Umwelt, sei es unter gestalterischen, funktionalen oder wirtschaftlichen und nicht zuletzt auch unter klimagerechten Aspekten, ist nicht im Preiswettbewerb zu haben. Es ist bemerkenswert, dass der EuGH bei seinem Urteil zur HOAI die qualitätssichernde Sinnfälligkeit von Mindesthonoraren sehr wohl anerkannt hat. Aber die Tatsache, dass in Deutschland Planungsleistungen auch von Personen erbracht würden, die eine „nicht reglementierte Tätigkeit ausüben“ und auch diese die HOAI anwenden, hat der Gerichtshof zur Begründung der Unvereinbarkeit der verbindlichen Honorare mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie angeführt. Wir müssen daher mit Nachdruck verdeutlichen, dass die Qualitäten von Architektur und Stadt als wesentliche gesellschaftliche Komponenten anerkannt werden und Planungsleistungen auch nur von Architekten erbracht werden dürfen.
Das „immer mehr“ muss einem „immer besser“ weichen. Dann steht Qualität nicht mehr in Frage. Ansonsten habe ich keine Zweifel, dass der breit aufgestellte BDA auch in Zukunft die wichtigen Themen mit der gebotenen Intensität behandeln wird.

Andreas Denk: Gibt es tatsächlich „ein Leben nach dem BDA“, wie manche ehemals ehrenamtlich tätige Architekten behaupten?

Heiner Farwick: Warum ein Leben „nach“ dem BDA? Der BDA ist eine wertebasierte Gemeinschaft. Ich bleibe im BDA den Kolleginnen und Kollegen, teils ja auch in tiefer Freundschaft, weiterhin eng verbunden. Der Bund, der mittlerweile 116 Jahre alt ist, lebt von der Kontinuität, aber auch vom Wechsel. Es war mir eine große Ehre, dem Bund Deutscher Architekten als Präsident dienen zu dürfen, und ich habe es mit großer Freude getan. Ich bin sehr dankbar für die sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Präsidium, mit dem Bundesvorstand, mit der Geschäftsstelle und für die vielen Begegnungen mit klugen und engagierten, anregenden und herzlichen Menschen.
Zuletzt, lieber Andreas Denk: Danke für sechs Jahre gemeinsame Spaziergänge in Städten und auf dem Land, an Flüssen und Seen und auch mal virtuell. Sie waren immer eine gute Gelegenheit, sich trotz hektischer Zeiten und vollem Terminkalender auf ein Thema zu konzentrieren und nachzudenken darüber, was wirklich wichtig ist für uns Architekten.

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