Neu im Club: Baur & Latsch Architekten, München

Mensch und Ort im Blick

Ihr Projekt „Wohnen am Verna-Park“ in Rüsselsheim am Main bescherte den beiden Architekten Florian Latsch und Martin Baur viel Aufmerksamkeit und Renommee. Unter anderem erhielten sie für das von einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft verantwortete Bauprojekt 2021 eine Auszeichnung beim Deutschen Architekturpreis. Mit ihrem gemeinsamen Büro Baur & Latsch Architekten richten sie ihr Augenmerk besonders auf solche der Gesellschaft verpflichteten Bauten. Die Architekt hat die beiden in Rüsselsheim und Darmstadt getroffen.

Florian Latsch und Martin Baur, Foto: Christin Büttner

Es mag schönere Städte als Rüsselsheim geben, dieser wie eine bloße Erweiterung des Automobilwerks wirkenden Vorstadt in der Rhein-Main-Metropolregion. Dass ausgerechnet ein städtisches Wohnobjekt in der Provinz so viele Blicke auf das Büro Baur & Latsch zieht, ist kein Zufall. Hier hatten Martin Baur und Florian Latsch schließlich genügend Raum, ihrer Idee eines auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft zugeschnittenen Bauens ästhetisch Gestalt zu geben. Wir laufen mit den beiden jungen Architekten an einem kühlen Januartag durch die Fußgängerzone der südhessischen Kleinstadt, eine unprätentiöse und schmucklose Straße. Martin Baur mag diese schlichte Funktionalität, er ist, wie auch Florian Latsch, ein Kind der Region. Vorbei am kleinen Stadtpark und den für diese Gegend typischen Hofreiten steuern wir auf ihr Projekt „Wohnen am Verna-Park“ zu. Die Rüsselsheimer Wohnungsgesellschaft „Gewobau“ hatte im Jahr 2016 für dieses Projekt einen Wettbewerb ausgelobt, den das Münchner Büro Thaler Latsch Architekten mit Martin Baur gewann, aus dem 2017 das Büro Baur & Latsch Architekten hervorging.

Baur & Latsch Architekten, Wohnen am Verna-Park, Rüsselsheim, Foto: Sebastian Schels

„Ach, das ist ja interessant, hier hat jetzt jeder seinen Balkon nach den eigenen Vorstellungen gestaltet.“ Martin Baur freut sich, wie die Nutzer der gut 50 unterschiedlich groß gezeichneten Wohnungen das Projekt angenommen haben. Die sieben Bauten, dreigeschossig und mit einem Flachsatteldach versehen, auf der Südseite mit freitragenden Balkonen, sind versetzt platziert und durch halböffentliche Wege miteinander verbunden. Alles wirkt angenehm licht und hell, nicht zuletzt dank der sandsteinfarbenen Fassaden aus Klinkerriemchen. Ein Areal, das „südhessische Herbheit mit mediterraner Anmut“ verbinde, wie ein Feuilletonist treffend schrieb.

„Ach ja, die Riemchen…“, seufzt Florian Latsch und verrät, wie sehr sie anfangs mit den Fassaden haderten. Die umgebenden Altbauten, vor gut 100 Jahren als einfache Arbeiterhäuser für die Angestellten des Opel-Werkes entstanden, haben Backsteinfassaden mit einem grünlich-gelben Ton. „Wir haben danach gesucht, aber es gibt keine Firma, die diesen Farbton heute treffen könnte“, sagt Latsch. Das gäbe das Ausgangsmaterial nicht mehr her. Gleichzeitig drang die Gewobau sehr auf den engen Kostenplan und so blieben als Kompromiss eben nur die ungeliebten Riemchen. Doch Baur & Latsch suchten nach der bestmöglichen Lösung. Sie fanden eine Firma, die die Riemchen – hell geschlämmter Klinker – immerhin so brannte, das tatsächlich kein Stein dem anderen gleicht.

„Wohnen am Verna-Park“ war das erste realisierte Projekt für ihr im Jahr 2017 gemeinsam gegründetes Büro. Florian Latsch, Sohn eines Bauingenieurs, wollte schon immer Architekt werden. Er studierte in Darmstadt, Mailand und Zürich, machte bei Wolfgang Lorch sein Diplom und arbeitete bei mortolab architekten in Mannheim. Nach Ausflügen in die Lehre, unter anderem bei Nadja Letzel in Nürnberg, wurde er 2014 Partner des Büros Thaler Latsch in München. Sein Partner Martin Baur kommt eher von der Baugeschichte. Er studierte Architektur in Darmstadt und Montpellier und arbeitete am Lehrstuhl von Florian Nagler in München. Bei Burger Rudacs Architekten in München, für die er mehrere Jahre arbeitete, war er unter anderem an der Realisierung der John Cranko Ballettschule in Stuttgart beteiligt.

Ortswechsel: TU Darmstadt. Hier, am renommierten Fachbereich für Architektur, teilen sich die beiden eine Vertretungsprofessur im Fach „Entwerfen und Industrielle Methoden der Hochbaukonstruktion“. Wir sitzen in ihrem schlichten Büro, bei Pistaziengebäck und Kaffee, und sind ganz eingenommen von diesem einzigartigen brutalistischen Gebäude von 1968, das mit jeder Pore seines rohen Betons Werkstattatmosphäre atmet. In beiden Welten unterwegs zu sein – dem eigenen Büro und in der Lehre – beschreibt Florian Latsch als „oszillierende Röhren“. Eine jeweilige wunderbare Ergänzung, die den Perspektivwechsel erlaube. Die Lehre an der Uni gäbe ihnen die Möglichkeit zur Reflexion, nicht zuletzt der eigenen Ideen und Projekte, die sie mit den Studierenden diskutieren. Und die hätten heute ganz andere Ansprüche. „Beim Wort Beton stöhnt der ganze Vorlesungssaal“, sagt Latsch, „das geht für die gar nicht“. Das sei auch eine kritische Rückfrage an das eigene Schaffen, denn das Büro Baur & Latsch hat natürlich auch schon mit Beton gebaut.

Baur & Latsch Architekten, Wohnen am Verna-Park, Rüsselsheim, Foto: Sebastian Schels

Überhaupt Kompromisse: Beim Verna-Park-Projekt entfielen 15 Prozent des gesamten Budgets auf einen Zwang, der selbst in einer Autostadt wie Rüsselsheim völlig aus der Zeit gefallen scheint: Für die sich über mehrere Parzellen erstreckende Anlage mussten nach Bauordnung pro Wohnung 1,5 Autostellplätze zur Verfügung gestellt werden, was in den Bau einer großdimensionierten Tiefgarage mündete. „Ja, das tut schon weh“, gesteht Latsch. Dass sich „Wohnen am Verna-Park“ auf die räumlichen und baulichen Gegebenheiten einlässt, mit dem Bestand korrespondiert und sich integriert, liegt nicht nur am ästhetischen Anspruch des kleinen Büros. Dahinter steckt eine Grundüberzeugung der beiden Architekten: Die Bauten sind nicht nur für die Bewohnenden da, sondern genauso für die Menschen im Ort, die täglich an der Anlage vorbeigehen.

Nach dem Projekt in Rüsselsheim nahmen die beiden an vielen weiteren Wettbewerben teil. Dass diese so aufwendig wie ungewiss sind, macht ihnen nichts aus. Sie legen den gleichen Enthusiasmus und Akribie an den Tag wie bei all ihren Projekten. Man spürt im Gespräch, dass sie sich viel Neugierde bewahrt haben und mit großer Offenheit an die Dinge herangehen: So bieten sie gerade ein Seminar zu Stampflehm an.

Baur & Latsch Architekten, Erweiterung der Waldschule in Walldorf (Ausloberin: Stadt Walldorf, Landschaftsarchitektur: OK Landschaft), Realisierungswettbewerb 2021 – 1. Preis.

Trotz einiger gewonnener Wettbewerbe führte nicht jeder zu einem Auftrag. Manchmal, sagt Florian Latsch, passe es mit Auftraggeber und Bauherr einfach nicht zusammen. Ihr jüngstes Wettbewerbsprojekt, das sich inzwischen in der Entwurfsplanung befindet, ist eine Waldschule im hessischen Walldorf, eine Erweiterung eines Gebäudes aus den 1960er Jahren, das Schüler und Eltern liebten, sagt Latsch. Strittig war die Platzierung der Mensa, die der Auftraggeber ursprünglich am Rande der im Wald gelegenen pavillonartigen Gebäudestruktur sehen wollte. Baur & Latsch haben diese jedoch aus ökologischen – Bäume sollten schließlich nicht gefällt werden – und ästhetischen Gründen ins Zentrum des Areals gerückt, was nicht ohne Diskussionen blieb. Es habe eine gewisse Angst gegeben, dass die nicht denkmalgeschützte Schule ihren ursprünglichen Charakter verliere.

Schulen und Kindergärten sind ein bevorzugtes Thema ihrer Wettbewerbsteilnahmen. „Die ganzen Wettbewerbe sind ja immer öffentliche Bauvorhaben, die für die ganze Gesellschaft da sind. Man baut nicht Häuser, die einer reichen Person zugeordnet werden, sondern die allen gehören.“ Martin Baur schaut etwas wehmütig auf die Möglichkeiten, die Schulbauten heute bieten: weg von einer klassischen Mittelflurschule seiner Kindheit hin zu Konzepten mit Lernlandschaften, was auch ihnen als Architekten viele gestalterische Freiheiten einräume. „Ich finde es im Zweifel immer interessanter, wenn es Parameter gibt, die für die Gesellschaft wichtig sind“, sagt Latsch. In Frankfurt am Main planen sie jetzt für eine Genossenschaft – eine im Vergleich zu den Wohnhäusern in Rüsselsheim neue Erfahrung. Dort sollen Cluster entstehen, Autostellplätze sind out. „In gewisser Weise ist die Genossenschaft damit viel radikaler als wir. Aber es deckt sich mit unserer Haltung, wie wir als Gesellschaft zusammen leben sollten.“

Baur & Latsch Architekten, Bauernhaus G, Sanierung eines denkmalgeschützten Bauernhauses, München 2018, Foto: Sebastian Schels

Florian Latsch und Martin Baur sind auch privat ein Paar. Das prägt ihren Berufsalltag, denn die Übergänge sind fließend. Anders als in klassischen Büros, wo viele Überstunden anfallen und in der Kommunikation manches nicht synchron laufe, könnten sie Ideen zu Hause weiterspinnen, erzählen sie. Mitunter sei das für Außenstehende etwas anstrengend, gesteht Latsch. Ihr Büro wollen sie bewusst überschaubar halten, zum Team gehören derzeit drei feste Mitarbeitende. Eine gemeinsame, durchbuchstabierte Philosophie hätten sie nicht, sagen Florian Latsch und Martin Baur. Das Preisgericht zum Wettbewerb der Schule in Walldorf formulierte es so: Das Projekt überzeuge durch die „städtebauliche Setzung mit maßhaltigen und wohl proportionierten Bausteinen, die den Bestand sensibel ergänzen“. Maßhaltig, sensibel mit dem Bestand arbeiten und auf den Ort eingehen – das kann durchaus als Handschrift des jungen Büros gelesen werden.
Carsten Dippel

www.baur-latsch.de

Neu im Club im DAZ
Talk mit Baur & Latsch
24. Mai 2023, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de

Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Haushahn,
Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern.

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