Neu im Club: Regine Hartkopf, HARTKOPF denk mal architektur

Die Dombaumeisterin

Der Naumburger Dom war in den letzten Monaten vermehrt in der Presse, weil dort Unerhörtes geschah: Michael Triegel, Vertreter der Neuen Leipziger Schule und weithin bekannt durch sein Papst-Portrait von Benedikt XVI, schuf ein neues – geradezu unverblümt zeitgenössisches – Marienbild für ein Altarretabel Lucas Cranachs des Älteren. Dessen zwei Seitenflügel, seit 1541 der Mitteltafel beraubt, kehrten infolgedessen in den Westchor zurück, um auf der Altarmensa das Moderne einzurahmen.

Regine Hartkopf, Foto: Wolfram Heidenreich

Vor ebendiesem Anstoß des Aufruhrs stehe ich mit der Architektin und Dombaumeisterin Regine Hartkopf. Wir sprechen darüber, was es braucht, um einen Dom für die heutige und kommende Zeit zu erhalten: Soll man nur bewahren oder vielmehr ertüchtigen? Zum Teil sind es ganz banale Dinge, die den mittelalterlichen Bau für die gegenwärtige Nutzung – sei sie touristisch oder gottesdienstlich – rüsten: Stromkabel für den alltäglichen Betrieb, Geländer, um Stürze zu verhindern, ein neues, barrierefreies Portal, Licht, das nicht mehr nur einzelne liturgisch wichtige Orte und Bildwerke sowie viel frequentierte Zuwegungen aus dem Schatten löst und inszeniert, sondern sämtliche Kostbarkeiten jederzeit für die Ausflügler und Weitgereisten erhellt. Weniger banal ist die Frage, ob man dem Sakralraum sein altes liturgisches Zentrum in Form eines partiell modernen Triptychons wiedergeben darf. Wobei die alte Patronin Maria in neuem Gewand wahrscheinlich weniger ungeheuerlich scheint, als dass das Gemälde des zeitgenössischen und streitbaren Künstlers Triegel den Cranachschen Flügeln neue Mitte ist. Neues alt beflügelt, sozusagen.

Naumburger Dom, Ostchor nach der Fassadeninstandsetzung, Foto: HARTKOPF denk mal architektur

Dass das Bewahrende und das neu Schaffende widerstreitende Kräfte sein müssen, be­zweifelt Regine Hartkopf. In ihrem Werdegang gingen sie zumeist Hand in Hand. Mit ganz anderen Zielen – möglicherweise einer musikalischen Karriere – vor Augen, arbeitete sie nach dem Abitur im Architekturbüro ihres Onkels Reinhard Rü­ger, der schon zu DDR-Zeiten denkmalpflegerisch tätig war. Die Beschäftigung mit den alten Gebäuden, die Erfahrung, „dass man, indem man mit ihnen umgeht, sie unterstützt, ihr Leben nicht nur verlängern, sondern sie in der Nutzung halten oder in die Nutzung bringen kann“, und wie man damit den Menschen ein Stück Identität zurückgeben kann: Das habe sie erst dazu gebracht, in dem Metier ihre Zukunft zu suchen, erzählt Hartkopf. Sie studierte dann zunächst in Hildesheim und Leipzig Architektur, arbeitete weiter im Denkmalpflegebüro in Halle und gründete 2007 eine Architektenpartnerschaft mit Reinhard Rüger, bald danach eine Außenstelle in ihrem Geburtsort Bennungen im Südharz. Es war eine Übergangslösung, die der Lebenssituation beider gerecht wurde: Er auf dem Weg in den Ruhestand, sie mit zwei kleinen Kindern. 2011 übernahm sie das Büro, 2013 kam die erste Mitarbeiterin, seitdem ist das Team auf 18 Personen angewachsen. 2011 wurde sie zudem als Dombaumeisterin für die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz berufen. Als solche trägt sie Verantwortung nicht nur für die Architektur, sondern auch für die Ausstattung und die Aufbewahrung wertvollster Archivalien. Obendrein unterrichtet sie seit 2013 an der Hochschule Anhalt in Dessau im englischsprachigen Masterstudiengang Architectural and Cultural Heritage mit Schwerpunkt Sakralarchitektur.

Das Kunstmuseum Magdeburg Kloster Unser Lieben Frauen wurde unter der architektonischen Leitung von HARTKOPF denk mal architektur in den Jahren 2007 bis 2022 grundlegend saniert (Bauherrin: Landeshauptstadt Magdeburg). Die Instandsetzung der Klosterkirche wurde beim Architekturpreis des Landes Sachsen-Anhalt 2022 mit einer Auszeichnung gewürdigt. Foto: Steffen Spitzner

Aus all dem spricht die Begeisterung für den Bestand und der Wunsch, diese weiterzugeben. Dabei ist sie nicht auf eine bestimmte Epoche festgelegt, obwohl die meisten Projekte der Romanik und Gotik zuzuordnen sind: Neben den Domen zu Naumburg und Merseburg sowie der Kirche St. Michaelis in Zeitz, die sie auch als Dombaumeisterin betreut, hat sie als Architektin unter anderem im Dom zu Halle, in der beeindruckenden Backsteinkirche St. Nikolai in Bad Wilsnack, der Burg Allstedt und an vielen Dorfkirchen – oft romanischen Ursprungs – vorwiegend restauratorisch gewirkt. Viele und weit zurückliegende Jahrhunderte blühten unter ihrer Obhut auf. Diese Perspektive beeinflusste auch, wie sie über das eigene Schaffen und dessen zeitliches Fortbestehen nachdenkt: „Erweitert man ein derart geschichtsträchtiges Ensemble, fragt man nicht so sehr, ob der Anbau in 50 Jahren en vogue ist, sondern ob er die Zeiten überdauert.“ Hartkopf versteht sich entsprechend nicht als der oft heraufbeschworene geniale Architekt, der Meisterwerke schafft, sondern als Glied einer Kette, das subtil das Werk vorangegangener Generationen pflegt und weiterführt, um schließlich der kommenden Generation etwas mitzugeben. „Hätte man nicht vor knapp 1000 Jahren angefangen, hier zu bauen, würde ich hier jetzt nicht arbeiten.“ Dabei muss sie in ihrem Vorgehen pragmatisch und kompromissbereit bleiben. Sie beschreibt die Arbeit mit dem Denkmal als Spannungsfeld: Jeder Millimeter sei richtig, aber man könne sich nicht mit hingebungsvoller Genauigkeit einem Detail widmen, während am anderen Ende vielleicht der Bau bröckelt; der Prozess als Ganzes müsse im Blick behalten werden. Diesem steten Abwägen zwischen der Präzision im Kleinen und dem Fortkommen im Großen liegt der monetäre Mangel zugrunde: „Wenn wir in konservatorischer und restauratorischer Perfektion allen Wünschen gerecht werden wollten, so wie die Denkmalpflege es wünschte, hätten wir anstatt des gesamten Chors zwei Achsen fertiggestellt, dann wäre das Geld weg gewesen.“

Naumburger Dom, Ostchor nach der Glasrestaurierung, Foto: Archiv der vereinigten Domstifter / Volker Matte

Der Bestand konfrontiert sie mit mannigfaltigen Aufgaben und Materialien; eine Vielfalt, die ein Büro allein nicht bewältigen kann. Ihre Aufgabe sieht sie vor allem darin, eine übergeordnete Idee zu entwickeln; zusätzliche Expertise holt sie mit verschiedenen Fachleuten in die einzelnen Vorhaben. Besonders gut lässt sich diese Arbeitsweise an der Restaurierung der Chorfenster im Naumburger Dom nachvollziehen. Es ist ein umfassender, zu großen Teilen bauzeitlicher Glasmalereibestand, der vielfach ohne Schutzverglasung war und mitunter beträchtlich von früheren Restaurierungsversuchen in Mitleidenschaft gezogen. Erste Vorarbeiten fanden 2012 statt, die anfängliche Hürde war, das karge Stiftungskapital (denn der Reichtum des Doms konstituiert sich durch Kunstschätze und nicht finanziell) durch das Einwerben von Fördermitteln aufzustocken. Im Verlauf wurden mehrere, gewichtige private Stiftungen für das Anliegen gewonnen, das Land und der Bund zogen nach. Ein wissenschaftlicher Beirat wurde gegründet, man reiste viel umher, um Wissen anzusammeln, und stellte in einem alten Kuriengebäude gegenüber dem Dom – der heutigen zweiten Büroniederlassung von HARTKOPF denk mal architektur – eine temporäre Werkstatt auf die Beine. Mehrere internationale Glasrestauratorinnen kamen zusammen und arbeiteten von 2018 bis 2020 die gesamte Chorverglasung auf.

Naumburger Dom, Ostchor, Reinigungsproben, Foto: Regine Hartkopf

Aber nicht nur die Fenster leuchten heute wieder, auch die Fassade erstrahlt heller als noch vor ein paar Jahren. Natursteine wie Sand- und Kalkstein verwittern bekanntermaßen und nehmen eine dunklere Färbung an. Das geschieht einerseits, weil die Mineralien im Stein oxidieren; andererseits können Schmutzablagerungen mit der Luft reagieren und eine Gipskruste bilden, die den Stein schädigt. Letzteres war in Naumburg der Fall. Es fanden Reinigungsproben statt mit mineralischem Strahlgut, Feuchtstrahl, chemischen Kompressen und Laser – letztlich entschied man sich für eine schonende Kombination aus zurückhaltendem Feuchtstrahl und Laserreinigung.

Marienkirche am Dom, Naumburg, Foto: Johannes Ritter

Die Marienkirche am Dom, die, im Kreuzgang gelegen, ursprünglich für den Domklerus gedacht war, wurde im 19. Jahrhundert zu einer Turnhalle umgebaut. Nur der hochgotische Chor bestand im Original. Noch gemeinsam mit Reinhard Rüger machte Hartkopf aus ihr 2011 wieder einen Kirchenraum. Zwar fehlt die Farbe noch – das ursprünglich mit dem Maler Ludwig Ehrler entwickelte Konzept mit kräftigen, bunten Farbquadraten sei „zu viel für das Domkapitel und die Domgemeinde“ gewesen –, aber das Langhaus wurde abgesenkt und die flache Decke durch einen offenen Dachstuhl ersetzt. „Der Raumeindruck zuvor, den kann man sich gar nicht mehr vorstellen – die Veränderung ist nur im Vergleich Vorher-Nachher erlebbar.“ Wiewohl es sich um einen größeren Umbau handelt, zeigt sich hier, was für die meisten Arbeiten Hartkopfs gilt: Sie sind für den normalen Gast kaum sichtbar. Selbst eigenständige Werke wie das Portal werden als integraler Teil des Doms wahrgenommen, die wenigsten fragen nach der Architektin. Schon gar nicht draußen im Garten, wo die Bruchsteinmauern gesichert und ihnen neue Kronen aus Gras gegeben wurden. Ähnlich wie bei einer Dachbegrünung, verhindern die Pflanzen im Sommer ein Aufheizen und im Winter, dass der Frost ins Mauerwerk zieht. Schön ist es obendrein. Die Liste der Eingriffe, sie ließe sich endlos fortführen. Es bedarf in den meisten Fällen aber eines Fingerzeigs, damit man ihrer gewahr wird. Eiligen Schrittes den Dom durchmessend (es warten weitere Termine auf sie), stellt Regine Hartkopf nüchtern fest: „Was soll man sagen, man sieht ja fast nichts von dem, was wir machen. Zum Glück!“
Theresa Jeroch

www.denkmalarchitektur.de

Neu im Club im DAZ
Talk mit Regine Hartkopf
1. Februar 2023, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Haushahn,
Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern.

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