Buch der Woche: „Arch+“-Doppelausgabe über Vietnam

Ohne Leben keine Kultur

In der Regel besprechen wir an dieser Stelle Bücher, die Mitglieder der Redaktion unter verschiedenen Kriterien bemerkenswert finden. Etwa, weil sie die aktuelle Diskussion zu einem spezifischen Thema bereichern, weil sie inhaltliche Maßstäbe setzen oder besonders fein gesetzt sind, durch ihre Bebilderung oder ihre grafische Konzeption auffallen. In diesem Fall erscheint es angebracht, davon abzuweichen. Die seit einiger Zeit vorliegende Doppelausgabe der Zeitschrift Arch+ vereint alle genannten Kriterien und so ist „Arch+ 226: Vietnam – Die Stille Avantgarde“ im Doppelpack mit „Arch+ 227: Vietnam – Die Rückkehr des Klimas“ unser aktuelles Buch der Woche.

Gleich zwei relevante Eckpunkte der architektonischen Debatte diskutieren die Hefte. Zum einen, was derzeitige Architektur ausmacht und wie dabei lokalspezifisches und von Empathie geleitetes Handeln eine Architektur hervorbringt, die auf eine tatsächliche Neufundierung der Disziplin hinweist, wie wir sie derzeit an vielen Orten weltweit besichtigen können. Zum anderen, wie das Klima als eigentlich bestimmender Faktor ortstypische bauliche Lösungen hervorbringt, die die rein technische Bearbeitung der klimatischen Herausforderungen mittels Architektur überwinden. In beiden Fällen wird deutlich, was Architektur sein kann, wie die Fragen nach Ort und Klima zu kreativen Ansätzen führen, die dann in gebauten Antworten münden – die mehr sind als gestaltete Räume, die mittels technischem Einsatz für den Menschen nutzbar gemacht werden. Dass in Zeiten schwindender Rohstoffe und Klimawandel der zusätzliche Einsatz von Material und Technik – die wiederum weitere Rohstoffe verbraucht – die Lösung für die uns drängenden Fragen sein könnte, erscheint vielen mindestens fraglich. Die beiden Hefte von Arch+ zeigen mustergültig, wie hier Ansätze gefunden werden können, die von Grund auf architektonisch gedacht sind. Ansätze, in denen der Bau die Lösung ist, in denen Architektur Architektur ist, in denen Gebäude nicht erst durch Technik für die Nutzer zum Funktionieren gebracht werden müssen.

Immer wieder – nicht nur in den Vorworten – scheint dabei der persönliche Blick von „Arch+“-Redakteur und -Mitherausgeber Anh-Linh Ngo in den Heften auf. Dem Gesamtwerk ist anzumerken, dass es Ngo eine Herzensangelegenheit war, dieses double feature, für das er sein Heimatland nach über dreißig Jahren zum ersten Mal wieder besucht hat, auf den Weg zu bringen. Das Ergebnis gibt ihm und allen an den insgesamt rund 400 Seiten Beteiligten Recht. Der geschichtliche Hintergrund und seine baugeschichtlichen Auswirkungen werden ebenso beleuchtet wie die klimatischen Bedingungen im Land. Interessant sind die Schlüsse, die bereits in der lokalen Ausprägung des sogenannten „Neuen Bauens“ in der vietnamesischen Nachkriegsmoderne ihren Ausdruck finden, oder wie ausländische Architekten die Protagonisten vor Ort beeinflussten und woher die heutige Generation ihre Einflüsse bezieht. Dabei sind sowohl die grundlegenden Beiträge lesenswert, wie auch die in beiden Heften folgenden Projektbeschreibungen aktueller vietnamesischer Architektur. Wo erstere mit inhaltlicher Tiefe glänzen, fallen die letztgenannten jedoch im Einzelfall etwas trocken aus. Das lässt sich aber ob der Fülle der gezeigten Projekte und der Art und Weise, wie sie aufbereitet sind, gut verschmerzen.

Denn die wie stets vom Kölner Mike Meiré verantwortete Art Direction ist mit den beiden nun vorliegenden Heften auf einem bis dato nicht gekannten Level angelangt. Wo Grafik und Layout der Arch+ in den letzten Jahren nach ihrem Relaunch 2008 oft etwas bemüht zeitgeistig und überfüllt daherkamen, ist Meiré und seinem Team mit den Vietnam-Heften gelungen, eine Art asiatische Ruhe in die Aufmachung zu bringen, die den Ausgaben merklich gut tut. So schön waren noch keine „Arch+“-Hefte der letzten Jahre. Und so sind die Projekte mit schönen Fotografien, guten bis soliden Texten und anschaulichen Planzeichnungen fein aufbereitet, die grundlegenden Beiträge schaffen zudem eine inhaltliche Klammer, in die sich die gezeigten Bauten mühelos einfügen. Satz und Layout der beiden Ausgaben schließlich runden sie zu einem Gesamtwerk ab, für das man sich – wie schon bei der gelungenen Posener-Doppelausgabe – einen formschönen Schuber wünscht, um sie sich ins Bücher-Regal zu stellen.

David Kasparek

ARCH+ 226: Vietnam – Die stille Avantgarde, 200 S., zahlr. Abb. und Pläne, 22,– Euro, ARCH+ Verlag, Aachen 2016, ISSN 4-191813-822005

ARCH+ 227: Vietnam – Die Rückkehr des Klimas, 202 S., zahlr. Abb. und Pläne, 22,– Euro, ARCH+ Verlag, Aachen 2017, ISSN 4-191813-822005

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