kritischer raum

Schankopfer in der Bierkirche

Das Gasthaus Donisl von Hild und K Architekten in München, 2013 – 2015

„Die Sach’ ist durch“ soll Theres Wildmoser 2012 gesagt haben. Die damals 73-jährige Wirtsfrau, Witwe des schillernden „Mannsbilds“ Karl-Heinz Wildmoser – lange Zeit Präsident der Münchner „Löwen“, Donisl-Wirt und vom Bestechungsgeld-Skandal um die Münchner „Allianz-Arena“ schwer angeschlagener Geschäftsmann –, kommentierte so das Auslaufen ihres Pachtvertrags für den „Donisl“ nach fast 27 Jahren. Der Eigentümer des Hauses an der Weinstraße, die Bayerische Wohnbau, hatte anderes mit dem zweitältesten Wirtshaus der Stadt an Marienplatz und Weinstraße vor: Das Gebäude, nach seinem damaligen Besitzer Dionysius Haertl erstmals um 1760 als „Donisl“ genannt, war nach einem Bombenschaden im Zweiten Weltkrieg 1953 vollständig neu errichtet worden. Die unzureichende Bausubstanz und zu niedrige Deckenhöhen im Obergeschoss der Gaststätte entsprachen offenbar nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart: Deshalb beauftragten die Bayerische Wohnbau und die Brauerei Hacker Pschorr, beide Töchter der Schörghuber Gruppe, noch im selben Jahr, 2012, das Büro Hild und K mit dem Entwurf eines neuen Hauses, in dessen Untergeschoss der neue „Donisl“ mit 500 Sitzplätzen und darüber in vier Geschossen Büroflächen vorgesehen werden sollten.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Das einzige, was vom alten „Donisl“ übriggeblieben ist, ist der größte Teil der denkmalgeschützten Fassade der fünfziger Jahre mit einem Wandbild des Künstlers Max Lacher und dem Relief eines Doppellöwen von Marlene Neubauer-Woerner, zwei eher typischen als charakteristischen Werken der Münchner Fassadenkunst. Nach wie vor betritt der Besucher den Gastraum durch die niedrige Segmentbogenarkade der Straßenflucht. Das getäfelte Entree erinnert noch am ehesten an den insgesamt recht pomadig ausgestatteten „Donisl“ vor dem Umbau, wird aber überspielt vom Blick in das helle Innere des Gasthauses. Zugleich führt hier ein Treppenaufgang auf die Empore.

Im Erdgeschoss gelangt man entlang eines kurzen Ganges zur Hauptattraktion des neuen Lokals, den zweigeschossigen Hauptraum, der sich als länglicher Saal in die Tiefe des Grundstücks erstreckt. Andreas Hild hat dem Schank- und Speiseraum einen basilikalen Querschnitt gegeben. Das mittlere Raumkompartiment ist als doppelt-geschossiger hoher Raum angelegt, der mit einem flachen Stahl-Glas-Satteldach gedeckt ist. Das Dach eröffnet den Blick auf die obere Hälfte des Turms der Marienkirche und kann bei schönem Wetter geöffnet werden. Rechts und links öffnet sich der Raum in Lauben mit weiteren Sitzmöglichkeiten. Im Zentrum der Flucht indes liegt der leicht erhöhte Schanktresen, auf dem stets das Holzfass steht, aus dem allein im neuen „Donisl“ der Schnitt, die Hoibe oder die Maß gezapft wird. Dort haben die Architekten auch die Stellage vorgesehen, in der nach altbayerischer Art die Stammgäste ihre Krüge hinterlassen können. In den Räumen dahinter ist die Küche untergebracht.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Der basilikale Schnitt des Saals wird durch die Empore verstärkt, die sich auf allen Seiten ebenfalls mit alternierend hohen und breiten Arkaden auf den zentralen Raum öffnet. Hild und K haben hier einerseits auf den alten Typus der Arkadenhöfe zurückgegriffen, der sich in einigen wenigen Beispielen wie dem Eilles-Hof aus dem 16. Jahrhundert in München erhalten hat. So nehmen die Architekten einerseits Bezug auf den Ursprung der typischen Münchner Schankwirtschaft in den Höfen der Brauhäuser. Zugleich hat der fast klerikale Aufbau des Saals mit Hauptschiff und Seitenschiffen, Emporen, den fensterrosenartigen geometrischen Ornamenten der Fenstergitter und der altarähnlichen Positionierung und Ausstattung des Schanktresens einen durchaus humoristischen Bezug zur Deutung der Wirtschaft als „Bierkirche“, wie sie in der Dauerkonkurrenz zwischen sonntäglichem Gottesdienst und Frühschoppen auch genannt wurde.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Neben diesem typologischen Flashback fallen natürlich die Formen und Materialien ins Auge, die Hild unter dem Motto des „architektonischen Reinheitsgebots“ eingesetzt hat: Verwendet wurden nur gut alternde Materialien wie Naturstein, Holz und Kalkputz, die in der Anschauung Hilds Authentizität besitzen. Dieses Konzept haben die Architekten auch auf die Ausstattung der Räume übertragen. Die Holzvertäfelung der Räume und die eigens entworfenen Stühle wurden aus Birnenholz gefertigt, die Tischplatten aus Ahorn. Die Böden wurden in Eiche oder in Wachenzeller Dolomit angelegt.

Der Auswahl gediegener Materialien scheint auch die Wahl der Formen zu entsprechen: Die unterschiedlich breiten und hohen Arkadenbögen, die gepickten und scharrierten Natursteinstützen, der reliefierte Wandputz und die durchbrochenen massiven Emporenbrüstungen, die Tonnengewölbe und die sternförmig ornamentierten Fenstergitter entsprechen sicherlich nicht den gewöhnlichen Vorstellungen eines zeitgenössischen Restaurantinterieurs.

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Hild und K Architekten, Gaststätte Donisl, München 2013 – 2015, Fotos: Michael Heinrich

Vielmehr erscheint der Formenkanon der Innenausstattung der bürgerlichen Reformkultur der vorletzten Jahrhundertwende entnommen zu sein, ohne allerdings zwangsläufig einen historisierenden Eindruck zu hinterlassen. Die Klarheit der Formen, das Material und die Details vermitteln einen frisch wirkenden Raum, der gar keinen anderen Eindruck zulässt als den, sich in einem bayrischen Wirtshaus mit ungewohnter architektonischer Qualität zu befinden. Insofern geht aus heutiger Sicht das Konzept Hilds auf, den Kanon der Architekturformen ohne jede ideologische Konnotation als allgemein verfügbaren Zeichenvorrat zu verstehen und so architektonische Formen zu einer zeitlosen Einheit zusammenzufügen (siehe der architekt 4/17, S. 18 ff.). Ob das gelungen ist oder nicht, sollte ein weiterer Besuch im „Donisl“ in zehn, und ein weiterer in zwanzig Jahren erweisen, um schließlich der Wildmoser Theres widersprechen zu können: „Die Sach’ ist noch lang’ nicht durch.“

Andreas Denk

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