Julia Koschewski im Gespräch mit Lisa Küchel

Stadtteilarbeit ist Beziehungsarbeit

Wie kann Stadtentwicklung sozial gerecht sein, ökologisch tragfähig und gleichzeitig auf migrationsgeprägte Realitäten reagieren? Lisa Küchel, Professorin für Stadtplanung und Stadtentwicklung an der Hochschule Nürtingen-Geislingen, arbeitet und forscht in der Quartiersentwicklung an der Schnittstelle zwischen Stadtsoziologie, räumlicher Planung und Gemeinwesenarbeit. Als Teil des Teams des Instituts für Stadtplanung und Sozialforschung Weeber+Partner ist sie an Projekten in ganz Deutschland beteiligt und betreut zahlreiche Stadtteile: stadtpolitisch, ökologisch, sozial – aber auch atmosphärisch. Mit Julia Koschewski spricht sie über die Anforderungen an eine migrationssensible Planung, über ungleiche Ausgangsbedingungen in Beteiligungsprozessen, über die Schwierigkeit echter sozialer Mischung und über Stadtplanung.

Julia Koschewski: Am Institut für Stadtplanung und Sozialforschung Weeber+Partner arbeiten Sie in verschiedenen Städten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Wer beauftragt Sie und wie unterscheiden sich Ihre Rollen und Aufgaben je nach Region?

Lisa Küchel: Unsere Hauptauftraggeber sind Kommunen. Wir übernehmen Quartiersmanagement fast ausschließlich im Auftrag von Städten. In der Region Stuttgart sind wir in mehreren Stadtteilen aktiv – etwa in Gablenberg, Dürrlewang, im Hallschlag und in Stuttgart-Münster. Aktuell ist noch die Neckarvorstadt hinzugekommen. Außerdem arbeiten wir in Tübingen und waren früher auch in Esslingen und Ludwigsburg tätig. In Berlin sind wir ebenfalls in mehreren Stadtteilen aktiv. Je nach Region unterscheiden sich unsere Aufgaben: In Berlin liegt der Fokus stärker auf Gemeinwesenarbeit, Projektentwicklung und -begleitung. In Baden-Württemberg geht es eher um Beteiligungsprozesse im Zusammenhang mit konkreten Stadtplanungsprojekten.

Was sind die Herausforderungen, die diese Kommunen an Sie herantragen?

Weeber+Partner hat 18 Jahre zur Mitgestaltung des Hallschlags (Stuttgart) eingeladen, Foto: Weeber+Partner

Zentrales Thema ist meist der soziale Zusammenhalt – passend zum BWSB-Programm „Sozialer Zusammenhalt“, das früher „Soziale Stadt“ hieß. Stadtplanung spielt dabei eine Rolle, ist aber nur ein Aspekt von vielen. Oft geht es um lang vernachlässigte Quartiere mit großem Modernisierungs- und Sanierungsbedarf sowie strukturellen Herausforderungen. Solche Prozesse begleiten wir über viele Jahre. Die Kommunen führen dazu Vorbereitende Untersuchungen (VU) durch, zum Teil übernehmen wir auch das. Daraus entsteht ein erstes Leitbild für die Quartiersentwicklung, meist in Form eines Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK). Darin sind Maßnahmen und Handlungsfelder festgelegt. Im nächsten Schritt setzen wir auf breite Bürgerbeteiligung. Wir organisieren Themengruppen – etwa zu Wohnen, öffentlichem Raum, Mobilität, Klima oder Gesundheit. In diesen Gruppen entstehen konkrete Projekte. In Gablenberg etwa gibt es eine Urban-Gardening-Gruppe. Für Kinder und Jugendliche planen wir gemeinsam, wann und wie Spielplätze saniert oder neugestaltet werden. Dabei fragen wir: Was ist vorhanden? Was fehlt? Wo beginnen wir? Die Beteiligungsformate bereiten wir gemeinsam mit Multiplikatorinnen aus der Stadtgesellschaft vor und setzen sie auch zusammen um.

Multiplikatoren ist ein gutes Stichwort – besonders im Kontext sozialer Teilhabe, Integration und migrationssensibler Stadtplanung. Welche Rolle spielen diese Themen in Ihrer Arbeit, und wie unterschiedlich gehen Sie in den Quartieren damit um?

Diese Themen sind in unserer Arbeit immer präsent. Das hängt auch damit zusammen, dass viele der Stadtteile, in denen wir tätig sind, eine besondere Zusammensetzung haben. Ich würde nicht unbedingt von Benachteiligung sprechen, aber es gibt bestimmte Herausforderungen. Manche Quartiere sind sehr heterogen, andere weniger, darauf reagieren wir mit unterschiedlichen Ansätzen. Zwischen Berlin und dem süddeutschen Raum gibt es dabei deutliche Unterschiede. Die Herausforderungen sind verschieden – und damit auch die Methoden, die wir einsetzen. In Berlin arbeiten wir zum Beispiel mit Sprachcafés, Elternprojekten oder Stadtteilmüttern zusammen. Darüber haben wir sehr gute Zugänge zu den Familien gefunden. So lassen sich Sprachbarrieren und kulturelle Hürden abbauen. In Stuttgart gibt es solche Strukturen in der Form bisher nicht. Auch dort arbeiten wir in Quartieren mit hohem Migrationsanteil. Wir gestalten Informationsmaterial mehrsprachig oder nehmen bei Bedarf eine türkischsprachige Kollegin mit in den Stadtteil, um direkte Ansprechbarkeit zu gewährleisten. Ein wichtiger Unterschied: In Berlin war es für bestimmte Förderprogramme Voraussetzung, dass Menschen mit Migrationsgeschichte Teil des Quartiersmanagement-Teams sind, insbesondere in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil. Im süddeutschen Raum hatten wir diese Bedingungen nicht.

Das bedeutet, die Methodiken und Instrumente, die Sie in der Stadtentwicklung anwenden, sind nicht einfach übertragbar?

Genau, es handelt sich um unterschiedliche Zielgruppen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Hallschlag in Stuttgart. Dort haben wir im Rahmen eines Freiraumkonzepts ein zielgruppenspezifisches Beteiligungsverfahren entwickelt – und dafür auch den Deutschen Städtebaupreis erhalten. Das war zu Beginn des Projekts, als es um eine Art Rahmenplanung für das gesamte Quartier ging. Uns war schnell klar: Es reicht nicht, ein Konzept „für alle“ zu entwickeln. Deshalb haben wir verschiedene Formate gezielt für einzelne Gruppen entwickelt. Für Kinder und Jugendliche gab es zum Beispiel das Projekt „Stadtteildetektive“, getragen von zwei Einrichtungen im Quartier. Mit der AWO haben wir ein Format für ältere Menschen umgesetzt: Es ging um Themen wie Sicherheit, Beleuchtung, Sitzgelegenheiten und Wege. Im öffentlichen Raum haben wir Bänke ausprobiert: Wo stehen sie gut? Welche Modelle funktionieren besser, mit hoher Lehne oder ohne? Das war wie ein Reallabor. Für Gewerbetreibende haben wir ein anderes Format genutzt: Mit einem sogenannten Bierbike, einem mehrsitzigen Fahrrad, sind wir durch den Stadtteil geradelt.

Für Jugendliche hatten wir zunächst ein klassisches Hearing im Jugendhaus geplant – aber es kam kaum jemand. Später wurde deutlich: Das Jugendhaus hat im Quartier ein bestimmtes Image. Einige gehen gerne hin, andere meiden es bewusst. Also sind wir mit denen, die da waren, rausgegangen und haben Jugendliche an ihren Treffpunkten angesprochen – an Bushaltestellen, Tischtennisplatten, im öffentlichen Raum. Dort haben wir Gespräche geführt und einfach zugehört. Das war sehr aufschlussreich, auch, um besser zu verstehen, wie man Jugendliche wirklich erreicht. Solche Konzepte müssen immer spezifisch entwickelt werden. Man weiß am Anfang nicht, was funktioniert, vieles entsteht erst im Prozess.

Seit 1999 arbeitet Ihr Institut gemeinsam mit Akteurinnen und Akteuren vor Ort an der Weiterentwicklung der High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln. Von Beginn an war die intensive Einbindung der Menschen vor Ort ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Was sind hier die zentralen Themen und wie gehen Sie im Quartiersmanagement vor?

Die High-Deck-Siedlung in Berlin unterscheidet sich stark von vielen anderen Quartieren, in denen wir arbeiten. In Stuttgart zum Beispiel ist es oft so, dass wir nach zehn, zwölf oder auch mal achtzehn Jahren sagen können: Der Stadtteil hat sich gut entwickelt, wir können ihn in die Selbstständigkeit entlassen. Da ist eine Stabilität erreicht. In der High-Deck-Siedlung – und in einigen anderen Quartieren in Berlin – ist das anders. Dort ist man manchmal schon froh, wenn sich die Situation nicht weiter verschlechtert, als sie ohnehin schon war, als wir begonnen haben.

Was macht die Situation in diesem Quartier so herausfordernd?

Weeber+Partner organisieren das Quartiersmanagement der High-Deck-Siedlung in Berlin, Foto: Weeber+Partner

Die Bedingungen sind einfach schwieriger – sozial, kulturell, auch politisch. Es gibt viele verschiedene Gruppen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, und es ist eine permanente Aufgabe, dort den Zusammenhalt aufrechtzuerhalten. Das kann nicht nur vom Quartiersmanagement geleistet werden. Es braucht dauerhaft viele Akteure vor Ort, die gut zusammenarbeiten, sonst kann es schnell zu Spannungen kommen. Es spielen auch politische Faktoren eine Rolle. Man muss wissen, welche Konflikte es zwischen verschiedenen Gruppen gibt, und Stadtteilmütter oder andere Vertrauenspersonen einbeziehen. Über sie können Kontakte wiederhergestellt oder Spannungen entschärft werden.

Das klingt, als bräuchte es Akteurinnen und Akteure, die sowohl nah dran sind an den Dynamiken innerhalb des Quartiers, die aber auch einen strategischen Blick von außen haben. Wie funktioniert das konkret im Alltag?

Ein sehr zentraler Punkt ist, dass man im Quartier präsent ist – und zwar wirklich präsent. Ansprechpersonen aus dem Quartiersmanagement müssen ständig unterwegs sein, die Leute sollten sie kennen. Es braucht verlässliche Anlaufstellen. Es geht dort oft nicht nur um Stadtentwicklung im engeren Sinne. Die Leute kommen auch, weil sie Hilfe beim Ausfüllen von Formularen brauchen oder weil sie nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Das Quartiersbüro ist ein Dreh- und Angelpunkt – für Informationen, Vermittlung, Begleitung. Ein interessanter Aspekt ist übrigens auch das Thema Demokratie: In der High-Deck-Siedlung gibt es ein richtig gewähltes Stadtteilgremium, den „Quartiersrat“. Bei uns im Süden ist das eher offener organisiert – es gibt Menschen, die sich zur Verfügung stellen, die dann von den Gruppen nominiert werden. In Berlin wird richtig gewählt. Das verändert den Umgang mit Verantwortung – und auch mit Mitsprache.

Welche Chancen liegen in einem multikulturell und multiethnisch geprägten Stadtteil?

Eines der zentralen Leitbilder in der Stadtplanung ist die soziale Vielfalt, eine soziale Mischung. Wenn man sich zu diesem Leitbild bekennt – und das tue ich –, dann entsteht daraus auch ein Spannungsfeld. Wenn man jedoch möglichst kleinteilig mischen will oder man sagt: „Das ist mein Ziel“, dann kommt es eben häufig zu Konflikten. Und genau dort setzen wir an.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit konkret und im Umgang mit Vielfalt und Konflikten?

Unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln und auch Widersprüche auszuhalten. Das ist ein wesentlicher Teil unserer Arbeit. Man bringt Menschen zusammen, die sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten haben – andere kulturelle Prägungen, unterschiedliche Alltage. Hier geht es darum, Austausch zu ermöglichen. Dafür braucht es Plattformen – Orte, an denen man sich begegnen kann, auch mal reibt, diskutiert. Ich glaube, es ist ein Fehler zu denken, dass Konfliktfreiheit das Beste ist. Konflikte sind oft auch produktiv. Natürlich wünscht man sich am Ende eine Lösung oder einen Konsens, aber das ist nicht immer möglich. Man muss nur darauf achten, dass der Konflikt nicht eskaliert.

Wie lassen sich diese Prozesse steuern?

Ich denke, es ist besonders wichtig, dass auch die Bildungseinrichtungen in solche Prozesse einbezogen werden. Das beginnt bei der frühzeitigen Einbindung von Schulen, Kitas, Jugendhäusern. Denn das ist ja das Entscheidende: Kinder und Jugendliche lernen mit, wie man mit Vielfalt umgeht. Und sie brauchen positive Beispiele. Wenn Kinder nur in einem Umfeld aufwachsen, in dem niemand arbeitet, in dem niemand die deutsche Sprache spricht und in dem es keine Perspektive gibt, dann setzen sich diese Erfahrungen fort. Deshalb muss man alles dafür tun, diese Kreisläufe zu durchbrechen. Es geht darum, Chancengleichheit oder zumindest möglichst gleiche Chancen zu schaffen.

Wie können Teilhabe, Vielfalt und Konfliktfähigkeit im großen Maßstab umgesetzt werden – etwa unter den Bedingungen des angespannten Wohnungsmarkts? Welche Steuerungsmöglichkeiten stehen den Städten überhaupt zur Verfügung?

Auch dazu forschen wir bei uns im Büro intensiv. Wir hatten gerade ein Projekt zum Thema bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen – und jetzt aktuell ein neues zur Frage, wie lange Wohnberechtigungsscheine gelten und wie stark man über die Bindungsdauer steuern kann. Denn genau darüber lässt sich einiges machen.

Also, nicht nur, wie viel gebaut wird, sondern auch, wie lange es sozial gebunden bleibt?

Genau. Die Quoten für geförderten Wohnungsbau werden ja oft als zentrale Stellschraube gesehen. Aber man muss sich auch fragen: Ist die Forderung nach immer höheren Quoten wirklich der richtige Weg? Man braucht ja auch die Voraussetzungen dafür: Flächen, Mittel, Bestand. Und was passiert, wenn die Bindung ausläuft? Dann habe ich plötzlich keinen Zugriff mehr. Das muss also im Gesamtkontext gedacht werden – alles hängt miteinander zusammen.

Können Sie uns ein Beispiel aus Ihrer Praxis nennen?

Ja, in Karlsruhe haben wir bei einem kommunalen Wohnungsunternehmen, das in einer Bestandssiedlung nachverdichtet hat, eine Nachuntersuchung gemacht. Dort gab es die Vorgabe, 70 Prozent geförderten Wohnungsbau zu realisieren. Wir haben im Rahmen einer Studie zur sozialen Mischung in Neubauquartieren mit der Wohnungswirtschaft gesprochen, und von dort kam klar zurück: Diese hohe Quote macht es schwer, ein Quartier langfristig stabil zu halten. Natürlich will man günstigen Wohnraum, aber gleichzeitig braucht es auch eine ausgewogene Sozialstruktur.

Am Beispiel Frankreich kann man zum Teil gut sehen, dass zu hohe Konzentrationen an sozialem Wohnungsbau dazu führen können, dass Quartiere kippen. Es geht also auch darum, der Wohnungswirtschaft die Möglichkeit zu geben, kleinteilig zu steuern – mit Blick auf den Gesamtstadtteil oder die Stadt.

Sie sprechen hier vor allem über kommunale Wohnungsunternehmen. Wie ist das bei privaten Unternehmen?

Bei privaten Unternehmen sollte die Förderung an klare Bedingungen geknüpft sein. Wenn sie Fördergelder erhalten, um sozialen Wohnungsbau zu errichten, dann muss auch die Bindungsfrist entsprechend lang sein, damit die Bevölkerung langfristig etwas davon hat.

Gibt es weitere Instrumente zur Steuerung?

Ja, in manchen Bundesländern, etwa in Hessen oder Bayern, gibt es gestufte Wohnberechtigungsscheine: für niedrige, mittlere und höhere Einkommen. In Baden-Württemberg haben wir das so nicht. Und dann ist da natürlich die Bodenfrage. Dies ist letztlich das stärkste Steuerungsinstrument. Ulm oder Tübingen machen es vor: Die Kommunen behalten den Boden in ihrer Hand und geben ihn nur unter bestimmten Auflagen ab, zum Beispiel über Konzeptvergaben. Damit lässt sich sehr viel gezielter entscheiden, was gebaut wird und für wen. Eigentlich müsste sich die Kommune viel stärker einbringen, wenn es um die Frage geht, wie Boden vergeben wird, und städtebauliche Instrumente konsequenter nutzen.

Die Entwicklung urbaner Quartiere lässt sich ja heute nicht mehr allein an sozialgerechten Standards messen, auch ökologische Nachhaltigkeit rückt stärker in den Fokus. 2022 erschien Ihre Publikation „Freiraum und Lebensqualität in urbanen Stadtquartieren“, in der Sie sich mit qualitativen Aspekten grüner Stadträume befassen. Wie kann eine nachhaltige Aufwertung von Stadträumen gelingen, ohne diese automatisch zu gentrifizieren und zu homogenisieren? Wie lässt sich ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit zusammendenken, gerade in Bestandsquartieren?

Weeber+Partner begleiten die Entwicklung des Tübinger Stadtteils Waldhäuser-Ost, Foto: Weeber+Partner

Das ist tatsächlich schwierig. Deshalb haben wir auch direkt eine Folgestudie angeschlossen, die wir „Grüne Gerechtigkeit“ genannt haben. In einer früheren Publikation von uns spielte die soziale Dimension der Nachhaltigkeit noch nicht die Hauptrolle. Damals war das Thema Klimaanpassung ja noch relativ neu. Heute ist das Standard – aber gerade deshalb muss man neu hinschauen: Wie kann man ökologische Ziele wie Begrünung bei der Innenentwicklung so integrieren, dass sie auch sozial gerecht sind? Ich meine inzwischen: Wir müssen eigentlich von einer vierfachen Innenentwicklung sprechen: Zur ökologischen, baulichen und klimabezogenen Dimension kommt unbedingt auch die soziale Komponente der Bezahlbarkeit dazu. Die wurde bislang oft vernachlässigt.

Was beobachten Sie konkret in den Quartieren, die Sie begleiten?

Wir schauen in der Studie auf Quartiere in Deutschland, die von kommunalen Wohnungsunternehmen gebaut oder aufgewertet wurden – unter anderem auch der Hallschlag in Stuttgart. Dort sehen wir: Ja, es ist möglich, dass ein Quartier bezahlbar bleibt und gleichzeitig in Sachen Klima und Freiraum aufgewertet wird. Aber genau hier kommt der Punkt ins Spiel, den ich betonen möchte: Man darf nicht jede Art von Aufwertung automatisch mit Gentrifizierung gleichsetzen. Wenn ein Stadtteil dabei ist, sozial abzurutschen, und wir dort bewusst eine bessere Durchmischung anstreben – mit neuen Wohnformen, mit Menschen, die vielleicht etwas mehr Geld mitbringen –, dann ist das erst einmal Stabilisierung. Nicht Verdrängung. Das wird oft verwechselt. Wenn das Sanierungsziel ist, wieder eine ausgewogene Mischung zu erreichen, kann man hinterher nicht sagen: Das war Gentrifizierung im negativen Sinn.

Aber die Grenzen sind fließend?

Ja, ganz klar, die Grenzen sind fließend. Und deshalb ist es so wichtig, früh zu monitoren und genau hinzuschauen: Wer wohnt da eigentlich wirklich? Wer hat noch Anspruch auf eine geförderte Wohnung, und wer ist vielleicht längst herausgewachsen, weil sich die Lebenssituation verändert hat? In Baden-Württemberg wird das bisher kaum kontrolliert. In anderen Bundesländern wie Hessen oder Berlin ist das teilweise anders. Aber es ist eine sensible Frage: Wie gelingt es, sozial zu steuern, ohne zu stigmatisieren oder zu verdrängen? Auch bei Freiräumen stellt sich die Frage: Wer kann sich den Unterhalt leisten? Wenn sehr aufwendige Grünflächen entstehen – wer trägt später die Pflegekosten? Sind diese durch Förderung gedeckt, oder fallen sie auf Mieterinnen und Mieter zurück? Es spielen viele Akteure eine Rolle: kommunale, aber auch Genossenschaften oder Baugruppen. Instrumente wie die Konzeptvergabe gewinnen da an Bedeutung – und überhaupt: Die Kommune müsste ihre wohnungspolitischen Steuerungsmöglichkeiten viel stärker nutzen…

… für eine soziale Durchmischung auf Quartiersebene?

Soziale Mischung bedeutet für mich nicht nur eine Quote. Man kann auch über Typologien mischen, über Wohnungsgrößen, Zuschnitte, Grundrisse. Ich habe das jüngst mit meinen Studierenden besprochen: Selbst bei Drei-Zimmer-Wohnungen kann man Unterschiede schaffen durch Größe, Ausstattung, Lage. Dann können in der einen Wohnung Menschen mit höherem Einkommen wohnen, in der anderen eine Familie mit weniger Geld. Beide haben die gleiche Zimmeranzahl – aber unterschiedliche Bedingungen. So kann Mischung auch innerhalb eines Hauses oder Aufgangs entstehen. Das erfordert natürlich mehr Planung – mehr Hirnschmalz bei den Architektinnen und Architekten. Es braucht mehr Abstimmung in der Planung, und man muss den öffentlichen Raum unbedingt mitdenken. Denn dort, im öffentlichen Raum, passiert ja das eigentliche Zusammenleben. Dort begegnen sich die Menschen, dort findet Integration statt, sowie Konflikte und auch Konfliktfreiheit.

Gilt das gleichermaßen für Neubauten und für bestehende Quartiere?

Ich bin grundsätzlich dafür, erst einmal nichts Neues zu bauen, sondern das zu nutzen, was wir haben. Das ist für mich auch eine ökologische Frage. Wir haben genug gebaut – jetzt geht es darum, den Bestand anzuschauen, zu analysieren, gut zu beobachten und dann gezielt das hineinzubringen, was ein Quartier wirklich braucht. Und das ist nicht immer geförderter Wohnungsbau, es kann auch freifinanzierter Wohnraum sein. Wichtig ist, was zu dem jeweiligen Quartier passt.

Lisa Küchel

Julia Koschewski

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