tatort

Unrühmliches Ende

Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegsarchitekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Exemplar der aktualisierten Ausgabe von Magdalena Drostes „Bauhaus 1919 – 1933“ (siehe der architekt 1/19, S. 12). Einsendeschluss ist der 20. Mai 2019.

Der gesuchte „tatort“ gehört mit mehreren anderen Siedlungsteilen zu einer Reihe von Versuchsbauten, die – mit Bundesmitteln gefördert – in einer Stadt am Übergang vom südlichen Münsterland zum nördlichen Ruhrgebiet entstanden sind. Hier sollten unter anderem 8.000 Beschäftigte eines nahen Steinkohlebergwerks untergebracht werden. Der Ort war unter Einbeziehung eines alten Ortskerns für insgesamt 50.000 Einwohner geplant. Nur ein Teil der ursprünglich vorgesehenen Bebauung wurde bis 1990 realisiert. Die weitgehend unbekannt gebliebenen Architekten des gesuchten Experimentalbaus fungierten gleichzeitig als Bauherren: Sie planten um einen Lichthof herum 40 Wohnungen mit veränderbaren Wänden und einem im Winter der Wohnung zuschaltbaren „Gelsenkirchener Balkon“.

Foto: Andreas Denk

Die modulare Erscheinung des Bauwerks mit abgerundeten Ecken und Gummidichtungen wurde unverkennbar von der damaligen Begeisterung für das anbrechende „Weltraum-Zeitalter“ geprägt. Peter M. Bode schrieb damals im „Spiegel“: „Die Technik ist rau und primitiv: Betonfertigteile alter Machart, aber so gefügt, dass sich ein weiter, offener Treppenhof entfaltet, ein Atrium, von dem aus über kurze Laubengänge und breite Vorplätze 40 Wohnungen luftig erschlossen werden: Hier kann auch draußen gewohnt werden. Keine ängstliche Abkapselung, sondern freizügige Durchblicke wie in den liebenswürdigen Vororten holländischer Städte. Chancen für unverkrampfte Nachbarschaft. Die flexiblen Wände im Inneren dieses beachtlichen Prototyps können ohne Werkzeug versetzt werden, allerdings bedingt das hässliche Metallbeschläge und eine aufdringlich gerasterte Betondecke.“

Das Projekt bekam beim Bundeswettbewerb „Flexible Grundrisse“ einen Preis, hielt im täglichen Gebrauch jedoch nicht, was man erwartet hatte: Eine mangelhafte Isolierung führte zu Schwitzwasserbildungen, deren Kalkablagerungen tropfsteinähnliche Phänomene in den Wohnungen hervorriefen. Nach mehrfachen Besitzerwechseln und steigendem Leerstand wandelte der letzte Eigentümer das Wohnhaus in Eigentumswohnungen um, die für rund 145.000 Euro an private Anleger als „Kapitalanlage“ verkauft wurden. 2007 waren nur noch 15 der 40 Wohnungen mit je 112 Quadratmetern Wohnfläche vermietet, innerhalb der Mieterschaft kam es zu Spannungen. Zudem war nach der Abdeckung des Innenhofs der Brandschutz nicht mehr gewährleistet. Ein Versuch, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen, scheiterte. 2008 zogen die letzten beiden Mieter aus. Da sich ein geplanter Abriss der „Schrottimmobilie“ mangels Mitteln der Eigentümer nicht realisieren ließ, verfügte die Stadt 2010, dass die Eingänge zum Gebäude zur „Gefahrenabwehr“ zuzumauern seien. In diesem Zustand befindet sich der Bau noch heute. Wo steht das Gebäude, und wer hat es wann errichtet?

Der „tatort“ in der letzten Ausgabe war die Bilal-Moschee in Aachen, die 1964 bis 1971 für die Internationale Muslimische Studenten Union e. V. (IMSU) von Rudolf Steinbach, dem damaligen Professor für Baukonstruktionslehre an der Technischen Hochschule Aachen, und seinem Assistenten Gernot Kramer, entworfen wurde. Gewinnerin des Buchpreises ist Christa Rethmann aus Selm.

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