der erste stein: david kasparek

Vers une architecture redux: So kann es nicht weitergehen

Der erste Stein kann gelegt oder geworfen werden. Unter dieser Rubrik erscheinen Beiträge, die beides vermögen: Es sind theoretische Texte von Autoren mit Thesen zur architektonischen Praxis, die kontrovers diskutierbar sind. David Kasparek bringt den Stein ins Rollen: Diskutieren Sie mit! Per Leserbrief oder hier im Internet.

Das Klima ist ein globales Allgemeingut, daher kann weltweiter Klimaschutz nur durch internationale Kooperation erreicht werden,“ konstatiert der fünfte Sachstandsbericht des IPCC (1). Hinter der Abkürzung IPCC verbirgt sich jener zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen, der landläufig als „Weltklimarat“ bezeichnet wird und im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als Institution vor allem deswegen ins Leben gerufen wurde, um politischen Entscheidungsträgern den Stand der wissenschaftlichen Forschung zusammenfassend zu erläutern. In der eingangs angeführten Feststellung liegt der wahrscheinlich größte gedachte Bremsklotz für den Fortschritt beim Klimaschutz, nämlich die Behauptung, alleine könne man das Problem ohnehin nicht lösen. Die für viele logische Folgerung liegt darum viel zu oft scheinbar auf der Hand und lautet in etwa: „Wenn die anderen überall auf der Welt nichts ändern, ändere ich hier auch nichts!“ Doch diese Denke ist bei Weitem zu bequem. Der australische Ethiker Peter Singer stellt bereits 1971 in seinem Aufsatz Famine, Affluence and Morality fest, dass Nähe oder Distanz keine moralisch relevanten Faktoren seien – zwar beziehen sich Singers Ausführungen auf ein anderes Problem, nämlich die Weltarmut, die moralische Frage nach eigenem Handeln aber ist die gleiche.(2) „Wenn es in meiner Macht steht, etwas Schlechtes zu verhindern, ohne dabei etwas von vergleichbarer moralischer Bedeutung zu opfern, so sollten wir dies, moralisch gesehen, tun“.(3) Oder anders: Die eigene Untätigkeit mit der der anderen zu legitimieren, ist unzulässig.

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Umwelt drastisch verändert. Der Grund sind wir. Oder – etwas abstrakter: das CO2, das wir beständig produzieren und wie von allen guten Geistern verlassen in die Atmosphäre blasen. „Die weltweiten Treibhausgas-Emissionen haben in dieser Dekade einen neuen Höchststand erreicht“(4). Und das trotz der bisherigen Klimaschutzanstrengungen. Die Schlussfolgerung aus dieser Feststellung des IPCC scheint nun aber nicht etwa die zu sein, dass Politik und Bürger mit einem beherzten „Jetzt erst recht!“ reagierten. Vielmehr keimt eine recht verzagte Haltung auf, in der erste Ermüdungserscheinungen im Sinne eines „bringt doch alles nichts“ ebenso durchschimmern wie die kurzfristige Sorge um Arbeitsplätze und Wählerstimmen. Was die Entscheidungsträger auf der einen und viele Verbraucher auf der anderen Seite dabei verkennen: Es geht nicht um die Zeit bis zur nächsten Wahl! Und obschon die laufende Legislaturperiode in der Gesamtschau zu vernachlässigen ist, ist Eile geboten: „Die Verzögerung weiterer globaler Maßnahmen zum Klimaschutz erschwert zunehmend die Einhaltung der Zwei-Grad-Obergrenze, reduziert die Handlungsmöglichkeiten und steigert die künftigen Klimaschutzkosten erheblich. Je weniger die Emissionen bis 2030 reduziert werden, desto schneller müssen sie zwischen 2030 und 2050 sinken.“ Das Problem jedoch ist: Den jetzigen Akteuren kann das weitestgehend egal sein. Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Energie im Kabinett Merkel III, wäre 2050 91 Jahre alt, Heinrich Hiesinger, Vorstandsvorsitzender der ThyssenKrupp AG, 90, Peter Terium, Vorstandsvorsitzender der RWE AG, 87 und Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, gar 103 Jahre alt – um nur einige wenige relevante Entscheidungsträger dieses Landes zu nennen. Wen scheren da die Prognosen für die Zeit der letzten Rentenjahre? Kurzfristige Rendite und die nächste Wahl gehen vor. Moralische Überlegungen hin oder her.

Dabei, so der IPCC-Bericht sehr deutlich, ist „die Einhaltung der Zwei-Grad-Obergrenze möglich.“(5) Aber: „Klimaschutzmaßnahmen im Energiesektor, der größten Emissionsquelle von Treibhausgasen, müssten auf eine vollständige Dekarbonisierung zielen. Auf Verbraucherseite stehen Energieeinsparungen sowie der Einsatz kohlenstoffarmer Energieträger im Vordergrund. Weitere wichtige Minderungsoptionen bestehen in der Industrie, im Gebäude- und Transportbereich sowie in der Landnutzung. Eine klimafreundliche Stadtentwicklung sowie vorausschauende Infrastrukturmaßnahmen können zusätzlich Emissionen vermeiden.“(6)

Mit dem „Gebäudebereich“ und der „Stadtentwicklung“ sind zwei Kernthemen der Architektur genannt. Bis heute scheinen aber zu viele Architekten den Standpunkt zu vertreten, Architektur definiere sich über alles, nur nicht über Emissionseinsparung. Von Tektonik wird geschwurbelt, von Raum und Form, von historischen Zusammenhängen, die größer seien, als tagesaktuelle Probleme wie der vermeintliche Klimawandel, von Gestaltungslehren ist die Rede und von Goldenen Schnitten, von Theorien, die in der Antike fußen, von Säulenordnungen und Proportionsverhältnissen – gerade so, als sei die Ökologie ein Randthema, dem sich im Zweifel schon turnschuhtragende Parlamentarier irgendwelcher Landesregierungen annähmen. Doch diese Haltung können wir uns nicht mehr leisten. Ökologie ist nicht mehr länger nur ein Thema der Architektur, sie ist das Thema der Architektur. Der Grund dafür ist, dass sie es viel zu lange nicht war – weil wir es nicht besser wussten – und dann viel zu lange nicht sein durfte, weil wir es nicht wahrhaben wollten.

Durch Verhaltensänderungen können technologische und strukturelle Klimaschutzmaßnahmen ergänzt werden“(7), so die lapidare Feststellung des IPCC. Doch müssten wir, um unser Verhalten ändern zu können, zunächst unser Denken ändern.

Und gerade hier tun wir uns besonders schwer. Auch Architektinnen und Architekten. Der Grund mag in der eigenen Herkunft und einem teils bewundernswerten Geschichtsbewusstsein liegen. Dort finden sich aber kaum Lösungen, die den Problemen von heute angemessen erscheinen und vor allem unseren Sehgewohnheiten entsprechen. Doch radikale Probleme erfordern radikale Lösungen. Wir müssen uns unweigerlich damit auseinandersetzen, dass wir uns an eine neue Ästhetik gewöhnen müssen. Es darf keine Rolle spielen, dass wir das Neue nicht kennen oder dass es auf dem Weg zu diesem Neuen auch gestalterische Fehltritte geben wird. Sicher ist nur: so wie bisher, kann es nicht weitergehen. Mit dem Verkleiden neuer Techniken ist es nicht getan: Weder das Verstecken von Technik in herkömmlicher Architektur noch das Verpacken selbiger mit Dämmstoffplatten sind für die Zukunft tragfähige Lösungen.

Wir stehen an einer Scheidemarke – nicht nur, aber auch – der Architekturgeschichte. 2010 waren lediglich zehn Länder für 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Deutschland ist eines davon. Extreme Wetterereignisse wie Hitzeperioden sind sehr wahrscheinlich häufiger und länger andauernd geworden.(8) Die Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche ist von 1880 bis 2012 um 0,85°C angestiegen, der Massenverlust des grönländischen Eisschilds betrug zwischen 2002 und 2011 215 Milliarden Tonnen pro Jahr, der des antarktischen Eisschilds 147 Milliarden Tonnen pro Jahr.(9)

Am 27. März 2009 überreichten zahlreiche Verbände unter Federführung des BDA dem damaligen Bundesminister Wolfgang Tiefensee das sogenannte „Klimamanifest“.(10) Es ist an der Zeit, dass sich Architektinnen und Architekten endlich ernsthaft daran messen lassen. Auch und vor allem auf ästhetischer Ebene. Die Rechtfertigungen, die Probleme des Klimas seien mit der Architektur nicht zu lösen, zählen nicht länger. Architektur alleine kann die gravierenden, mit dem Klimawandel einhergehenden Probleme sicher nicht lösen, aber sie ist der gebaute Spiegel unserer Zeit und bedarf eines Umdenkens. Nach der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und ihren formalen Umbrüchen wie dem „Entkleidungsakt“(11), mit dem die Moderne-Heroen Mies, Loos und Co gedachte Ansätze von Semper und anderen in die Tat umsetzten, bedarf es einer „dritten Umdrehung“ (12).

Die Probleme von heute brauchen architektonische Lösungen, die eine nach gut 100 Jahren Moderne radikal und anders erscheinende Ästhetik – und mit ihr neue Typologien – mit sich bringen. Unsere tradierten und moralisch aufgeladenen Sehgewohnheiten sind nicht länger das Kriterium. Noch sind selten Ansätze zu sehen, die eine neue Ästhetik erproben – derer bedarf es aber, gleich, was die anderen anderswo treiben.

David Kasparek

Dipl.-Ing. David Kasparek (*1981) studierte Architektur in Köln. Er war Mitarbeiter des „Unortkataster Köln“ an der Kölner Kunsthochschule für Medien und als Gründungspartner des Gestaltungsbüros friedwurm: Gestaltung und Kommunikation als freier Autor, Grafiker und Journalist tätig. Nach einem Volontariat in der Redaktion von der architekt ist er dort seit 2008 als Redakteur tätig. David Kasparek lebt und arbeitet in Berlin.

Anmerkungen
1 http://www.de-ipcc.de/de/200.php, Seitenaufruf: 15.04.2014
2 Singer, Peter: „Famine, Affluence, and Morality“ in: Philosophy & Public Affairs 1, 1972, S. 229-243, deutsche Übersetzung „Hunger, Wohlstand und Moral“ in: Bleisch, Barbara/Schaber, Peter (Hrsg.): Weltarmut und Ethik, Mentis Verlag, Paderborn 2007, S. 37 ff
3 ebda, S. 39.
4 http://www.de-ipcc.de/de/200.php, Seitenaufruf: 15.04.2014.
5 ebda.
6 ebda.
7 ebda.
8 vergl. u.a.: Gerstengarbe, Friedrich-Wilhelm: 2050. Die Zukunft des Klimas, in:
der architekt 1/13, S. 22 ff.
9 vergl: Beitrag der IPCC-Arbeitsgruppe 1: Wissenschaftliche Grundlagen, deutsche Übersetzung der Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger: http://www.de-ipcc.de/_media/IPCC-WGI-Headlines-deutsch.pdf, Seitenaufruf: 15.04.2014
.
10 Bahner, Olaf: Das Klima wird zum Manifest, in:
der architekt 2/09, S. 77.
11 Denk, Andreas: Drei Umdrehungen. Zur Möglichkeit einer neuen architektonischen Ästhetik, in:
der architekt 3/09, S. 30 ff.
12 ebda, S. 33.

Foto: Eumetsat

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