Ein Hoch auf Subtraktion
Wer schon einmal an einem Brainstorming teilgenommen hat, kennt die Situation: Da sprudeln förmlich die Ideen, Vorschläge werden gesammelt, diese inspirieren weitere Einfälle und Überlegungen – und am Ende verlassen alle die Runde mit langen To Do-Listen. Selten ist das Ergebnis, dass es weniger zu tun gibt oder eine Aufgabe gar entfällt. Das gesamte menschliche Schaffen scheint in gewisser Weise auf Expansion, auf neue Projekte, auf ein Mehr ausgerichtet zu sein.
Das belegen auch die Forschungen, die Leidy Klotz, Professor für Ingenieurwissenschaften und Architektur an der University of Virginia, in seiner Publikation „Subtract“ zusammengefasst hat. Klotz argumentiert, dass Menschen bei der Lösung von Problemen eine vielversprechende Option systematisch übersehen: das Subtrahieren. Stattdessen addieren sie mit großer Leidenschaft. Das ist, für sich genommen, noch nicht unbedingt ein Problem, jedoch zeigen Studien, dass die Mehrheit der Versuchspersonen selbst dann zu einer additiven Lösung greift, wenn die subtraktive Lösung objektiv besser ist. Untersucht hat man das unter anderem mit Texten, Reiseprogrammen, Kochrezepten, plastischen Modellen und grafischen Mustern, die verbessert werden sollten. Die meisten Probandinnen und Probanden entschieden sich dafür, etwas hinzuzufügen. Das Problematische daran ist natürlich auch, dass additives Denken in der Tendenz mehr Material bedeutet, mehr Ressourcenverbrauch, mehr Fläche, mehr CO2.

Mehr, mehr, mehr: eine endlos produzierende Popcornmaschine. Michael Sailstorfer, 1:43 – 47, Sammlung Boros, Berlin 2014, Foto: mabi2000 (CC BY-SA 2.0)
Klotz möchte gerade Designer und Architektinnen auf diese mentale Präferenz für Addition aufmerksam machen. Moment mal, mag der eine oder die andere hier empört denken, denn gerade in gestaltenden Berufen gehört die Fähigkeit zur klugen Reduktion eigentlich fest zum Selbstverständnis. In diesem Feld hat man es schließlich geschafft, sich zumindest gestalterisch sämtlichen Überschusses – und manches Mal sämtlicher Poesie – zu entledigen (paradoxerweise gehört diese Phase der Design- und Architekturgeschichte zu den ressourcenintensivsten). Doch wenn man an die zahlreichen baubezogenen Normen und Regularien denkt, wirkt der evolutionäre Drang zur Anhäufung plötzlich offensichtlich. Ebenso scheint die Forderung nach großmaßstäblicher Dämmung ein Paradebeispiel für unser additives Verlangen zu sein.
Natürlich ist Addition nicht per se schlecht und Subtraktion nicht pauschal gut. Das Problem liegt darin, dass Addition im Denken eine Art Standardmodus darstellt, den man nur schwer abschalten kann. Subtraktive Lösungen erfordern mehr Denkarbeit und Mühe. Zudem wird Addition tendenziell eher sozial belohnt, da sie im Gegensatz zur Subtraktion sichtbar und manifest ist. Und nicht zuletzt gibt es wirtschaftliche Hindernisse. Wahrscheinlich würden nur wenige Planende ihrer Bauherrschaft raten, dass sie gar kein neues Gebäude oder keine Erweiterung braucht. Das bringt nicht nur weniger Honorar, sondern lässt sich – trotz vereinzelter Gegenbeispiele – bislang auch schlechter öffentlichkeitswirksam darstellen.
Dass Architektinnen und Architekten also bislang kaum einen Anteil an tatsächlicher Reduktion von Ressourcen und CO2 haben, hat also vielfältige, aber wahrscheinlich auch psychologische Gründe. Es erscheint sinnvoll, dieses Verhalten nicht nur immer wieder bewusst zu machen, sondern auch kulturelle Formen zu finden, um das Weniger oder das Nichtstun sicht- und erlebbar zu machen und ihren Mehrwert zu vermitteln. Elina Potratz