Gestaltung durch Windräder

Ästhetik in der Landschaft

Die Zeit ist reif für eine landschaftsästhetische Konzeption für und nicht gegen Windenergieanlagen, so Sören Schöbel, Professor für Landschaftsarchitektur an der TU München. Er nimmt uns zunächst mit auf eine Reise durch besser gestaltete Windrad-Landschaften unserer westeuropäischen Nachbarländer, während deutsche Ministerial- und Ämterbürokratien oft immer noch davon ausgehen, dass es für eine Gestaltung der Energiewende keine Spielräume gäbe. Es gibt zahlreiche Windradansammlungen in Deutschland, die das Auge nicht ordnen kann, die nach völlig willkürlicher Planung aussehen. Wir haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland keine schönen Windparks oder Windfarmen, sondern Ansammlungen, Zonen, Konglomerate, Auffüllungen ohne erkennbare Muster, ohne Form, vor allem aber ohne Bezug zur vorhandenen Landschaft. Es geht nicht vorrangig darum, schönere Windräder zu bauen, sondern sie passend in die Landschaft zu planen: als Formationen, die einen Bezug zu den morphologischen Strukturen der Landschaft herstellen.

Windräder in Friesland, Niederlande, Foto: FaceMePLS (CC-BY-2.0)

2010 hatte ich aus einer theoretischen Perspektive beschrieben, warum ein distinktives Landschaftsverständnis für eine gelingende Rückkehr der Energieproduktion aus den fernen Kohle- und Ölvorkommen in die heimischen Landschaften nicht hilfreich sein kann. Distinktiv, weil in Deutschland anhand von Wertstufen des Landschaftsbildes „Bilderbuchlandschaften“, mittels hoher Eingriffspreise musealisiert, und gleichermaßen „gewöhnliche Gegenden“ mit „Vorbelastung“ wie Resterampen behandelt werden. Damit werden Alltagslandschaften und zugleich Windräder abgewertet – während man gleichzeitig gesellschaftliche Akzeptanz für erneuerbare Technologien und umfassende Veränderungen erbitten will.

Worüber ich damals nicht berichtete: Europa hatte sich mit der Landschaftskonvention schon 2000 darauf geeinigt, grundsätzlich alle Landschaften, besonders schöne wie geschädigte, zu schützen, zu verbessern, aber eben auch – angesichts des Wandels, in dem sie sich befinden – neu zu gestalten. Weil dies der in der deutschen Landschaftsbürokratie verankerten Distinktion nicht entspricht, sind wir der Konvention bis heute nicht beigetreten. Österreich auch nicht. Die russische Föderation nicht. Albanien und Luxemburg nicht. Aber alle anderen Länder des Europarates schon.

Europäische Perspektiven einer gestalteten Energiewende

Vor allem in westeuropäischen Regionen sind seitdem offizielle Gestaltungshinweise zu Windenergieanlagen veröffentlicht worden, die sich auf die Landschaftskonvention berufen. In den Niederlanden gab es Entwürfe schöner Windfarmen sogar schon früher, spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre; heute werden dort für größere Projekte „Bildqualitätspläne“ für – nicht gegen – Windräder erstellt. So könnten vom Meer abgerungene, rein geometrische Landschaften sogar bereichert werden. Typisch niederländisch? Ja, aber horizontweit strukturarme Landschaften gibt es in Deutschland auch, nicht nur hinter Deichen, sondern ebenso in brutalst flurbereinigten Ackergebieten.

Wohl auch vom nordischen Designverständnis geprägt, wurden Mitte der 1990er-Jahre in Dänemark vergleichbare Konzepte entwickelt, weil man sah, wie wenig rein nach privaten und partikularen Interessen geplante Windräder in die Landschaft eingefügt wirken. Die zugrundeliegenden Landschaftsanalysen waren dabei genauso solide angelegt, wie es in Deutschland bei der Wertstufenermittlung bemüht wird – nur eben stärker auf den Typus als die Einzigartigkeit, und Strukturen als auf Bildhaftigkeit bezogen. Und eben – ohne Distinktion zwischen „Bilderbuch“ und „Gegend“. In Schweden wiederum wurden „holländische“ Überlegungen, dass Windenergieanlagen durch gute Anordnung die Ästhetik einer Landschaft nicht nur schonen, sondern auch steigern können, mindestens bereits seit 2007 in Planungsprozesse eingebracht.

In den 1990er- bis 2010er-Jahren entstanden in Schottland – maßgeblich getragen von der Wissenschaftlerin Carolin Stanton und dem Scottish Natural Heritage – die ersten, systematisch durch Umfragen unterlegten Konzepte für eine gute Gestaltung von Windparks. Ebenfalls frei von bildhafter Distinktion oder bewahrendem Pathos ging es nun grundlegend um Farben und Materialien, um Proportionen zwischen Turm und Rotorkreis und zwischen benachbarten Anlagen – vor allem aber um regelmäßige und unregelmäßige Anordnungen von Windrädern in Formationen, die entsprechende Wirkung und damit Eignung in verschiedenen Landschaftsformen.

Windrad und Umspannwerk am Präbichl, Österreich, Foto: Brezocnik Michael (CC BY-SA 3.0 AT)

In den Folgejahren erschienen in Frankreich und der Wallonie, später auch in Katalonien, offizielle Handreichungen von Regierungen beziehungsweise Ministerien, die diese formulierten Grundsätze einer Landschaftsästhetik der Windenergie aufgreifen und weiterführen. Allen ist gemein, dass sie sich explizit auf die Europäische Landschaftskonvention beziehen und systematisch analytische und konzeptionelle Schritte einer Gestaltung vorsehen: eine differenzierte und komplexe landschaftliche und gesellschaftliche Bewertung von Sensitivitäten, eine Erfassung der Landschaft in Sichtausschnitten, die den natürlichen Sehfähigkeiten und strukturierenden Raumwahrnehmungen des Menschen entsprechen, eine Berücksichtigung von wichtigen Sichtachsen zwischen bedeutenden Orten der Natur- und Kulturlandschaft – das heißt Landschafts- und Kulturerbe werden integriert, ferner eine Einpassung der Windenergieanlagen in die bestehende Morphologie der Landschaft vorgenommen, als bestimmende „Kraftlinien“ (Wallonie) sowie eine Einfügung in die proportionalen Verhältnisse zu anderen Strukturen der Landschaft und eine Anordnung von Windenergieanlagen als in der Landschaft lesbare Formen.

Die landschaftsästhetische Situation in Deutschland

Zurück nach Deutschland. Hier befinden wir uns in einer entscheidenden Phase, weil durch das „Windenergie-an-Land-Gesetz“ die künftige Kulisse in allen Regionen Deutschlands – oftmals völlig neu – definiert wird. Bis 2027 beziehungsweise 2032 müssen in allen Bundesländern rund zwei Prozent der Landesfläche – im Süden und denStadtstaaten weniger, in windhöffigen Flächenländern etwas mehr – als Windenergiebereiche festgelegt werden. Damit das überhaupt möglich wird, wo doch in hunderten bestehenden Regional- und Flächennutzungsplänen ausführlich begründet ist, wo Windräder nicht entstehen dürfen, wurden etliche Regelungen, die sich die Bundesländer in den letzten Jahren gegeben hatten, vorläufig außer Kraft gesetzt. Dazu gehören erweiterte Siedlungsabstände, Landschaftsschutzgebiete, Denkmalumgebungen, Wald und weiteres. Vorläufig bedeutet dabei, dass mit Erreichen der Flächenziele die alten Regeln wieder wirken können, sogar noch mächtiger, weil dann die Privilegierung der Windenergie im Baugesetzbuch entfällt. In dieser „heißen“ Phase der Festschreibung der Windenergie-Landschaften für die kommenden Jahrzehnte ist es fünf vor zwölf, eine Bilanz zu ziehen, und zugleich in letzter Minute einen Blick über den Tellerrand hin zu den europäischen Nachbarn zu wagen.

Zur Bilanz ist zu sagen: 2010 gab es bereits mehr als 21.000 Windenergieanlagen in Deutschland, mit einer Jahreserzeugung von 38 Terawattstunden. Das waren rund sechs Prozent der damaligen Stromerzeugung von circa 620 Terawattstunden. 2023 waren es knapp 29.000 Anlagen an Land, mit einer Jahreserzeugung von 116 Terawattstunden, der Anteil am leicht gesunkenen Bruttostromverbrauch von 525 Terawattstunden lag nun bei 22 Prozent. (Quelle: BMWK) Nach einem Dutzend Jahren wird also mit nur etwa dem 1,3-fachen an Windrädern ein Dreifaches an Strom produziert. Das liegt daran, dass die Windräder größer und höher geworden sind – und jeder zusätzliche Meter sich nicht linear, sondern exponentiell auf den Energieertrag auswirkt.

Tauernwindpark, Österreich, Foto: Sören Schöbel

Die Nabenhöhe ist dabei von 2010 mit durchschnittlich circa 100 Metern auf derzeit bis 150 Meter gewachsen und wird künftig bis zu 200 Meter betragen; die Ro­torkreise maßen 2010 noch durchschnittlich 80 Meter, derzeit knapp 140 Meter und in den nächsten Jahren 175 Meter. Windräder in Deutschland sind damit heute also etwa um ein Drittel größer und werden künftig doppelt so groß sein wie vor zwölf Jahren und erlauben auch in Schwachwindgebieten gute Erträge. Diese technische Entwicklung zusammen mit den gesetzlichen Neuregelungen werden dazu führen, dass die Gesamtzahl der Windräder in Deutschland insgesamt noch einmal deutlich steigt, sich vor allem aber anteilig nach Süden verlagert, auch weil im Repowering von Altanlagen im Norden größere Abstände zu Siedlungen und zwischen den Windrädern selbst zu berücksichtigen sind und dort deswegen die Anlagenanzahl sinkt. Es ist also auch dort, wo die Flächenziele bereits erreicht wurden, nun durchaus ein kleines Zeitfenster gegeben, darüber zu entscheiden, wie die künftigen Windlandschaften in Deutschland aussehen sollten.

Wechseln wir daher zur qualitativen Seite der Bilanz. Die bisherigen Planungsinstrumente und Paradigmen haben dazu geführt, dass wir weitgehend Windrad-freie Landschaften hier, und auch etliche weitgehend Windrad-volle Landschaften dort haben. Alles andere liegt irgendwo dazwischen. Nehmen wir ein extremes Beispiel: Pro Tag sind auf der A9 zwischen Schkeuditzer Kreuz und Rippachtal auf Höhe Leipzig mehr als 60.000 Autos unterwegs. Südlich der Anschlussstelle Rippachtal – diese Ortsbeschreibung dürfte leider bekannter sein, als die offizielle Bezeichnung Burgenlandkreis – sieht die Landschaft aus wie auf einer Baumaschinen-Messe. Bei den meisten Vorbeifahrenden dürfte sie kaum den Wunsch auslösen, so etwas auch vor die eigene Haustür zu bekommen. An diesem kurzen Abschnitt der A9 liegen zwischen Teuchern und Stößen etwa 100 Windräder aller möglichen Größengenerationen scheinbar wild gemischt beidseits der Autobahn – ein denkbar schlechtes Beispiel an höchst frequentierter Stelle. Gerade kommen fünf Anlagen mit Rotordurchmessern von 138 Metern dazu und ersetzen solche, deren Rotoren nur ein Drittel hiervon maßen. Doch das Auge hat keinerlei Chance, solche Dimensionen und Verhältnisse zu ermessen. Nach Norden hin fährt man direkt auf eine Anlage mit 82 Metern Radius zu, die als größte erscheint, was sie mit insgesamt 138 Metern keineswegs ist – denn links passieren wir währenddessen drei Anlagen, die 126 Meter überschreiten und insgesamt 198 Meter erreichen. Diese visuelle Täuschung beruht auf den Entfernungen und Sichtwinkeln, entsteht aber vor allem dadurch, dass die Turm- und Nabenquerschnitte völlig verschiedene Verhältnisse bilden. Bei dem Scheinriesen hat der Turmfuß 13,2 Meter Durchmesser, erscheint aber aufgrund des langen Schaftes klobiger, als die 16,5 Meter bei den größeren Anlagen. Deren Gondel ist wiederum mit 12 × 18 Metern mehr als doppelt so mächtig, wie die 5 × 11 Meter des Scheinriesen. Die bei beiden tropfenförmige Gondel war 1995 von Forster & Partner entwickelt worden, allerdings passend zu den Proportionen einer 100 Meter hohen Anlage mit 33 Meter Rotor auf einem sich nur schwach konisch verjüngenden Stahlturm. Die gerade neu gebauten Anlagen mit einer Nabe, die als Kombination aus Tortenbüchse (für den großen Ringgenerator, der bei Forster im Tropfen versteckt war) und Überseecontainer (für die elektrischen Anlagen, die vorher im mächtigen Fuß verstaut waren) gestaltet ist, haben nun zu einem klaren Industriedesign zurückgefunden. Dieses Lehrstück darüber, dass gutes Design nicht disproportional skalierbar ist, soll uns aber nicht weiter beschäftigen, denn tatsächlich zeigen Diskussionen mit Laien und Fachleuten, dass dieses Urteil über Form und Proportion eher meinem subjektiven Geschmack entspringt. Das gilt nur für die Anlagen selbst – denn über die Schönheit ihrer Anordnung lässt sich durchaus streiten. Deswegen hatte ich schon 2010 nach der „Eleganz des Windrads“ gefragt, und gesagt: Es geht nicht um die Frage, schönere Windräder zu bauen, sondern darum, sie passend in die Landschaft zu planen, als Formationen, die einen Bezug zu den morphologischen Strukturen der Landschaft herstellen. Und wie die Zusammenschau der Gestaltungsanleitungen der europäischen Nachbarn zeigt, besteht darüber auch weitgehend Konsens.

Lenken wir also den Blick auf das eigentliche Thema: Auch wenn die A9 ein Extremfall ist, gibt es zahlreiche Windradansammlungen in Deutschland, die das Auge nicht ordnen kann, die nach völlig willkürlicher Planung aussehen. Natürlich ist jeder einzelne Standort Ergebnis eines langen Planungsprozesses und kann exakt auf ein Kriterienset und zahllose Einzelentscheidungen von verschiedenen Behörden zurückgeführt werden – in der Summe ist aber fast immer eine Windenergie-Landschaft entstanden, die so niemand haben wollen konnte. Wir haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland keine Windparks oder Windfarmen, sondern Ansammlungen, Zonen, Konglomerate, Auffüllungen aus „opportunistischem Plankton“ (Rem Koolhaas) ohne erkennbare Muster, ohne Form, vor allem aber ohne Bezug zur vorhandenen Landschaft.

Negative von Infrastrukturzonen

Windpark in Aberdeenshire, Schottland, Foto: Yottanesia (CC BY-SA 4.0)

Wir sehen in der Landschaft vielmehr ein Ergebnis räumlicher Regeln, die unsichtbar sind. Das sind Pufferzonen zu Infrastrukturen: wie Platzrunden von Flughäfen, Ausschlusszonen und Einzelfallprüfzonen um Erdbebenmessstationen; Wasserschutzzonen der verschiedenen Klassen; die fächerförmigen Radarstrahlen für die Überwachung des zivilen Flugverkehrs oder des militärischen Luftraums, aber auch private Besitzverhältnisse und politische oder administrative Grenzen. Abgesehen davon, dass diese Strukturen mit den physischen Formen der erlebten Landschaft meistens gar nichts zu tun haben, sehen wir auch nicht ihren „Abdruck“, was ja vielleicht noch interessant zu lesen wäre, sondern das Negativ, also das Umkehrbild dieser Strukturen. Windradansammlungen sind in Deutschland Anamorphosen – Umformungen, die man nur „unter einem bestimmten Blickwinkel beziehungsweise mittels eines speziellen Spiegels oder Prismensystems erkennen kann“ (Wikipedia). Dieser Blickwinkel ist die auf ihre Belange und Zugriffsgrenzen fokussierte Sicht von Fachbehörden oder Gebietskörperschaften, ihr Prisma sind die digitalen Kartenwerke, Abstraktionen der Landschaft, die, wie Michael Schmölz sagt, mit der realen Landschaft in keiner auf die sinnliche Wahrnehmung beruhenden Verbindung stehen.

Aber Infrastrukturen stoßen Windenergieanlagen nicht nur ab, sie ziehen sie auch an. Da, wie oben erwähnt, in den Landschaftsbildanalysen alle vorhandenen technischen Objekte als „Vorbelastung“ kalkuliert werden, mit dem Ziel, Windräder auf ihre Umgebung zu konzentrieren, sind Windräder oft nicht „allein in weiter Flur“. Sie sollen sich vielmehr mit anderen Infrastrukturen ballen, soweit diese unbewohnt sind: Hochspannungsfreileitungen, Deponien, Abbauflächen, Industriegebiete, Sendemasten, Autobahnen, Bahnlinien.

Landschaften wie Wimmelbilder

Nun könnte dies durchaus sinnfällige „Energiealleen“ entlang von Trassen ergeben, wie sie Hermann Scheer angeregt hatte. Da aber diese in Deutschland selbst auch nach dem Negativprinzip trassiert sind, entsteht kein lesbares Gesamtbild, sondern eher etwas wie Wimmelbilder – also Bilderbuch-Landschaften, denen etwas entscheidendes fehlt, nämlich überhaupt eine Gegend zu sein. Im Deutschlandfunk sagt Thomas Linden über die Wimmelbilder des Pettersson und Findus-Zeichners Nordquist: „Während man auf das Kleine schaut, kann man aber nicht auch noch das große Ganze der Komposition wahrnehmen (…) Sie bleiben eine Ansammlung von Schauplätzen, auf denen sich eine Form des Horror vacui vollzieht.“ Noch deutlicher wird Christian Janecke: In Wimmelbildern „darf der kindliche Blick über bunt angefüllte Landschaften schweifen – obwohl es kaum Muße zum Schweifen, dafür aber unzählige Anlässe zum Innehalten und Einsammeln der auf Abwechslungsreichtum hin angelegten Szenerien gibt.“ In der Kunst würden Wimmelbilder zur Idyllbrechung eingesetzt, zum unentwirrbaren Handgemenge, bis hin zu „Landschaften der Apokalypse, der Marter und des Krieges“. Das „zurechenbar Beabsichtigte ins organisch Wuchernde verkehrt, Geschichte wird in Natur zurückgestoßen (…), bar der Einbettung des heutigen Menschen in religiöse oder mythische Ordnungen wird die neuerlich bemühte alte Weltlandschaftlichkeit zur hohlen Formel. (…). So erinnert uns die Wimmelbildnerei daran, dass auch Maßstabsfragen ethisch bedeutsam sind.“

Es liegt nicht so fern, diesen auf eine Kunstgattung bezogenen symbolischen Landschaftsbezug in seinem tiefen Pathos auf unser reales Landschaftsverständnis zurückzuspiegeln. Denn wie die musealisierende Distinktion ist auch eine anästhetische Indifferenz, wonach Landschaft in einer demokratischen und komplexen Verfassung eben nurmehr als Wimmelbild gelesen werden könne, kein Ausdruck von Weltlandschaftlichkeit – eher von einer Zerrissenheit zwischen Baukultur und Funktionalismus, wie es Michael Koch auf Kelley Shannon und Marcel Smeets „Landscape of contemporary infrastructure“ verweisend pointiert hat.

In diesen Wochen und Monaten gehen in ganz Deutschland Dutzende von Fortschreibungen oder Neuaufstellungen sachlicher „Teilregionalpläne Windenergie“ in die Träger- und Öffentlichkeitsbeteiligung. Dies ist die – in Sichtweite womöglich letzte – Gelegenheit für das Einbringen von Baukultur in eine weitgehende Neuordnung einer Infrastruktur im Gesamtraum. Die Pläne müssen nicht nur die Flächenbeitragswerte erreichen und Raumnutzungskonflikten vorbeugen, sondern neben einer Potenzialanalyse mit Prüfflächen auf einem „schlüssigen räumlichen Gesamtkonzept“ beruhen, das ausdrücklich in Form einer Positivplanung hergeleitet werden darf. Die regionalen Planungsverbände sollten verstehen, dass dieser unabweisliche Schritt von der Potenzialkulisse zum Entwurf für eine rechtssichere Planung nicht von Juristinnen, sondern nur von Architekten und Landschaftsarchitektinnen geleistet werden kann. Am besten, indem wir konkretes, regionales Wissen und Vorstellungen aus der Bürgerschaft in übergreifende Gestaltungsregeln übersetzen. Gefragt werden wir bisher nicht.

Es war im Jahr 2011, als Karl Ganser handschriftlich und zeichnerisch eine solche landschaftsästhetische Konzeption für – nicht gegen – Windenergieanlagen im Allgäu entworfen hat. Die Zeit war dafür offenbar noch nicht reif, dass dies in die planungsbürokratischen Paradigmen hätte eindringen können. Dass er dazu nicht aufgefordert wurde, war ihm sicher völlig egal. Jetzt ist die Zeit überreif.

Prof. Dr. Sören Schöbel arbeitete nach dem Studium der Landschaftsplanung an der TU Berlin freiberuflich in der Entwurfsplanung, Projektentwicklung und Objektplanung. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin, lehrte Entwerfen und promovierte über „Qualität und Quantität – Perspektiven städtischer Freiräume“. Seit 2005 leitet er die Professur für Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume (LAREG) an der TU München. Forschungsschwerpunkte sind Entwurfs- und Landschaftstheorie, Ländliche Räume und Kulturlandschaft, Erneuerbare Energien und Landschaftswandel, Freiraumstrukturen in städtischen und regionalen Maßstäben. Er ist als sachverständiger Gutachter zu städtebaulichen und landschaftsästhetischen Fragen des Denkmalschutzes, insbesondere im Zusammenhang mit Wind- und Solaranlagen, tätig.

Mit Dank an Jörg Heiler für die Bewahrung der Konzeptskizzen Karl Gansers und an Ruth Ganser für die freundliche Genehmigung, sie zu drucken.

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