Elina Potratz im Gespräch mit Zijad Doličanin und Kai Vöckler

Ein Mehrwert für alle

Offenbach hat den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland und gilt als „Ankunftsstadt“. Im Gespräch mit Zijad Doličanin und Kai Vöckler geht es um Entwicklungen in der Stadt am Main, Wege in eine postmigrantische Gesellschaft sowie einen geplanten öffentlichen Raum unter einer Autobahnbrücke. Zijad Doličanin ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins VAIR in Offenbach sowie Sozial- & Projektmanager der Baugenossenschaft Langen. Kai Vöckler ist Professor für Urban Design an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach und Mitbegründer des Offenbach Institute of Mobility Design (OIMD). Die Fragen stellte Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz.

Elina Potratz: Beim Deutschen Pavillon der Architekturbiennale 2016 ging es um Arrival Cities. Die Stadt Offenbach am Main war eine davon. Ziel der Ausstellung war es unter anderem, einen Perspektivwechsel vorzunehmen – Ankunftsstädte aus Sicht der Einwandernden zu sehen und ihre Qualitäten zu erkennen, etwa niedrige Mieten oder günstige Möglichkeiten, ein Gewerbe zu betreiben. Hat sich Offenbach in den letzten neun Jahren verändert? Hat sich der Blick auf die Stadt gewandelt?

Kai Vöckler: Ich bin 2010 als Hochschullehrer nach Offenbach gekommen. Damals fiel mir auf, wie besonders die Stadt ist: Sie hat den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, laut aktueller Statistik 66 Prozent, davon 41,6 Prozent ohne deutschen Pass. Aber darüber wurde damals kaum gesprochen. Migration war eher negativ konnotiert, häufig mit sozialen Problemen verbunden. Offenbach galt als „Ghetto“, als „Bronx des Rhein-Main-Gebiets“.

2011 erschien dann Doug Saunders’ Buch Arrival City, durch das ich Offenbach noch einmal anders gesehen habe: als eine Stadt, die Erstzuwanderer erfolgreich aufnimmt und integriert – auch wenn sie selten vom sozialen Aufstieg dieser Menschen profitiert, weil diese später oftmals wegziehen. Dieses positive Bild fehlte damals völlig und führte zur Idee, Offenbach im Deutschen Pavillon zu zeigen. Das hatte großen medialen und gesellschaftlichen Einfluss. Plötzlich wurde Offenbach als Beispiel gelungener Integration bekannt. In der migrantisch geprägten Bevölkerung wurde das teilweise als ein starkes Signal wahrgenommen: Endlich wurden sie gesehen. Auch das Image der Stadt änderte sich spürbar. Heute werde ich nicht mehr auf Offenbach als „Ghetto“ angesprochen, sondern auf Gentrifizierung. Auch wenn es für beides nicht viele Belege gibt, zeigt es, wie sich der Diskurs verschoben hat.

Wir sind heute an einem anderen Punkt: Wir müssen über eine postmigrantische Gesellschaft sprechen. Es geht nicht mehr um „die Migranten“ und „die Herkunftsdeutschen“, sondern um ein urbanes Gemeinwesen, das alle einschließt. Dafür fehlen uns allerdings noch die passenden Begriffe und Bilder.

Was verstehen Sie unter „postmigrantisch“?

Zijad Doličanin: „Postmigrantisch“ beschreibt ein neues Selbstverständnis innerhalb der Gesellschaft. Um das zu verstehen, muss man sich die Entwicklung der Migrationspolitik in Deutschland in drei Phasen anschauen. Die erste Phase begann nach dem Zweiten Weltkrieg mit der sogenannten Gastarbeitergeneration. Es ging damals primär darum, dass sie entweder in ihre Heimat zurückkehrt oder sich assimiliert und die deutsche Kultur vollständig übernimmt.

In der zweiten Phase, etwa seit den 1980er- und 1990er-Jahren, rückte die Integration in den Vordergrund. Das betraf die Kinder der ersten Zuwanderergeneration, auch Geflüchtete, die in dieser Zeit nach Deutschland kamen. Nun stellte sich die Frage: Wie können wir sie in das Bildungssystem, in Vereine und in das gesellschaftliche Leben einbinden? Es ging um Teilhabe und Multikulturalismus.

Ist-Zustand unter der Kaiserleibrücke in Offenbach, Foto: Zijad Doličanin

Die dritte Phase, die wir heute erleben, ist die postmigrantische. Hier geht es nicht mehr nur darum, „dazuzugehören“ oder sich zu integrieren. Menschen mit Migrationshintergrund – wie ich oder meine Kinder – sehen sich als selbstverständlichen Teil dieser Gesellschaft. Es geht darum, aktiv mitzugestalten: in der Politik, in Vereinen, im Bildungsbereich, in der Stadtentwicklung. Postmigrantisch bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, kommunalpolitisch Einfluss zu nehmen, Vereinsarbeit zu tragen, an Strukturen mitzuwirken, die bisher oft exklusiv waren. Doch diese Entwicklung findet in einem Spannungsfeld statt – vor allem angesichts der europaweit angespannten politischen Stimmung. Denn Migration wird weiterhin oft problematisiert. Wird über Kriminalität, Wohnungsmangel oder soziale Spannungen gesprochen, wird das „Migrantische“ häufig als Ursache benannt.

Vöckler: Ich möchte ergänzen: Postmigrantisch bedeutet auch, dass sich auch diejenigen, deren Familien schon seit mehreren Generationen hier sind, also Menschen ohne Migrationshintergrund, in ihrer Perspektive verändern müssen. Sie sollten nicht an einem verklärten Bild von „Deutschsein“ festhalten, das es so nie gegeben hat. Wenn man heute so tut, als hätte es früher eine homogene, „ursprünglich deutsche“ Gesellschaft gegeben, ist das schlicht falsch.

Wir sehen das besonders deutlich hier in Offenbach. Wenn 85 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund haben – worüber sprechen wir dann eigentlich, wenn wir über Integration reden? Bundesweit liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei rund 30 Prozent. Trotzdem wird in den Debatten oft so getan, als ginge es nur um „die Anderen“, um die, die gerade erst angekommen sind. Dabei werden längst mehrere Generationen übersehen: Kinder, Enkel von Gastarbeitern, die statistisch oft gar nicht mehr als „mit Migrationshintergrund“ geführt werden, weil schon ihre Eltern hier geboren wurden. Ihre Familiengeschichte ist aber dennoch migrantisch geprägt…

…und sie werden auch oft als „migrantisch“ gelesen.

Vöckler: Richtig. Das Problem ist zudem, dass Migration in politischen und medialen Debatten oft pauschal mit gesellschaftlichen Problemen verknüpft wird. Doch die öffentliche Wahrnehmung ist verzerrt. Niemand redet über den erfolgreichen Unternehmer mit Migrationsgeschichte, der Millionen umsetzt, oder den Wirtschaftsanwalt mit migrantischem Background, der 300 Euro pro Stunde verdient. Und auch nicht über den indischen Bankmanager, der in den Taunus zieht und nicht nach Offenbach. Stattdessen wird immer nur ein bestimmtes Segment beleuchtet – meistens diejenigen, die sozial benachteiligt sind, die keine Ausbildung mitbringen, obwohl genau diese Personen dringend gebraucht werden: in der Pflege, auf dem Bau, in der Logistik. Was es braucht, ist ein klares politisches Bekenntnis: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Doličanin: Die Migration, das gibt es so eigentlich nicht mehr. Und genau darin liegt die Herausforderung, vor der Deutschland steht: Der Begriff „Migrationshintergrund“ ist im Grunde zu einer statistischen Zahl geworden, mit der man zwar arbeiten kann, die aber wenig über die tatsächlichen Lebensrealitäten aussagt. Die Vielschichtigkeit und Komplexität innerhalb der Migration sind enorm.

Herr Doličanin, Sie sind Vorstand im Offenbacher Verein Vair, in dessen Arbeit es vor allem um soziale Innovation, um Teilhabe für alle und um interkulturelle Verständigung geht. Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass gerade die Migrationsgeschichten Ihrer Mitglieder Ihnen einen besonderen Blick auf das Zusammenleben und das Ankommen in der Stadt geben. Mich würde interessieren: Welche Rolle haben Stadtplanung und Architektur bislang in Ihrer Vereinsarbeit gespielt?

Doličanin: In der Gründungsphase war Stadtplanung für uns noch kein Thema. Wir haben uns damals viel Zeit genommen, um überhaupt zu definieren, was uns als Verein ausmacht. Schnell war klar: Wir wollten keine klassische soziale Trägerstruktur aufbauen – davon gibt es in Offenbach bereits viele, und die leisten gute Arbeit. Wir wollten etwas anderes sein: eine Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Institutionen oder Politik. Genau das ist unser Alleinstellungsmerkmal, und das merken wir auch daran, wer heute auf uns zukommt: Verbände, Hochschulen, Unternehmen oder Verwaltung. Mit diesen Akteuren sprechen wir viel über Themen wie Arbeitsmarktintegration, aber auch über grundlegende Haltungsfragen: Was bedeutet Vielfalt konkret? Wie ernst ist es gemeint?

Studentischer Entwurf „Canyon“, Visualisierung: Felix Muszinski

Das Thema Raum – im Sinne von Stadtgestaltung, Quartiersentwicklung und Teilhabe – ist dann über unsere Projekte und Formate dazugekommen. In unserem Diskussionsformat Vairbabbelt haben wir früh mit Kai Vöckler über Urbanität und Zusammenleben gesprochen. Dabei wurde klar: Es gibt einen riesigen Bedarf, Stadt neu zu denken, ganz konkret im Alltag der Menschen. Aus diesen Erfahrungen ist das Projekt Vairplay entstanden. Unser Ziel ist es, echte Begegnungsorte zu schaffen – offene, ungezwungene, demokratische Räume, die Menschen aus ihren digitalen Bubbles herausholen, wo Vielfalt erlebbar wird, wo es Austausch gibt.

In einem kooperativen Prozess haben Sie gemeinsam mit der HfG Offenbach einen inklusiven Sport- und Kulturpark unter dem Titel „Vairplay“ geplant, der unter einer Autobahnbrücke entstehen soll. Wie muss man sich den Ort vorstellen?

Doličanin: Von Offenbach hinüber nach Frankfurt führt die Kaiserleibrücke. Direkt unter der Brücke befindet sich eine große Brachfläche, die aktuell als Parkplatz von der Hessischen Landesbank angemietet wird. Das ist an sich nachvollziehbar. Aber: Offenbach ist eine Stadt mit hoher Dichte – durch die Nachverdichtung fehlt es schlicht an Freiflächen für Spiel- oder Bolzplätze, also für das, was man klassischerweise in der Stadtentwicklung als soziale Infrastruktur begreift. Es braucht Orte für Kinder, Jugendliche, Menschen jeden Alters – Orte, an denen man sich bewegen, Sport treiben, sich begegnen kann. Das liegt auch an begrenzten Ressourcen und daran, dass manche stadtentwicklungspolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre eben nicht so funktionierten, wie erhofft. Offenbach ist finanziell nicht stark aufgestellt. Für uns war daher schnell klar: Dieser Ort unter der Brücke hat enormes Potenzial. Er passt auch gut ins Bild einer Stadt wie Offenbach, die nicht überall glattgebügelt ist.

Vöckler: Hintergrund ist auch, dass direkt angrenzend das Offenbacher Nordend liegt, ein dicht bebautes Gründerzeitviertel mit hohem Bedarf an Grün, öffentlichen Räumen und Sportangeboten. Auch wenn es einen Sportflächenentwicklungsplan gibt – und der „Masterplan 2030“ Verbindungen zwischen Grünräumen im Blick hat –, fehlt es an einer konzeptionellen Verschränkung von Grün, Verkehr, öffentlichem Raum, und vor allem von sozialer Qualität. Das Projekt Vairplay war für uns der Startschuss. Wir haben gesagt: Wir gehen unter eine bestehende Verkehrsinfrastruktur und schaffen dort einen inklusiven Ort mit Aufenthaltsqualität. Interessanterweise war die Resonanz groß, auch von Eigentümern und Investoren aus der Umgebung. Einige haben dem Verein sogar 30.000 Euro gespendet, weil sie das Projekt gut finden, auch für ihre Mitarbeitenden. Zudem habe ich selten so motivierte Studierende erlebt. Sie hatten das Gefühl, mit ihrer Arbeit wirklich etwas Positives bewirken zu können und dass das Projekt realistisch umsetzbar ist. Natürlich wussten sie, dass am Ende nicht ihr Entwurf gebaut wird, sondern ein professionelles Büro das übernimmt. Aber sie konnten Bilder erzeugen – und das ist unsere Stärke als Gestaltende. Es wurde vorstellbar, greifbar. Dadurch hat das Projekt sehr viel Aufmerksamkeit bekommen.

Doličanin: Das liegt auch an der besonderen Zusammenarbeit. Als gemeinwohlorientierter Verein bringen wir ein zivilgesellschaftliches Element ein, das der Stadtentwicklung sonst oft fehlt. Gemeinsam mit der Hochschule entwickeln wir eine Idee und zeigen, dass man Menschen für die Zukunft ihrer Stadt begeistern kann, wenn sie sich diese auch räumlich und visuell vorstellen können. Solche Kooperationen zwischen Hochschule und gemeinnützigem Verein sind nicht selbstverständlich. Hier wird zivilgesellschaftliches Wissen ernst genommen und professionell weiterentwickelt.

Studentischer Entwurf „Pixels“, Visualisierung: Sophie Körbler, Emma Kottwitz

Denn die soziale Frage, die Frage nach dem Menschen, spielt im Bereich der Stadtentwicklung bislang oft nur eine Nebenrolle. Bei Investoren und in der Bauwirtschaft geht es meist um harte Fakten: Kosten, Nutzen, gesetzliche Vorgaben, Verkaufschancen. Als jemand, der auch beruflich im Immobilienbereich tätig ist, weiß ich, wie schwer es ist, Projekte zu entwickeln, die wirklich nachhaltig und zielgruppenorientiert sind – also wirklich den Menschen dienen, die sie betreffen. Das ist auch das Besondere an unserer Zusammenarbeit.

Können Sie noch einmal beschreiben, wie sich dieser Ort konkret anfühlt und wie Sie diese Atmosphäre verändern wollen?

Vöckler: Unter der Brücke verläuft eine regionale Radroute, die tagsüber wunderschön ist, man fährt am Main entlang direkt in die Frankfurter Innenstadt. Aber nachts ist es stockdunkel, für viele, vor allem für Frauen, ist das nachts eine No-Go-Area. Man hat das Gefühl, durch ein dunkles Loch zu fahren, und direkt unter der Brücke spürt man richtig diese Angstatmosphäre – es ist ein klassischer Unort. Das angrenzende Quartier, das Kaiserlei-Quartier, ist hingegen ein Industrie- und Gewerbestandort. Dort haben wir Büros und Headquarter großer Unternehmen und wenig lebendige Nutzungen. Wenn man sich vorstellt, dass hier plötzlich ein Sport- und Kulturpark entsteht, ändert sich das Niveau des Quartiers grundlegend.

2015 konnten wir dort unter der Autobahnbrücke schon einmal etwas ausprobieren: Im Rahmen des Architektursommers haben wir eine Tribüne aufgebaut und Konzerte veranstaltet. Und plötzlich wurde sichtbar, welch architektonisches Potenzial dieser Raum hat: die mächtigen Betonpfeiler, die Deckenhöhe, die fast 10.000 Quadratmeter. Das wirkt wie eine riesige Kathedrale. Wenn man auf dem Radweg vier oder fünf Meter oberhalb entlangfährt und in diesen Raum hinunterschaut, ist das wirklich spektakulär.

Diesen Unort-Charakter zu verändern, erscheint aber auch herausfordernd …

Vöckler: Ja, aber das führte zur Idee, einen zentralen Skate-Bereich zu integrieren. Ein Skatepark hat diesen „Theater-Effekt“ – Zuschauer sitzen an den Rändern und schauen zu. Gleichzeitig wissen wir auch: Ein solcher Ort lebt von sozialer Kontrolle. Im Entwurf haben wir überlegt, ob bestimmte Teilbereiche nachts abgeschlossen werden. Grundsätzlich gilt: Je stärker die Akzeptanz und je höher die soziale Kontrolle, desto weniger Vandalismus und unerwünschte Aneignung. Gestaltung spielt hier eine entscheidende Rolle: Der Raum muss einsehbar sein, darf keine dunklen Ecken aufweisen. Stattdessen muss die Gestaltung bewusst Sichtachsen schaffen und eine robuste, aber einladende Atmosphäre erzeugen. Es geht darum, den Menschen zu vermitteln: „Du bist es wert – dieser Raum ist für dich gemacht.“ Licht, offene Flächen, klare Blickbeziehungen und eine gewisse Symbolik sollen dafür sorgen, dass jeder sagt: „Das ist mein Ort.“ Wichtig ist auch, den Nutzungsprozess partizipativ anzugehen: Wir müssen bereits im Vorfeld Schulen, Bildungsträger, Sportvereine oder Skate-Initiativen ansprechen und fragen, was sie brauchen und welche Gefahren sie sehen. Nur so entsteht ein Ort, der langfristig tragfähig ist und von unterschiedlichen Gruppen angenommen wird.

Vairplay, studentischer Entwurf „Moon“ für einen inklusiven Sport- und Kulturpark unter der Kaiserleibrücke in Offenbach, Visualisierung: Till Eser

Doličanin: Genau darum geht es ja: Einen „Unort“ in einen lebendigen Wohlfühlort zu verwandeln. Momentan ist dieser Bereich für viele Menschen ein Angstraum. Er ist dunkel, ungepflegt und vermittelt ein Gefühl von Unsicherheit. Wenn man hier aufgewachsen ist und weiß, dass dort nachts „dubiose Gestalten“ unterwegs sind, wird klar, wie dringend es ist, diesen Raum qualitativ aufzuwerten. Wir möchten den Menschen zeigen: Aus so einem Ort kann etwas Tolles entstehen. Und das gilt nicht nur hier – es gibt in vielen Städten vergleichbare Brachflächen, sei es Industriebrache oder andere städtische Leerstellen, die ein enormes Potenzial bergen.

Wie stehen die Chancen zur Umsetzung des Projekts?

Doličanin: Unser Hauptanliegen ist zunächst, dass dieser Park nicht nur geplant, sondern tatsächlich Realität wird. Das ist wirklich ernst gemeint und hat natürlich Herausforderungen: Vieles hängt vom Eigentümer der Fläche ab, der dem Ganzen zustimmen muss. Und am Ende soll die Stadt selbst Betreiberin des Parks sein, mit allen Anforderungen, die das mit sich bringt: Instandhaltung, Pflege, Reinigung. Und von Anfang an ein Quartiersmanagement, das dafür sorgt, dass dieser Park gut organisiert ist und ein verbindendes Element zwischen verschiedenen sozialen Milieus wird.

Welche Erkenntnisse und welche Expertise konnte der Verein in das Projekt einbringen?

Vöckler: Für die Studierenden war der Input aus dem Verein, vor allem von Zijad Doličanin, phänomenal. Er konnte unglaublich viel über die soziale Struktur des Viertels, über die Bedürfnisse der Menschen und die Potenziale des Ortes vermitteln. Die ganze soziale Dimension des Projekts wurde dadurch greifbar. Zudem lebt einer der Lehrbeauftragten mit seiner Familie im Nordend, also direkt in der Nachbarschaft. Zentrale Frage war: Wie kann man über Gestaltung und räumliche Strukturierung Inklusivität ermöglichen?

Was genau bedeutet inklusiv für Sie konkret in der Gestaltung?

Vöckler: Inklusiv bedeutet zunächst: für alle zugänglich. Das beginnt ganz basal mit Barrierefreiheit für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Das war für uns ein Muss, jedes Konzept musste das erfüllen. Wenn möglich, sollen auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen mitgedacht werden. Aber schnell kamen auch sozial-inklusive Fragen ins Spiel: Wie gestaltet man Angebote für Senioren? Für Familien mit Kindern? Für Jugendliche – die ja ganz eigene Anforderungen haben und Räume brauchen? Welche Ausstattung braucht es: eine Boulebahn? Einen Skatepark?

Studentischer Entwurf „Bandbreite“, Visualisierung: Amelie Mattas, David Wellen, Daniel Wolff-Franke, Ron Behringer

Es sind oft auch organisatorische Fragen: Man braucht sichere Möglichkeiten, seine Sachen abzuschließen – aber keine geschlossenen Schließfächer, weil die drogenhandelstechnisch problematisch sind, sondern sie sollten transparent sein. Daraus entwickelte sich dann die Idee: Wir brauchen einen Kiosk, nicht nur für Getränke, sondern auch als sozialen Anker. Warum sollte den nicht ein Sozialarbeiter betreiben? Dann hat man jemanden vor Ort, der ansprechbar ist und Präsenz zeigt. Solche Aspekte muss man gestalterisch mitdenken: Wo steht dieser Kiosk? Und wie übersetzt man diese Konzeption glaubhaft in eine räumliche Form – besonders an so einem Ort wie unter einer Autobahnbrücke, der normalerweise eher mit Unbehagen oder Unsicherheit assoziiert wird.

Sie haben wiederholt von „gemeinwohlorientiert“ gesprochen. Bedeutet das automatisch, dass der Park auch interkulturelle Verständigung fördert und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt? Sind diese Ziele gleichbedeutend?

Doličanin: Definitiv. Alles, was dem Gemeinwohl dient, fördert automatisch auch den sozialen Zusammenhalt. Wenn Menschen Begegnungsorte haben, verringern sich Ressentiments. Wichtig ist dabei: Der Raum darf nichts kosten. Wir sehen ständig, dass Freizeitangebote teurer werden – Schwimmbäder, Fitnessstudios oder Sportvereine verlangen zum Teil 50 bis 80 Euro im Monat. Selbst einfaches Bewegen darf nicht zum Konsumzwang werden, den sich nur wenige leisten können.

Ein öffentlich zugänglicher Sport- und Kulturpark ist ein urdemokratischer Ort: ungezwungen, offen, ohne Mitgliedsbeitrag oder Anmeldung. Man kann dort Sport treiben, an Veranstaltungen teilnehmen oder einfach nur zuschauen – und begegnet dabei auch Menschen, die man nicht kennt. Gerade im Sport oder bei Kulturveranstaltungen entsteht so eine unmittelbare Verbindung: Man legt Vorurteile ab, tauscht sich aus und lernt neue Leute aus dem eigenen Stadtteil – oder sogar aus der Frankfurter Region – kennen.

Zijad Doličanin, Foto: Stefan Wildhirt

Kai Vöckler, Foto: Tanja Schepp

Elina Potratz, Foto: Till Budde

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