Im Reich der Möglichkeiten
Was bedeutet es für Architektinnen und Architekten, im Anthropozän zu leben? Wie gehen Bauschaffende in diesem Zeitalter an das Entwerfen, Bauen und Gestalten von sozialen, politischen und sogar ethischen Formen heran? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Andrea Canclini, Dozent für architektonische Geisteswissenschaften. Unsere Aufmerksamkeit sei nicht auf das gerichtet, was diesem bedeutenden Wandel vorausgeht, sondern auf das, was ihm folgt: den nächsten Zeitabschnitt. Wer heute vom Anthropozän spricht, meint, dass sich jeder einzelne Mensch im Handlungsfeld des Anthropozäns bewegt. Dieses umfasst den Standort Erde, der den objektiven Hintergrund bildet, vor dem sich unsere Handlungen abspielen und die Bedingungen festgelegt werden.
Die Rolle der Architekten hat sich im Lauf der Zeit stark verändert, und mit ihr auch die Verantwortlichkeiten, die uns zugewiesen wurden oder die wir uns mit der Zeit selbst auferlegt haben. Diese Dynamik hat sich über die letzten Jahrzehnte noch beschleunigt. Mindestens ab der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und dann in differenzierter Weise während der verschiedenen Phasen der Moderne, der Postmoderne und der Gegenwart hat unsere Rolle in Umweltfragen auf fachlicher Ebene wenig Anerkennung erfahren, obwohl wir selbst uns häufig verschiedenste Problemlösungsfähigkeiten zuschreiben. (1)
Dies führte einige Jahre lang zu der Annahme, dass es seitens der Architektinnen und Architekten eine Art Gleichgültigkeit, oder auch aktiven Widerstand gibt, sich von ihren gestalterischen Paradigmen zu lösen. Zwar gab es innerhalb der Strömungen der Moderne immer auch eine auf die Beziehung und die Rolle der Natur ausgerichtete Praxis. Sie war aber immer in der Minderheit und nie dominierend – und bis vor Kurzem schien sie auch noch weiter mit diesem Minderheitsstatus leben zu können.
Ohne den herausragenden Beitrag schmälern zu wollen, den eine Minderheit zur ökologischen Gestaltung und umweltorientierten Denkweise in den vergangenen 50 Jahren geleistet hat (2), war die Geschichte für die Modernisten eine Art Grenze, die es zu überwinden galt – häufig durch die Ästhetik, die sich aus den Industrialisierungsprozessen ergeben hat. Die Moderne war eine Explosion kreativer Antworten auf die billige Energie, die die fossilen Brennstoffe boten. Allerdings ist das Thema zumindest im letzten Jahrzehnt deutlich präsenter geworden, sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in unserem Berufsstand, was wiederum dazu geführt hat, dass die Rolle der Architektur bei der Bewältigung der Umweltherausforderungen mehr Anerkennung erfährt. Auch wenn Nachhaltigkeit in den letzten Jahren, angefangen bei den Architekturschulen, infolge des wachsenden Bewusstseins für die drängenden Aufgaben des Berufsstands tatsächlich erheblich an Bedeutung gewonnen hat (3), ging dies doch mit anderen, neuen und kritischen Fragestellungen einher: über die globale Gesundheit, die interkulturelle Interaktion und das Wohl der Menschen. (4)
Es scheint nun unumgänglich, sich dringend und weiterführend mit der allgemeinen Frage der ökologischen Nachhaltigkeit der Architektur zu befassen, bevor wir uns in einem kuriosen Rückfall in eine berufliche Vergangenheit wiederfinden, die als überwunden galt. Hier überließen wir oft den Ingenieuren und Naturwissenschaftlern die Führungsrolle bei der Suche nach Lösungen für Herausforderungen, die für den Berufsstand zu drängend sind, und der nicht darauf vorbereitet ist, diese Herausforderungen mit eigenen und exklusiven fachlichen und beruflichen Inhalten zu bewältigen. (5) Manche halten eine nachhaltige Entwurfsgestaltung für selbstverständlich, als sei es inzwischen Standardpraxis, andere hingegen sehen die Umweltverträglichkeit lediglich als Begleiterscheinung der digitalen Revolution an. Für die Diskussion wäre es aber zweckmäßig, zu definieren, welche Kernkonzepte und wichtigen Leistungskriterien die kognitive Basis und den kritischen Rahmen bilden, die für Forschung und Anwendung in der Praxis notwendig sind.
Natürlich und künstlich
Zunächst einmal ist es schon nicht leicht zu erkennen, was genau unter „natürlicher Umwelt“ verstanden wird. Die Menschheit hat sich schon seit den Anfängen des logisch-rationalen Denkens und mindestens bis zum 18. Jahrhundert auf das Konzept von „Natur“ berufen, stieß dabei auf die Grenzen des Naturbegriffs und versuchte wiederholt, die Kluft zwischen Realität der Natur und Realität der Geschichte, zwischen Natur und Gesellschaft, zwischen Natur und menschlicher Natur zu schließen. Und genau hier ist von Anfang an auch die Andersartigkeit der menschlichen Spezies innerhalb der Natur zu sehen. Es war tatsächlich eher der symbolische Wert der vom Menschen geschaffenen Gegenstände als ihr rein funktionaler Wert, der das Verhalten unserer Vorfahren als menschliches Verhalten kennzeichnete. Und es ist die symbolische Realität der menschlichen Umwelt, die seit jeher den realen und konkreten Raum bildet, in dem Menschen arbeiten und leben.
Es sind nicht nur die philosophischen Wissenschaften, die die Frage nach dem Bewusstsein für die Existenz einer menschlichen Umwelt aufwerfen. Diese Umwelt kann als eine Art Membran zwischen den Menschen und der Realität, zwischen den Menschen und sich selbst und zwischen den Menschen und der Geschichte gesehen werden. Gerade die Naturwissenschaften haben für die grundlegenden Prinzipien und Kriterien der allgemeinen Ökologie im Laufe des 19. Jahrhunderts das Fundament gelegt. Gemeinsam mit Soziologen, Psychologinnen, Anthropologen und jetzt Geologinnen haben sie zur Herausbildung des Konzepts des Anthropozäns beigetragen (6), dadurch wurde die menschliche und soziale Ökologie als Teil der Ökologie selbst definiert und weiterentwickelt.
Worin genau besteht die menschliche Umwelt? Ist sie ein Gebilde ohne Intention und Kohärenz, eine willkürliche Suprastruktur, bestehend aus unzusammenhängenden Dingen, ein ungeregeltes und unkontrollierbares Phänomen? Bei der Beziehung zwischen Mensch und Objekt scheint es sich um eine irrationale Beziehung zu handeln: Gehören Gebäude auch zu dieser Art von Objekten? Für die Beantwortung dieser Fragen kann es hilfreich sein, über Ökologie nachzudenken und dabei den Begriff der Natur zu überdenken, der in allen Überlegungen zur Beziehung zwischen Mensch und Umwelt eine zentrale Rolle spielt. Diese Beziehung ist in keiner Weise selbstverständlich; sie wurde bereits unter politik-theoretischen (7) wie auch philosophischen Gesichtspunkten analysiert. (8)
Zeit und Natur
Über Ökologie zu sprechen, bedeutet, den Dualismus zwischen Natur und Kultur zu überwinden und die beiden Ebenen miteinander zu verflechten. Oft wurde behauptet, dass – vereinfacht gesagt – auch die Natur ein Produkt der Geschichte ist, also keine eigene ontologische Existenz hat, bis hin zu den von den radikaleren Strömungen des Ökomarxismus vertretenen Theorien, denen zufolge die kapitalistische Produktionsweise selbst die Natur hervorbringt, sie also in der sogenannten „World-Ecology“ sowohl als Konzept wie auch als Objekt herstellt. (9) Vielleicht kann man aber auch versuchen, über diese Sichtweise hinauszugehen und die ontologische und historische Autonomie der natürlichen Welt wieder in Betracht zu ziehen. Selbstverständlich ohne in einen cartesianischen Dualismus zurückzufallen, in dem der Mensch von der Realität abstrahiert und getrennt ist und somit von der Natur abgegrenzt wird.
Vielmehr sollte die Menschheit als etwas betrachtet werden, das auch menschliche Ausdrucksformen umfasst, einschließlich Produktionsweisen und historischer Gesellschaften. All dies sind Phänomene, die nur vor dem Hintergrund einer tieferen zeitlichen Bewegung existieren, einer anderen Zeitlichkeit, nämlich der der Natur, die nicht auf die kulturelle Zeitlichkeit oder die Lebenszeitlichkeit des Menschen reduziert werden kann. Ein Umdenken hinsichtlich der Beziehung zwischen Natur und Kultur würde erlauben, den Begriff der Natur aufzugreifen, ohne ihn zu essentialisieren oder zu verdinglichen. Einer der Gründe, warum der Anthropozän-Begriff für die radikalen Kritiker so interessant war, lag bis vor einigen Jahren darin, dass er uns zeigte, dass auch die Natur, auch die Erde eine Geschichte hat.
Dieses Konzept erscheint jedoch etwas zu abstrakt, denn seit Beginn der Moderne ist klar, dass die Natur eine Geschichte hat. Doch der entscheidende Punkt ist, dass diese Geschichte eine Zeitlichkeit besitzt, die unendlich anders ist als die der menschlichen Geschichte. Provokativ formuliert, könnte man sagen, dass für uns Menschen die Erde selbst das Anthropozän ist. Nicht im metaphysischen Sinne, also dass die Erde einen neuen stabilen Zustand erreicht hätte, sondern vielmehr in dem Sinne, dass aus unserer heutigen Sicht das Anthropozän keine unmittelbar wandelbare Dimension aufweist. Das heißt, es gibt keine Möglichkeit, seine Parameter sofort und direkt zu verändern. Es scheint offensichtlich, dass das Anthropozän ein geschichtliches und geologisches Zeitalter ist, auch wenn im März 2024, nach über 15 Jahren Studien und Diskussionen, die Anthropocene Working Group als Teil der Subcommission on Quaternary Stratigraphy, die ihrerseits Bestandteil der International Commission on Stratigraphy ist, den Vorschlag abgelehnt hat, das Anthropozän formell als das neue aktuelle geologische Zeitalter anzuerkennen: Wir befinden uns immer noch im Holozän.
Für unsere Gesellschaften bleibt das Anthropozän jedoch ein Reich der Möglichkeit, ein Raum, in dem die Chancen für politischen, kritischen und sozialen Wandel notwendigerweise gegeben sind; allerdings können diese Möglichkeiten nur dann verwirklicht werden, wenn wir die Schichten der zeitlichen Ebenen erkennen. Im Vergleich zu den Anfängen drehen sich die jüngsten Fortschritte des Ökologiegedankens zum Anthropozän im Wesentlichen um die Überprüfung oder Reduzierung des Dualismus zwischen Natur und Kultur. Zunächst einmal ist es unabdingbar, die Rückkehr zum cartesianischen Dualismus zu vermeiden, also zur Idee, die Menschheit unterscheide sich von der Natur, jenes Prometheus-ähnliche Narrativ des Anthropozäns, das annimmt, dass das Wissen und die volle Kontrolle für uns in greifbarer Nähe liegen und wir die Natur mit Leichtigkeit verändern können. Um die Gegenwart zu verstehen und das Handeln wie auch den Wandel zu begünstigen, ist es unerlässlich, den Umfang unserer Vermittlungen mit der Natur zu vergrößern. Wir müssen bedenken, dass wir uns trotz allem derzeit im Anthropozän befinden, ohne die Möglichkeit, zu früheren Bedingungen zurückzukehren. Daher wird es immer wichtiger, diese Handlungsebene zu nutzen und gleichzeitig unsere Fähigkeit zur Analyse der Gegenwart und Stärkung transformativer Kräfte zu verbessern.
Anthropozän und Architektur
Die Fragestellung könnte jetzt lauten: Was bedeutet es für uns Architektinnen und Architekten, im Anthropozän zu leben? Wie gehen wir in diesem Zeitalter an das Entwerfen, Bauen und Gestalten von sozialen, politischen und sogar ethischen Formen heran? Unsere Aufmerksamkeit ist nicht auf das gerichtet, was diesem bedeutenden Wandel vorausgeht, sondern auf das, was ihm folgt, also den nächsten Zeitabschnitt. Was bedeutet heute genau der Begriff „anthropos“ im ursprünglichen griechischen Sinne von „Mensch“? Wer es für notwendig hält, von Anthropozän zu sprechen, tut dies nicht, um auf die Existenz eines negativen anthropos zu verweisen, der für Vergehen gegen die Natur verantwortlich wäre. Vielmehr bedeutet es, dass sich jeder einzelne Mensch, und vielleicht sogar jedes Lebewesen, heute im Handlungsfeld des Anthropozäns bewegt. Dieses Handlungsfeld umfasst den Standort Erde, der den objektiven Hintergrund bildet, vor dem sich die Handlungen abspielen und die Bedingungen festgelegt werden, eher weniger seine Geschichte.
Schon heute gibt es bestimmte Bedingungen, die nicht mehr verändert werden können, selbst durch revolutionäre Anstrengungen nicht. Das bedeutet zum Beispiel, dass sogar ein sofortiges Ende der CO2-Emissionen oder das plötzliche Verschwinden der gesamten Menschheit diese Bedingungen nicht mehr aus der Welt schaffen könnten. Selbst wenn alle Menschen von der Erde verschwänden, würde das Tier- und Pflanzenreich noch zehntausende von Jahren im Anthropozän leben. Im Wesentlichen warten wir nicht mehr auf eine bevorstehende ökologische Krise, die mehr oder weniger unvermeidlich eintreten wird, wie es in den neunziger Jahren allgemein behauptet wurde. Das derzeitige sechste Massenaussterben zum Beispiel ist im Gegensatz zu unserer kindlichen Vorstellung von einem plötzlichen Ereignis, wie dem Verschwinden der Dinosaurier durch einen Meteoriten, ein allmählicher Prozess. Solche Aussterben dauern, selbst unter beschleunigten Bedingungen, tausende Jahre. Aktuell sind wir inmitten eines solchen Massenaussterbens: Tausende Arten sind bereits verschwunden, wobei „verschwunden“ auf erhebliche Veränderungen der Ökosysteme des Planeten im Vergleich zu ihrem Zustand vor nur 200 Jahren hinweist.
Dennoch bedeutet dies nicht, dass wir im Umgang mit diesem Phänomen passiv bleiben sollten. Im Gegenteil, der Sinn des Handelns von uns allen liegt in der Rückbesinnung auf die Natur als Feld von Möglichkeiten, als Horizont, an dem jeder Prozess, auch wissenschaftliche und berufsständische Bemühungen, auf Ereignisse trifft, über die wir nicht die letzte Kontrolle haben. Diese – glücklicherweise – fehlende absolute Kontrolle macht unseren Lebensraum, also das am Standort Erde im Anthropozän verkörperte Feld von Möglichkeiten, zu einer eigenständigen, vom menschlichen Einfluss getrennten Entität. Wenn wir uns Dokumentarfilme oder Fernsehsendungen anschauen, wird dort häufig die Vorstellung vermittelt, dass die Menschheit eine solch große Macht erworben hätte, dass sie alles kontrollieren, und sogar zerstören könne. Allerdings scheint eher das Gegenteil zuzutreffen und das Anthropozän der Moment des Kontrollverlusts zu sein.
Diese Perspektive führt uns zu weiteren zentralen Themen des 20. Jahrhunderts, wie die Bedeutung der Technik, die sich von einem Objekt zu einem aktiven Subjekt entwickelt hat, welches im Leben von uns allen agiert. Spannend für uns dabei ist, dass das Anthropozän in seinem Wesen zukunftsorientiert ist und über das bloße Ergebnis menschlicher Existenz hinausgeht. Wir sind nicht nur wegen unseres Wirtschaftssystems ökologische Serienmörder – ein traditionsreicher Gedanke, der heute seinen Höhepunkt in Denkern wie Harari findet –, sondern noch vor dem Kapitalismus und über ihn hinaus. (10) Was bedeutet es also für uns, zu wohnen, aus der Perspektive unserer Handlungen, wenn wir uns auf das Konzept des Wohnens als Fähigkeit, Unterscheidungen zu treffen, einlassen: eine Fähigkeit, ohne die kein Handeln und kein Entwerfen möglich ist. Ein nicht nur ästhetischer Ansatz könnte darin bestehen, die Wahrnehmung des Anthropozäns von einem wissenschaftlichen Phänomen, das in akademischen Fachzeitschriften diskutiert wird, zu einem Thema, das in Zeitungen von Interesse ist, zu einem künstlerischen Thema, das in Ausstellungen gezeigt wird, zu machen und es durch Marketing in den Bereich der Mode zu integrieren. Die Architektur hat sich oft des Hilfsmittels bedient, kulturelle oder technische Probleme zu lösen, indem sie sie in eine neue Ästhetik verwandelt. Solche Abkürzungen könnten jedoch vermieden werden, indem man die neuen Möglichkeiten, die zum Beispiel das parametrische Design bietet, in die Entwurfsphase einbindet. Statt dieses nur zu benutzen, um innovative Formen zu generieren, kann es vielleicht auch dafür verwendet werden, die Vielzahl an energetischen Kontrollparametern eines Gebäudes sowie seine physiologische Funktion, sowohl während der Entwurfsphase als auch über die gesamte Lebensdauer des Bauwerks hinweg, zu steuern.
Die in den letzten Jahren entworfenen Gebäude verbrauchen etwa ein Zehntel der Energie, die das Seagram-Building in New York verbraucht, aber wir wissen auch, dass im Seagram-Building 140 kg Eisen pro Quadratmeter verbraucht wurden, während wir bei den jüngsten Gebäuden auf etwa 90 kg Eisen pro Quadratmeter gesunken sind. Das erscheint nach 70 Jahren wohl keine revolutionäre Errungenschaft, liegt aber an den Anforderungen, um Vorschriften der Statik und der Erdbebensicherheit zu erfüllen, gerade weil wir noch keine Materialien gefunden haben, die so leistungsfähig sind wie Eisen und Beton, was die mechanische Leistung zu so geringen Kosten betrifft. (11) Allerdings warnt Yamina Saheb in ihrem Sechsten Sachstandsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change der Vereinten Nationen) von 2021, dass die Architektur in der Dekarbonisierung allen anderen Branchen hinterherhinkt.
Die Diskussion ist hier tatsächlich noch gänzlich offen. Nur einige Beispiele dafür: Im Oktober 2020 hat Bjarke Ingels, Gründer des dänischen Architekturbüros BIG, für die Online-Ausgabe der Time ein Interview gegeben: „When you’re building a house, there’s a few things you can do – add some solar panels on the roof and so on – but most of it is not very effective. If you’re planning a city block or a neighborhood, though, you can start working with some synergies“, so sagt er, „designing to take advantage of the differences in energy use between residential buildings, which typically spend energy on heating, and commercial buildings, which spend energy on cooling in the middle of the day. There are all kinds of things you can start doing. And every time you go up in scale, you can actually do more.“ (12)
Rem Koolhaas schrieb: „Worldwide, landscape is becoming the new ideological medium, more popular, more versatile, easier to implement than architecture, capable of conveying the same signifiers, but more subtly, more subliminally“. (13) Kenneth Frampton betonte 2007 in der vierten Ausgabe seiner „Modern Architecture“, dass wir heute neben der Tektonik die „Topographie“ als signifikanten Faktor im Entwurfsprozess berücksichtigen könnten. In jüngerer Zeit haben Anthony Vidler und andere von einem „erweiterten Feld“ für die Architektur gesprochen, in dem sich die Grenzen des Fachs ausdehnen und die Inkorporation der Landschaft zu einem bedeutsamen Element dieses Prozesses geworden ist. Und wenn wir seit über 30 Jahren die Kontrollsysteme der energetischen Leistungsparameter unserer Gebäude in verschiedenen Klimata und den unterschiedlichsten Klimazonen der Welt entwerfen und dazu dieselben für Standardklimata entwickelten parametrischen Algorithmen verwenden, dann sind wir vielleicht heute dazu bereit, eine aktive Beziehung zwischen dem Gebäude und seiner spezifischen natürlichen Umgebung zu gestalten oder ihm eine eigene Natürlichkeit zu verleihen, unter Überwindung einer traditionellen positivistischen und deterministischen Sichtweise und indem wir die wechselseitige Beziehung zwischen der Zeit der Kultur, der Technik und unserer Arbeit und der Zeit der Natur wieder herstellen.
Die Idee, dass sich die Architektur als Fach in Bereiche ausdehnt, die vorher als Randgebiete angesehen wurden, ist endlich in vielen theoretischen Schriften der letzten Jahre angekommen. Man wird sehen, ob und wie neue Schlüsselwörter wie Subjektivität und Post-Humanismus, Objektorientierte Ontologie, Neuer Materialismus, Bio-Mimikry, Organic & Digital dem Fachgebiet der Architektur einen neuen theoretischen und ästhetischen Rahmen geben werden.
Dr. Andrea Canclini ist Dozent für architektonische Geisteswissenschaften an der School of Architecture der Lancaster University. Zuvor unterrichtete er am Politecnico di Milano Theory in Contemporary Architectural Design und Design Studio und war Gastprofessor an der Beirut Arab University. Er hat Abschlüsse in Architektur und Philosophie und promovierte in Geschichte, Theorie und Kritik der Architektur am Politecnico di Torino. Sein Hauptforschungsgebiet ist die Kritik und Geschichte der modernen und zeitgenössischen Architektur und ihre theoretischen kulturellen Grundlagen. Weitere Forschungsgebiete sind Grenzen, Bereiche und Räume der Ausnahme, der Zuflucht und der Aufnahme, wie z. B. alle Arten von Lagern. In jüngster Zeit hat er seine Forschung auf die moderne und zeitgenössische Architektur in Japan und ihre Beziehung und Rezeption mit der westlichen Welt in beiden Richtungen ausgeweitet. Er ist Mitglied des Redaktionsausschusses von „Khōrein. Zeitschrift für Architektur und Philosophie“.
(1) Siehe die interessante Ausstellung „Natures Urbaines. Une Histoire Technique Et Sociale 1600 – 2030“, kuratiert von Antonie Picon im Pavillon de l’Arsenal in Paris, vom 24. April bis zum 29. September.
(2) Tomás Maldonado, Design, Nature, and Revolution: Toward a Critical Ecology, Harper and Row, 1972.
(3) Siehe die Überlegungen von Aldo Leopold, insbesondere in A Sand County Almanac: And Sketches Here and There, Oxford University Press, 1949.
(4) Susannah Hagan, Revolution? Architecture and the Anthropocene, Lund Humphries Publishers, 2022, S. 86.
(5) Spuren der Evolution des Nachhaltigkeitskonzepts in der Architektur finden sich bereits bei Kritikern wie Christopher Alexander, Bernard Rodofsky und Reyner Banham, bis hin zum jüngsten Anthropozän-Konzept.
(6) Der Begriff verbreitete sich durch den Nobelpreisgewinner Paul Crutzen, der einen Artikel mit dem Titel „The Anthropocene“ im International Geosphere-Biosphere Programme (IGBP) Newsletter 41 des Jahres 2000 veröffentlichte.
(7) Man denke an Bruno Latour, Politics of Nature: How to Bring the Sciences into Democracy, Harvard University Press, 2004, ursprünglich 1999 von Editions La Découverte auf französisch veröffentlicht.
(8) Felix Guattari, The Three Ecologies, Athlone Press, 1989.
(9) Jason Moore, Hrsg., Anthropocene Or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, PM Press, 2016.
(10) Yuval Noah Harari, 21 Lessons for the 21st Century, Spiegel & Grau, 2018.
(11) Barnabas Calder and Florian Urban, It is Time no Longer to Praise the Seagram Building, but to Bury it, in Architects’ Journal, 10. November 2022.
(12) „Wenn man ein Haus baut, kann man einiges machen – Solarpanele auf dem Dach usw. –, aber das meiste davon ist nicht sehr effektiv. Wenn man einen Gebäudeblock in der Stadt oder ein ganzes Viertel entwirft, kann man jedoch schon mit einigen Synergien arbeiten. (…) Beim Entwerfen beispielsweise kann man sich die unterschiedliche Energienutzung von Wohngebäuden zunutze machen, die in der Regel Strom zum Heizen verwenden, wie bei gewerblichen Gebäuden, die mitten am Tag Strom zum Kühlen einsetzen. Man kann alle möglichen Dinge tun. Und bei jedem Skalieren nach oben wird man noch mehr erreichen.“ In: Ciara Nugent, The Climate is Breaking Down. Architect Bjarke Ingels Has a Masterplan for That, Time, 21. Oktober 2020.