Nicht allein
Am Morgen nach den besorgniserregenden US-Wahlen sitzen wir in der Wohnung der Architektin Franziska Käuferle in einem belebten Berliner Quartier. Hier wohnt sie bereits seit ihrem Umzug in die Stadt 2013 – anfangs noch als WG, heute mit ihrer Familie. Sie ist gerade auf der Suche nach neuen, größeren Büroräumen. Dies ist jedoch nicht der einzige Wandel, der sich derzeit in ihrem Leben vollzieht und bei weitem nicht der tiefgreifendste: Neben uns am Tisch sitzt, oder vielmehr liegt ihr wenige Monate altes Baby, das das Gespräch mal mehr, mal weniger interessiert verfolgt.
Käuferle kam nach ihrem Bachelorstudium, das sie an der TU München und der Artesis Hogeschool Antwerpen absolvierte, für ein Praktikum in die Hauptstadt und – unerwarteterweise – gefiel es ihr so gut, dass sie sich hier niederließ. Das hatte mit Berlin, vor allem aber mit dem Büro Bruno Fioretti Marquez zu tun, in dem sie während ihres Masterstudiums an der TU Berlin als Werkstudentin blieb und mit dem sie bis heute bei einigen Projekten kooperiert. Neben der Art und Weise, wie dort Architektur verstanden und gestaltet wird, schätzte sie auch die flachen Hierarchien, die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und das Team, das nicht nur fachlich, sondern insbesondere menschlich hervorragend harmonierte. Käuferle pflegt noch heute eine enge Freundschaft zum damaligen Kollegium.
Im Jahr 2017 machte sie ihren Abschluss und plante ursprünglich, wieder bei Bruno Fioretti Marquez einzusteigen. Stattdessen brachten sie persönliche Umstände zurück in ihren Heimatort: Dort führen ihre Eltern – die Mutter Innenarchitektin, der Stiefvater Architekt – ein kleines Architekturbüro, in dem sie wegen eines Krankheitsfalls aushelfen musste. Während dieser zwei Jahre, in denen sie ihre Eltern unterstützte, wohnte sie weiterhin in Berlin. Im Gegensatz zu den bisherigen Projekten, die sie im größeren Büro betreut hatte, arbeitete sie nun an kleineren, kürzer andauernden und vorwiegend privaten Bauvorhaben. Dass hier private Bauherrschaften mitunter ihr gesamtes Erspartes für ein Bauprojekt einsetzten, brachte ihr zufolge einen sehr persönlichen Aspekt in ihre Arbeit ein. Zugleich war es eine gute Vorbereitung für ihr erstes eigenes Projekt, mit dem sie nahtlos in die Selbstständigkeit überging.
Über Freunde von Freunden wurde sie mit einer Nachverdichtung und Sanierung in der Villenkolonie von Berlin-Lichterfelde beauftragt. Dort hatte eine fünfköpfige Familie ein Häuschen mit 65 Quadratmeter Wohnfläche von der Großmutter geerbt – ein kleiner Flügel einer 1889 errichteten Backsteinvilla, die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und nachfolgend abgerissen wurde. Für die Eltern, die viel im Homeoffice arbeiten, und die drei Kinder reichte die auf zwei Stockwerke verteilte Fläche vorn und hinten nicht. Durch den Eingriff Franziska Käuferles, der neben dem Umbau auch einen Anbau und eine Aufstockung beinhaltete, konnte sie verdoppelt werden. Im ersten Obergeschoss liegen jetzt die drei Kinderzimmer, die sich mit Flügeltüren zum Flur öffnen, der sich so in eine riesige Spielfläche verwandeln kann; im zweiten Obergeschoss liegen das Schlafzimmer sowie das Büro der Eltern. Bauherrschaft wie Architektin war der Aspekt der Kreislauffähigkeit wichtig: Zu Beginn der Arbeit wurden alle bestehenden Bauelemente daraufhin untersucht, ob sie repariert und aufgearbeitet werden können. War ein Material nicht für eine Wiederverwendung innerhalb des Projekts geeignet, wurde es verschenkt oder verkauft. Die neuen Baustoffe wurden danach ausgewählt, ob sie langlebig, wiederverwendbar und / oder recyclingfähig sind. Zudem wurde auf Haustechnik weitgehend verzichtet, nur im innenliegenden Bad wurde eine mechanische Lüftung eingebaut.
Der Neubau umgibt den Altbau wie eine Klammer, ist gestalterisch aber nicht an diesen angelehnt: Die Bossierung und das Ornament des Backsteinbaus wurden nicht fortgeführt, stattdessen präsentiert sich die Bauhülle schlicht weiß, mit zurückhaltendem Dekor: Die kleinen Gestaltungselemente aus Keramik, die sie zusammen mit der auftraggebenden Familie entwickelt hat, stehen symbolisch für die drei Töchter des Paars und wurden von diesem selbst zugeschnitten und auf der Fassade angebracht. In diesem Detail zeigen sich drei Besonderheiten der Arbeit von Franziska Käuferle. Zum einen sind derartige individuelle Materiallösungen in den Werken der jungen Architektin immer wieder zu finden. Die Beschäftigung mit der Baukeramik geht auf eine Erfahrung bei Bruno Fioretti Marquez, hauptsächlich aber auf ihre Masterarbeit zurück, in der sie zusammen mit Sina Pauline Riedlinger eine umfangreiche Materialstudie zu Ton und Glasuren vorlegte. Mit dem dort entwickelten Entwurf eines fiktiven Firmensitzes eines Baukeramikunternehmens gewannen sie 2020 in der Kategorie Newcomer beim Preis für Backstein-Architektur Gold. Zum anderen wird im Arbeitsprozess deutlich, dass ihre Entwürfe der Bauherrschaft die Möglichkeit bieten, selbst Hand anzulegen und dem Projekt eine eigene Note zu verleihen. Zum dritten tritt ihre Überzeugung im Umgang mit dem Bestand klar zutage: Käuferle betont, dass es nicht nur darum gehe, das Vorhandene zu respektieren, sondern dass im Zusammenspiel des Bestands mit dem Neuen bestenfalls eine eigenständige Identität entsteht. Auf diese Weise kann der Erhalt einen wertvollen Beitrag zum architektonischen Gesamtkonzept leisten.
Franziska Käuferle begann das Projekt zunächst allein. Doch der Austausch mit dem Bauleiter Andreas Hölemann, den sie für die letzten Leistungsphasen hinzuzog, zeigte ihr, dass sie lieber im Team arbeitet. Sie ist überzeugt, dass Projekte von einem breiten Austausch und dem Zusammenbringen unterschiedlicher Perspektiven profitieren. Hinzu kam, dass sie Lust hatte, wieder an Wettbewerben teilzunehmen. Dafür arbeitete sie in verschiedenen Konstellationen mit anderen Architektinnen und Architekten zusammen. Eine der Kooperationen erwies sich dabei als besonders fruchtbar: Mit Benedikt Breitenhuber, Sergey Kolesov und Lion Schreiber, die sie während ihrer Arbeit bei Bruno Fioretti Marquez kennen- und schätzen lernte, verbindet sie nicht nur eine ähnliche Grundhaltung: Zu viert – als „Gruppe 030“ – gewannen sie auch mehrere Wettbewerbe. Die Gründung fiel in die Zeit der Pandemie; seitdem tauschen sie sich hauptsächlich über digitale Dienste aus, was auch daran liegt, dass einer von ihnen in Bayern lebt. In Berlin suchen die anderen Gruppenmitglieder derzeit gemeinsame Räume.
Jede / r von ihnen verfolgt eigene Projekte, über ihre gemeinsamen Vorhaben sind sie jedoch mehr und mehr zusammengewachsen und helfen sich gegenseitig aus.
Das erste Projekt, das sie zusammen und in Arge mit Josef Breitenhuber realisieren, ist die „Neue Mitte Ihrlerstein“ – ein Umbau eines denkmalgeschützten Gasthauses aus der Zeit des Biedermeier mit Biergarten sowie ein neues Bürgerhaus am multifunktionalen Dorfplatz. Eine großzügige Überdachung verbindet die beiden Häuser miteinander. Auch hier setzt sich der Neubau – ein Langhaus in Holzbauweise – gestalterisch vom Bestand ab und macht die zeitliche Entwicklung des Ensembles ablesbar. Die Bauaufgabe umfasst mehrere Nutzungen, neben der Gastronomie entstehen Wohnungen und im Bürgerhaus ein Gemeindesaal, der flexible Einsatzmöglichkeiten bietet. Für den Platz davor wurden Pergolen als fliegende Bauten entwickelt, die bei Bedarf für überdachte Außenplätze sorgen.
Wohnungen als Bauaufgabe begleiten Franziska Käuferle von Anfang an, sie arbeitete an ihnen im Büro von Bruno Fioretti Marquez, im Büro ihrer Eltern sowie in der theoretischen Auseinandersetzung als Teil eines Forschungsteams am Institut „Wohnen und Entwerfen“ der Universität Stuttgart, wo sie zu Beginn ihrer Selbstständigkeit tätig war. Auch in einem weiteren ihrer eigenen Projekte beschäftigte sie das Thema: In München, der Stadt des knappen und teuren Wohnraums, hatte eine befreundete Familie eine Wohnung gekauft, die aber einen Raum zu wenig besaß. Käuferle erkannte das Potenzial in der Höhe und baute über dem Eingangsbereich eine Metallkonstruktion ein, die durch eine grazile Wendeltreppe erschlossen wird. Unten bietet eine Schrankwand Stauraum, oben wurde Platz für das Homeoffice sowie ein Gästezimmer geschaffen. Es ist zu erwarten, dass das Thema sie auch weiterhin beschäftigen wird. Gerüchten zufolge hat die Gruppe 030 bereits einen neuen Auftrag im Wohnungsbau an Land gezogen… Theresa Jeroch