Der untergehenden Sonne entgegen
Vor rund zehn Jahren kamen hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland – mit ihnen entstanden vielerorts neue Wohnprojekte, teils dauerhaft, teils als Übergangslösungen konzipiert. Einige der damals errichteten Unterkünfte galten als vorbildhaft. Doch was ist aus diesen Orten geworden? David Kasparek hat drei unterschiedliche Projekte in Bremen, Köln und Tübingen besucht und zieht Bilanz: Sind daraus Orte des Bleibens geworden oder doch nur Provisorien auf Dauer?
Hier, wo das Einkaufszentrum zwar nach dem Fluss benannt, der Rhein selbst aber gute neun Kilometer entfernt ist, hört Köln wirklich auf. In Weiden, wie der westlichste Stadtteil der Domstadt heißt, kann man sehen, was Stadtrand bedeutet. Hochhäuser stehen am Feldrand, stockender Verkehr auf der Autobahn 4 zieht zäh vor dem Gewerbegebiet der Nachbargemeinde Frechen dahin. Hier steht eine von zwei sogenannten Erstaufnahmeeinrichtungen, die das damalige Büro pagel henn architekten errichtet haben. Es ist viel Zeit vergangen seit der „Willkommenskultur“ oder dem „Wir schaffen das!“
Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden für die Jahre 2015 und 2016 insgesamt 1.855.522 Ersterfassungen bei EASY (Erstverteilung der Asylbegehrenden) und 1.222.194 Asylanträge in Deutschland verzeichnet.(1) Schon 2017 hatten die Zahlen der Asylsuchenden wieder den Stand von 2014 erreicht. Nämlich deutlich unter 250.000.(2) Obwohl die Zahlen seither fast kontinuierlich sinken, hat sich ein neurechter Sound durchgesetzt: Aus Migrationsbewegungen wurden erst „Wellen“, dann eine „Krise“. Unterschieden wurde zwischen Geflüchteten, die ein Krieg zwang, ihre Heimat zu verlassen, und „Wirtschaftsflüchtlingen“. Der damalige Innenminister verstieg sich auf der immer verzweifelter werdenden Suche nach Stimmen am rechten Rand in einem Interview mit der Rheinischen Post schließlich sogar zu der Aussage, Migration sei „die Mutter aller Probleme“(3). Aus Zuzug wurde ein vermeintlich katastrophischer „Zustrom“ und aus im Schengenraum rechtssicher passierbaren Grenzen wurden Barrieren, die die damalige Kanzlerin „geöffnet“ habe.
Dass sich dieser rechte Sound durchsetzen konnte, liegt offenkundig auch darin begründet, dass man mit ihm vermeintlichen Tatendrang suggerieren kann. „Endlich im großen Stil abschieben“(4) sagt sich eben leichter, als tatsächlich die vollmundig angekündigten „400.000 Wohnungen“(5) zu bauen, die es bräuchte, damit die Mietmärkte der überlasteten Städte und Gemeinden jene dringend benötigte Entlastung erführen, die sie brauchen. Statt aber den offenkundigen Wohnraummangel zu beheben, stellt sich auch der neue Bundesinnenminister lieber medienwirksam an die Grenzkontrollposten auf der Autobahn, wo „innerhalb von sieben Tagen 729 Versuche der illegalen Einreise zurückgewiesen worden seien, darunter 32 Asylbewerber“, wie der MDR berichtete.(6) Andreas Roßkopf von der Gewerkschaft der Polizei sagte kürzlich der Funke-Mediengruppe im Interview, die Bundespolizei könne Kontrollen in dieser Intensität überhaupt nur noch „wenige Wochen durchhalten“(7).
Doch wie steht es um jene, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind? Ist Deutschland ein „Arrival Country“ geworden, in dem „Making Heimat“ mehr als nur Slogan und Ausstellungsbeitrag zur Architekturbiennale werden konnte?(8) Wie leben sie und hat der Sprung von vermeintlichen Erstaufnahmeeinrichtungen in die jeweiligen Gesellschaften in den Städten und Gemeinden funktioniert oder gilt auch hier das Diktum, nachdem nichts so langlebig sei wie Provisorien. In Bremen, Köln und Tübingen finden sich drei unterschiedliche Modelle zur Aufnahme von Geflüchteten. Wo sich Bremen entschieden hatte, schnell Quartiere aus Containern zu errichten, wurden in Köln dauerhafte Häuser im Massivbau errichtet, in Tübingen fand sich eine Baugemeinschaft zusammen, deren Ziel es war, Eigentums- und Mietwohnungen mit Übergangswohnraum für Geflüchtete zu kombinieren.
Bewährungsprobe I: Bremen

Feldschnieders+Kister, Übergangswohnheim für Geflüchtete, Bremen-Hemelingen 2014, Foto: Elina Potratz, 2025
Das Büro, das die Containerdörfer in Bremen entwarf, heißt inzwischen FK Architekten Feldschnieders + Kamprolf. Stefan Feldschnieders sagt rückblickend: „Auch nach zehn Jahren würde ich den Standpunkt vertreten, dass das keine spezielle Typologie für ‚Geflüchtetenwohnen‘ ist, sondern einfach eine bewährte Wohntypologie, die einen Übergang zwischen Offenheit und Privatheit möglich macht.“ In der Tat erinnern die Container-Anlagen in den Bremer Stadtteilen Grohn, Hemelingen und Finndorf eher an Quartiere im Kleinen. Angeordnet sind sie als konsequente Abfolge von Räumen, die sich vom öffentlichen Quartiersplatz über die halböffentlichen Laubengänge hinein in die privaten Wohnungen staffeln und so eine der Grundbedingungen architektonischen Raums zur Erfüllung bringen. Was hier entstand, würde auch als Single-Wohnen oder Wohnheim für Studierende funktionieren oder auch als grundlegend heterogener Wohnungsmix.
Auch in der Überseestadt gab es eine Anlage: „Das rote Dorf“ war Teil der Ausstellung, die das Team des Deutschen Architekturmuseums um Peter Cachola Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann 2018 in Venedig auf der Architekturbiennale zeigte. Als einziges Dorf steht es heute nicht mehr. Ein Schulbau ist auf dem Areal an der Nordstraße entstanden, die Container aber sind eingelagert. Feldschnieders hatte sich damals dafür eingesetzt, dass die Stadt die Container sofort an einem anderen Standort wieder aufbaut. „Weil es wenig Sinn ergibt, die Container einzulagern“, wie er sagt. „Es hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis ein neues Grundstück gefunden wurde. Dort fällt Pacht an und auch die Einlagerung war kostspielig.“ Der Wiederaufbau wird sich auf rund 55 bis 60 Prozent der Neubaukosten belaufen, schätzt der Architekt. Den entscheidenden Punkt sieht er dennoch an anderer Stelle. „Das Hauptproblem besteht darin: Es fehlen Wohnungen!“ so Stefan Feldschnieders. „Mit dem Geld, das seit zehn Jahren in Provisorien geflossen ist, hätten etliche Wohnungen gebaut werden können.“ Hört man sich in den verantwortlichen Stellen um, wird dies bestätigt.
Das sogenannte „Bremer Modell“ sah eigentlich vor, die Geflüchteten nur kurz in den Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen und sie dann schnell in den „lokalen Mietmarkt zu integrieren“, wie es in schönstem Beamtendeutsch heißt. Wenn in diesem Mietmarkt aber zu wenige bezahlbare Wohnungen zu finden sind, kann sich auch kaum jemand in diesen Markt integrieren. Stattdessen wird durch den politischen Populismus rund um Bezahlkarten und Aufnahmestopps vom eigentlichen Problem abgelenkt: die Milieus mit den wenigsten finanziellen Mitteln konkurrieren um das gleiche begrenzte Angebot. „Hätten wir einen ausreichend ausgestatteten Wohnungsmarkt, könnten wir die Menschen einfacher integrieren. Die gesellschaftlichen Probleme potenzieren sich, weil Behörden den ohnehin schon überbuchten Markt noch einmal härter machen, da sie geflüchtete Menschen in Wohnungen reinmieten müssen. So entsteht Neid, mindestens bei denen, die leer ausgehen“, konstatiert auch Stefan Feldschnieders.
Derweil steht „das grüne Dorf“ in Hemelingen in einem überraschend guten Zustand da. „Den Containern sieht man an, dass sie das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben“, hatte mich der Architekt gewarnt, doch das ist nicht sofort augenscheinlich. Auf dem Spielplatz in der Mitte der Anlage spielen Kinder, einige Frauen sind zu sehen, hinter dem Dorf ist ein Gemeinschaftsgarten entstanden, der auch bewirtschaftet wird. Hier findet Leben statt, die Typologie funktioniert. Hört man sich dann in den verantwortlichen Ämtern und Gremien um, wollen die wenigsten überhaupt etwas sagen und wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand. Im Prinzip funktioniere alles ganz gut, so ist zu hören, die Angst vor Neid in der Bevölkerung aber ist da. Ein Eindruck, den auch der Architekt teilt. „Es gibt von Seiten der Stadt, auch aus dem Beirat, wie hier die verantwortlichen Gremien der Stadtteile heißen, immer wieder große Sorge, dass es Vorbehalte aus der umgebenden Bevölkerung geben könnte.“

Feldschnieders+Kister, Übergangswohnheim für Geflüchtete, Bremen-Hemelingen 2014, Foto: Elina Potratz, 2025
Auch das Baurecht ist ein Hemmschuh. Um die Metallcontainer damals überhaupt aufstellen zu können, wurden befristete Ausnahmegenehmigungen erteilt. Die Zeit seitdem, sagt Stefan Feldschnieders, hätte genutzt werden können, „um ein sicheres Planungsrecht zu erarbeiten. So hätte man nach Ablauf der Ausnahmegenehmigung einen neuen Bebauungsplan vorlegen können, der eine Weiternutzung oder Verstetigung in anderen Materialien ermöglicht hätte.“ Von Beginn an hatten die Architekten ihren Entwurf auch als modularen Holzbau gedacht – und an anderen Orten auch so ausgeführt. Passiert ist nichts, die Verantwortung, das Baurecht zu ändern, wollte kaum jemand übernehmen.
Bewährungsprobe II: Köln

pagelhenn architektinnenarchitekt, Übergangswohnungen für Flüchtlinge, Köln 2016, Foto: David Kasparek, 2025
In Köln wurden von Beginn an auch massive Bauten errichtet, wie jenes am Stadtrand in Weiden. Auch hier konstatiert der Architekt, nicht gesondert „für Geflüchtete“ gebaut zu haben. „Uns ging es nicht in erster Linie darum, uns politisch in irgendeiner Weise zu positionieren, weil wir für Flüchtlinge bauen, sondern einfach darum, unserer Verantwortung als Architekten nachzukommen“, sagt Thomas Pagel von der Baumschlager Eberle pagelhenn GmbH, wie das Büro heute heißt, und ergänzt: „Unsere Aufgabe ist es, Wohnraum von hoher Qualität zu schaffen, mit einem hohen Maß an Dauerhaftigkeit – egal, wer darin lebt.“ Dafür haben er und sein Büropartner Marcus Henn ein Grundraster entwickelt, in dem abgeschlossene Wohneinheiten mit jeweils zugeordneten Nasszellen und einem offenen Wohnküchenbereich zu unterschiedlichen Größen kombiniert werden können. „So konnten wir eine Art Minimalwohnen anbieten und eine Struktur, in der unter Umständen auch mehrere kleine Einheiten zu größeren Wohnungen zusammengeschlossen werden konnten: Von zwei bis fünf Zimmern, wobei den fünf Zimmern zwei Nasszellen zugeordnet werden, ist man dann relativ flexibel in der Aufteilung der Wohnungen“, so Pagel. Gereiht, versetzt und unterschiedlich hoch gestapelt hätte das ausgeführt werden können, mit dem Ziel, der Stadtverwaltung einen Baukasten an die Hand zu geben, der hier und an anderen Orten einfach zu adaptieren und zu wiederholen wäre. Zur Anwendung gekommen ist das System neben dem Standort in Weiden jedoch nur noch ein weiteres Mal: in Rodenkirchen, im Süden der Stadt. Pagel wirkt ein wenig desillusioniert: „Ich habe den Eindruck, dass die Themen ‚Wohnen für Flüchtlinge‘ und ‚Wohnen als geförderter Wohnungsbau‘ von Vielen immer noch als zwei völlig getrennte Paar Schuhe betrachtet werden. Da bringt man nicht zusammen, dass man mit dem einen Ansatz vielleicht schon eine Lösung für die Probleme des vermeintlich anderen Bereichs hätte.“

pagelhenn architektinnenarchitekt, Übergangswohnungen für Flüchtlinge, Köln 2016, Foto: David Kasparek, 2025
Der Bau in Weiden ist zweigeschossig, die südliche Hälfte des langen Baukörpers um etwa drei Viertel der Gebäudetiefe nach Westen versetzt, sodass je zwei räumlich geschützte Bereiche entstehen. Obschon die Nachbarbebauung zehn und mehr Stockwerke in den Kölner Himmel ragt, durften die Architekten nur zweigeschossig bauen. Thomas Pagel stößt ins gleiche Horn wie sein Bremer Kollege: „Ich glaube, dass auch die Angst vor Neiddiskussionen in der Bevölkerung und den umgebenden Nachbarschaften eine Rolle spielte. Da wollte man vielleicht verhindern, dass es zu Fragen kommt, warum das denn ‚so schön‘ sein muss, oder dass es sogar zu Protest und Widerstand von Seiten der Anwohnerschaft kommt.“ Und in der Tat sahen die Bauten vor zehn Jahren zwischen all den Lufttraghallen, Containern und Turnhallenprovisorien sehr solide ausgeführt, angemessen proportioniert und eben überhaupt wie Architektur aus. Im Mai 2025 ist das Haus in Weiden eingezäunt, es gibt Probleme mit den Gesimsprofilen. Wohl wegen mangelhafter Ausführung haben sich vereinzelt Elemente gelöst, sodass das Haus vorsorglich gesichert wurde.
Bewährungsprobe III: Tübingen
Probleme, die in Tübingen bisher nicht aufgetreten sind. Hier hat eine Baugemeinschaft mit den Stuttgarter Büros Yonder und Somaa das „Haus am Park“ errichtet. „Von Anfang an ging es um mehr als nur darum, Container aufzustellen, sondern darum, einen in das Quartierskonzept eingebundenen Baustein und eine langfristige Strategie zu entwickeln“, so der Wohnsoziologe und Stadtforscher Gerd Kuhn: „Für uns war es immer wichtig, ein Nachbarschaftszentrum zu etablieren, das allen hilft, sich zu verbinden, und das auch von anderen Akteuren in Gebrauch genommen werden kann. Dafür haben wir von Beginn an mit Akteuren jenseits von Architektur oder Soziologie zusammengearbeitet wie den damaligen Martin-Bonhoeffer-Häusern – jetzt kit Jugendhilfe –, um uns relativ breit aufzustellen und ein Konzept zu erarbeiten, das über die kurzfristige Wohnraumversorgung hinausgeht.“ Das Areal dafür liegt in bester Lage der Stadt zwischen Neckar im Süden und einem kleinen Park an der Gartenstraße im Norden. Mit seiner Betonteilfassade sieht es recht robust und wenig anheimelnd aus, wirkt im Kontext der umliegenden Bauten aber nicht fehl am Platze.
Katja Knaus von Yonder betont die Wichtigkeit der soziologischen Expertise von Gerd Kuhn und den Willen der Baugruppe, diesen Weg überhaupt einzuschlagen, unterstreicht aber auch die Rolle der Stadt, die hier „ein echtes Sahnegrundstück zu vergleichbar günstigen Konditionen“ abgetreten habe, sodass die Planungsgemeinschaft mittels städtebaulicher Setzung von zwei Baukörpern „in dieser schönen grünen Umgebung Freiräume entstehen lassen konnte, die eben nicht alles dem Zufall überlassen.“ Ihr Büropartner Benedikt Bosch umreißt die architektonische Ausgangslage: „Uns war wichtig, wertige Räume anzubieten, eine Erdgeschosszone, die Privatsphäre schafft, weil es ein Hochparterre gibt, Balkone, die einen gewissen Sichtschutz haben, damit niemand das Gefühl hat, auf dem Präsentierteller zu sitzen, ein Treppenhaus mit Tageslicht, das dadurch zu einem Kommunikationsraum wird, eine Hauseingangstür, die eine gewisse Qualität ausstrahlt und eine Eingangszone, die durch die Raumhöhe anzeigt, dass man auch einmal kurz stehen bleiben kann, um mit den anderen Bewohnern zu reden.“ Das alles seien Punkte, so Bosch, „die wir im sogenannten normalen Wohnbau beachten, die auch beim Wohnen für Geflüchtete nicht ignoriert werden können.“
Dafür hat die Planungsgemeinschaft ein „egalitäres Gestaltungsprinzip entwickelt“, wie Katja Knaus erklärt: „Die Wohnungen sind absolut identisch gestaltet, überall gibt es bodentiefe Fenster und Industrieparkett, egal, wer dort wohnt.“ Einzige Ausnahmen sind die Penthouse-Wohnungen, die mit einer Dachterrasse ausgestattet wurden, „auch um durch deren Vermarktung mehr Geld für gemeinnützige Aspekte des Projekts generieren zu können“.
Gerd Kuhn beschreibt diese Aspekte: „Für uns war elementar, dass es durch das Projekt einen Mehrwert für die Nachbarschaft geben muss. Wir haben an anderen Beispielen deutlich gesehen, dass sehr viel Missgunst aufkommen kann, wenn nur eine spezielle Gruppe – zum Beispiel Geflüchtete – Privilegien erhält.“ Das Areal war früher ein Gewerbegebiet mit einem Lager der Stadtwerke. Durch den Neubau also sollte ein Bonus für das Quartier entstehen. „Wichtig war beispielsweise, die Durchlässigkeit und den Zugang zum Neckar für alle herzustellen“, so Kuhn. „Ein Mehrwert für alle erhöht deutlich die Akzeptanz.“ Und wenn es doch zu Konflikten komme, die es nach seiner Auskunft auch hier gab, „dann müssen Strukturen geschaffen werden, um diese Vorbehalte direkt konstruktiv aufzugreifen und zu verarbeiten.“ Es scheint hier ein Baustein für ein ganz normales Wohngebiet entstanden zu sein, „in dem nicht mehr oder weniger über Konflikte geredet wird, als anderswo“, so Kuhn.

Somaa / Yonder – Architektur und Design, Haus am Park, Tübingen 2020, Foto: Yonder – Architektur und Design, 2025
Entscheidend dafür ist unter anderem der Gemeinschaftsraum des zweiten Baukörpers, dem sogenannten Brückenhaus. Tobias Bochmann, zu Planungs- und Bauzeit Teil des Büros Somaa, erklärt: „Vor allem im akademischen Diskurs reden wir viel über Gemeinschaftsräume, sehen dann aber oft Beispiele von Baugruppengebäuden, in denen es sie zwar gibt, sie aber gar nicht oder kaum genutzt werden.“ Für ihn sei es „ein elementarer Lernprozess“ gewesen, dass diese Räume immer dann besser funktionieren, wenn man schon von Beginn an eine Betreuung oder das Kuratieren dieser Räume mitdenkt: „Dass die heutige kit Jugendhilfe mit im Boot war, hat dazu geführt, dass die Gemeinschaftsräume hier wirklich mit Leben gefüllt sind.“ Und dies auch in gesellschaftlich kritischen Phasen. Katja Knaus schildert die Erfahrungen aus der Zeit der Covid-Pandemie, als im „Wohnzimmer für alle“, wie der Gemeinschaftsraum von den Planenden genannt wurde, die Möglichkeit für Hausaufgabenhilfe bestand. „Auch für die Kinder und Jugendlichen der Umgebung, die sonst irgendwo im Corona-Sumpf verschwunden wären“, so Knaus. „Man hat also unmittelbar gespürt, wie dieser Raum nicht nur für die beiden Häuser wirksam ist, sondern auch für das ganze Viertel.“
Diese von soziologischer Seite von Beginn an mitgedachte Komponente scheint aufzugehen. Nachbarschaftsfeste finden hier statt, an denen sich tatsächlich Menschen aus dem ganzen Quartier beteiligen. Gerd Kuhn unterstreicht: „Im Mittelpunkt standen die Fragen: Wenn fremde Menschen kommen, wie können sie beheimatet werden, und wie können Konflikte, die immer entstehen, gelöst werden?“ Diese Reibungen aber, so der Soziologe, können sehr wohl auch konstruktiv gelöst werden. „Die Begegnungen haben wir als Chance gesehen, nicht als Problem. Deshalb waren für uns Begegnungen ein wichtiger Schlüssel.“ Um sie zu ermöglichen, spielen auch Architektur und Städtebau eine Rolle, aber eben auch Organisationsformen und die langfristige Begleitung der sozialen Prozesse. Wenn das zusammenkommt, so Kuhn, „können wir ein Gebiet entwickeln, das eine große Chance für eine Stadtgesellschaft darstellen kann.“ Dafür wurden zwei halbe Stellen geschaffen, mit denen die kit Jugendhilfe seit Fertigstellung des Projekts den Gemeinschaftsraum betreiben kann und damit von Anfang an präventiv Ansprechpartnerinnen präsent waren. „Allein im letzten Jahr konnten so 300 Beratungsangebote gemacht werden“, so Kuhn. Tobias Bochmann blickt zurück: „In der Konstellation dieser privaten Baugruppe wurden Argumente für bestimmte Gestaltungsmittel wie Bodenbeläge oder Balkongeländer gesehen und verstanden. Das kenne ich von klassischen Projektentwicklern im Wohnungsbau anders, wo primär Vermarktungsaspekte und die reinen Kosten zählen.“ Und Benedikt Bosch ergänzt: „Bei diesem Projekt stand ein Wertesystem im Vordergrund und nicht das Renditedenken der Bauträger.“
Dabei sei klar, stellen Katja Knaus und Gerd Kuhn unisono klar, dass es auch hier zu Reibereien komme. „Man muss nichts schönreden, natürlich kommt es auch immer mal wieder zu Konflikten unter den Bewohnerinnen und Bewohnern, aber das passiert anderswo ja auch, gehört zum Leben dazu und war ein Stück weit auch so erwartbar“, so Knaus: „Traumatisierte Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen hier zusammen. Warum sollten ausgerechnet da keine Streitereien entstehen?“ Für Gerd Kuhn ist genau das ein Anzeichen für das Gelingen des Projekts: „Das ist keine Insel der Seligen, sondern ein normaler Ort. Aber genau das war ja das Ziel: einen normalen Ort zu schaffen. An einem normalen Ort kannst du auch Konflikte haben, aber die werden halt friedfertig und vernünftig gelöst.“
Bei all den topologischen, typologischen und formalästhetischen Unterschieden zwischen den drei Projekten scheint genau das der springende Punkt zu sein: An allen drei Orten ist Wohnbau als Wohnbau gedacht und gebaut worden, in Tübingen konnte er von Beginn an auch soziologisch begleitet werden. Ruft man sich das Leben im und um das Haus unweit des Neckars vor Augen, wirkt das Bild beim Verlassen des Kölner Westens um so frappierender. Während die Abendsonne die für Mai zu trockenen Felder in malerisches Licht taucht, steht auf einem Eckbalkon des eingezäunten Hauses ein junger Mann. Leicht nach vorne gebeugt, stützt er sich auf die Brüstung. Er trägt ein Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft. Da steht er, den Blick in Richtung des Gewerbegebiets jenseits der Autobahn gerichtet. Angekommen, und doch zu untätigem Warten verdammt.
David Kasparek studierte Architektur in Köln und war zwischen 2006 und 2019 in unterschiedlichen Funktionen Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift in Bonn und Berlin. Der sozialisierte Hesse mit hanseatischem Migrationshintergrund gründete 2020 das interdisziplinäre „studio kasparek“, das sich im weitesten Wortsinn mit Gestaltung und ihrer Vermittlung beschäftigt. Mit Fokus auf Architektur und Industriedesign schreibt und moderiert David Kasparek, ist als Berater und Grafiker tätig sowie als davidkaspar3k in den Sozialen Netzwerken umtriebig. Darüber hinaus ist er Mitglied im Beirat des DAM Preises für Architektur in Deutschland und regelmäßig Mitglied verschiedener Architekturpreis-Jurys.
Fußnoten
1 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Das Bundesamt in Zahlen 2016. Asyl, Migration, Integration, Berlin 2017; online: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/BundesamtinZahlen/bundesamt-in-zahlen-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=16 (abgerufen am 13.05.25).
2 Siehe: Eurostat, u.a.: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php (abgerufen am 13.05.25).
3 Horst Seehofer im RP-Interview: „Migrationsfrage ist die Mutter aller Probleme“, Rheinische Post, 06.09.2018, online: https://rp-online.de/politik/deutschland/horst-seehofer-lehnt-stichtagsregelung-fuer-fluechtlinge-als-fachkraefte-ab (abgerufen am 13.05.25).
4 Vergl.: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/olaf-scholz-ueber-migration-es-kommen-zu-viele (abgerufen am 13.05.25).
5 Siehe: https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/archiv/wohnungsbau-bundesregierung-2006224 (abgerufen am 13.05.25).
6 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/grenzkontrollen-zurueckweisungen-polizei-ueberlastung-faq-102.html (abgerufen am 20.05.25).
7 https://www.bz-berlin.de/deutschland/grenzkontrollen-polizei-warnung (abgerufen am 20.05.25).
8 Vgl.: Oliver Elser, Peter Cachola Schmal, Anna Scheuermann (Hrsg.): Making Heimat. Germany, Arrival Country, Berlin 2016.