Das Haus wackelt
Immer konkreter wird die Erkenntnis, dass die liberale Demokratie, in der wir leben, keine Selbstverständlichkeit ist. Angesichts dieser Entwicklungen kann sogar in der Redaktion einer Architekturzeitschrift der Eindruck aufkommen, dass es hin und wieder Wichtigeres als Architektur geben könnte. Das „Haus der Demokratie wackelt“, so formuliert es der Journalist Jürgen Wiebicke – um zumindest ein architektonisches Bild zu bemühen.(1) Es gibt auch in Deutschland, als Teil einer globalen Entwicklung, politische Akteure, die Interesse an einer Auflösung demokratischer Strukturen haben – und dieses Ziel aktiv und taktisch verfolgen.
Es wäre ein Fehler, noch zu glauben, dass es sich hierbei um „ganz normale“ Wettbewerber innerhalb des demokratischen Spektrums handelt. Oder zu meinen, dass sich diese autoritär-populistischen Kräfte – wären sie einmal an der Macht – selbst entzaubern oder dekonstruieren würden. Wie sich bereits in vielen Ländern weltweit und auch in Europa gezeigt hat, arbeiten Strömungen des autoritären Populismus, ob in der Regierung oder in der Opposition, äußerst strategisch daran, die Verfassung zu schwächen und eine zunehmend autoritäre Regierung zu installieren – oder schlicht der Demokratie Sand ins Getriebe zu streuen, um die vermeintliche Untauglichkeit des Systems vorzuführen. Dabei sind sie weltweit sehr gut vernetzt, können also auf bereits bewährte Methoden aus anderen Ländern zugreifen.
Welche ganz praktischen Möglichkeiten es gibt, der Demokratie und Verfassung zu schaden, sogar aus der Opposition heraus, hat kürzlich sehr eindrücklich der Jurist und Journalist Maximilian Steinbeis dargelegt: Am Beispiel Thüringens zeigte er konkret auf, wie sich bestehende Gesetze und Institutionen missbrauchen lassen.(2) Seit 2009 betreibt Steinbeis den „Verfassungsblog“ und dokumentierte darin beispielsweise die Entwicklungen in Ungarn. Bezeichnend ist, dass zunächst auch dort niemand die skrupellosen antidemokratischen Vorgehensweisen für möglich gehalten hätte – bis sie schließlich eingetreten sind. Wie Steinbeis betont, bestünde demnach ein wichtiger Schritt darin, die strategische Dimension des autoritären Populismus ernst zu nehmen, ihn nicht zu verharmlosen.

Auch wenn die Verfassung offene Flanken hat, sollte man nicht zu pessimistisch sein. P. Baumgarten, Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe, Foto: qwesy qwesy (CC BY 3.0)
Immerhin gibt es zwischendurch auch erfreulichere Nachrichten: Eine empirische Untersuchung von 2023 hat ergeben, dass die gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung hierzulande, die viele als Ursache für den Aufstieg des Populismus sehen, im Grunde kaum vorhanden ist.(3) Die Autoren der daraus entstandenen Publikation, Steffen Mau, Thomas Laux und Linus Westheuser stellen fest, dass es sogar einen breiten Konsens zu den meisten gesellschaftlichen Themen gibt. Stattdessen kommt es zu Konflikten und erhitzten Gemütern, sobald sogenannte Triggerpunkte angesprochen werden – gewissermaßen Reizthemen, die zu heftigen und emotionalen Reaktionen führen. Somit entsteht ein Eindruck der Polarisierung, obwohl es im Kern ähnliche Haltungen gibt. Beispielsweise teilt die breite Bevölkerung die Ansicht, dass Geschlechtergerechtigkeit erstrebenswert ist und der Klimawandel eingedämmt werden muss – zum Überkochen führen dann jedoch Themen wie Gendersternchen oder das Verbot von SUV in Innenstädten.
Populistische Kräfte wissen exakt, wie sie diese Triggerpunkte ansprechen, um Menschen über Wut und Empörung zu gewinnen – mit der Wahrheit muss man es dabei auch nicht ganz so genau nehmen. Daher ist die nicht-vorhandene gesellschaftliche Spaltung leider noch kein Grund zum Aufatmen.
Also was tun? Kann man als einzelne Person überhaupt etwas ausrichten? Neben der finanziellen Unterstützung unabhängiger und seriös arbeitender Medien, die nicht bloß auf Triggerpunkten rumreiten, heißt es wohl: nicht zu pessimistisch sein, um den Effekt einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu vermeiden. „Wer stets mit dem Schlimmsten rechnet, bereitet dem Schlimmsten ungewollt den Weg“, meint auch Jürgen Wiebicke, der nach seiner Veröffentlichung „Zehn Regeln für Demokratieretter“ an über hundert Orten in Deutschland mit Menschen gesprochen und nun ein weiteres Buch zum Thema geschrieben hat.(4) Wiebicke gibt hierin wieder Anregungen, wie wir uns an der Bewahrung der Demokratie beteiligen können. Er weist beispielsweise darauf hin, dass gute zivilgesellschaftliche Impulse oft im kleinen Maßstab beginnen und von nur wenigen initiiert werden, von Schlüsselpersonen, die die Dinge in die Hand nehmen und das Spielfeld nicht den Falschen überlassen.
Als Leserinnen und Leser dieser Zeitschrift besitzen Sie, unabhängig davon, ob Sie studieren, angestellt sind oder sich in einer leitenden Position befinden, vermutlich ein hohes Bildungsniveau. Sollten Sie die Zeitschrift als BDA-Mitglied erhalten, ist die Wahrscheinlichkeit umso größer, dass Sie sogar Führungserfahrung besitzen. All das sind gute Voraussetzungen, um sich aktiv in demokratische Prozesse einzubringen und, auch jenseits der Architektur, Schlüsselrollen in gesellschaftsrelevanten Projekten zu übernehmen. Elina Potratz
(1) Jürgen Wiebicke: Erste Hilfe für Demokratieretter. Köln 2024, S. 11.
(2) Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme. München 2024.
(3) Steffen Mau, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin 2023.
(4) Wiebicke 2024.
Architektur wurde nicht von „der Demokratie“ erfunden. Viele der grandiosesten Bauten aller Zeiten, sind in theokratischen, diktatorischen, oder monarchistischen Gesellschaften entstanden.
Paris plattieren, und paar Plattenbauten hinstellen, Autostadt, Wohnmaschine, das waren alles „demokratische“ bis „sozialistische“ Gespinste.
Bleibt doch bitte beim Thema.