Grüne Infrastruktur

Green Follows Function

„Grün“ ist ein essentielles Element bei verschiedenen aktuellen Strategien der Stadtentwicklung, wie der Klimaanpassung, der wassersensiblen Stadt, der Biodiversitätsförderung oder der gesunden Stadt. Gleichzeitig steigern das anhaltende Bevölkerungswachstum und die innere Verdichtung die Nutzungsintensität in urbanen Freiräumen. Dies trifft insbesondere öffentliche, aber auch private Grünflächen – hier ist nun Multifunktionalität gefragt. Das Konzept „Urbane Grüne Infrastruktur“ versucht, die vielen Stränge ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte zusammenzuführen. Dabei stehen funktionale Aspekte stark im Vordergrund, während die symbolische Dimension des Stadtgrüns bislang noch zu wenig beachtet wird, so Jörg Dettmar, Professor für Entwerfen und Freiraumplanung an der TU Darmstadt.

„Grüne Infrastruktur“ (GIS) ist immer noch ein relativ neues Konzept. In Wissenschaft und Planung wird damit eine „ganzheitliche“ Sicht auf Natur und Landschaft verbunden. Hier sollen ökologische, soziokulturelle, ästhetische und ökonomische Aspekte umfassend zusammen gedacht werden. Grüne Infrastruktur kann auf unterschiedlichen Maßstabsebenen betrachtet werden: auf der internationalen Ebene, beispielsweise der EU (2013) (1), der nationalen Ebene, zum Beispiel Deutschlands (2017) (2), der der Bundesländer oder Regionen, wie der Metropole Ruhr 2024 (3) bis hin zu einzelnen Städten. Es geht dabei um den Schutz, die Entwicklung und Gestaltung unterschiedlicher Arten von „Grün“, hier benutzt als Sammelbegriff für Landschaften, Ökosysteme, Grünflächen oder Stadtgrün. Dabei wird versucht, die traditionellen Themen und Aufgaben von Naturschutz, Landschaftsplanung, Freiraumplanung und Landschaftsarchitektur weiterzudenken. Es geht aber vor allem auch um Lösungen für aktuelle Herausforderungen durch den Klimawandel, den Verlust an Biodiversität, steigende Gesundheitsrisiken und schwindenden sozialen Zusammenhalt in Städten. Das Ganze soll dann möglichst auch noch partizipative Ansätze und transdisziplinäre Zugänge ermöglichen. (4)

Lineares Grün wird in Zukunft kaum mehr reichen. Foto: Martina Nolte (CC-BY-SA-3.0 de)

Das Konzept „grüne Infrastruktur“ entstand in den 1990er-Jahren in den USA auch als Reaktion auf die negativen Konsequenzen des „urban sprawl“ für Natur und Landschaft. Der Ansatz war, grüne Infrastruktur von vornherein in die Raumentwicklung und den Ausbau der grauen Infrastruktur zu integrieren und sich nicht darauf zu beschränken, isolierte Schutzgebiete für als wertvoll eingestufte Natur auszuweisen. (5) Ein strategisch ausgerichteter Grundgedanke dabei ist, der technischen „grauen Infrastruktur“ (Verkehr, Energie, Wasser, Information) mit ihren Leistungen für das Funktionieren moderner Gesellschaften eine „grüne Infrastruktur“ als ebenso wichtige Voraussetzung gleichzustellen. Da es gesellschaftlich akzeptiert ist, sehr viel Geld in graue Infrastruktur zu investieren, besteht die Erwartung, dass, wenn die Leistungen der grünen Infrastruktur in der Gesellschaft ausreichend bewusst sind, mehr finanzielle Mittel für deren Entwicklung und Erhaltung organisiert werden können. Gleichzeitig ist damit die Hoffnung verbunden, dass neben der Aufrechterhaltung der grauen auch die der grünen Infrastruktur stärker zur Pflichtaufgabe staatlicher Institutionen wird. Das alles hat also viel mit einer ökonomischen Annäherung an die Natur zu tun.

Deshalb ist grüne Infrastruktur auch eng mit dem theoretischen Konzept der „Ökosystemdienstleistungen“ (ÖSD) verbunden. Der bereits in den 1980er-Jahren angedachte ÖSD-Ansatz wurde Anfang der 2000er-Jahre auf der Ebene der Vereinten Nationen durch das „Millenium Ecosystem Assessment“ befördert und in der Folge durch die von der G8 + 5 Staaten-Gruppe initiierte Studie „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (6) (TEEB) weiter ausgearbeitet. Daraus entstanden eine Reihe nationaler Programme, auch in Deutschland (7). Inhaltlich geht es darum, die vielfältigen Beiträge, die Ökosysteme zum menschlichen Wohlergehen leisten, zu identifizieren, zu quantifizieren und ökonomisch möglichst monetär zu bewerten (8). Auch hier steckt die Überzeugung dahinter, dass dies in Politik und Gesellschaft eine höhere Durchsetzungskraft, beispielsweise im Naturschutz erzeugt. Es gibt aber auch deutliche Kritik, unter anderem wegen der ausschließlich anthropozentrischen Perspektive auf Natur, oder weil ästhetische und symbolische Wertschätzungen von Natur sich kaum ökonomisch bewerten lassen. (9)

Betrachtet man das nationale Konzept „Grüne Infrastruktur Deutschland“ (2017) genauer, ist allerdings festzustellen, dass von dem beschriebenen umfassenden Ansatz kaum etwas zu erkennen ist. Hier besteht eine eindeutig klassische Naturschutzorientierung, mit Fokus auf biologische Vielfalt und bestimmte Ökosystemleistungen. Es geht um das netzartige Zusammenführen von Flächen oder Räumen mit bundesweiter Bedeutung für den Naturschutz. Verglichen mit den Landschafts- oder Verbundkorridoren sowie Biotopverbundsystemen, die bereits im letzten Jahrhundert vorgeschlagen wurden, reduziert sich hier sogar der Vernetzungsansatz im Wesentlichen auf bereits geschützte Naturvorrangflächen.

Etwas anders sieht es aus, wenn man den Ansatz der GIS für städtische Räume betrachtet. Hier hat das Bundesamt für Naturschutz 2017 eine planerische Strategie zur Entwicklung der urbanen grünen Infrastruktur erarbeiten lassen, die wesentlich umfassender ist. (10) „Urbane grüne Infrastruktur qualifiziert Grün- und Freiflächen in sozialer, ökologischer und gestalterischer Hinsicht und sichert eine ausreichende Quantität und gerechte Verteilung. Natürliche Prozesse werden gefördert und grüne Infrastruktur so entwickelt, dass entsprechend dem lokalen Bedarf vielfältige Ökosystemleistungen erbracht werden und die biologische Vielfalt geschützt wird“ (11).

Bausteine eines Schwammstadtkonzepts – Wasserbecken mit Regenwasserversickerungsanlage und Feuchtbiotop, Malzfabrik Berlin, Foto: Malzfabrik, Matthias Friel

Seit 2015 sind in Deutschland in kurzer Folge verschiedene nationale Konzepte und Programme für mehr Grün und/oder Natur in der Stadt veröffentlicht worden. Dazu gehören „Grün in der Stadt – Für eine lebenswerte Zukunft“ (12), die „Urbane Grüne Infrastruktur“ (13) und der „Masterplan Stadtnatur“ (14). Gemeinsames Ziel ist, die Kenntnis und Akzeptanz, den Schutz und die weitere Entwicklung der „Stadtnatur“ zu fördern, um sie besser in die Stadtentwicklung zu integrieren. Während „Grün in der Stadt“ und „Urbane Grüne Infrastruktur“ ein umfassender Ansatz von Stadtnatur zugrunde liegt, erfolgt im „Masterplan Stadtnatur“ ein gewisser Rückschritt zu eher schmalspurigen Naturschutzkonzepten mit Fokus auf „Heimische Arten“ (15). Als aktuell letztes Konzept sind nun auch die „nature-based solutions“ bei der Stadtnatur angekommen. (16) Naturbasierte Lösungen sollen die natürlichen Eigenschaften von Ökosystemen nutzen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, die biologische Vielfalt und die Umweltqualität zu verbessern und gleichzeitig wirtschaftliche Aktivitäten und sozialen Wohlstand befördern. (17) Bezogen auf die Stadt kann man darunter von der Gebäudebegrünung über Schwammstadtkonzepte bis zur Pflegeextensivierung in städtischen Grünflächen nahezu alles unterbringen. Die Vielzahl an Konzepten drückt vor allem den politischen Handlungswillen aus und sichert der Wissenschaft Forschungsthemen, dem steht jedoch gegenüber, dass es etwas verwirrend ist und die Kommunen kaum Ressourcen haben, in der praktischen Umsetzung überhaupt zu folgen.

Der Aufwand ist erheblich – Pflege der Gebäudebegrünung mit ungefähr 800 Bäumen und 20.000 anderen Pflanzen. Bosco Verticale, Boeri Studio, Mailand 2007 – 2014. Foto: Laura Cionci

Da das Konzept „Urbane Grüne Infrastruktur“ sehr gut ausgearbeitet ist und Handlungsempfehlungen für Städte liefert, macht es Sinn, dies etwas genauer zu betrachten. Es ist unstrittig, dass die Entwicklung der grünen Infrastruktur vor allem in Städten und Ballungsräumen mit ausgedehnten Stadtlandschaften in Zukunft eine stärkere Rolle spielen muss. Das „Grün“ ist ein essentielles Element bei den Strategien für Klimaanpassung, Schwammstadt, Biodiversität, Gesundheitsvorsorge und Attraktivität städtischer Freiräume. Gleichzeitig verursachen das anhaltende Bevölkerungswachstum und zunehmende innere Verdichtung in vielen Städten eine steigende Nutzungsintensität der urbanen Freiräume, insbesondere der öffentlichen Grünflächen. Deshalb braucht es die Entwicklung „multifunktionaler Grünflächen“, die den vielfältigen Anforderungen und Aufgaben gewachsen sind. Außerdem soll das Stadtgrün auch an Straßen und Gebäuden zunehmen. All dem versucht der Ansatz der „Urbanen Grünen Infrastruktur“ gerecht zu werden – und man will damit die vielen Stränge ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte zusammenführen.

Realistisch betrachtet ist dies alles aber auch sehr kostenintensiv in Planung, Koordination, Ausführung und vor allem Pflege des Grüns. In vielen Städten fehlen dafür ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen, insbesondere bei den Grünflächenämtern, was eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt. (18) Genau deswegen hofft man ja, dass die Konzepte „grüne Infrastruktur“ und Ökosystemleistungen die ökonomischen Bedingungen verbessern. Neben den fehlenden Finanzmitteln hemmen die traditionelle Ämterzuständigkeit und Kameralistik, die wir vor über hundert Jahren eingeführt haben, den anspruchsvollen Ansatz einer ganzheitlichen grünen Infrastruktur. Wenn bei multifunktionalem Stadtgrün für Klimaanpassung an Straßen die Zuständigkeiten zwischen Straßenverwaltung, Stadtentwässerung, weiterer Infrastrukturträger, Grünflächenamt und Stadtreinigung geklärt werden müssen, ist dies aufwendig und stellt oft genug alte Systemzuständigkeiten in Frage.

Hinzu kommen noch weitere neue Anforderungen, etwa bei der in der GIS-Strategie wichtigen Einbeziehung aller privaten Freiflächen und Gebäude in den Städten. Zielgerichtete Entwicklungen für die Klimaanpassung mit Entsiegelungen, Dach- und Fassadenbegrünungen oder Baumpflanzungen lassen sich im Bestand kaum ordnungsrechtlich durchsetzen. Es braucht viel Überzeugungsarbeit und Fördergelder, die wiederum auch erhebliche personelle Ressourcen in den öffentlichen Verwaltungen voraussetzen. Dies scheint mir einer der entscheidenden Gründe zu sein, warum den strategischen Überlegungen der grünen Infrastruktur bislang kaum planerische Konzepte oder gar praktische Umsetzungen in den deutschen Städten gegenüberstehen. Natürlich gibt es eine Reihe von Einzelprojekten in den Städten, die dem Ausbau grüner Infrastruktur zugeordnet werden, aber das ist nicht der eigentlich notwendige umfassende Ansatz.

Zumindest auf regionaler Ebene liegt aktuell eine ausgearbeitete Strategie für das Ruhrgebiet („Metropole Ruhr“) vor. (19) Es ist ein ambitionierter Ansatz des Regionalverband Ruhr, der dem ganzheitlichen Gedanken der GIS gerecht zu werden versucht. Ob es aber gelingen wird, in den zugehörigen 53 Kommunen die entsprechenden Projekte zu bündeln oder zu initiieren und Förderzugänge zu schaffen, wird sich zeigen. Ernst genommen, erfordert der Prozess eine sehr anspruchsvolle Steuerung und Beratung, bei der dann auch eine Vielzahl von Planungsinstrumenten koordiniert werden muss. Interessant ist auch, dass in der Strategie viel von Funktionen der GIS die Rede ist, dabei aber die spezifische Charakteristik und Herkunft des Ruhrgebiets als urbane Industrielandschaft, also das Alleinstellungsmerkmal, kaum eine Rolle spielt. Demgegenüber werden allgemeine und universell anwendbare Begriffe wie „Stadt, Zwischenstadt und Landschaft“ als Raumkategorien verwendet. Aus meiner Sicht ist es symptomatisch, dass der funktionale Zugang zum „Grün“ die wichtige symbolische und nicht materielle Ebene von Natur und Landschaft hier vernachlässigt.

Die symbolische Ebene der grünen Infrastruktur

Integration der spontanen Vegetation im Landschaftspark Duisburg-Nord, Foto: Pohl / Grüßen, EGHN

Was mit Stadtnatur gemeint ist, sollte man aufgrund der Bedeutungsvielfalt des Begriffs „Natur“ versuchen, genauer zu definieren. Hierzu gab es bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren intensive Diskurse, als in der Folge der Umweltbewegung auch „mehr Natur in der Stadt“ gefordert wurde. (20) Es lohnt auch heute noch, die Beiträge von Gerhard Hard (21), Ulrich Eisel (22) und Ludwig Trepl (23) zu lesen, in denen die vielfältigen Sprachverwirrungen, Konfusionen und die Vermischung von Bedeutungsebenen, wenn es um Natur, Landschaft und Stadt geht, deutlich werden. Schaut man sich den umfassenden TEEB Bericht „Ökosystemleistungen der Stadtnatur“ von 2016 an, findet man eine entsprechend naturwissenschaftlich fokussierte Definition von Stadtnatur als „die Gesamtheit der in urbanen Gebieten vorkommenden Naturelemente einschließlich ihrer funktionalen Beziehungen (Ökosysteme)“ (24). Es wurde bereits erwähnt, dass das Konzept der Ökosystemdienstleistungen bei der grünen Infrastruktur eine wichtige Rolle spielt. Zentral dabei ist, dass „Natur“ in Hinblick auf all ihre gesellschaftlichen Bedeutungen und Werte als Ökosystem gedacht wird. (25) Ästhetische Qualitäten und symbolische Bedeutungen von Natur lassen sich aber nicht „ökologisch“ beschreiben. Menschen haben eine emotionale Beziehung zu dem, was sie als Natur wahrnehmen, die nichts mit naturwissenschaftlich beschriebenen Ökosystemen zu tun hat. Der Versuch, dem gerecht zu werden, indem man „kulturelle Ökosystemleistungen“ konstruiert, ist deshalb zum Scheitern verurteilt.

Die Imitation des spontanen Grüns – High Line Park in New York, USA. Foto: Acroterion (CC-BY-SA-4.0)

Der Ansatz der „Urbanen Grünen Infrastruktur“ ist konzeptionell weiter gefasst, hier sind kulturelle Aspekte des Grüns, ästhetische und soziale Dimensionen einbezogen. Allerdings kann man den Eindruck gewinnen, dass auch dies vorwiegend als funktionaler Mehrwert in Hinblick auf psychische Gesundheit und Lebensqualität der Stadtbewohnerinnen und -bewohner verstanden wird. Die Anlage von städtischen Grünflächen hat rückblickend mit harmonischen Naturbildern seit der Industrialisierung auch immer kompensatorische Funktionen, um das schlechte Gewissen wegen der Zerstörung der Landschaft vor der Stadt zu beruhigen. (26) Mit der Forderung nach mehr Natur in der Stadt wird seit der Umweltbewegung der 1980er-Jahre auch auf die mögliche Vielfalt städtischer Lebensräume für Pflanzen und Tiere verwiesen. Naturnähere Grünanlagen und verwilderte Flächen sollen für mehr Biodiversität und Naturgenuss in der Stadt sorgen. Dies hat aber Grenzen und Akzeptanzprobleme: Wild wachsende Spontanvegetation, „Unkraut“ auf den städtischen Brachen und weniger intensiv gepflegte Grünflächen symbolisieren nicht die „harmonische Natur“, sondern sind Ausdruck der Stadt und wirken aufgrund einer nicht kontrollierten Dynamik für viele eher bedrohlich.

Interessant ist, dass Spontanvegetation auch zum Gegenstand gärtnerischer Kultivierung wird. Es gab verschiedene Ansätze für „Ruderalparks“ wie im Landschaftspark Duisburg Nord (27), wo eine Integration der Ruderalvegetation in das landschaftsarchitektonische Konzept erfolgte. Eine ganz andere Dimension wird bei dem High Line Park in New York erreicht. Hier pflanzte man nach den Plänen von Piet Oudolf eine Vegetation, die an die ursprüngliche Spontanvegetation der brach gefallenen Gleise erinnern soll. Es ist also ein Nachbau der wilden Stadtnatur, nun als gärtnerisch kontrolliertes, statisches und intensiv gepflegtes Abbild. In gewisser Weise wird so die eigentlich von der Sukzession ausgehende Bedrohung städtischer Ordnung ästhetisiert – und so inszeniert man eine beherrschbare Stadtnatur als Sehnsuchtsraum, bei deren Genuss es nichts Bedrohliches mehr gibt. (28)

Was passiert, wenn in Bezug auf das „Grün“ der kompensatorisch symbolische Charakter in den Hintergrund tritt und es stattdessen ein integriertes und immer stärker funktional begründetes Element der Stadt als „grüne Infrastruktur“ wird? Die zahlreichen Bilder zur Visualisierung der Städte der Zukunft im Internet zeigen viel Grün in der Stadt. Begrünte Straßen, Plätze, Parks und Gebäude transportieren die normative Ebene des Grüns: es ist attraktiv, symbolisiert Gesundheit und schafft ein Gegenbild zu Stress, Lärm und Technikdominanz in Städten. Schaut man die Visualisierungen genauer an, kann man feststellen, dass fast alle Grünstrukturen auf, an und zwischen den Gebäuden ordentlich und gepflegt erscheinen. (29) Es werden keine neuen Wildnisträume erzeugt, sondern saubere Funktionsbegrünungen signalisieren, dass alles unter Kontrolle bleibt. Die positive normative Wirkung des „Grüns“ wird mit der kontrollierten städtischen Struktur der Gebäude, Straßen und sonstigen Freiflächen gekoppelt. Das Gestaltungsprinzip ist vor allem „Funktionalismus“, eine Art „green follows function“. Integrierte Gebäudebegrünung und multifunktionale Grünflächen sollen selbstverständlich gestalterisch ansprechend aussehen und kontrollierten Naturgenuss ermöglichen.

In der Realität funktioniert das Grün allerdings oft genug nicht so, wie es die Planungen vorsehen – extreme Standortbedingungen, hoher technischer Aufwand, zum Beispiel für wandgebundene Fassadenbegrünungen, und unzureichende Pflege zeigen die „Grenzen des geordneten Wachstums“ auf. Aber unabhängig von den realen Problemen der Praxis: Was symbolisiert diese neue grüne Infrastruktur eigentlich? Kann es sein, dass die „urbane grüne Infrastruktur“ der „grünen Stadt“ nur ein neuer Versuch ist, Städte zu versprechen, in denen man auch ohne schlechtes Gewissen mit kleinem „Fußabdruck“ leben kann? Es geht jetzt nicht mehr um die romantisch aufgeladene Ideallandschaft von Arkadien für ein harmonisches naturverbundenes Leben, sondern um die sozial-ökologische Funktionalharmonie einer „Smart City“ für ein vernetztes mobiles, aber naturverträgliches urbanes Leben. Wir werden sehen, ob dies funktioniert, oder ob Natur als Symbol für die harmonische Landschaft außerhalb der Stadt wirkmächtig bleibt. Es funktioniert aber vermutlich schon deshalb nicht, weil die Realisierung und Unterhaltung der angedachten „Urbanen Grünen Infrastruktur“ gewaltigen Aufwand bedeutet und große Ressourcen in den Städten voraussetzt. Aber immerhin können realisierte Oasen des Stadtgrüns als zivilisatorische Flutmarken für die naturverträgliche Stadt dienen.

Prof. Dr.-Ing. Jörg Dettmar ist seit 2001 Professor für Entwerfen und Freiraumplanung am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt. Nach seinem Studium der Landespflege in Höxter und Hannover sowie seiner Promotion an der TU Berlin arbeitete er zunächst als selbständiger Landschaftsplaner, später in verschiedenen Planungsverwaltungen und in den 1990er-Jahren bei der IBA Emscher Park. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich urbaner Landschaften, Stadtgrün und Gebäudebegrünung sowie theoretischer Aspekte der Landschaftsarchitektur, zu denen er zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst hat.

 

(1) European Union: Green Infrastructure (GI) – Enhancing Europe’s Natural Capital, 2013, https://eur-lex.europa.eu/homepage.html?locale=en (3.7.24).

(2) Bundesamt für Naturschutz (BfN): Urbane Grüne Infrastruktur. Grundlage für attraktive zukunftsfähige Städte, Bonn 2017.

(3) Regionalverband Ruhr (RVR): Strategie Grüne Infrastruktur Metropole Ruhr, 2024, https://www.rvr.ruhr/themen/oekologie-umwelt/gruene-infrastruktur/strategie-gruene-infrastruktur/ (3.7.24).

(4) Stephan Pauleit et. al.: Grüne Infrastruktur und Landschaft, in: Olaf Kühne, Frank Weber, Klaus Berr, Christian Jenal (Hg.), Handbuch Landschaft, Wiesbaden 2024, S. 1119 – 1132.

(5) Ebenda.

(6) TEEB: Mainstreaming the Economics of Nature. A Synthesis of the Approach, Conclusions and Recommendations of TEEB, 2010, https://www.teebweb.org/wp-content/uploads/Study and Reports/Reports/Synthesis report/TEEB Synthesis Report 2010.pdf (3.7.24).

(7) UFZ – Naturkapital Deutschland – TEEB: https://www.ufz.de/teebde/ (3.7.24).

(8) Thomas Kirchhoff: Ökosystemleistungen, in: Olaf Kühne, Frank Weber, Klaus Berr, Christian Jenal (Hg.), Handbuch Landschaft, Wiesbaden 2024, S. 1147 – 1164.

(9) Ebenda.

(10) Rieke Hansen et. al.: Grüne Infrastruktur im urbanen Raum: Grundlagen, Planung und Umsetzung in der integrierten Stadtentwicklung. BfN Schriften 503, 2018, https://www.bfn.de/sites/default/files/BfN/service/Dokumente/skripten/skript503.pdf (3.5.22).

(11) Bundesamt für Naturschutz (BfN): Urbane Grüne Infrastruktur. Grundlage für attraktive zukunftsfähige Städte, Bonn 2017.

(12) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Weißbuch Stadtgrün. Grün in der Stadt – für eine lebenswerte Zukunft, 2015, https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/ministerien/bmub/verschiedene-themen/2015/gruenbuch-2015.html (11.9.24) und 2017, https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/ministerien/bmub/verschiedene-themen/2017/weissbuch-stadtgruen.html (11.9.24).

(13) Rieke Hansen et. al.: Grüne Infrastruktur im urbanen Raum (wie Fn 10).

(14) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV): Masterplan Stadtnatur – Maßnahmenprogramm der Bundesregierung für eine lebendige Stadt, https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/masterplan_stadtnatur_bf.pdf (20.11.22).

(15) Christine Müller: Der „Masterplan Stadtnatur“ ist ein politischer Strategiewechsel. Das „Stadtgrün“ und die „grüne Infrastruktur“ haben ausgedient, in: Neue Landschaft, 7, 2019, S. 8 – 9.

(16) Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur (DGGL): Stadt als Natur. Naturbasierte Lösungen/Nature-based Solutions, Röbel/Müritz 2022.

(17) Europäische Kommission (Generaldirektion Forschung und Innovation): CORDIS results pack on nature-based solutions, Publications Office 2020, https://data.europa.eu/doi/10.2830/40286 (3.7.22).

(18) Stefan Jakob, Sandra Heidmann: Wachsende Stadt mit stagnierenden Mitteln, in: Stadt+Grün, 6, 2018, S. 11 – 15.

(19) Regionalverband Ruhr (RVR): Strategie Grüne Infrastruktur Metropole Ruhr, 2024, https://www.rvr.ruhr/themen/oekologie-umwelt/gruene-infrastruktur/strategie-gruene-infrastruktur/ (3.7.24).

(20) Michael Andritzky, Klaus Spitzer: Grün in der Stadt, Reinbek 1982.

(21) Gerhard Hard: Städtische Rasen, hermeneutisch betrachtet. Ein Kapitel aus der Geschichte der Verleugnung der Stadt durch die Städter, in: Klagenfurter Geographische Schriften, 1985, S. 29 – 52;
G. Hard, Frank Kruckemeyer: Die vielen Stadtnaturen. Über Naturschutz in der Stadt, in: Thomas Koenigs (Hg.): Stadt-Parks. Urbane Natur in Frankfurt am Main, Campus 1994, S. 60 – 69.

(22) Ulrich Eisel: Die schöne Landschaft als kritische Utopie oder als konservatives Relikt, in: Soziale Welt, 38 / 2, 1982, S. 157 – 168; U. Eisel: Tabu Leitkultur, in: Natur und Landschaft, 9 / 1, 2003, S. 409 – 417;
U. Eisel: Naturbilder sind keine Bilder aus der Natur. Orientierungsfragen an der Nahtstelle zwischen subjektivem und objektivem Sinn, in: GAIA, 13 / 2, 2004, S. 92 – 98.

(23) Ludwig Trepl: Stadt – Natur / Stadtnatur – Natur in der Stadt – Stadt und Natur, in: Stadterfahrung-Stadtgestaltung. Bausteine zur Humanökologie, Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, 1988, S. 58 – 70; L. Trepl: Natur in der Stadt, in: Deutscher Rat für Landespflege (Hg.), Natur in der Stadt, 61, 1992, S. 30 – 32.

(24) Ingo Kowarik, Robert Bartz, Mirijam Brenk (Hg.): Ökosystemleistungen in der Stadt. Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB, Berlin, Leipzig 2016, https://www.ufz.de/export/data/global/190508_TEEB_DE_Stadtbericht_Langfassung.pdf (10.4.22).

(25) Thomas Kirchhoff: Ökosystemleistungen (wie Fn 8).

(26) Ulrich Eisel: Die schöne Landschaft als kritische Utopie oder als konservatives Relikt, in: Soziale Welt, 38 / 2, 1982, S. 157 – 168.

(27) Jörg Dettmar: Vegetationsaufnahmen zwischen Stilllegung und Planung, in: Peter Latz (Hg.): Rostrot. Der Landschaftspark Duisburg-Nord, München 2016, S. 106 – 107.

(28) Jörg Dettmar: Tuning the Weed, in: Udo Weilacher (Hg.): Inspiration High Line, München 2018, S. 22 – 23.

(29) Siehe etwa Vincent Callebauts Visionen für Paris 2050.

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