Gespräche mit Susanne Wartzeck

Im Bahnquartier

Die Wanderausstellung „Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur“, kuratiert von Olaf Bahner, Matthias Böttger und Laura Holzberg, wurde 2020 im Deutschen Architektur Zentrum DAZ in Berlin eröffnet. Seitdem hat sie Station in neun weiteren Städten in Deutschland und Österreich gemacht, unter anderem in Hamburg, Dresden, Münster, München und Wien. Zum Abschluss der letzten Ausstellung in Erfurt im Oktober sprach Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz mit BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck. Dabei blickten sie auf die Zeit der Wanderschaft zurück, darauf, was sich seitdem mit Blick auf den Bestand getan hat sowie auf kommende Projekte.

Elina Potratz: Mir ist zu Ohren gekommen, dass der letzte Ausstellungsort von „Sorge um den Bestand“ in Erfurt ein besonderer war – um was für einen Ort handelte es sich?

BDA-Präsidentin Susanne Wartzeck, Foto: Klaus Hartmann

Susanne Wartzeck: Ja, das kann man wirklich sagen. Der Ort entsprach dem Ansatz des Sorgetragens in besonderem Maße, da es sich eher um eine Ruine als um ein ungenutztes Gebäude handelte. Es dringt sogar Regenwasser in das Gebäude ein, lediglich der Bereich, in dem die Ausstellung gezeigt wurde, war provisorisch abgedichtet. Diese Gegebenheiten schufen eine einzigartige Kulisse und Atmosphäre, die durch eine stimmungsvolle Beleuchtung zusätzlich hervorgehoben wurden. Das Gebäude, das bereits seit über 30 Jahren leer steht, gehörte ursprünglich der Bahn und wurde später von einem Privatbesitzer erworben, der jedoch keine ernsthaften Pläne für das Objekt verfolgte. Erst kürzlich konnte die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen das Gebäude von diesem Eigentümer übernehmen.

Die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ wurde an sehr unterschiedlichen Orten präsentiert. Gibt es Standorte, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Es gab tatsächlich einige bemerkenswerte Standorte. Besonders hervorzuheben ist sicher das ehemalige Schwimmbad in Bonn. Insgesamt aber hat jeder Ort auf seine Weise gut funktioniert. In Lübeck zum Beispiel fand die Ausstellung in einer ehemaligen Fischhalle statt, direkt am Wasser. Die Besucherinnen und Besucher dort waren enorm interessiert daran, welche neuen Ansätze es geben könnte, da sich die Bürgerschaft in Lübeck sehr engagiert in die Stadtentwicklung einbringt. Ein anderer spannender Standort war eine Kirche in Koblenz. Es war zunächst schwierig, die Ausstellung dort zu integrieren, aber die Kirche war letztlich bereit, den Kirchenraum fast vollständig freizuräumen. Lediglich ein kleiner Bereich wurde für Gottesdienste reserviert. Damit konnte ein sehr durchmischtes Publikum erreicht werden. Am stimmungsvollsten war jedoch zweifellos der letzte Standort in Erfurt, insbesondere durch den heftigen Regen, der an diesem Tag fiel und der gesamten Atmosphäre noch eine zusätzliche, fast dramatische Note verlieh.

„Sorge um den Bestand“ – Ausstellungsstation in Erfurt, Foto: Thomas Müller

Ganz zu Anfang erschien der Titel „Sorge um den Bestand“ einigen etwas sperrig. Es gab auch Überlegungen, ob er zu negativ klingen könnte, da das Wort „Sorge“ eine gewisse Schwere mitbringt. Heute sind Begriffe wie Care und Sorgetragen jedoch viel stärker in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Denken Sie, dass sich im Hinblick auf das Sorgetragen beim Bauen seitdem tatsächlich etwas verändert hat?
Ich finde es ziemlich bemerkenswert, wie sich in den letzten drei bis vier Jahren das Verständnis im Bauwesen gewandelt hat. Früher wurde beim Bauen fast automatisch an Neubau gedacht. Heute ist der Gedanke, ob es nicht bestehende Strukturen gibt, die man weiternutzen kann, deutlich stärker verankert. Besonders im vergangenen Jahr hat es einen spürbaren Wandel gegeben. Ein Beispiel dafür sind Schulen, wo früher oft der Abriss und Ersatzneubau als Standardlösung galt. Solche Ansätze sind heute politisch viel schwerer durchsetzbar. Auch die gesellschaftliche Diskussion ist vorangeschritten: Abrisse müssen heute gut begründet werden, weil sie sonst viel Kritik und Fragen in der Bevölkerung auslösen. Das führt dazu, dass Entscheidungen und Voruntersuchungen gründlicher und ernsthafter betrieben werden. Auch auf politischer Ebene hat sich einiges getan. Wenn beispielsweise die Bundesbauministerin über Weiterentwicklung im Bauen spricht, ist der Bestand immer ein Thema.

Gibt es eine These aus der Ausstellung, von der Sie sagen würden, dass sie in den letzten Jahren besonders relevant war oder als Treiber des Wandels gedient hat?
Ich denke, besonders wichtig war die grundlegende These „Aufbruch ins Bestehende“ von Katja Fischer und Jan Kampshoff, die sich an die Architektenschaft richtete. Sie haben darin dazu angeregt, sich mittels eines Fragenkatalogs mit sich selbst auseinanderzusetzen: Welche Verantwortung trage ich als Architektin oder Architekt, und werde ich dieser tatsächlich gerecht? Ebenso ging es darum, das eigene Handeln und die Prozesse im eigenen Büro kritisch zu hinterfragen. Das war meiner Meinung nach ein wesentlicher Anstoß.

„Sorge um den Bestand“ – Ausstellungsstation in der Westhalle des Bahnquartiers in Erfurt, Foto: Thomas Müller

Ein weiterer zentraler Impuls war die These von Eike Roswag-Klinge „Einfach umbauen, einfach transformieren“. Es ging darin um eine bewusste Auseinandersetzung mit Gebäudetypen und der Frage, ob der Neubaustandard wirklich auf den Altbau angewendet werden muss. Diese Diskussion hat inzwischen konkrete Auswirkungen, etwa in Baden-Württemberg und Niedersachsen. Dort ermöglicht die Bauordnung nun, dass Bestandsgebäude nicht mehr die gleichen Anforderungen wie Neubauten erfüllen müssen. Das ist ein entscheidender Fortschritt, und vermutlich werden weitere Bundesländer folgen. Dabei ist es nicht nur ein kluger Ansatz im Sinne der ökologischen, sondern auch der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit.

Trotz all der positiven Entwicklungen gibt es im Hinblick auf den Umgang mit dem Klimawandel auch eine gewisse Ermüdung bei einigen Menschen, sie haben das Gefühl, von den ständigen Veränderungen überfordert zu sein – die Ablehnung gegenüber tiefgreifenden Wandlungsprozessen scheint zu wachsen.

Richtig, umso wichtiger werden Aspekte der Kommunikation sowie das Einbinden der Gesellschaft in diese Transformationsprozesse. Aktuell arbeiten der BDA, das DAZ und das Bauministerium an einem neuen Projekt. Dieses wird der dritte Teil der „Trilogie“ sein, die mit „Neue Standards“ und „Sorge um den Bestand“ begonnen hat. Das dritte Projekt wird wieder in zehn Teams bearbeitet, die sich diesmal mit dem Thema der Transformation in der Architektur auseinandersetzen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Frage nach dem Wie – also wie werden transformative Projekte entwickelt und wie wird die Kommunikation darüber in die Stadt- oder Landgesellschaft hineingetragen? Besonders spannend ist, dass bei den zehn Teams auch der Generationenwechsel innerhalb der Architekturbranche sichtbar wird. Viele der Beteiligten bringen Erfahrungen aus ihrer Hochschulzeit mit, wo sie bereits mit neuen Praktiken experimentiert haben.

„Sorge um den Bestand. Zehn Strategien für die Architektur“ war eine Ausstellung des BDA. Die Wanderschaft fand in Kooperation mit den BDA-Landesverbänden statt. Ausstellung und Publikation waren Teil des Forschungsprogramms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ des BMWSB / BBSR und wurden durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen gefördert.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert