Kritischer Raum: Rapunzel Welt, Legau 2023

Ein architektonisches Märchen

haascookzemmrich STUDIO2050 / Landschaftsarchitektur: Ramboll Studio Dreiseitl / Energie: TRANSSOLAR

Bereits vor einigen Jahren erregte die Zentrale des Biolebensmittelherstellers Alnatura Aufsehen – bis heute ist es eines der größten Bürogebäude Europas, dessen Fassade aus Stampflehm besteht und das weitgehend passiv belüftet und klimatisiert wird. Nun durfte das verantwortliche Stuttgarter Architekturbüro haascookzemmrich STUDIO2050 erneut ein Besucherzentrum für einen Biohersteller umsetzen – diesmal für die 1974 gegründete Marke Rapunzel Naturkost. Auch wenn darin die durchaus fragwürdige Entwicklung durchschimmert, dass Auftraggeber nur mit jenen Architekturbüros zusammenarbeiten, die exakt die gleiche Bauaufgabe schon einmal bearbeitet haben, kann sich das Ergebnis wieder sehen lassen.

haascookzemmrich STUDIO2050, Rapunzel Welt, Legau 2023, Foto: Markus Guhl

Die sogenannte Rapunzel Welt befindet sich im bayerischen Legau, direkt an der Grenze zu Baden-Württemberg, in einem kleinen Gewerbegebiet inmitten der ländlichen Marktgemeinde. Das Besucherzentrum wurde direkt neben die eigentlichen Produktionshallen von Rapunzel platziert, hebt sich dabei aber deutlich von der eher industriellen Ästhetik der Nachbargebäude ab. Gestaltprägend für das Gebäude auf Y-förmigem Grundriss ist eine verglaste Erdgeschosszone, die von einem mächtigen, teilweise fast senkrecht aufragenden Dach überfangen wird. Durch ihre Über- und Abstände erscheint die mit farblich changierenden Ziegeln gedeckte Dachskulptur wie eine Art schützende Haube, die Regenschutz und Verschattung bietet. Nur wenige, locker verstreute Dreiecksfenster durchbrechen den hermetischen Körper. Der Bereich des Gebäudes, an dem sich das Dach zu seinem höchsten Punkt aufschwingt und bis auf den Boden hinabreicht, wird vom Architekturbüro als „Rapunzelturm“ bezeichnet.

Besonders hervorzuheben ist die äußerst vielfältige Nutzungsmischung, die Besucher und Besucherinnen mit zahlreichen Angeboten an den eher abgelegenen Ort locken will. Neben einem Bio-Supermarkt sind hier ein Restaurant-Café und eine gläserne Kaffeerösterei untergebracht, darüber hinaus eine Kochwerkstatt, ein Veranstaltungs- und Weinkeller, Ausstellungsflächen sowie Räume für Seminare und Konferenzen. Über den sogenannten „Märchengarten“ mit Spielplatz auf der Rückseite gelangen die Besuchenden zudem in ein Tropenhaus mit Kaffeepflanzen. Im Garten befindet sich auch die außenliegende Treppe, die auf die große Dachterrasse des Gebäudes führt. Durch die Y-Form des Grundrisses ergeben sich auf jeder Seite atmosphärisch unterschiedene Zonen – der autofreie Besuchereingang sowie der Gartenbereich bleiben zudem ungestört vom Parkplatz des Supermarkts.

haascookzemmrich STUDIO2050, Rapunzel Welt, Legau 2023, Foto: Markus Guhl

Trotz der geschlossenen Anmutung wirkt der Baukörper nicht abweisend, vielmehr präsentiert sich das Erdgeschoss mit seinen zahlreichen Eingängen und der gläsernen Kaffeerösterei offen und niederschwellig zugänglich. Dieser einladende Charakter setzt sich auch im Innern fort. Der sich über zwei Etagen erstreckende Restaurantbereich erscheint großzügig und behaglich zugleich. Holz als Material verbindet Bau- und Einrichtungselemente, im Zentrum steht der sogenannte „Zopf der Rapunzel“ in Form einer imposanten, gewendelten Holztreppe, die alle Geschosse miteinander verbindet. Die Kaffeerösterei sowie die Bäckerei und ein Seminarraum sind von diesem großen Hauptraum nur durch Glasscheiben getrennt. Wer also im Café seinen Cappuccino trinkt, kann gleichzeitig die Verarbeitung der dafür verwendeten Kaffeebohnen verfolgen.

haascookzemmrich STUDIO2050, Rapunzel Welt, Legau 2023, Foto: Markus Guhl

Sowohl auf Auftraggeber-, als auch Auftragnehmerseite wurden hohe Standards hinsichtlich eines ressourcenschonenden und klimafreundlichen Bauens verfolgt. Die Haustechnik wurde auf ein Minimum reduziert, das Mikroklima im Wesentlichen über die Anordnung von Räumen und Fenstern sowie Verschattung gesteuert. Die Ansprüche, die Rapunzel bei Lebensmitteln für die Produktion und Verarbeitung der Rohstoffe stellt – faire soziale Bedingungen, ökologische Nachhaltigkeit, Kreislauffähigkeit – galten auch für die Baumaterialien und Prozesse. Dabei setzte man hauptsächlich auf natürliche und regionale Baumaterialien wie Holz und Ton, lediglich die Dachziegel und das Holz für die Wendeltreppe wurden aus weiter entfernten Regionen bezogen. Daneben verzichtete man auf Styropor in der Dämmung und nutzte, wie schon bei der Alnatura-Zentrale, rezyklierten Schaumglasschotter. Auch die beteiligten Handwerksbetriebe kamen ausschließlich aus der unmittelbaren Umgebung. Das Energiekonzept setzt auf das Nahwärmenetz und solare Stromgewinnung.

Es ist bemerkenswert, wie weitreichend bei der Rapunzel Welt Prinzipien des in jedem Sinne nachhaltigen Bauens umgesetzt wurden und die architektonische Gestaltung dabei kein nachträglich appliziertes Element, sondern integraler Bestandteil ist. Und sie überzeugt trotz oder gerade wegen des Hauchs von Öko-Ästhetik, der sie umweht. Auch wenn die märchenhafte Bezeichnung der Gebäudeteile – vom „Rapunzelturm“ über den „Zopf der Rapunzel“ und „Märchengarten“ bis hin zum Aussichtspunkt „Krähennest“ auf der Dachterrasse – womöglich nicht für jeden nachvollziehbar sein mögen, so sinnvoll erscheint doch der Ansatz, über diese erzählerischen Momente emotionale Zugänge zu den Architekturelementen zu ermöglichen und damit den Vermittlungscharakter des Gebäudes zu unterstreichen. Zwar ist das Gebäude auch als Teil einer Marketingstrategie zu sehen, diese gewinnt jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen, die sich nach außen hin als „grün“ präsentieren, durch ihre konsequente Umsetzung enorm an Glaubwürdigkeit.
Elina Potratz

haascookzemmrich STUDIO2050, Rapunzel Welt, Legau 2023, Foto: Markus Guhl

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