Neu im Club: Sascha Bauer, Architekt BDA, Studio Cross Scale

Maßstabsübergreifend

Als in Deutschland ausgebildeter Tischler (2004 – 2007) gewann Sascha Bauer zahlreiche nationale Preise und arbeitete vor und während seines Studiums in verschiedenen Ländern. Mit Unterstützung eines DAAD-Stipendiums studierte er 2015 einen weiteren Masterstudiengang „Urban and Cultural Heritage“ an der University of Melbourne, Australien. Seit seiner Rückkehr im Jahr 2016 arbeitet er als Projektarchitekt und Designer in Stuttgart und ist Gründungsmitglied von Stadtlücken e.V. (2016) – einem gemeinnützigen Verein mit dem Ziel, das Bewusstsein für den öffentlichen Raum zu schärfen. Parallel zu seinem eigenen Architekturbüro STUDIO CROSS SCALE (Gründung 2018) lehrt er seit Februar 2017 am Urban Design Institute (SI) der Universität Stuttgart und arbeitet disziplin- und maßstabsübergreifend in Forschung, Lehre und Praxis.

Elina Potratz: Sie machen hauptsächlich Bestandsprojekte – von der Altbausanierung über Dachaufstockungen bis hin zu Konzepten für die kreativen Zwischennutzungen leerstehender Gebäude. Ist der Bestand für Sie immer Ausgangspunkt?
Sascha Bauer: Ja, das ist die Aufgabe der Zukunft. Wir lernen am Objekt oder Ort, schauen uns alles genau an, machen gegebenenfalls einen minimalinvasiven und sensiblen Rückbau und bewerten dann, was wir aus der Geschichte des Gebäudes ausgegraben haben. Aber auch bei Umbauten oder Nachverdichtungen muss man sich immer die Frage nach dem gesellschaftlichen Mehrwert des Ganzen stellen, denn eine Oberflächensanierung nach standardisierten Mustern und Materialien ist nicht unser Ding. Uns interessiert eher das prozesshafte Denken und Aushandeln auf unterschiedlichen Maßstabsebenen.

Sie haben nicht nur eine Schreinerlehre, sondern nach dem Architekturstudium noch einen Master in Urban Cultural Heritage in Melbourne gemacht. Was hat es damit auf sich?
Es ist eine Art Master in städtebaulichem Denkmalschutz, aber im Detail weitreichender gefasst. Das hat mich interessiert, weil es in Australien aus unserer Perspektive keine wirklich alten Gebäude gibt. Der Umgang damit ist spannend, da der Bestand dezidiert beurteilt und angeschaut, und dann gemeinsam entschieden wird, was damit gemacht wird. Die Grundhaltung dort ist eher: Wir haben nicht nur eine Geschichte, sondern auch unterschiedliche kulturelle Erzählungen. Wie gehen wir damit um und wer definiert die Gewichtung?

Studio Cross Scale, H16 Sanierung eines denkmalgeschützten Gebäudes, Stuttgart 2017, Foto: Sascha Bauer

Was heißt das im städtebaulichen Maßstab?
Zum Beispiel war die State Library im Zentrum von Melbourne früher nur einer bestimmten Gruppe von Menschen zugänglich und eingezäunt. Heute hat sich das natürlich geändert, aber die Diskussion darüber, wie wir mit dem Erbe kolonialer Praktiken umgehen, ist immer noch aktuell. Wie öffnen wir solche Gebäude für die Öffentlichkeit? Wie gestalten wir Urbanität und Zugänglichkeit? Es ist meistens eine Frage, wie wir aus den vergangenen Eingriffen in Städte lernen, welche Veränderungen wir als Gesellschaft wie dokumentieren möchten. Dabei ist eine denkmalpflegerische Herangehensweise und Diskussion wichtig, denn manches unterliegt auch heute gewissen Ideologien, welche sich in Zukunft als ein Irrweg herausstellen könnten. Es geht in unserer Arbeit also in diesem Sinne auch im städtebaulichen Maßstab um das Weiterdenken und Weiterbauen mit einem bewussten Blick in den Rückspiegel.

Wie beeinflusst Sie das in Ihrer Arbeit als Architekt?
In sehr vielem: Es geht darum, das zu beurteilen, was da ist und was in der Vergangenheit passiert ist – und dann daraus die Geschichte weiterzuerzählen. Aber nicht, indem man als allwissender Architekt mit der Masterskizze kommt und alle Ausführenden an seine ursprüngliche Idee knebelt, sondern indem man solche Ideen eher kollektiv entwickelt. Da sind die positiven und negativen Erfahrungen aus meiner Zeit als Handwerker oft eine Referenz. Es geht in Zukunft nicht mehr nur um transformative Leitbilder, sondern eher um einen evolutionären Ansatz.

Warum der Büroname Studio Cross Scale?
Vom Handwerksberuf und den kleinteiligen Reparaturen kommend, habe ich mich auch mit städtebaulichen Fragen beschäftigt und durfte als wissenschaftlicher Mitarbeiter viele Themen am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart diskutieren und schärfen. Wir arbeiten im Grunde immer maßstabsübergreifend, denn ich kann keine gute städtebauliche Beteiligung machen, wenn ich keine ansprechend gestalteten Stellwände habe. Aus einer aktiven Beteiligung kann dann ein städtebauliches Konzept oder ein architektonischer Entwurf gemeinsam erarbeitet werden. Rein physisch kann aber auch eine Sitzstufe vor einem Gebäude eine erhebliche städtebauliche Auswirkung haben.

Studio Cross Scale, W13 Sanierung einer Jugendstilwohnung, Erhalt der Malereiabdrücke im rohen Putz, Stuttgart 2020, Foto: Sascha Bauer

 

 

 

 

 

 

 

 

Studio Cross Scale, W13 Sanierung einer Jugendstilwohnung, Freilegung der historischen Beläge, Stuttgart 2020, Foto: Sascha Bauer

Sie sind seit Beginn aktives Mitglied des Vereins Stadtlücken – was macht dieser Verein?
Stadtlücken ist ein gemeinnütziger Verein, initiiert von Gestaltenden unterschiedlicher Disziplinen. Er wurde aus dem Bedürfnis heraus gegründet, das Bewusstsein für die Bedeutung des öffentlichen Raums als Grundlage für unser demokratisches Zusammenleben zu schärfen. Manchmal passiert das ganz subtil, indem wir Aufkleber mit Fragen anbringen, etwa: Wie kann dieser Ort besser genutzt werden? Wem gehört das Schloss? Oder: Ist das hier öffentlicher Raum? Unsere Projekte verstehen sich als Aktivierung statt Beteiligung. Es geht also vor allem um das Bewusstsein und um das aktive Mitgestalten des eigenen Umfelds.

Es geht aber weniger um tatsächliche Lücken in der Stadt, wie Baulücken?
Durchaus auch. Wir haben unter der Stuttgarter Paulinenbrücke einen Souvenir-Kiosk gebaut, um darauf aufmerksam zu machen, dass es dort am Österreichischen Platz gar keinen Platz gibt. Er ist heute ein Verkehrsbauwerk mit unterirdischer Haltestelle. Unter der Brücke gab es über zwei Jahre ein Experimentierfeld mit über 170 Veranstaltungen. Jeder konnte Ideen einreichen, wir haben den Platz zur Verfügung gestellt und bei der Umsetzung unterstützt. Parallel haben wir nebenan in der Kirche St. Maria ein Beteiligungsformat initiiert, unter dem Motto: Wir haben eine Kirche – haben Sie eine Idee? Gemeinsam mit Vielen haben wir ausgetestet, was der Kirchenraum noch sein kann. Im weitesten Sinne beschäftigt sich der Verein mit öffentlich zugänglichen und einsehbaren Räumen.

Studio Cross Scale, B14 Prisma – Zwischennutzung der ehemaligen Schwabenbräu-Passage, 2023, Foto: Valentin Leuschel

Und was gab es für Ideen?
Unter anderem, in diesem riesigen Kirchenraum die dritte Dimension zu aktivieren. Unter anfänglicher Skepsis haben wir ein großes Trampolin organisiert. Hüpfen und Spaß haben in einer Kirche konnten wir dann mit dem Bezug auf die Maria Verheißung ermöglichen, da hier das Kind Jesu in Marias Leib vor Freude hüpft. Und dann war es mit einer kleinen Einschränkung möglich. Dies kann man auch auf das Baurecht übertragen, auf alle möglichen Regeln und Vorschriften – all das ist für mich ein Aushandlungsprozess im Rahmen eines offenen Austausches. Es lassen sich immer Argumentationen finden, mit denen man Dinge ermöglichen kann, wenn man möchte.

Unverputzte Brandschutztür als ästhetisches Kalkül, Foto: Sascha Bauer

Sie sehen sich als Architekt auch als Initiator und Impulsgeber?
Ja, zunächst geht es um die Frage: Was machen wir mit einem Gebäude, einem Ort oder einer Stadt, was ist wie möglich? Das muss gemeinsam herausgefunden werden, denn manchmal gibt es gar kein Problem, sondern wir müssen nur die Perspektive wechseln. Der nächste Schritt ist, in die Gremien zu gehen und dort eine Mehrheit oder Unterstützung zu bekommen. Manchmal muss man sehr viel Überzeugungsarbeit leisten – aber meistens klappt das ganz gut und alle engagieren sich für eine Sache.

Auf Ihrer Website sprechen Sie von „pragmatischer Schönheit“, was meinen Sie damit?
Wir haben zum Beispiel beim Umbau einer Jugendstilwohnung den historischen Fliesenboden freigelegt und aufgearbeitet – von den alten Fliesen sind aber einige beschädigt. Es geht darum, eine Wertschätzung dafür zu haben, dass Dinge auch beschädigt sein können. In einem anderen Projekt hat eine denkmalgeschützte Türzarge einseitig gefehlt. Wir haben diese nicht mit allen Details rekonstruiert, sondern in eine neuzeitliche Interpretation überführt. Wir müssen uns langsam davon verabschieden, dass Dinge immer neu aussehen müssen, nur weil etwas Geld kostet. Etwas Beschädigtes, Unfertiges oder Provisorisches kann auch schön sein und erzählt seine ganz eigene Geschichte.

In der Schwabenbräu-Passage, einem abrissgefährdeten Gebäude direkt am Bahnhof von Stuttgart Bad-Cannstatt, sind Sie als Architekt hinzugekommen, haben jedoch ganz bewusst nur das Allernötigste getan.
Die „pragmatische Schönheit“ in der Schwabenbräu-Passage ist vielleicht eher der Türschaum, der noch aus der Brandschutztür herausquillt. Dadurch kann man einerseits sehen, wie sie entstanden ist, andererseits ist dies auch ein etwas provokanter, politischer Ansatz. Wir wollten der Stadtverwaltung damit zeigen, dass die prognostizierten 2,5 Millionen Sanierungskosten für eine Zwischennutzung der 4500 Quadratmeter nicht notwendig sind, um kostengünstige Räume der alternativen Kunstszene zur Verfügung zu stellen. Wir haben zwei Brandschutztüren, drei rauchdichte Türen und ein paar Lüftungsklappen eingebaut für knapp 20.000 Euro und das gesamte Gebäude baurechtlich formalisiert. Die Oberflächen wurden von den Nutzenden nach eigenem Gusto und Geldbeutel angepasst.

Wenn es aber bei der Frage um den Erhalt auch um politische Akzeptanz geht: Lässt sich das durchhalten, alles einfach so zu lassen, wie es ist?
Während meines Studiums habe ich mit zwei Kollegen eine Studie über Kreativquartiere und den Übergang vom Informellen zum Institutionellen bearbeitet. Der Weg ist oft ähnlich und unvermeidbar: Entweder es bleibt informell und wird irgendwann aufgegeben, die Leute werden verdrängt, es wird abgerissen. Oder man versucht es zu institutionalisieren und es wird immer formeller. Bei der Schwabenbräu-Passage versuchen wir, diesen Zyklus zu unterwandern und das Abrissdatum weiter zu verzögern. Eine echte Alternative zur kulturellen Stadtentwicklung sozusagen.

Stadtlücken e.V.,Experimentierfeld Österreichischer Platz, Stuttgart 2017-2019, Foto: Stadtlücken e.V.

Wie kommen all diese Ansätze in Ihrer Arbeitsweise zusammen?
Wir verstehen uns als Planungsmanufaktur. Das bedeutet im Groben eine Art Lernprozess, der sich mit jedem Objekt, jedem Ort und jeder Begegnung erweitert. In unserer komplexen Gesellschaft ist Fachpersonal unabdingbar, es braucht jedoch auch Planende und Wirkende, welche ressortübergreifend, inter- und transdisziplinär über mehrere Maßstäbe hinweg die Motivation und Begeisterung mitbringen, Prozesse des Aushandelns und Weiterdenkens zu führen. Das ist ohne einen gewissen Grad an Dilettantismus nicht umfänglich leistbar, daher können Architektur und Stadt heute nur noch kooperativ und gemeinschaftlich in die Zukunft geführt werden.

https://studiocrossscale.com/

Neu im Club im DAZ
Talk mit Sascha Bauer und Lars Otte (LOA)
23. Oktober 2024, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Lunos sowie den BDA-Partnern.

 

 

 

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