Neu im Club: Kim Nalleweg Architekten, Berlin

Bauen an der Realität

Es ist beeindruckend, vor dem zehngeschossigen Bau der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Berliner Ostbahnhof zu stehen und sich vor Augen zu führen, dass es sich hier um das Erstlingswerk eines jungen Architekturbüros handelt. Dass Kim Nalleweg Architekten gemeinsam mit Trujillo Moya Architekten in zentraler Großstadtlage einen repräsentativen Bürobau für die Linksparteinahe Stiftung bauen konnten, ist einem offenen Wettbewerb zu verdanken, den die Büros 2015 für sich entscheiden konnten.
Erstaunlich ist auch, dass das junge Büro hier als Generalplaner eingesetzt wurde. „Wir mussten uns dann verstärken, ein richtiges Team aufbauen und standen plötzlich in der Verantwortung ganz oben“, erzählt Max Nalleweg über diese turbulente Anfangszeit, während wir mit ihm und Kyung-Ae Kim in ihrem Berliner Büro sitzen. „Wir waren eigentlich das schwächste Glied am Kopf“, ergänzt Nalleweg lachend. Doch durch ihrer beider Zeit als Angestellte in der Wettbewerbsabteilung bei Max Dudler konnten sie teilweise auf bestehende Kontakte zurückgreifen und gute Projektpartner finden. „Wir haben ihnen ganz offen gesagt: Wir haben noch nie so ein Projekt geplant, aber von allen Seiten kam: Wir machen das, wir treten mit euch an“, erinnert sich Kyung-Ae Kim. „Es gab somit einerseits erfahrenere Architekten, andererseits uns als frisches Team. Das war eine wirklich gute Zusammenarbeit.“

Kyung-Ae Kim und Max Nalleweg, Foto: Elina Potratz

Auf den ersten großen Auftrag folgten schnell weitere Wettbewerbserfolge, etwa beim Fassadenwettbewerb für die DIN-Hauptzentrale in Berlin und für das Lübecker Gründungsviertel. Das Büro wuchs rasant, mittlerweile hat es seinen Sitz im Dachatelier eines 1920er-Jahre-Bürobaus in Charlottenburg. Ein großes Büro zu haben, sei dabei von Anfang an ein Wunsch gewesen, sagt Kyung-Ae Kim: „Wir haben Mitarbeitende eingestellt, um weiter Wettbewerbe zu machen, sodass wir auch ein Folgeprojekt in ähnlicher Größe bekommen konnten.“

Trotz dieser Zielstrebigkeit wirken die beiden nicht wie knallharte Karrieristen. Entspannt und fröhlich empfangen sie uns und zeigen etwas verstohlen ihre eigenen Arbeitsplätze am Ende des Büros, die im Gegensatz zur hellen Aufgeräumtheit des Raums eher bunt und chaotisch erscheinen. Auf einem großen Tisch daneben sind zudem zahlreiche Bastelutensilien, Styrodur-Objekte und ein Spiellabor ihrer beiden Töchter versammelt, die hier öfter Zeit nach der Schule verbringen.

„Unsere Kinder machen sich manchmal ein bisschen lustig über uns“, erzählt Max Nalleweg, „wir fragen sie regelmäßig, wie sie unsere Projekte finden. Sie sind dann oft ziemlich hart und direkt und finden manches langweilig. Spannend finden sie es eher, wenn es nicht ganz so quadratisch, rechtwinklig und rational ist, sondern ein bisschen freier“. Ob sie das ernst nähmen? „Teilweise schon, denn es ist ein unbefangener Blick, der manchmal auch dem entspricht, wie andere Menschen außerhalb der Architekturwelt Gebäude wahrnehmen“, meint Nalleweg.

ARGE Kim Nalleweg Architekten + Trujillo, Neubau Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2015 – 2020, Foto: Philipp Obkircher

Sich aus dem Betriebssystem Architektur herauszubewegen, empfinden die beiden dabei oft durchaus als Kontrast zu ihrer Ausbildung. Nach ihrem Studium an der Hamburger Kunsthochschule in den 2000er-Jahren, die zu dieser Zeit stark vom Berliner Rationalismus geprägt war, und nach einem Wechsel an die Berliner Universität der Künste, verbrachten die beiden ein Praktikumsjahr in der Schweiz. Er arbeitete dort bei Christ & Gantenbein, sie bei Miller & Maranta. „Gerade in der Schweiz ist es oft sehr referenziell, man bezieht sich auf irgendwelche älteren Projekte, die man entdeckt hat und entwickelt diese weiter. Das ist Architekturkultur. Andererseits muss man auch fragen, wer das überhaupt lesen kann“, meint Max Nalleweg.

Innerhalb des eigenen Büros unterscheiden sich die Ansätze der beiden durchaus: „Ich bin eher für die Ordnung und Klarheit zuständig“, sagt Kyung-Ae Kim. „Ich dagegen“, meint Max Nalleweg, „finde eher Sachen gut, bei denen es eine Störung oder einen Widerspruch gibt – oder irgendetwas, das es auflädt.“ Das zeige sich auch im Entwurfsprozess: „Max hat manchmal bis zu zehn Varianten, ich immer nur eine oder zwei“, so Kim.

Kim Nalleweg Architekten, 1. Preis, Baufeld 108 – Zirkulares Wohnhaus, Hafencity, Hamburg 2021, Abb.: Kim Nalleweg

Wettbewerbe sind nach wie vor die bedeutendste Akquiseform für Kim Nalleweg Architekten, das „Olympische“ daran treibe sie an. Zu vielen werden die beiden eingeladen, während die von ihnen bevorzugten offenen Wettbewerbe immer seltener geworden sind. Einer der jüngeren Wettbewerbsgewinne hat die beiden nun in ihre gemeinsame Heimatstadt Hamburg zurückgebracht: Hier soll in der Hafencity ein Wohnhauskomplex entstehen, der im besten Fall verschiedene Nachhaltigkeitsansätze wie Zirkularität, Re-Use und innovativen Leichtbau in sich vereinen soll. Das Konzept ist noch nicht finalisiert und kann vermutlich nicht alles unterbringen, zur Diskussion stehe jedoch eine Art Fachwerksystem, das unterschiedliche Re-Use-Fassadenmaterialien rahmt und ästhetisch verbindet.

Kim und Nalleweg haben innerhalb weniger Jahre sowohl bei sich selbst, als auch auf Auftraggeberseite einen deutlich veränderten Bezug zu ökologischen Themen wahrgenommen: „Erst war es stark von der Haustechnik, heute viel stärker vom Material getrieben“, so Kyung-Ae Kim. Auch den beträchtlichen Betoneinsatz bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bewerten die beiden heute etwas anders: „Damals haben wir über die Betonmengen noch nicht in diesem Maße nachgedacht, heute würden wir den Entwurf vielleicht ein wenig anders angehen“, räumt Max Nalleweg ein, vor allem mit Blick auf die zentrale Idee, eine stützenfreie Halle im Erdgeschoss des Hochhauses unterzubringen. „Gleichzeitig ist das Gebäude mit seiner Stahlbetonstruktur hoffentlich von Dauer, da es im Inneren flexibel und veränderbar ist“, meint Kim. Auch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten sie anfangs Re-Use-Ziegelelemente für die Fassade vorgeschlagen, damals eher aus ästhetischen Gründen, erzählt Nalleweg – „dafür wurden wir damals noch ausgelacht“.

Gerade öffentliche Funktionen reizen Kim Nalleweg Architekten am meisten. „Gebäude, die von möglichst vielen genutzt werden, sind am interessantesten“, so Kyung-Ae Kim. Doch hier sehen sich die beiden mitunter am stärksten mit der Realität, vor allem mit Zeit- und Kostendruck konfrontiert. „Aber gerade bei den großen öffentlichen Projekten ist es wichtig, die Themen zu platzieren, auch wenn die Umsetzung vielleicht nicht in der Schärfe gelingt wie bei manchem privaten Bauherren“.

Die Erfordernisse an die Architektur in der Klimakrise und das Bauen an der Realität führt bei den beiden auch zu einem neuen Blick auf alte Vorbilder, so Max Nalleweg: „Louis Kahn war für uns immer sehr wichtig, durch seine geheimnisvolle Kraft und ästhetische Eigenständigkeit. Ebenso Mies van der Rohe – also zwei Architekten, die wahnsinnig an ihrer formalen Sprache gearbeitet haben. Wir merken jedoch, dass wir diese Handschrift und Kontinuität gar nicht erreichen, und vielleicht wollen wir das auch gar nicht mehr. Es ist ein Loslösen von diesem Ideal der Perfektion.“ Gerade die Schönheit der Oberfläche und edle Materialien seien für sie immer weiter zurückgetreten: „Es geht um mehr als das, es geht um die zukünftige Benutzbarkeit, die Annahme durch die Menschen, ihre Teilhabe. Das perfekte ästhetische Objekt interessiert uns mittlerweile weniger.“

Kim Nalleweg Architekten, 1. Preis, IZW – Erweiterungsbau III Institut für Zoo- und Wildtierforschung, Berlin 2021, Foto: Kim Nalleweg

Derzeit arbeitet das Büro außerdem an einem Erweiterungsbau für das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin – selbstverständlich auch dies ein Wettbewerbsgewinn. Der dreigeschossige Holzbau soll mit möglichst wenig Gebäudetechnik auskommen, hier war der Auslober bereits mit Nachhaltigkeitszielen in den Prozess eingetreten. Die Holzfassade wechselt sich im Entwurf mit geschosshohen Fensterflächen ab, ein umlaufender Laubengang schafft Verschattung und eine Verbindung zum umgebenden Garten. Für die Zukunft würden Kim Nalleweg Architekten auch gerne stärker im Bereich Umbau tätig werden. Im Moment jedoch bewegen sich die meisten Wettbewerbe noch im Neubau. Doch vielleicht hält auch dies weit schneller Einzug im behäbigen Architekturapparat als es uns heute vorstellbar erscheint.
Elina Potratz

www.kimnalleweg.com

Neu im Club im DAZ
Talk mit Kyung-Ae Kim, Max Nalleweg und Medine Altiok
20. September 2023, 19.00 Uhr

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Erfurt, LUNOS sowie den BDA-Partnern.

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