Sollen die Projekte sprechen
Ein kleines, unscheinbares Klingelschild unter mehreren markiert den Eingang zu den Leipziger Büroräumen von ZILA. Dort arbeiten Alexej Kolyschkow (BDA), Clemens Zirkelbach und Dirk Lämmel mit aktuell fünf Mitarbeitenden in einer Bürogemeinschaft mit der Künstlerin Bea Meyer und dem Künstler Michael Grzesiak. Peter Ille, der vierte Architekt im Gründungsteam von ZILA, lebt und arbeitet in Berlin. Ein aufgeweiteter Flur mit Besprechungs- beziehungsweise Mittagstisch verbindet als Treffpunkt die unprätentiösen Arbeitsräume der Architekten mit den Ateliers. „Diese Räume spiegeln auch unser Selbstverständnis“, erklärt Dirk Lämmel. „Uns geht es weniger um Repräsentation und wir empfangen hier nur selten Leute. Es ist unser Safe Space.“ Die Architekten legen Wert darauf, nicht als Personen im Fokus zu stehen, sondern wollen in erster Linie mit ihren Entwürfen und Projekten nach außen treten.
Der Entschluss, ein eigenes Büro zu gründen, entstand 2011 im Leipziger Café Grundmann bei einem Gespräch zwischen Clemens Zirkelbach, Dirk Lämmel und Peter Ille, die sich aus ihrer gemeinsamen Studienzeit in Dresden kannten. Mit einem Sprung ins kalte Wasser begannen sie die selbstständige Tätigkeit. Alexej Kolyschkow, der zuvor in Weimar studiert hatte, war dem Team durch die gemeinsame Arbeit in Leipzig bekannt und stieß relativ bald zum neugegründeten Büro hinzu. Von Beginn an waren mit großem Engagement und Aufwand betriebene Wettbewerbe maßgebend für die Architekten. Denn passend zum Selbstverständnis des Büros bewerten die Jurys dabei nicht die „Biografien der Entwerfenden“, sondern „es zählt nur die Arbeit, die in dem konkreten Fall eingereicht wurde“, so Dirk Lämmel und betont den Vorteil, dass man bei einer Weiterbeauftragung nach einem Preisgewinn nicht als „Bittsteller“ in ein Projekt geht, sondern auf Augenhöhe: „Weil alle Beteiligten schon gemeinsam über den Ersten Preis entschieden haben.“

ZILA | F29 Architekten, Mediathek Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Foto: Werner Huthmacher
Da zur Bürogründung noch keine Aufträge vorhanden oder in Sicht waren, haben sich alle Vier von Beginn an auf ihre Leidenschaft konzentriert: Entwerfen für Wettbewerbe. Die Möglichkeit, ein Projekt in der Gruppe variantenreich auszuloten und gemeinsam die Vor- und Nachteile – wie in einer vorgezogenen Jurysitzung – mit inhaltlicher Tiefe reflektieren zu können, betrachten die Architekten als entscheidend für ihre frühen Erfolge. Diese entwerferische „Luxussituation“, wie sie sie heute rückblickend nennen, lässt sich im aktuellen Arbeitsalltag schwerer realisieren, bleibt aber Kern ihrer Arbeitsweise.

ZILA | F29 Architekten, Mediathek Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Foto: Werner Huthmacher
Ein erster Wettbewerbserfolg war der Erste Preis für den Entwurf zur Mediathek der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. In Zusammenarbeit mit F29 Architekten (Dresden) konnte das noch junge Büro ZILA an dem Wettbewerb teilnehmen und überzeugte mit dem Entwurf eines klar gegliederten Baukörpers, der rahmend für den bestehenden Platz wirkt und sich dabei den Gebäudehöhen der umgebenden denkmalgeschützten Villen unterordnet. Seine innere Struktur folgt dem aus Regaltiefe und Wegbreite gebildeten anderthalb-Meter-Raster für Freihandbereiche in öffentlichen Bibliotheken und umfasst große, unterhalb des Platzes liegende Räume, die eine niedrigere Bauhöhe ermöglichten. Durch wechselnde Geschosshöhen, Sichtachsen und Bezüge zum Außenraum erhalten die im Grundriss schematisch entwickelten Räume jeweils eigene, zu ihren Funktionen passende Ausstrahlungen. Die Holzfassade setzt sich von Putz und Ornamentik der umgebenden Villen ab, bildet aber durch ihre mit Handwerkern vor Ort entwickelte, feine Gliederung Plastizität aus.
Weitere Wettbewerbsgewinne wie 2012 zur Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule in Köln oder 2013 zum Strafjustizzentrum in Nürnberg brachten dem relativ kleinen Büro durchaus große Aufträge ein, die durch die Zusammenarbeit mit ortsansässigen Architekturbüros in den hinteren Leistungsphasen gestemmt werden konnten. Die Arbeit für die öffentliche Hand, die sich durch die Wettbewerbe oftmals ergibt, sehen die Architekten durchaus positiv, auch wenn sie langwierige Bauprozesse bedeuten kann. Entscheidend ist für sie, dass der damit verbundene Aufwand und persönliche Einsatz nicht allein der Renditesteigerung eines privat Investierenden dient, sondern „es am Ende dem Gemeinwohl zugutekommt“, wie es Clemens Zirkelbach formuliert.
Zur Entwurfsarbeit von ZILA gehört auch, mit den unterschiedlichen Wettbewerbsaufgaben einen reflektierenden Blick auf gesellschaftliche Hintergründe zu werfen, wie zu Fragen des Bildungssystems, beim Schulentwurf, oder zum Justizsystem beim Gerichtsbau. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen erhielt beim jüngsten Wettbewerbsgewinn 2024 zum Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig eine besondere Bedeutung. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Bea Meyer und dem Künstler Michael Grzesiak wurde ein Entwurf entwickelt, dessen weiße, skulptural abstrahierte „Banner, Fahnen und Transparente“ als ein dezentrales Denkmal in die geplante Parkanlage am Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig integriert werden sollen. „Immer mittwochs um Zehn“, wie sich Dirk Lämmel erinnert, traf sich die Entwurfsgruppe über mehrere Wochen zunächst nur zum Gespräch – darüber, wie die Wendezeit persönlich erlebt wurde. „Das war für uns eine neue Arbeitsweise – aus der Diskussion ein Gefühl zu erarbeiten, das wir zum Ausdruck bringen wollen.“ Die Auseinandersetzung mit den persönlichen Wahrnehmungen der Ereignisse und den verbundenen Emotionen beschäftigt das Team auch weiterhin, da das Projekt in der Öffentlichkeit auch Gegenwind erfährt. Im Gegensatz zu den Personen, die „schwermütig und pessimistisch“ auf die Wendezeit blicken, haben sie für sich ein „lichtes, helles, leichtes und optimistisches Gefühl eines besonderen Aufbruchimpulses identifiziert“. Die entworfenen weißen Skulpturen sollen dabei nicht nur an Vergangenes erinnern, sondern als offenes Zeichen auch für die Aneignung in Gegenwart und Zukunft dienen.
Der Umgang mit der Medienaufmerksamkeit und den öffentlichen Reaktionen nach dem Wettbewerbserfolg war durchaus eine neue Aufgabe für das Architekturbüro; insbesondere, wenn zum Teil unerwartete Sichtweisen auf die weißen Banner auftauchen. „Wir merken, wie schwer es manchen fällt, auszuhalten, dass das Denkmal weiß ist und wir nicht vorgeben, was darauf stehen soll“, erzählt Dirk Lämmel. „Der Leipziger Bürgermeister äußerte bei der ersten Pressekonferenz die Idee, man könne die Skulpturen auch jedes Jahr gemeinsam putzen. In der Süddeutschen Zeitung war daraufhin die Überschrift ‚Zwischen Aristoteles und Fairy Ultra‘ zu lesen.“ Auch wenn die Berichterstattungen und Diskussionen nicht immer mit den Meinungen der Entwerfenden übereinstimmen, liegt genau darin eine Freiheit, für die das Denkmal auch stehen soll.
Tatsächlich bekamen die Architekten kürzlich durch eine Initiative zum Erhalt eines Gebäudes in Leipzig die Möglichkeit, sich als Planer effektiv in einen öffentlichen Diskurs und politische Entscheidungsfindung einzubringen. Das Gebäude, in dem das Technische Rathaus früher zur Miete untergebracht war, wurde an einen Investor verkauft, der den Umbau in Wohnungen plante. Das Projekt scheiterte, sodass der inzwischen auf den Rohbau reduzierte Baukörper mehrere Jahre leer stand. Schließlich erwarb die Stadt Leipzig das Grundstück mit der Absicht, den Rohbau abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen – wieder als Bürogebäude für das Technische Rathaus.
Während es von vielen Planerinnen und Planern die Gedanken gab, man müsse eigentlich etwas gegen den Abriss unternehmen, entschlossen sich Alexej Kolyschkow und Michael Schoener (Schoener und Panzer, Leipzig), gemeinsam mit dem BDA-Sachsen einen offenen Brief zu verfassen. Die Initiative nahm durch Unterstützung vieler Kolleginnen und Kollegen schnell Fahrt auf, wurde zu einer größeren aktiven Gruppe und entwickelte eine eigene Dynamik. „Als Resultat haben sich die Verantwortlichen der Stadt Leipzig mit dem BDA, der Ingenieurkammer und der Architektenkammer getroffen“, berichtet Alexej Kolyschkow, „und wir haben im direkten Gespräch die Argumente ausgetauscht.“ Dabei erkannte die Stadt, dass ihre anfänglichen Vorbehalte – die bestehende Struktur sei für einen modernen Verwaltungsbau nicht geeignet und ein Umbau statisch zu riskant – nicht zutreffen. Die Entscheidung zum Abriss wurde noch einmal in Frage gestellt. Den Wert des Bestands und seines potenziellen Umbaus deutlich zu machen, ist ein wichtiges Ziel der Initiative. Die Stadt habe, so Dirk Lämmel, „eine riesige Chance, im großen, repräsentativen Maßstab durchzuspielen, was aktuell für unsere Bauwirtschaft anliegt.“ Für das weitere Vorgehen wird nun eine vertiefende Machbarkeitsstudie empfohlen. Auf Grundlage ihrer Erkenntnisse zu den bestehenden Potenzialen könnte dann ein Architekturwettbewerb zur Umnutzung des Gebäudes stattfinden. Die Entscheidung des Stadtrats, die eigentlich Mitte Januar getroffen werden sollte, wurde jedoch vertagt.

ZILA | Knoche Architektur, Umbau und Erweiterung Justizzentrum Schweinfurt, Foto: The Pk. Odessa Co / Sebastian Schels
Für die Architekten von ZILA, die aufgrund der bisherigen Wettbewerbsgewinne vor allem im Neubau gearbeitet haben – wenn auch öfters im Kontext zu oder als Erweiterung von Bestandsbauten –, ist das Bauen im Bestand durchaus reizvoll. Wobei eine Sanierung als rein optische Wiederherstellung des vorherigen Zustands weniger interessant für sie sei, wie Clemens Zirkelbach betont. „Transformieren ist, wo wir mehr drin sehen. Wir würden nie daran vorbeikommen, uns eine Struktur auch ein bisschen aneignen zu wollen.“ Christian Juhlke
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