Neu im Club: Niklas Fanelsa, Gerswalde / Berlin

Resonanz

Gerswalde ist ein Straßen- und Angerdorf in der Uckermark, idyllisch zwischen Prenzlau und Templin und unweit des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin gelegen. Mit der Wasserburg aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts ist der Ort Zeuge der askanischen Eroberungszüge und der Nordosterweiterung der Mark Brandenburg. Architektonisch prägend war später die Familie von Arnim, die 1463 die Herrschaft übernahm und im Laufe der Zeit eine weitläufige Gutsanlage mitsamt einem Schloss errichtete.

Niklas Fanelsa, Foto: Atelier Fanelsa

Wir stehen vor dem ehemaligen Marstall. Es ist ein sonniger Tag Mitte März und Niklas Fanelsa führt uns durch das Dorf. Der Umbau dieses Gebäudes ist eines seiner nächsten Projekte. Ehemals beherbergte es Pferde und in der jüngeren Geschichte, nachdem die Anthroposophische Gesellschaft 1929 das Schloss übernommen und dort ein Heil- und Erziehungsinstitut eingerichtet hatte, unter anderem einen Eurythmiesaal. Jetzt sollen dort acht Wohneinheiten entstehen. Der Auftrag erfolgte durch eine Potsdamer Stiftung, die sich, ermutigt vom gegenwärtigen Aufschwung in Gerswalde und der steigenden Nachfrage nach Wohnraum, entschlossen hat, hier wieder zu investieren.

Die zur Sommerwerkstatt des Büros umfunktionierte Scheune. Atelier Fanelsa, Kura, Gerswalde (Brandenburg) 2022, Foto: Zara Pfeifer

Dieser Aufschwung Gerswaldes begann vor rund zehn Jahren. Als zwei Japanerinnen im ehemaligen Gasthof am Markt das Café zum Löwen eröffneten und authentisches Curry servierten, wurde die japanische Community Berlins auf das brandenburgische Dorf aufmerksam. So auch Freunde von Niklas Fanelsa, die er in Tokyo kennengelernt hatte. Über sie fand er den Weg in diesen Ort, der ihn neugierig machte: Der ländliche Raum und rurale Baupraktiken übten schon lange eine Faszination auf ihn aus. Während seiner Studienzeit, die er an der RWTH Aachen University und am Tokyo Institute of Technology (seit 2024 Institute of Science) absolvierte, verbrachte er mehrere Wochen auf dem japanischen Land in der Präfektur Niigata und beaufsichtigte unter anderem zusammen mit Kommilitonen und lokalen Handwerkern den Bau eines Pavillons. Nach dem Abschluss zog er für ein kleines Bauprojekt mit vormaligen Mitstudierenden nach Walsdorf in der westdeutschen Provinz. Als er nach Stationen bei De Vylder Vinck Taillieu in Gent und TBBK Architekten in Berlin 2016 sein eigenes Büro gegründet hatte, offenbarte sich ihm Gerswalde als idealer Ort, um neue Arbeitsweisen auszuprobieren.

Niklas Fanelsa entdeckte eine kleine einsturzgefährdete Scheune in der Dorfmitte, die er denkmalgerecht, aber mit wenigen Mitteln instand setzte: Eine innenliegende Stahlkonstruktion ermöglichte den Erhalt der ursprünglichen Fachwerkfassaden, wobei das Erdgeschoss teilweise nach Süden hin verglast wurde. Die fehlende Rückwand zum Nachbargrundstück ersetzten brandschutzgeeignete Spanzementplatten. Mit dem Einsatz wiederverwendbarer Gebäudeelemente und ökologischer Baumaterialien, die in enger Zusammenarbeit mit lokalen Fachleuten entwickelt und verbaut wurden, zeigt dieses Projekt anschaulich die Schwerpunkte des Architekten: biobasierte Baustoffe sowie regionale und zirkuläre Wertschöpfungsketten.

Atelier Fanelsa, Kura, Gerswalde (Brandenburg) 2022, Foto: Zara Pfeifer

Nachdem er die Scheune als Sommerwerkstatt seines neu gegründeten Büros etabliert hatte, kam jüngst noch ein Wintersitz hinzu, den er direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einem kleinen Eckgeschäft einrichtete. Das große Schild neben dem Eingang weist es immer noch als „Gemüseeck“ aus. Das Architekturbüro rahmt gleichsam die zentrale Zufahrtsstraße von Osten, die L24. Und hat sich zudem des benachbarten „Schandflecks“ von Gerswalde angenommen, der verfallenen Schlachterei, von der nur noch die Umfassungsmauern stehen, die Lehmziegel zum Teil schon vom Regen aufgelöst. Niklas Fanelsa sicherte das Gebäude zunächst und nutzt das großzügige Grundstück nun als Baustofflager. Zusammen mit seinen Studierenden der TU München, wo er seit 2022 die Professur für Architecture and Design inne hat, stellte er dort aus Lehm und Schutt neue Ziegel her. Unterstützung erfuhr das Projekt durch das Bauhaus Earth, das Know-how und Maschinen zur Verfügung stellte.

Auf diese Weise werden in Gerswalde Prototypen entwickelt, Materialien und Herstellungsweisen erprobt, zu den unterschiedlichen Themen finden Workshops für interessierte Bauherrschaften, Studierende und Handwerker statt. Die Wissensvermittlung ist eines von Fanelsas zentralen Anliegen: „Als Architekt entwirft man einige Häuser – und mit etwas Glück erscheint dazu vielleicht eine Bildstrecke in einem Magazin, die einzelne Menschen inspiriert. In der Forschung, Lehre oder bei Workshops hingegen lässt sich eine weitaus größere Resonanz für neue Ideen erzielen.“

Im angrenzenden Flachbau, der als Werkstatt genutzt wird, lagert unterschiedlichstes Dämmmaterial – es stapeln sich die Hanf-Kalk-Platten, in großen Säcken lagert aus Altglas recyceltes Schaumglas-Granulat und Kalk-Schäben-Gemisch, daneben werden Strohballen aufbewahrt. Er wisse noch nicht, bei welchem Bau genau er das einsetzen möchte, sagt Niklas Fanelsa: „Nichts wegwerfen – man kann es irgendwann vielleicht noch gebrauchen!“ Im Garten liegen, von Planen geschützt, Haufen von Lehm und alten Feldsteinen. An diesem Tag schafft in regelmäßigen Abständen ein kleiner Traktor zusätzliches Material heran, was bei umliegenden Baustellen übrig geblieben ist. Derer gibt es einige in Gerswalde und keinen geringen Anteil betreut das Atelier Fanelsa mit seinen mittlerweile zehn festangestellten Mitarbeitenden, von denen der Großteil in der Berliner Niederlassung sitzt. Das Haus neben dem Winterbüro zum Beispiel wird demnächst für den neuen Eigentümer umgebaut. Und gleich in der nächsten Gasse, die zu der gotischen Dorfkirche Gerswaldes führt, steht ein altes Fachwerkhaus, dessen Fassade mit einem Ziegelimitat aus Kunststoff verblendet ist. Diese wird derzeit freigelegt, die alte Bausubstanz geprüft und gesichert. Zudem arbeitet er derzeit an einem Bebauungsplan, der auf einem nahegelegenen Hügel drei langgestreckte, zum Teil altersgerechte Wohnbauten vorsieht. Gerade als wir von unserem Dorfrundgang zurückkehren, basteln die beiden Praktikanten aus Dänemark und Norwegen, die für einige Monate hier leben, am Gartentisch an einem Modell dieses Projekts, das am Abend den Gemeindevertretern vorgestellt werden soll.

Umbau eines ehemaligen Bauernhofs als Kulturzentrum mit einer Bäckerei und Wohnflächen für die private Bauherrschaft. Atelier Fanelsa, POHLE, Pohle (Niedersachsen) 2018, Foto: Atelier Fanelsa

Auch wenn sich der Ort an diesem Tag unseres Besuchs sehr beschaulich gibt – es ist ein Werktag und nur vereinzelt begegnen uns Menschen –, die Baustellen sprechen eindeutig vom Wachstum. Ist der Zuzug ein Problem? 2018 titelte der Tagesspiegel „Berlins 13. Bezirk: Das Hipsterdorf in der Uckermark“, es war von Wachstumsschmerzen die Rede, von zu vielen Wochenendausflüglern, die sich hier – und ganz besonders im japanischen Café zum Löwen – vom Stadtleben erholten, während ihre Autos die Straßen zuparkten, sodass der Bus nicht mehr durch kam. Existiert also eine Berliner Blase, die sich gleich einem Raumschiff, ungeachtet der Einwohner, hier niedergelassen hat? Darauf angesprochen, antwortet Fanelsa zurückhaltend. Man müsse schon differenzieren. Es gäbe zwar durchaus die Großstädter, die sich kaum oder nur zögerlich in den vorhandenen gemeinschaftlichen Strukturen engagieren, obwohl sie dem Ort etwa als Tagestouristen oder über den Umbau ihrer Wochenendhäuser einen gewissen wirtschaftlichen Impuls geben. Bestimmend seien aber die vielen Zugezogenen, die sich ins Dorfleben einbringen, hier Unternehmen ansiedeln und dafür nicht selten den Baubestand aktivieren. Bei unserem Spaziergang kommen wir an einigen solcher Beispiele vorbei: In einem alten Hof richtete etwa – zu einer Zeit, da in der Uckermark viele Kliniken ihre Geburtsstationen schlossen – eine Hebamme ein Geburtshaus ein, in die Gebäude der alten Gutsgärtnerei nebenan zog unter anderem ein Restaurant und etwas weiter wird gerade die alte Metallwerkstatt zu einer Manufaktur für Glas- und Bronzeguss umgebaut. Niklas Fanelsa selbst wohnt und arbeitet zwar vorwiegend in Berlin, wo auch seine Familie lebt; durch seine Projekte und seinen Bürositz ist er aber vor Ort sehr involviert. Zudem engagiert er sich im Netzwerk Zukunftsorte, das Wohn- und Arbeitsprojekte miteinander vernetzt, die leerstehende Gebäude im ländlichen Raum umnutzen.

Atelier Fanelsa, Bürgerhaus Harnekop, Prötzel (Brandenburg) 2025, Foto: Simon Menges, Nino Tugushi

Es gäbe natürlich Differenzen in Gerswalde, wie überall, aber die Grenzen verlaufen für Fanelsa nicht notwendigerweise zwischen den Alteingesessenen und den Neuen: „So ein Dorf ist ja nicht homogen.“ Die Zugehörigkeiten formierten sich eher um die Mitgliedschaften herum – im Sportverein etwa, der freiwilligen Feuerwehr, oder dem Heimatverein. „Umso wichtiger ist es, Räume und Gelegenheiten zu schaffen, wo alle zusammenkommen“, ist er überzeugt. Im Ortsteil Harnekop der Gemeinde Prötzel, eine Stunde südlich von Gerswalde, realisierte Atelier Fanelsa zuletzt ein multifunktionales Bürgerhaus. Es wurde als Holzbau ausgeführt, der dem Architekten zufolge bewusst auf lokale Handwerksbetriebe und klassische Zimmermannsarbeit ausgerichtet war. Der große, teilbare Saal ist direkt mit der Küche verbunden und kann so gleichermaßen für Veranstaltungen wie für gastronomische Angebote genutzt werden. Darüber hinaus gibt es drei weitere, flexibel nutzbare Räume mit einem generationenübergreifenden Angebot sowie das alles verbindende Foyer, das selbst Platz für Ausstellungen und ähnliches bietet. Vor dem Haus ist ein kleiner Marktplatz entstanden.

Atelier Fanelsa, Bürgerhaus Harnekop, Prötzel (Brandenburg) 2025, Foto: Simon Menges, Nino Tugushi

Niklas Fanelsa stellt sich die Frage, wie eine sozioökologische Transformation gelingen kann. Besonders wichtig ist es ihm, die Menschen vor Ort einzubeziehen – auch, um die regionale Wertschöpfung zu stärken. Mit jedem Projekt verfolgt er dabei das Ziel, etwas zu entwickeln, das über das konkrete Bauvorhaben hinausweist: eine neue Erkenntnis, eine übertragbare Methode oder eine Produktionsweise für bioregionale Baustoffe. Nicht die ästhetische Form steht für ihn im Zentrum, sondern die ökologische und soziale Wirkung. Veränderungen, sagt er, entstehen nicht durch Verbote oder den erhobenen Zeigefinger, sondern durch sinnvolle Rahmenbedingungen. Dazu gehört auch, dass Wissen und Fähigkeiten im Umgang mit dem Bauen vermittelt werden. „Das Bauen wird perspektivisch nicht günstiger, sondern teurer“, so Fanelsa. „Und das wiederum heißt, dass unsere Nachbarn, Leute, die nicht über große finanzielle Kapazitäten verfügen, ermächtigt werden müssen, einfache Arbeiten selbst durchzuführen.“ Theresa Jeroch

www.atelier-fanelsa.de

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