Wie groß ist zu groß?
Schrumpfende Mitgliederzahlen, noch weniger Gottesdienstbesucher und klamme Kassen führen dazu, dass mehr und mehr Kirchengebäude geschlossen werden. Sie werden verkauft, umgenutzt oder abgerissen. Die Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann zeigt, was dabei auf dem Spiel steht: Es sind nicht nur architektonische Landmarken, sondern auch identitätsstiftende Orte des Zusammenkommens mit eminenten städtebaulichen Qualitäten. Sie zu privatisieren und einer kommerziellen Nutzung zuzuführen, beraubt die Innenstädte und Dorfkerne eines wichtigen öffentlichen Raums. Kirchen sind Gemeingüter – daran sollte auch ihre Transformation nichts ändern.
Kirchen werden gebaut, sie werden geschlossen, umgenutzt und abgerissen, das passiert seit Jahrhunderten. Neu aber ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Bestand verändert. Die beiden großen christlichen Konfessionen verlieren rasant an Mitgliedern, Personal und Finanzen. Daher gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass von den rund 45.000 Kirchenbauten in Deutschland (1) künftig ein Drittel bis die Hälfte infrage gestellt werden. Inzwischen hat sich ein Problem aufsummiert, das nicht nur kirchliche Kreise, sondern die gesamte Gesellschaft betrifft. Es geht um eine dichte Kulturlandschaft, und genau hier setzen die kirchlichen Sparmaßnahmen an: Man habe einfach zu viele und zu große Immobilien, als dass sie sich auf Dauer rechnen könnten. Da lohnt sich ein Blick auf die Stärken, die in der großzügigen Weite von Kirchen liegen – als traditionsreiche Bewegungsräume, identitätsstiftende Grenzwerte, vielschichtige Sinnorte und heilsame Störfaktoren.
Bewegungsräume

Ein Modell der 2014 abgerissenen Kirche St. Paul aus Duisburg-Marxloh (1970, Paul Günther) gehört am Emscher Kunstweg zur Installation „Neustadt“ (2021, Julius von Bismarck, Marta Dyachenko), die verlorenen Bauten der Region ein kleines Denkmal setzt. Foto: Cfbolz (CC BY-SA 4.0)
Mit einer Reiseanekdote eröffnete der Hamburger Architekt Friedhelm Grundmann 1972 seinen Fachbeitrag, der für eine bewegte Nutzung großer Kirchen warb: „Früh am Morgen kam ich in den Mailänder Dom. Der Raum war völlig frei von Gestühl, aber an den Pfeilern, nahe dem Eingang, lehnten Kolonnen von Klappstühlen.“ Neugierig geworden, kehrte er am Abend in die historische Kirche zurück. „Die Gestühlsberge waren abgebaut, aber überall im Raum zeugten die nun leeren Sitzgruppen von den verschiedensten Orten der Andacht und Teilnahme.“ (2) In einem Akt kuratierter Anarchie hatte man es den Nutzerinnen und Nutzer überlassen, ihren Stuhl genau an der Stelle aufzuklappen, wo sie ihn gerade brauchten. Grundmann zeichnete damit nicht nur das Idealbild, wie er sich die flexible Aneignung eines großen Raums vorstellte. Er verwies zugleich auf die Geschichte, auf die gotischen Dome. „In ihnen lebte die Gemeinde ‚alltäglich‘ – nicht nur im Sonntagsgottesdienst.“ Gerade Freiflächen ohne Gestühl boten hier die Möglichkeit, nach und neben liturgischen Nutzungen auch Geschäfte anzubahnen, Stadtsiegel zu verwahren und Gerichtsverhandlungen abzuhalten.
Was sich auf evangelischer Seite nach 1945 langsam entwickelte, das Ausbalancieren fester und flexibler Elemente in historischen Großräumen, nahmen viele römisch-katholische Gemeinden in einem einzigen Schritt: Die Reformvorschriften des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 – 1965) lagen in Deutschland erst mit Verzögerung in einer autorisierten Übersetzung vor. Auf dieser Grundlage stellte man den Altar nun gerne auf die Schwelle von Schiff und Chor, damit sich die Gläubigen als Gemeinschaft um ihn herum scharen konnten. Ähnlich funktionierten vielgliedrige Kirchenneubauten der Spätmoderne, die manches beweglich hielten, mit Ausnahme einer unverrückbaren liturgischen Keimzelle. Das vollständig flexible Gemeindezentrum, das keinen der liturgischen Orte fixieren mochte, blieb ein kontrovers diskutiertes Ideal. Um 1970 jedoch gehörte in jeden guten evangelischen Architekturwettbewerb zumindest einmal das Schlagwort „multifunktional“ – neben Grundrissvarianten, die den Gottesdienstraum auch als Kirchencafé oder Kino zeigten.

Bei einigen Rokoko-Bänken in der Lindauer Kirche St. Stephan lassen sich die Rückenlehnen umklappen, sodass man sich im Gottesdienst bis heute je nach Bedarf zur Kanzel oder zum Altar wendet. Foto: Tilman2007 (CC BY-SA 4.0)
Eigenschaften wie multifunktional und polyzentrisch, mehrere Nutzungen und Mittelpunkte unter einem Dach, waren in historischen Räumen oft bereits angelegt. Selbst das 19. Jahrhundert mit seinen scheinbar unverrückbar feststehenden Sakralbauten brachte Lösungen mit rollbaren Altären und versenkbaren Wänden hervor. Gräbt man in der Geschichte der Bauten tiefer, finden sich oft noch radikalere Umwälzungen. Mit Reformation und Säkularisierung wurden ehemalige Kirchenräume nicht selten untergliedert, um sie zu Lazaretten, Bibliotheken, Hörsälen, Pferdeställen oder Münzprägestätten umzunutzen. Und manche von ihnen kehrten später in eine gottesdienstliche Nutzung des Großraums zurück. Kurz, jede Kirche war (und ist) gedacht als atmender Raum für vielfältige Nutzungsformen. Doch allzu häufig wurden solche Möglichkeiten nicht auf Dauer ausgeschöpft. Mal fehlte das Personal, mal fehlte die Fantasie, sodass viele Räume auf einem Status Quo eingefroren wurden. In überlieferten Freiflächen heute nur verschenkte unwirtschaftliche Quadratmeter zu sehen, verkennt daher die Wurzeln und Möglichkeiten gewachsener Kirchenräume.
Grenzwerte
Schon die Bibel ist reich an Raumbildern des Wanderns und Rastens, die später auf den Kirchenbau übertragen wurden: vom Stiftszelt, das die Israelitinnen und Israeliten bei ihrem Zug durch die Wüste begleitet, bis zum himmlischen Jerusalem, das am Ende aller Zeiten (mal prachtvoll, mal bescheiden) aufscheint. Eine Kirche galt durch die Jahrhunderte als Vorahnung des Kommenden, als Ruhepunkt auf dem Weg durch unbehaustes Gebiet. Umso gründlicher haben viele Gemeinden nicht nur einen liturgischen Ort ausgeformt, sondern gleich noch das Umfeld mit sinnstiftenden Orten versehen. Bildstöcke und Kapellen, Pilgerrouten und Marienfiguren an Häuserecken, all das verband den Außenraum mit der Bewegung im Inneren. Eine Kirche konnte man sich folgerichtig nicht ersitzen, man musste sie sich erlaufen. Solche Netzwerke wieder sichtbar zu machen, hat sich bei Beratungsprozessen in Gottesdiensträumen als hilfreich erwiesen. Beim People Mapping etwa, wie es die Denkmal- und Kirchenpädagogik erprobt haben, kartiert man gemeinsam Laufwege und macht so gut besuchte oder freibleibende Zonen sichtbar. (3) Auf dieser Grundlage können dann in einem zweiten Schritt neue gestalterische und funktionale Akzente erarbeitet werden.

Im Rahmen der Spring School „Kirche und Kulturerbe“ markierten Studierende der Architektur, Kunstgeschichte und Theologie 2023 alternative Laufwege im Hamburger Gemeindezentrum Mümmelmannsberg (1976, Grundmann – Rehder – Zeuner). Foto: Sonja Hnilica
Sowohl die Karte als auch den Akt des Kartierens beschreibt der Urbanist Jan Fries als Grenzobjekt, und beruft sich dabei auf ein soziologisches Modell von Susan Leigh Star und James R. Griesemer. (4) Gerade bei Projekten im virtuellen Raum – von der Roten Liste des Deutschen Verbands für Kunstgeschichte bis zum Abriss-Atlas – eignen sich Akteurinnen und Akteure gemeinsam ihr Umfeld an, machen Missstände sichtbar und ermutigen zu Veränderungen. Um dabei unterschiedliche Haltungen und Herkünfte der Aktivisten überbrücken zu können, braucht es Objekte, die ein verbindendes Ziel stiften, eben Grenzobjekte wie Kirchenbauten. Daher koordiniert die Verfasserin dieses Beitrags seit acht Jahren eine partizipative Open-Access-Karte: Im gemeinnützigen Online-Magazin moderneREGIONAL macht die Datenbank „invisibilis“ verlorene Kirchen mit aktuell 2.331 Einträgen sichtbar. (5) Bereits 1.997 geschlossene, abgerissene, bedrohte oder neu genutzte Kirchen, die in Deutschland seit 1850 entstanden, werden ergänzt um weitere sehenswerte Klein- und Serienkirchen. Damit bildet invisibilis die größte publizierte Datensammlung zum Thema.
Alle auf invisibilis verzeichneten Kirchen, die Veränderungen unterworfen sind, teilen sich in zwei Gruppen: Eine Hälfte (45 Prozent) befindet sich als bedroht oder geschlossen im Wartestand. In der zweiten Hälfte (47 Prozent) haben die Räume die Grenze bereits überschritten, wurden in eine gemischte beziehungsweise profane Nutzung überführt oder abgerissen. Nur ein kleiner Anteil (acht Prozent) ging an andere religiöse Gruppen. Bei diesen Zahlen spielt die ursprüngliche Konfession keine Rolle, aber das Entstehungsjahr: Auf drei Bauphasen (1850 – 1918, 1919 – 1945, 1976 – 2024) kommt je nur ein Zehntel (neun bis 15 Prozent) der Kirchen im Wandel. Die verbleibenden zwei Drittel (67 Prozent) entfallen auf die Boomjahre (1946 – 1975). Doch die These, dass Nachkriegskirchen (verglichen mit anderen Phasen) prozentual häufiger dem Bagger zum Opfer fallen, wird von der Statistik widerlegt. Eine historistische Kirche etwa hat in ihrer Phase die gleiche Abrisswahrscheinlichkeit wie ein Nachkriegsbau, rund ein Viertel (26 bzw. 25 Prozent). Zahlenmäßig sind zwar vorwiegend Räume der boomenden Nachkriegsjahre betroffen, aber steht ein Bau erst einmal auf der Streichliste, dann entscheiden andere Kriterien von Lage bis Sanierungsstau. Wie sehr sich Menschen für das Besondere von Kirchen erwärmen, ist unabhängig von Material und Stil.
Sinnorte
Wenn es darum geht, das Besondere von Kirchenräumen genauer zu beschreiben, ringt die akademische Theologie um Worte. Zur Jahrtausendwende waren oft große Begriffe wie Aura, Heiligkeit oder Erhabenheit im Spiel. Doch seit diese Bauten an gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit verlieren, konzentrieren sich kirchliche Stellen immer häufiger auf eine schlichte Kosten-Nutzen-Abwägung. Wo Veränderungen anstehen, werden sie gerne positiv kommuniziert – aus Umnutzung wird Nachnutzung oder Transformation. Für die Nuancen dazwischen hat sich innertheologisch das wolkige „hybrid“ eingebürgert: Thomas Erne fasst damit eine von Ästhetik bis Spiritualität changierende Raumerfahrung. Im DFG-Projekt Transara hingegen beschreiben Alexander Deeg und Kerstin Menzel als „hybrid“ das Wechselspiel von kirchlichen und nicht-kirchlichen Akteurinnen und Akteuren: Beide ‚Parteien‘ nutzen denselben Raum parallel (simultan) oder mit einer Trennwand (separiert); die neuen Nutzerinnen und Nutzer beschränken sich auf Anbauten (angelagert) oder bespielen alleine (abgelöst) den gesamten Bau, dessen liturgische Vergangenheit ablesbar bleibt. (6)

Seit 2011 werden in der profanierten Kirche St. Ursula in Hürth-Kalscheuren (1956, Dominikus und Gottfried Böhm) wechselnde Kunstausstellungen gezeigt – die liturgischen Ausstattungsstücke der Bauzeit hat man zuvor entfernt. Foto: Felix Hemmers, Baukultur NRW
Wird ein Gottesdienstraum vollständig aus seiner liturgischen Nutzung entlassen, spricht die evangelische Seite von Entwidmung, die römisch-katholische von Profanierung. Nach diesem Abschied fühlen sich die kirchlichen Stellen oft nicht mehr für den Bau verantwortlich – nicht umsonst endet die neue Handreichung des Erzbistums Köln zum Thema genau an diesem Punkt. (7) Die Erfahrung der Gemeinden ist eine andere, wenn sie nach einem vorgegebenen Zeitplan und Bemessungsschlüssel zügig aussortieren müssen. Zum einen fürchten sie vorschnelle und damit falsche Entscheidungen, zum anderen werden sie vor Ort noch sehr lange mit ihrem ehemaligen Bauwerk und dessen Schicksal verknüpft. Vor diesem Hintergrund bildete sich im Frühjahr 2024 die „initiative kirchenmanifest.de“. (8) Zehn baukulturelle Akteurinnen und Akteure, darunter die Verfasserin dieses Beitrags, veröffentlichten im Mai 2024 eine Petition mit der Überschrift „Kirchen sind Gemeingüter!“. So wie zu ihrer Gestaltung und Erhaltung oft jahrhundertelang Stadt- und Ortsgemeinschaften beigetragen haben, so müssen diese jetzt auf Augenhöhe einbezogen werden. Entsprechend unterstreicht das Kirchenmanifest: Wer „diese Bauten heute allein privatwirtschaftlich als Immobilien betrachtet, beraubt die Communitas.“
Das Manifest macht klar, dass es nicht den einen, alles bestimmenden Punkt gibt, mit dem der Wert einer Kirche steht und fällt: Vielmehr sind diese Bauten „mehrfach codierte Orte“. Sie bilden Merkzeichen in der Stadt- und Dorfsilhouette, hüten als Kunsträume eine reiche Ausstattung, bergen als geschichtsträchtige Orte das Wissen über nachhaltiges Bauen und bieten kühle Zonen in einer aufgeheizten Stadt. Heute benennt auch die Öffentliche Theologie vermehrt den Wert von Kirchenräumen als öffentliche Orte, mit einem geistlichen Plus. Ähnliches arbeitet die Theorie der Vierten Orte heraus. Der Soziologe Ray Oldenbourg betonte in den 1980er-Jahren, dass es Dritte Orte brauche, an denen man sich zwischen dem Zuhause und dem Arbeitsplatz austauschen und kulturell begegnen kann. Zu dieser Rolle, die Kirchenbauten traditionell oft einnehmen, zieht eine Ausstellung von Baukultur NRW aktuell eine weitere Ebene ein: Als Vierte Orte ermöglichen Kirchen eine Sinnerfahrung über das Alltägliche hinaus. Damit eine solche weitherzige Deutungs- und Nutzungsvielfalt transparent ausgehandelt werden kann, fordert das Manifest – das bereits von mehr als 21.000 Menschen unterzeichnet wurde – eine neue Verantwortungsgemeinschaft: „mit einer Stiftung oder Stiftungslandschaft für Kirchenbauten und deren Ausstattungen.“
Störfaktoren

Das frühere Karstadt-Gebäude (1996, Harald Deilmann) in der Lübecker Königstraße dient aktuell als „Übergangshaus“ für Kultur und Bildung. Foto: Karin Berkemann
Um den Blick für Kirchen zu weiten, hilft der Verweis auf andere Großräume mit ähnlichen Problemen: Kaufhäuser. Auch sie liegen an zentralen Orten, werben mit einer besonderen Gestaltung um Laufkundschaft, können dieses Versprechen immer weniger einlösen und stehen zunehmend leer. Die Diskussionen, wie beide Baugattungen gemeinwesenorientiert nachzunutzen seien, verlaufen nicht unähnlich, aber meist unabhängig voneinander. In Lübeck etwa hat die Stadt mit Bundesmitteln das Programm „Übergangsweise“ aufgelegt, um leerfallende Räume kreativ neu zu bespielen. Als „Übergangsinseln“ werden Ruhepunkte angeboten, deren Partner von der Buchhandlung bis zur Kulturkirche St. Petri reichen. Als zentraler Raum dient das ehemalige Karstadt-Kaufhaus in der Königstraße, das 1996 nach Entwürfen des Architekten Harald Deilmann fertiggestellt wurde. 2022 von der Stadt angekauft, steht dieses „Übergangshaus“ seit 2024 / 25 unter der Woche täglich mehrere Stunden offen, für Kultur und Bildung: Die lokale Universität, TH und Musikhochschule stellen digitale (Lern-)Techniken vor und bereit. (9) Hier können sich Schülerinnen und Schüler aufhalten und austauschen. Und das Stadtplanungsamt lädt zu Beteiligungsprozessen ein.
Wie es mit diesem Mixed-Use-Konzept auf Dauer weitergeht, entscheidet die Stadt Lübeck gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nutzern im Projektverlauf – der Erfolgsfaktor liegt schon jetzt im kuratierten Mitmachen. In diesem Geist könnten Kirchenräume – auch wenn sie nie dazu gedacht waren, sich ökonomisch zu rechnen – viel für das alltägliche Zusammenleben leisten. Denn, so die These des Soziologen Rainald Manthe, gerade in scheinbar beiläufigen Begegnungen findet Demokratie statt: bei der U-Bahnfahrt zur Arbeit oder beim Besuch der Dorfkneipe. (10) Hier begreifen wir, dass Menschen sehr unterschiedlich sind und dennoch alles am Ende irgendwie funktioniert. Für eine solche „demokratische Irritation“ sieht Manthe bei Kirchen als Dritte Orte ein großes, noch ungehobenes Potenzial. (11)
Dass ein dichtes Netz religiöser Räume vielfach Sinn macht, belegt nicht zuletzt die Tradition des Kirchenasyls. Hier können sich Schutzbedürftige auf Zeit zurückziehen und ihr Schicksal neu verhandeln. Mit einer entsprechenden Petition, die schon von über 77.000 Menschen unterzeichnet wurde, legt die Ökumenische „Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e. V.“ ihren Finger in eine politische Wunde. (12) Die ab 1983 geübte Praxis wurde 2015 in einem Abkommen zwischen dem Bund und den großen christlichen Gemeinschaften bekräftigt. Doch seit einigen Monaten werden Geflüchtete, so führt es die Petition aus, vermehrt polizeilich aus Kirchen geholt und abgeschoben. Gerade im drohenden Verlust solcher Schutzräume wird sichtbar, wie sehr Kirche und Gesellschaft gleichermaßen auf sie angewiesen sind.
PD Dr. habil. Karin Berkemann, Theologin und Kunsthistorikerin, lehrt und forscht als Kustodin der Dalman-Sammlung an der Theologischen Fakultät Greifswald sowie als Privatdozentin für Architekturgeschichte und Denkmalpflege an der TU Dortmund. Sie ist Mitherausgeberin von moderneREGIONAL, Mitinitiatorin des Kirchenmanifests und erhielt 2024 eine Besondere Auszeichnung im Rahmen des BDA-Preises für Architekturkritik.
(1) Evangelisch-landeskirchliche und römisch-katholische Gemeindekirchen. Der Theologe Konstantin Manthey rechnet in seinem Vortrag zu verlorenen Kirchen in Berlin am 20. Januar 2025 in der Katholischen Akademie in Berlin – Kapellen und liturgische Räume in Sonderbauten, von Kommunitäten und Ordensgemeinschaften hinzuzählend – in Deutschland mit insgesamt 95.220 Objekten der beiden großen Konfessionen (noch ohne Freikirchen und christliche Sondergemeinschaften).
(2) Grundmann, Friedhelm: Leben in alten Kirchenräumen, in: kunst und kirche 35, 1972, S. 9 – 11, die hier zitierten Stellen: S. 10, 9. Zur frühen Nutzungsdebatte vgl. auch die Berliner Gespräche (1987 – 1994), vgl. u. a. Neue Nutzungen von alten Kirchen. Erstes Berliner Gespräch. 16. und 17. November 1987. Dokumentation der Veranstaltung, Referate und Diskussionsbeiträge, hg. von der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin West), vom Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz und von der Technischen Universität Berlin, Institut für Kunstwissenschaft, Berlin 1988.
(3) Vgl. u. a. Denkmal Europa. Das Workbook für Zeitreisende, hg. von der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, o. O. (Wiesbaden) o. J. (2020).
(4) Vgl. Fries, Jan, Zwischen Gemeingütern und Grenzobjekten – Kollektives Kartieren als Gemeinschaffen, in: Arch+ 258, 2025, S. 60 – 63.
(5) Vgl. https://invisibilis.moderne-regional.de, Abruf: 17. Dezember 2024. Das DFG-Forschungsprojekt SAWA etwa, das u. a. auf invisibilis-Daten zurückgegriffen hat, beruht auf einer kleineren Datenbank mit knapp 1500 Einträgen, vgl. Löffler, Beate, Drei Jahrzehnte sakraltopographischen Wandels. Auswertung der quantitativen Erfassung, in: dies. / Sharbat Dar, Dunja (Hg.), Sakralität im Wandel. Religiöse Bauten im Stadtraum des 21. Jahrhunderts in Deutschland, Berlin 2022, S. 16 – 36, hier: S. 18f.
(6) Vgl. Deeg, Alexander / Menzel, Kerstin, Potentiale spannungsvoller Kooperationen. Begriff und Praxis hybrider Kirchennutzung, in: Albert, Gerhards (Hg.), Kirche im Wandel. Erfahrungen und Perspektiven (Sakralraumtransformationen 1) Münster 2022, S. 171 – 189.
(7) Vgl. Kirchen (um-)nutzen. Arbeitshilfe zur Umnutzung von Kirchen im Erzbistum Köln, hg. vom Generalvikariat des Erzbistums Köln, Köln 2024, Vorabversion.
(8) http://www.kirchenmanifest.de, Abruf: 20. Januar 2025.
(9) Vgl. Rethfeld, Stefan / Sonne, Wolfgang (Hg.), Harald Deilmann – lebendige Architektur, Ausstellungskatalog, Baukunstarchiv NRW Dortmund, 2021, Dortmund 2021; https://www.luebeck-tourismus.de/uebergangsweise/uebergangshaus, Abruf: 11. Januar 2025.
(10) Vgl. Manthe, Rainald, Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts, Bielefeld 2024, S. 20, 53, 58f.
(11) Vgl. Manthe, Rainald, Demokratie jenseits von Wahlen. Alltägliche Begegnungsorte der Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 11. Oktober 2024, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/demokratie-jenseits-von-wahlen-2024/552908/alltaegliche-begegnungsorte-der-demokratie/, Abruf: 20. Januar 2025.
(12) https://weact.campact.de/petitions/wir-brauchen-deine-solidaritat-mit-dem-kirchenasyl, Abruf: 11. Januar 2025.