tatort

Ein wahres Märchen

Wieder geht es um ein Bauwerk, das in der Architekturgeschichte nach 1945 eine besondere Rolle gespielt hat: durch seine Eigentümlichkeit, seine Qualität oder die historische Bedeutung. Lösungsvorschläge sind uns per Post, Fax oder E-Mail (redaktion[at]derarchitektbda.de) willkommen. Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 9. März 2020.

Es müssen märchenhafte Verhältnisse geherrscht haben, die diesen „tatort“ überhaupt möglich machten: Fünf Tage und vier Nächte hat die internationale Jury eines Ideenwettbewerbs getagt, um aus 68 Vorschlägen für ein Verkehrsbauwerk den einen auszuwählen, der nicht nur „mit schönen Mädchen und gutem Essen dem ‚gekäfigten’ Menschen das Leben ertragbar“, sondern „diese Periode im Leben eines Passagiers angenehm, behaglich“ mache. Das soll nach einem zeitgenössischen Bericht des „Spiegels“ ein niederländischer Juror geäußert haben, um die Vision eines modernen Bauwerks zu beschwören, das ganz auf bequemes Reisen zugeschnitten sein sollte. Der Gewinnerentwurf, bis zu dessen endgültiger, nicht ganz so visionärer Fertigstellung neun Jahre ins Land gingen, entsprach der Konzeption amerikanischer Drive-Ins: Im Mittelpunkt standen zwei mehrstöckige sechseckige Bauteile, an deren Terminals zu Beginn dreißig Hochgeschwindigkeits­transportmittel gleichzeitig andocken können sollten. Die Passagiere sollten mit ihren Autos unterirdisch von der Stadtautobahn in die Waben und direkt bis zu den Abfertigungsschaltern fahren können, um die Fußstrecke der Reisenden im Gebäude auf etwa 200 Meter zu verringern.

Die Wettbewerbssieger waren junge Männer, die sich nach einer Zeit des architektonischen „U-Boot“-Daseins, das sie später auch im eigenen Büro kultivierten, selbständig gemacht hatten. Innerhalb eines Jahres gewannen sie acht Wettbewerbe, deren Bausumme aber nicht über 25 Millionen D-Mark hinausging. Mit dem ersten Preis für das Verkehrsbauwerk war indes nicht nur ein Preisgeld von 35.000 Mark verbunden, sondern ein Auftragsvolumen von 80 bis 120 Millionen Mark, was angesichts der heutigen Gestehungskosten für ein vergleichbares Bauwerk in derselben Stadt wie ein Griff in die Portokasse anmutet.

Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung für den Neubau war ein älterer Bau inmitten der Stadt für die Abwicklung der boomenden Verkehrsart zuständig. Die Entwicklung von Fahrzeugen mit einem anderen Antrieb, der höhere Geschwindigkeiten ermöglichte, überforderte indes die Infrastruktur des Altbaus, sodass für die Benutzung der alten Anlage gesonderte Schulungen notwendig wurden, um den modernisierten Betrieb aufrechterhalten zu können. Der Neubau der heute noch unter gemeinsamem Büronamen firmierenden Architekten, deckt den Bedarf noch halbwegs ab – wenn auch unter Hinzunahme mehrerer Erweiterungen, die mitunter nicht den gleichen ästhetischen Maßstäben gerecht wurden. In mehr oder weniger absehbarer Zeit soll indes das letzte Stündlein der Anlage geschlagen haben – oder auch nicht… Um welches Gebäude geht es, wann und von wem wurde es entworfen?

Der „tatort“ der letzten Ausgabe war das Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt, das als einer der dort geplanten „Meisterbauten“ zwischen 1951 und 1955 nach dem Entwurf von Max Taut entstand. Gewinnerin des Buchpreises ist Christina Kuchinke aus Nürnberg.

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