Buch der Woche: Bedeutsame Belanglosigkeiten

Die schönsten Nebensachen

Ausgerechnet im Berliner Stadtteil Lichterfelde kam es im vergangenen Jahr wieder zum Streit um die Straßenbeleuchtung. Einige der alten gasbetriebenen Kandelaber wurden hier durch neuere LED-Modelle ersetzt, was bei der Anwohnerschaft für Unmut sorgte. Von „Licht-Ufos“, die sich wie fremdartige Wesen dort niedergelassen hätten, war laut Medienberichten die Rede. Was bei dieser Debatte beispielhaft zum Ausdruck kam: Der Straßenraum und die Stadt insgesamt werden auch durch vermeintlich nebensächliche Objekte – wie eben Laternen – geprägt, was aber meist erst dann auffällt, wenn diese sich verändern.

„Bedeutsame Belanglosigkeiten“ hat Vittorio Magnago Lampugnani seine Publikation bezeichnenderweise genannt, in der er ebenjene „kleinen Dinge im Stadtraum“ unter die Lupe nimmt. Der Titel spielt dabei auf besagte Ambivalenz an: Unsere Städte sind voll von Mikroarchitekturen, Objekten und Elementen, denen wir kaum Beachtung schenken, die aber Gestalt und Atmosphäre beeinflussen und damit auch zur Unverwechselbarkeit von Orten beitragen. Das können etwa Bodenbeläge und Gullideckel sein, aber auch Abfallkörbe, Brunnen, Ampeln und Kioske.

Vittorio Magnago Lampugnani: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum. Wagenbach 2019.

In 22 Kapiteln wird jeweils ein Objekt beleuchtet – Lampugnani behandelt diese dabei als „Fragmente, Indizien, an denen man die Entwicklung der Stadt als Ganzes exemplarisch ablesen kann“. So zeige beispielsweise die antike Stadt allein durch die Anwesenheit zahlreicher Brunnen, Bänke und öffentlicher Einrichtungen, dass „ihre Straßen und Plätze Orte des gesellschaftlichen Lebens waren“, während dies „im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nur mehr vereinzelt der Fall“ war. Im 19. Jahrhundert kamen zahlreiche Gegenstände hinzu, die dazu dienten, die zunehmende Zahl an Stadtbewohnerinnen zu disziplinieren und ihre Bedarfe zu decken. Wie bereits in der Einleitung deutlich wird, erlaubt sich Lampugnani dabei immer wieder einen kritischen Blick auf aktuelle Tendenzen. So kommt es für ihn nicht „von ungefähr, dass im 20. und im frühen 21. Jahrhundert die Ausstattung des Stadtraums noch weiter zugenommen hat.“ Dieser sei „zur Bühne geraten, vollgestellt mit Requisiten, die den Rahmen für die affektierte Inszenierung der Wohlfühlstadt und des globalisierten Konsums abgeben.“

Jean-Charles Adolphe Alphand, Les Promenades de Paris, 1867-1873, Tafel mit Beispielen für Urinale, Quelle: Archiv Lampugnani

Doch es sind nicht nur die großen Kontexte, die im Buch offengelegt werden – oftmals sind es viele kleine und durchaus unterhaltsame Geschichten, die sich sogar hinter so unscheinbaren Objekten wie Pollern verbergen. So hat man für diese im 17. und 18. Jahrhundert ausgediente Schiffskanonen verwendet. Hieraus seien Mythen entstanden „wie jener der Londoner Poller, die angeblich in der Schlacht von Trafalgar erbeutete Kanonen seien“. Die Kanonenform wirkte sich später auch auf das Aussehen von eigens für diesen Zweck gegossene Begrenzungspfähle aus.

Ernst May u.a., Siedlung Mammolshainerstraße, Frankfurt am Main, 1929-1930, Einfriedung zur Altenhainer Straße, Foto: Archiv Vittorio Magnago Lampugnani

Die Auswahl der auf Europa konzentrierten Beispiele erzählt dabei von vielen interessanten Nutzungszusammenhängen. In Rom beispielsweise wurden einige Brunnen, unter anderem auf der Piazza di Spagna und der Piazza Navona, an sehr heißen Tagen dazu genutzt, die Plätze über einen halben Meter hoch mit Wasser zu fluten. Neben diesen Kuriositäten geht es in „Bedeutsame Belanglosigkeiten“ darüber hinaus viel um Designgeschichte und um die Frage, warum etwas so aussieht, wie es aussieht. Das hat meist sowohl mit Bedarfen, technischen Möglichkeiten, Fertigungsmethoden sowie ästhetischen Ansprüchen zu tun.

Jean-Charles Adolphe Alphand, Les Promenades de Paris, 1867-1873, Tafel mit Beispielen für Kioske, Quelle: Archiv Vittorio Magnago Lampugnani

Gerade was die Ästhetik betrifft, bricht sich in vielen Kapiteln immer wieder Lampugnanis Appell Bahn: „Wo Leben und Gestaltung zusammenkommen“ sei es im „Idealfall Leben und Schönheit“. Dass etwa der Bau eines Stadtbrunnens heute „von einer unüberschaubaren Anzahl von Vorschriften erdrückt wird, die Unfällen vorbeugen sollen, die sich in der Geschichte der Brunnen und der Stadt nie ereignet haben“ bedauert er und wünscht sich Lösungen, die mehr sind als „pflegeleichte Wassertische“ und „trutzige Badewannen“, um dem anspruchsvollen Stadtraum gerecht zu werden.

Wenngleich man sich zuweilen vielleicht etwas mehr Bildmaterial gewünscht hätte, macht Lampugnanis Buch großen Spaß und sensibilisiert für das, was oftmals marginalisiert zu werden droht. Gemäß dem Diktum: „Man erblickt nur, was man schon weiß“, wird man nach der Lektüre sicher bewusster und interessierter durch die Straßen Europas gehen können.

Elina Potratz

Lampugnani, Vittorio Magnago: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Objekte im Stadtraum. 192 S., 30,– Euro, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019, ISBN 978-3-8031-3687-9

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