tatort

Im Geiste des Fortschritts

Und wieder suchen wir ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können Sie per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion senden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 24. Juli.

Der „tatort“ liegt dieses Mal in einer kleinen Stadt am mittleren Rhein. Der Auftraggeber des Gebäudes, um das es geht, war Professor für Theoretische Physik in einer benachbarten Universitätsstadt. Dort setzte er sich für den Bau eines Zyklotrons ein und beschäftigte sich mit dem Betazerfall, der schwachen und starken Wechselwirkung, Kernreaktionen und der Struktur des Atomkerns. Eine universitätseigene Stiftung stellte dem umworbenen Experten das Gelände für ein Wohnhaus zur Verfügung. Nach der Begleichung für die Erschließung des Geländes blieben allerdings nur noch 80.000 Mark, die für den Hausbau reichen sollten. Trotzdem fand der Physiker einen ähnlich gesinnten Architekten, der neben einer Einhaltung der Baukosten auch ein Haus versprach, das den Vorstellungen des Professors entsprechen konnte: Der Wissenschaftler war geprägt vom Fortschrittsglauben seiner Zeit, die eine mobile Gesellschaft mit neuen angemessenen Wohn- und Lebensformen verhieß.

Er gab dem Architekten die Funktion und Anzahl der Räume, aber auch die Baukosten vor. Der Architekt, der in dieser Zeit ein radikales Umdenken in der Architektur forderte und dabei auf den Fortschritt in der Werkstoffentwicklung und bei industriellen Fertigungsmethoden verwies, erbat sich wiederum freie Hand beim Entwurf. Es entstand ein serienreifes Systemhaus mit einer äußerst einprägsamen äußeren Form, die vordergründig allein aus der Konstruktion entwickelt ist. Der Innenausbau besteht aus einem Latten- und Balkengerüst, dass mit Spanplatten verkleidet wurde und so leicht veränderbar ist. Ein naheliegender Versuch, den Haustyp als Fertighaus zu vermarkten, scheiterte indes.

Der Architekt schrieb 1970: „Es ist (…) notwendig, das Produkt ‚Haus‘ in seiner Lebenszeit drastisch zu verkürzen, um seinen Amortisationszeitraum herabzusetzen, um es damit für Forschung und Entwicklung attraktiv machen zu können und auf diese Weise dann zu entscheidenden Verbilligungen zu gelangen.” Noch 1992 war diese Sentenz ein Argument gegen die denkmalpflegerische Unterschutzstellung. Inzwischen steht sie außer Frage. Gegenwärtig wird das Haus mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und einem engagierten neuen Eigentümer mustergültig restauriert.

Der „tatort“ der Ausgabe 2/15 war, wie viele Einsender wussten, die Stadthalle Bremen, die der Österreicher Roland Rainer entwarf und von 1961 bis 1964 in einer Arbeitsgemeinschaft mit den Bremern Säume&Hafemann errichtete. Nach seiner Verstümmelung durch Abriss und Erweiterung wurde das Bauwerk zunächst in AWD-Dome umgewidmet, heute heißt es ÖVB-Arena. Gewinnerin des Buchpreises ist Bettina Maria Brosowsky.

Foto: Andreas Denk

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3 Gedanken zu “Im Geiste des Fortschritts

  1. Nur noch ein Kommentar: Die Sanierung des Hauses wurde nicht von „Neubesitzern“ durchgeführt. Das Haus befindet sich seit 1987 in unserem Besitz.
    Die Sanierung war notwendig geworden weil die außenliegende Tragwerkskonstruktion erhebliche Faulschäden aufwies. Der vollständige Austausch der Ständer und der Tragbalken und die in der Folge notwendige Renovierung des Innenraumes brauchte ein Jahr in der Durchführung. Die vorhergehende Planung nahm fast drei Jahre in Anspruch.
    Die Sanierung des Hauses wurde finanziell unterstützt von der Bezirksregierung Köln und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

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