Mutig in neue Welten wagen
Kirchen wie auch Innenstädte durchlaufen seit einiger Zeit einen tiefgreifenden Wandel. Wenn sie leerfallen, werden sie oft als Belastung wahrgenommen und werfen große Fragen auf: Wer übernimmt hier künftig Verantwortung und was soll hier geschehen? Gleichzeitig bergen sie ein enormes Potenzial – insbesondere durch ihre zentrale Lage innerhalb von Städten und Quartieren. Über Strategien zur Transformation von Leerstand und zur Aktivierung der Gesellschaft sprach Die Architekt-Chefredakteurin Elina Potratz mit Carl Zillich, der seit 2022 das Projektbüro Innenstadt Bremen leitet. Carl Zillich studierte Architektur und Stadtplanung in und New York City. Neun Jahre lang war er als kuratorischer Leiter der Internationalen Bauausstellung (IBA) Heidelberg tätig. Seit 2021 gehört er außerdem dem Aufsichtsrat der Montag Stiftung Urbane Räume an.
Elina Potratz: Kirchen liegen in Städten oder städtischen Quartieren oft sehr exponiert und besitzen eine städtebaulich herausragende Stellung. Auch Innenstädte sind mit ihrer Zentralität so angelegt, dass dort Dinge stattfinden, die möglichst viele Menschen betreffen oder ansprechen sollten. Erkennen Sie ebenfalls Parallelen?
Carl Zillich: Das passt gut zu dem, was ich oft sage, wenn ich über die Krise der Innenstädte spreche: Vor hundert Jahren haben die Kirchen es geschafft, eine vielfältige Gesellschaft und unterschiedliche Milieus zusammenzubringen. Dann, seit dem sogenannten Wirtschaftswunder bis in die 1990er-Jahre, war es das innerstädtische Einkaufen, das die Menschen zusammengeführt hat. Auch mit meiner Familie haben wir damals „Window Shopping“ gemacht. Der Konsum hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts also eine ähnliche gesellschaftliche Rolle übernommen wie früher die Religion. Heute jedoch sehen wir, dass sich auch dieser singularisiert. Nach den Kirchen und dem Shoppen stelle ich mir also die Frage: Was sind heute die neuen Begegnungsanlässe und -orte?
Haben etwa Kaufhäuser die Menschen früher wirklich zusammengebracht?
Gute Frage – ich glaube schon, dass es Orte braucht, an denen Menschen ungezwungen und zufällig miteinander in Kontakt treten können, aber nicht müssen. Diese zufälligen Begegnungen finden im Internet nicht statt. In den Innenstädten vor 30 Jahren war das anders. Dort ging es nicht nur ums Einkaufen, sondern auch darum, sich zu zeigen und andere zu beobachten. Das mag aus heutiger Perspektive im Hinblick auf Konsumkritik nicht unbedingt positiv bewertet werden. Aber im Sinne von Begegnungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Milieus hatte das „Sehen-und-gesehen-werden“ eine wichtige Funktion. Natürlich hat sich das verändert. Heute sind auch Kaufhäuser – durch Entwicklungen wie Primark auf der einen oder Luxus-Häuser wie das KaDeWe auf der anderen Seite – stark in Extreme aufgeteilt worden.
Sehen Sie noch weitere Parallelen zwischen Innenstädten und Kirchen?
Eine weitere Parallele ist, dass bei beiden Marktlogiken treibende Faktoren sind. Es geht darum, für welche Gebäude und Nutzungsangebote überhaupt noch Geld vorhanden ist – diese Fragen stellt sich die Kirche, und diese Fragen stellen sich auch Kaufhausbesitzer. René Benko hat daraus dann seinen eigenen Twist gemacht, indem er fiktive Werte in seine Immobilien eingepreist hat…

„Transformer:in“ zur Herausforderung Klimaanpassung aus der Kampagne des Projektbüros Innenstadt Bremen, Collage: anschlaege.de mit Viktoria Cichoń
Sie leiten das Projektbüro Innenstadt Bremen, das von der Stadt Bremen initiiert wurde. Was genau machen Sie, und was sind Ihre Ziele?
Wir sind eine kleine öffentliche GmbH, deren Aufgabe es ist, die Transformation der Innenstadt aktiv zu begleiten – und zwar über eine horizontale Struktur, die quer zu den Zuständigkeiten der Verwaltung und des Senats verläuft. Dabei arbeiten wir nicht nur mit städtischen Akteuren zusammen, sondern auch mit Einzelnen oder Gruppen aus einem breiten Spektrum: von der Wirtschaft, über Kultur und Bildung bis hin zur Zivilgesellschaft. Unser Ziel ist es, zu prüfen, wie wer auf den Strukturwandel reagieren kann und welche Wege wir dafür einschlagen und unterstützen können. Wir sind dabei ein intermediärer Akteur.
Was genau meint intermediär?
Das Dazwischen bedeutet in unserem Fall, dass wir von der Stadt finanziert und eng mit ihr verbunden sind, jedoch unabhängig von der Verwaltung organisiert. Wir fungieren einerseits als Impulsgeber und verfügen dabei über eine gewisse Narrenfreiheit. Gleichzeitig sind wir ein zentraler Ansprechpartner. Wir fördern beispielsweise Vertreter der Zivilgesellschaft, sich in der Innenstadt zu engagieren. Gleichzeitig koordinieren wir städtische Impulsprojekte und unterstützen solche aus der Wirtschaft. Wir sehen uns dabei als Moderatoren, manchmal auch als Mediatoren, die Anliegen in die öffentlichen Strukturen oder zu den verantwortlichen Entscheidungsträgern bringen. Je nach Situation schlüpfen wir in unterschiedliche Rollen, um die Transformation der Innenstadt voranzubringen.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es im Kern Ihrer Arbeit darum, Menschen, Institutionen oder Einrichtungen in die Stadt zu bringen, die bislang hier nicht vertreten waren. Oder anders gesagt: die bestehenden Leerstellen, die sich durch den Wandel der Innenstadt ergeben haben, mit etwas Neuem zu füllen. Welche Funktionen oder Nutzungen stellen Sie sich vor? Gibt es ein Wunschbild, das Sie von einer Innenstadt haben?
Wir müssen uns von der traditionellen, „top-down“ geprägten Logik, dass wir das Neue von oben steuern können, verabschieden. Die Wirtschaftsförderung leistet in Bremen gute Arbeit, wenn es darum geht, neue gewerbliche Ideen zu unterstützen oder immobilienwirtschaftliche Dialoge zu initiieren. Gemeinsam diskutieren wir beispielsweise, wie Immobilien transformiert werden können. Als Projektbüro arbeiten wir darüber hinaus in einer Art Planungsphase Null, die unterschiedliche Menschen ermutigt und bestenfalls befähigt, ihre Ideen einzubringen und umzusetzen. In der Stellenausschreibung für meinen Job wurde einmal der Begriff „Innenstadt-Intendant“ verwendet, aber auch er suggeriert, dass das Orchester bereits vor der Tür steht – und das ist nicht der Fall. Stattdessen müssen wir erst herausfinden, wer in einem „Orchester des Wandels“ welches Instrument spielen kann und wie wir die Vielfalt der Besetzung stärken können. Dabei braucht es viel Empowerment, um trotz der Marktlogik den Personen, die mutig, aber (noch) nicht solvent sind, Zugang für ihre Beiträge zu schaffen. Also Barrieren abbauen, damit Räume angeeignet oder neu gedacht werden können.

Eröffnung des Experimentierraums „UMZU“ vom Projektbüro Innenstadt Bremen im Juni 2023, Foto: Christian Burmester
Was heißt das konkret?
Oftmals beginnen Initiativen mit ehrenamtlichen Engagements und dem Ausprobieren von Ideen. Ich habe bereits bei der IBA Heidelberg Erfahrungen gesammelt, wie Menschen durch niedrigschwellige Angebote Verantwortung in der Stadtentwicklung übernehmen können. Ein konkretes Beispiel dafür ist nun in Bremen ein kleiner Raum von 60 Quadratmetern hier in der Innenstadt, der den Namen „UMZU“ trägt. Wir haben dazu eingeladen, dass dieser gläserne Pavillon für fast alles, was sich die Leute vorstellen können, kostenlos, aber für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung steht. Ziel war es, insbesondere in den Abendstunden, wenn die Innenstadt oft etwas leerfällt, wieder Leben hineinzubringen. Das Interesse war überwältigend: Wir wurden regelrecht überrannt. Das Spektrum reichte von einem „Digital Impact Lab“ als Schnittstelle zwischen Forschung und dem Alltag der Menschen, über Angebote von migrantisch geprägten Gruppierungen bis zu vielfältigen Mitmachangeboten und Ausstellungen der kreativen Szene.
Warum war das Interesse so groß – und wie sind Sie damit umgegangen?
Ein entscheidender Faktor war die gute Erreichbarkeit aus allen Stadtteilen durch die Innenstadtlage. Die Nutzung haben wir – zusammen mit dem Autonomen Architektur Atelier AAA aus Bremen – kuratiert, indem wir darauf geachtet haben, eine ausgewogene Mischung von Interessen zu fördern. Es sollte beispielsweise nicht „nur“ Kunstschaffenden Raum gegeben werden, sondern auch sozialen Projekten und anderen Initiativen, um eine vielfältige Nutzung abzubilden.
Klären sich dann in der Umsetzung viele entscheidende Fragen von selbst?
Ja, und vor allem geht es darum, dass Menschen, im positiven Sinn, neu mit einem „Innenstadt-Virus“ infiziert werden, und dass sie teilhaben können.
Was genau an diesen Experimentierräumen bestärkt die Menschen – oder worin genau liegt das Empowerment, von dem Sie sprechen?
Zunächst ist da ganz unmittelbar die Sichtbarkeit, die wir ihnen im Herzen unseres Gemeinwesens ermöglichen. Dazu tragen die Architektur und Lage des gläsernen Pavillons übrigens entscheidend bei. Darüber hinaus ist es die Begegnung auf Augenhöhe, bei der auf ganz unterschiedliche Rahmenbedingungen und vorhandene Begabungen eingegangen werden muss, um die Experimente des Engagements zum Erfolg zu führen. Neben der Kuratorin ist eben auch der Hausmeister wichtig. So gab es teilweise unterschiedliche finanzielle Fördermöglichkeiten, um das Ehrenamt aufzuwerten und Menschen Mut zu machen, ihre Ideen weiterzuentwickeln.
Und wie geht es weiter nach dem Ausprobieren?
Wenn wir einen wirklich nachhaltigen Wandel wollen, müssen wir natürlich über Ehrenamtsstrukturen oder das kreative Prekariat hinausgehen. Die eigentliche Schwierigkeit – und hier stehen wir vor großen strukturellen Herausforderungen – liegt jedoch darin, diese Ansätze in ökonomische Rahmenbedingungen zu überführen. Es geht darum, Wege zu finden, wie neue Akteure der Stadtentwicklung langfristig agieren und wirken können. In Heidelberg konnten wir beispielsweise im Rahmen der IBA nachweisen, dass es mit wenig Geld möglich ist, innerhalb von drei bis fünf Jahren engagierte, aber in der Sache unerfahrene Menschen zu Bauherren zu machen. Es ist eben nicht zielführend, im stillen Kämmerlein eine Liste von Nutzungen zu erstellen, die man sich wünscht. Solche „Wunschkonzerte“ stoßen schnell an ökonomische Grenzen, denn viele dieser Nutzungen können keine Mieten von 10, 20, 30 oder 40 Euro pro Quadratmeter tragen. Daher ist es notwendig, diesen Prozess langfristig durchzuhalten: einerseits zu begleiten, wie sich die Immobilienwirtschaft in Richtung Mischkalkulationen entwickelt, und andererseits zu ermöglichen, dass diejenigen, die Angebote schaffen oder teilen möchten, sichtbar, ansprechbar, vernetzt und am Ende professionell werden.
Um noch einmal auf meine Frage zurückzukommen: Geht es darum, dass die Innenstadt besonders viele Menschen anzieht und diese wieder mehr Leben in die Stadt bringen? Oder geht es auch darum, gesellschaftlich relevante, gemeinnützige oder vielleicht sogar demokratiefördernde Orte zu fördern und anzusiedeln?
Das klingt schon wieder nach einer kuratorischen Rolle, bei der jemand Durchgriffsmöglichkeiten hat. Aber genau das ist in unserem Fall nicht gegeben. Wir arbeiten als Projektbüro vor allem mit „Softpower“, um Resilienz in die Gesellschaft und in den Markt, also die Innenstadt zu bringen.
Aber Sie haben doch Einfluss darauf, wen Sie empowern…
Stimmt. Wenn Fördermittel vom Bund bereitgestellt werden, nutzen wir diese tatsächlich auch für Studien und Wettbewerbe, um die öffentliche Hand zu befähigen, wieder aktiver und gestaltend am Markt teilzunehmen. Ein aktuelles Beispiel in Bremen sind Großimmobilien, die nun wieder von der öffentlichen Hand entwickelt werden. Dabei stellt sich die grundlegende Frage: Wie viel Rendite ist in den durchökonomisierten Strukturen der öffentlichen Hand notwendig? Und wie viel Raum können wir uns für sogenannte „nicht rentierliche“ Funktionen – ich nenne das bewusst so – überhaupt leisten? Wer zahlt also wie in eine „Stadtrendite“ im volkswirtschaftlichen Sinn ein? Transformation muss dabei aus Experimentierräumen erwachsen und kann nur bedingt kuratiert werden.
Sie sagten zu Beginn, für Sie sei es eine zentrale gesellschaftliche Funktion, dass Orte Durchmischung und Vielfalt fördern – ein Zusammenbringen unterschiedlicher Milieus, die sich sonst selten begegnen.

Mit „binnenstadt“ existiert seit Mai 2024 eine themen- und akteursübergreifende Plattform zum Wandel in der Bremer Innenstadt, Foto: Christian Burmester
Richtig, allerdings darf dies nicht erzwungen wirken, sondern sollte vielmehr durch Anziehungskraft erreicht werden. Wenn ein Raum ein „Wow“-Erlebnis bietet, kommen die Menschen von selbst. Ob temporäre Lichtinstallationen verteilt in Bremens Innenstadt oder ein Literaturcafé, dass normalerweise nicht im „UMZU“, sondern im „benachteiligten“ Stadtteil stattfindet: Die entscheidende Frage ist, wie weit ein Raum programmiert sein muss, damit er diese Vielfalt an Zielgruppen anspricht. Dabei braucht es immer eine Balance zwischen der kuratierten Gestaltung eines Angebots und einer räumlichen Einladung, die niedrigschwellig und offen zur Teilhabe einlädt.
Auch hierfür haben Kirchen sicherlich Potential, oder?
Definitiv. Es stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, die Ehrfurcht, die Kirchen als Räume oft mit sich bringen, abzubauen – vor allem vor dem Hintergrund unserer heutigen vielfältigen Gesellschaft, in der religiöse Prägungen nicht mehr selbstverständlich sind. Gerade bei Kirchen ist es wichtig, Schwellen abzubauen, um auch Menschen einzuladen, die nicht christlich sozialisiert sind.
Grundsätzlich ist es jedoch ein positiver Ansatz, dass die Kirchen, katholisch als auch evangelisch, großes Interesse daran haben, ihre Immobilien zu halten und wenn sie doch verkaufen müssen, auch eine gute Nachnutzung im Blick haben. In vielen Fällen lassen sie sich auch auf Mischnutzungen ein. Diese Grundhaltung der Gemeinwohlorientierung ist erst einmal ein gutes Fundament, oder?
Das sehe ich auch so. Dafür gibt es ja auch bereits viele erfolgreiche Beispiele wie die sogenannten „Kulturkirchen“. Oft übernehmen zivilgesellschaftlich organisierte Trägervereine diese Gebäude und bringen ein Kulturangebot hinein. Dabei engagieren sich viele Ehrenamtliche, und die Kirchen selbst zeigen sich in der Regel offen für derartige Konzepte. Solche Ansätze tragen dazu bei, liturgische Schwellen abzubauen, ohne die Kirche als Bauwerk oder Institution in Frage zu stellen. Das zentrale Problem bleibt jedoch die Marktlogik. Der Betrieb einer Kirche verursacht hohe Kosten: Energie, Instandhaltung, Personal. Dieser Realität können wir uns nicht entziehen, da auch die Kirchen in eine Marktwirtschaft eingebunden sind. Das führt schnell zu einer unübersichtlichen Situation, besonders in basisdemokratisch organisierten Kirchenstrukturen, die häufig überfordert sind, wenn es darum geht, langfristige Transformationspfade für ihre Immobilien zu entwickeln. Ob in Heidelberg, Bremen oder auf Rügen nehme ich die gleichen Herausforderungen wahr. Das zeigt eine grundsätzliche Parallele zur Entwicklung der Innenstädte: Es geht um das Zusammenspiel von Marktlogik und Gemeinwohlorientierung. Wie man das sinnvoll auflösen kann, ist noch nicht geklärt.
Sehen Sie zumindest Ansätze, wie man diese Marktlogik umgehen kann?
Ich bin nicht marktgläubig, aber realistisch genug, um anzuerkennen, dass gerade bei der Immobilienentwicklung oft die Kosten der entscheidende Faktor sind, der Projekte scheitern lässt. Und wenn man Bottom-up-Ansätze und Empowerment fördern möchte, muss man sich diesen ökonomischen Realitäten stellen. Dies tut beispielsweise die Montag Stiftung Urbane Räume und könnte auch eine Kirchenstiftung leisten, wie sie von der Initiative des Kirchenmanifests vorgeschlagen wird. Es geht um langfristige Mischkalkulation, die auf viele Schultern verteilt wird. Eine Kirche in einer attraktiven Lage könnte beispielsweise durch Eintrittsgelder für Kulturveranstaltungen oder andere Einnahmen wirtschaftlich tragfähig sein und dadurch Quersubventionierungen für Kirchen an strukturschwächeren Orten ermöglichen. Die zentrale Frage ist dabei: Wie stark kann man das Gemeinwesen, die Mischkalkulation und die Umverteilung skalieren? Denn je höher diese Strukturen skaliert werden, desto resilienter, aber auch distanzierter sind sie. Das sehen wir ja bei der Vertrauenskrise in unsere steuerfinanzierten Institutionen, die mit der Singularisierung der Gesellschaft kaum umzugehen wissen.
Glauben Sie, dass die Gebäude an sich ein Problem bei der Umnutzung darstellen, insbesondere aufgrund der hohen Instandhaltungskosten?
Da halten sich Chancen und Risiken meiner Meinung nach recht gut die Waage. Einerseits sind die Instandhaltungskosten natürlich ein abschreckender Faktor, aber andererseits bieten diese Gebäude einen Mehrwert, den man heute in der Form kaum noch schaffen könnte. Diese Räume gehen „verschwenderisch“ mit Volumen um und bieten räumliche Qualitäten, die der baulichen Substanz eine Zukunft gibt, gerade weil sie so außergewöhnlich ist.
Sie haben bereits Schwellenängste angesprochen. Wie schaffen Sie es mit Ihrem Projektbüro, Menschen zu aktivieren, deren Ideen bislang im Verborgenen schlummern, und sie für ein Engagement zu gewinnen? Auch die Gemeinden und Kirchen stehen vor der Aufgabe, solche Menschen zu finden und sie einzubinden, um Gebäude in die Zukunft zu führen.
Das ist tatsächlich eine zentrale Frage – insbesondere die der Kommunikation. Ich kann kurz über einen Ansatz sprechen, den wir mit Hilfe der Bundesförderung für Innenstädte umgesetzt haben: In Bremen haben wir eine Kampagne entwickelt, die sich bewusst nicht auf ein Marketing wie „Die Innenstadt ist großartig!“ fokussiert, sondern die Menschen dort abholt, wo sie stehen und fragt: „Nicht mehr Dein Centrum?“ Denn es gibt viele, die sagen: „Es lohnt sich nicht mehr, in die Innenstadt zu gehen.“ Die Kommunikationsbausteine sind dann mit „Stadt für alle!“ überschrieben, erklären den Wandel der Innenstädte und bieten mit übermenschlichen, sogenannten Transformer-Figuren spielerische Zugänge zum Stadtumbau. Das Ziel ist, aus den üblichen Blasen auszubrechen – aus den Echokammern der Planenden, der Wirtschaft, der Kreativen und anderen isolierten Gruppen. Wie erreicht man Menschen, die keine Tageszeitung mehr lesen oder deren Social-Media-Kanäle bereits stark segregiert sind? Unser Ziel ist es, mit der „binnenstadt“-Kampagne eine möglichst breite Reichweite zu generieren. Und das funktioniert nur, wenn man gezielt auf allen Ebenen kommuniziert.
Welche Medien haben Sie bedient?
Es war eine Mischung aus allem. Es ging darum, auf so vielen Kanälen wie möglich präsent zu sein. Das reichte von der Homepage über klassische Plakataktionen bis hin zu Instagram. Aber das Ziel war nicht Selbstbeweihräucherung, sondern, die Komplexität des Themas in die Diskussion zu bringen und zu zeigen: „Stadtentwicklung braucht Zeit, aber wir können Teil davon sein und uns ausprobieren.“ Mit Optimismus für die Innenstädte in die „alten“ Medien vorzudringen bleibt aber schwierig. Auch unser Experimentierraum, das „UMZU“, findet dort kaum Resonanz, obwohl die Vielfalt enorm ist – aber eben nicht die der älteren Generationen. Aber der Ansatz – Menschen, die der etablierten Prägung des Ortes fremd sind, die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen und sich Räume anzueignen – lässt sich auch auf Kirchen übertragen.
Bestimmt haben auch viele Kirchengemeinden nicht mehr den gleichen Kontakt ins Quartier wie früher. Zudem ist die Gruppe derjenigen, die sich in der Kirche engagieren, manchmal eine recht homogene Klientel. Wie erreicht man Leute, die mit Kirchen nichts zu tun haben, und sich vielleicht sogar ausgeschlossen fühlen? Bräuchten solche Gemeinden vielleicht auch ein Projektbüro wie Ihres?
Das ist genau die richtige Frage: Es geht um intermediäre Strukturen. Jemand wie ich, der sich außerhalb der manchmal einschüchternden Institutionen positionieren kann, kann Schwellenängste abbauen, aber auch den Glauben an die Institution zurückbringen. Es ist für viele eine Hürde, eine Amtsnummer anzurufen, oder sich beim Bürgermeister mit einer Idee zu melden, als ein Projektbüro zu kontaktieren, das „dazwischen“ positioniert ist und Ideen integrierter verarbeiten kann. Ein weiterer Aspekt ist die Vielfalt der Communities, im Fall der Kirchen auch christlicher Religionsgemeinschaften. Hier braucht es gezielte Ansätze, um sicherzustellen, dass möglichst viele verschiedene Gruppen – auch jene, die bislang kaum in den Dialog einbezogen wurden – erreicht werden. Wir müssen uns mutig in diese neuen Welten vorwagen und Lösungsansätze ausprobieren.