Weiterbauen an der Stadt
Dass Thomas Laubert kein „ganz normaler“ Architekt ist, wird schon bei der Ankunft an unserem Treffpunkt deutlich. In einer hübschen Altstadtgasse von Gera, ganz nah am zentralen Marktplatz, betreibt er ein kleines Café – das „Röstkollektiv“ –, in dem er uns mit einem außergewöhnlich guten Cappuccino empfängt. Die Atmosphäre im Gastraum ist familiär und informell. Hinter dem Tresen steht an diesem Tag seine Schwiegermutter an der Siebträgermaschine, zwischendurch kommt ein Stammgast vorbei, den Laubert schon seit seiner Jugend kennt und gleich ins Gespräch einbezieht.
Laubert, der im Gera der 1980er- und 1990er-Jahre aufwuchs, interessiert sich sehr für die Geschichte der Stadt und ihres Baubestands – das zeigt sich bereits früh im Gespräch. Aus einer Nische am Fenster zieht er laminierte Bilder hervor, die historische Zustände des Hauses zeigen, in dem wir uns befinden. Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich hier eine Kaffeerösterei. Später gab es hier unter anderem ein bulgarisches Spezialitätenrestaurant, dessen Natursteinboden aus den 1960er-Jahren heute im Café verlegt ist. Zu DDR-Zeiten wurde die gesamte Hausreihe dieser Straße bereits umgebaut, die Umwandlung zu Ein- und Zweizimmerwohnungen galt als vorbildhaft. In den 1990er- und 2000er-Jahren nutzten Laubert und seine Freunde hier sehr günstig Wohn- und Proberäume. Die Straße war damals eher heruntergekommen, die Eigentumsverhältnisse, wie Laubert es formuliert, „recht lasch“. Heute ist das kaum mehr vorstellbar – der Ort wirkt gepflegt und idyllisch.
Auch über die Geschichte der Stadt spricht Thomas Laubert. In der DDR-Zeit war Gera durch die in der Region tätige Wismut AG, die Uran unter anderem für sowjetische Atombomben förderte, zu einer wohlhabenden Bezirkshauptstadt geworden. Diese Phase hinterließ bauliche Spuren: „Man hat in der Stadt sehr viel umgebaut, neu strukturiert. Wenn man in die eine Richtung schaut, sieht man eine herrliche Altstadt mit historischen Gebäuden, in die andere Richtung einen riesigen Plattenbaueinschnitt. Wir sind eine Stadt, in der Weiterbauen schon immer eine Rolle gespielt hat“, sagt Laubert.

Architekturstudio Mitte, Neuer Eingang ins Kulturzentrum Häselburg, Gera 2020,
Foto: Architekturstudio Mitte
Auch die Zeit als Jugendlicher sei in gewisser Weise vom Gebäudebestand geprägt gewesen: „Wir hatten eine aufregende Jugend, die sowohl von der Vorwende- als auch von der Nachwendezeit geprägt war – und vor allem vom Verlust und dem Freiwerden von Räumen. Die ganzen Industrien sind kaputtgegangen, Fabrikanlagen waren zugänglich, wir konnten uns dort zum Beispiel kleine Skateparks reinbauen – und niemanden hat es gestört. Es war einfach viel ‚Gebäudematerial‘ da. Und das ist heute wieder Thema: Wir haben ganz viel Bestand mit unklarer Zukunft – wie nutzen wir den um?“ Auch um Antworten auf diese Frage zu finden, sei er letztlich wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Zunächst machte Thomas Laubert jedoch eine Ausbildung zum Stuckateur in Dresden – danach holte er das Abitur nach und begann ein Architekturstudium in Leipzig. Zu dieser Zeit war die Einwohnerzahl der Stadt noch rückläufig, und der bauliche Leerstand bot, wie auch in Gera, enorme Möglichkeiten zur Aneignung für Partys und „nicht ganz offizielle“ Stadtverschönerungen. Für Laubert war dies auch der Beginn seiner Leidenschaft für den Bestandserhalt: „Wenn Häuser erst einmal gebaut sind, müssen wir uns Gedanken machen, was wirklich notwendig ist. Es ist besser, zunächst zu erhalten, auch wenn es noch keine perfekte Lösung für die Weiternutzung gibt.“

Architekturstudio Mitte, Detail Treppenraum Häselburg, Podest im ersten Obergeschoss, Gera 2020, Foto: AM

Architekturstudio Mitte, Neuer Treppenraum des Kulturzentrums Häselburg mit sich etagenweise verändernden Treppenläufen, Foto: AM
Aus familiären Gründen entschied sich Laubert jedoch schließlich zur Rückkehr nach Gera. „Ich fand Leipzig super – aber ehrlich gesagt: Leipzig braucht mich nicht. Gera braucht mich mehr.“ Vor allem die strukturelle Krise, in die Gera durch den Systemwechsel geraten war sowie der Rückgang der Einwohnerzahl um rund 50.000, hinterließ viel ungenutzten Raum, der heute wieder Potential bietet: „Der Gebäudebestand und die Infrastruktur sind bereits da. Statt neu zu bauen, sollten wir heute lieber Arbeitsplätze und kreative ‚Macher‘ hierherholen – und diese Entwicklung unterstützen, indem wir leistbaren Lebensraum schaffen.“
Zurück in Gera bot sich für Laubert bald die Möglichkeit, die Orte seiner Jugend auch architektonisch mitzugestalten. In der Straße, in der sich heute das Café befindet, hatte ein westdeutscher Investor eine ganze Häuserzeile gekauft – nach der Sanierung des ersten Hauses wollte er die übrigen jedoch wieder verkaufen. Laubert, der damals noch in einem größeren Büro arbeitete, schlug vor, selbst als Bauträger einzusteigen und die Entwicklung sowie Umsetzung der Umbauten zu übernehmen.
Laubert war zu diesem Zeitpunkt erst Mitte zwanzig. Womöglich gerade deshalb, sagt er rückblickend, habe er sich das Projekt zugetraut: „Das würde ich heute nicht mehr so blauäugig sehen. Ich war für mehrere Millionen verantwortlich, das hat mir einige schlaflose Nächte bereitet. Da habe ich gemerkt, was es heißt, Bauherr zu sein.“ Gleichzeitig sei es ihm wichtig gewesen, dass es kein rein profitorientiertes Projekt ist: „Es musste funktionieren, aber es sollte nicht ausbeuterisch sein.“
Heute gehören ihm auch ein Teil der Häuser. Darin befindet sich, neben Wohnungen, die er günstig vermietet, auch sein Büro, das wir im Anschluss kurz anschauen. Hier arbeiten derzeit zwei Mitarbeitende. In jedem Zimmer hängen Fotos des ursprünglichen Zustands des Raums an den Wänden – auch hieran lässt sich ablesen, dass Laubert viel Wert auf Vermittlung legt, und darauf, die Verbindung zur Geschichte zu erhalten. Hier und dort liegen, hängen oder stehen neben Werken aus Kunstprojekten, historische Bauteile – etwa eine Supraporte oder eine freistehende Badewanne, die wie ein Ready-made im Raum platziert ist.

Den Bestand mit kleinen Eingriffen weitergestalten: Ölgemälde mit von Thomas Laubert ergänzter Klebeecke, Foto: Architekturstudio Mitte
Seit dem ersten Projekt sind viele weitere entstanden, davon einige im Bestand, aber auch Neubauten in Holzmassivbauweise. Im nahegelegenen „Kulturzentrum Häselburg“ bestand die Herausforderung darin, eine neue Nutzung zu ermöglichen und drei Gründerzeitgebäude über ein neues Treppenhaus mit Aufzug zu erschließen. Unverputzte Wände, schroff freigelegte Ziegelflächen und ein mit gebogenen Stahlplatten verkleideter Aufzugsschacht prägen den neuen Verbindungsteil. Beim Hinaufsteigen wird das Treppenhaus heller, ganz oben öffnet ein Oberlicht den Raum. Zwar will der Architekt sichtbare Zeichen seiner Zeit setzen, doch oberstes Ziel bleibt für ihn der Bestandserhalt – möglichst substanzschonend. „Gutes Gestalten ist auch mit kleinen Dingen möglich“, so Laubert.
Beim Projekt Häselburg war Laubert nicht nur Architekt, sondern – gemeinsam mit dem Investorenpaar – auch einer der Ideengeber. Damals war er unter anderem tätig als Vorstand der Kunstschule Gera e.V., welche nun einen wesentlichen Teil des Gebäudes nutzt. Wenn man Thomas Laubert lauscht, kann schon mal ein wenig Verwirrung aufkommen bei so vielen verschiedenen Rollen, die er bei seinen Projekten bereits eingenommen hat. Oft ist seine Tätigkeit als Architekt mit zivilgesellschaftlichem Engagement verwoben, beides lässt sich teilweise kaum voneinander trennen.

Architekturstudio Mitte, Schloss Osterstein, freigelegte und ergänzte Mauerreste des Hauptschlosses, Zwischenstand 2025, Foto: AM

Architekturstudio Mitte, Terrassencafé Osterstein. Um ein neues Nutzungskonzept zu finden, wird der ehemalige Ausflugsort diesen Sommer als Café, Workshop-, Präsentationsraum und als Kommunikationsort genutzt. Foto: AM
Zum Abschluss besichtigen wir eine Baustelle auf einer Anhöhe oberhalb der Stadt, von der aus man einen weiten Blick über das im Tal der Weißen Elster gelegene Gera und die umgebende Mittelgebirgslandschaft hat. Früher stand hier das Schloss Osterstein, einstige Residenz der Fürsten von Reuß-Gera. Es wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und danach zurückgebaut – die Materialien wurden mitunter in nahegelegenen, landwirtschaftlichen Bauten weiterverwendet. Neben erhaltenen Resten der Schlossruine, die Laubert in eine Mischung aus Freiluftmuseum und Garten transformiert, befinden sich dort auch Wohngebäude unterschiedlichen Baualters, deren kleine, dunkle Wohnungen unter seiner Leitung zu helleren, komfortableren Einheiten mit Ausblick in die Landschaft umgebaut werden.
Auf dem ehemaligen Schlossareal entstand in den 1960er-Jahren ein Terrassencafé, das inzwischen leer steht. Aktuell fehlt es noch an Nutzungskonzepten, doch Laubert will Bewegung in den Prozess bringen. Im Sommer soll ein improvisiertes Pop-up-Café entstehen – mit Know-how aus dem Architekturstudio und dem Röstkollektiv in der Altstadt. Ziel ist es, den Ort in Zukunft neu zu beleben, Menschen mit einzubeziehen, Ideen zu testen und mögliche langfristige Nutzende zu finden. Laubert ist überzeugt: „Mit dem richtigen Konzept werden Baukosten und Materialverbrauch reduziert – dem sollten wir auch als Planer mehr Aufmerksamkeit schenken“.
Dass der Innenraum des Cafés durch hohe Fensterbrüstungen wenig Ausblick über die Silhouette der Stadt bietet, wenn man sitzt oder sich in der Raummitte aufhält, löst Laubert durch eine einfache, aber wirksame Intervention: Ein Holzpodest bringt die Besuchenden auf Augenhöhe mit der Aussicht. Was Thomas Laubert antreibt, ist weniger ein großer Umgestaltungswille als die Lust am Weiterdenken bestehender Räume und verbauter Materialien – mit einem pragmatischen und zugleich visionären Blick auf den Bestand und seine Möglichkeiten.
Elina Potratz
Neu im Club im DAZ
Talk mit Thomas Laubert (Architekturstudio Mitte, Gera)
und Alexej Kolyschkow (ZILA, Leipzig)
17. Juli 2025, 19.00 Uhr
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