Buch der Woche: The Last Best Hiding Place

Keine Hoffnung nirgends…

Es gibt Gegenden, in denen man nicht einmal begraben sein möchte. Der Westen der Vereinigten Staaten von Amerika könnte dazugehören. Jedenfalls, wenn man das Album „The Last Best Hiding Place“ des englischen Fotografen Tim Richmond (*1959) durchblättert. Von 2007 bis 2014 war er in den US-Bundesstaaten Montana, South Dakota, Wyoming und Utah unterwegs und hat vordergründig eine Sammlung von Tristessen aufgenommen. Die Aufnahmen wechseln von Landschaftsfotografien zu Interieurs, von Street Photography zu halbfigürlichen Portraits, von Detailaufnahmen zurück zu Landschaften. Richmonds Arbeiten zeigen verlassene Straßen, einsame Typen, leere Landstriche, verlassene Räume, verblasste Bilder, tote Siedlungen.

Die versiffte Badewanne mit Kaulquappen oder ähnlichem in Bighorn/Wyoming war ihm genau so ein Foto wert wie die einsame Kapelle in der Oglalla Sioux Reservation in South Dakota. Ein paar junge Rodeo-Cowboys hat er bei einem Gebet in Cody/Wyoming beobachtet, der blonde Engel im irgendwie unpassenden Hippie-Gewand in Sheridan ist ihm wie der alte bärtige Typ mit der Thermotasse auf der Pleasant Street in Miles City/Montana vor die Kamera gelaufen. Die Kenneth Copper Mine in Utah geht so tief in die Erde wie ein rheinischer Braunkohletagebau, und der kleine Dicke von der Mainstreet in Eureka/Utah hat vor dem Hemdaufdruck „Brave and Strong“ auch schon eine Patrone um den Hals hängen. Eine schlechte Wandmalerei klärt in Kordan/Montana über Rauschdrogen auf. „Meth trashes Your Dreams“ steht da, und das könnte genauso für die gesamte Szenerie gelten, die Richmond eingefangen hat. Abgesang auf eine Utopie:„Land of the Free“.

Das war’s? Nein, die Bildreihe ist viel mehr: In der Zusammenschau ergeben die Fotos ein visuelles Drehbuch: Die Protagonisten sind Cowboys, Huren, Weirdos, ein paar nette Mädchen, es sind kaputte Bergwerke und unendliche Prärien, Trümmer und Wracks, Straßen ohne Ende, ohne Menschen, aber mit Tankstellen. Bei allen seinen Fotoserien hat sich der englische Fotograf bisher von Filmen anregen lassen. „The Last Best Hiding Place“ ist gewissermaßen selbst ein Storyboard: Ein moderner Western ohne richtige Handlung, aber mit einer fühlbaren Stimmung, intensiv nachgezeichnet wie in „Fargo“ oder „No Country for Old Men“ von den Coen Brothers, oder in „Hud“ von Martin Ritt, auf den Tim Richmond sich selbst bezieht. Keine Hoffnung nirgends, aber irgendwas lässt die Leute da leben…

Andreas Denk

Lee C. Wallick/Tim Richmond (Hrsg): Tim Richmond. The Last Best Hiding Place, mit einem Text von Jörg Colberg, 144 S., 66 Farbabb., Kehrer Verlag, Heidelberg 2015, 39,90 Euro, ISBN 978-3-86828-603-8.

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