Buch der Woche: Biografie von Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte

Mehr als nur ICC

Das Internationale Congress Centrum in Berlin ist als ICC in die bundesdeutsche Architekturgeschichte eingegangen. Es nimmt dort einen der interessantesten Plätze ein, stammt es doch aus einer baulichen Epoche, auf deren formalen Kanon sich erst nach und nach, dafür nun aber mehr und mehr, Menschen einigen können. Gelinde gesagt: Der Bau ist und war umstritten. Von den einen beschimpft und verunglimpft, galt er den anderen stets als mustergültiges Beispiel einer Zeitschicht, die ihre gebauten Spuren in der Stadt mit viel Verve hinterlassen hat.

Die Architektin Ursulina Schüler-Witte und ihr Mann Ralf Schüler beschäftigten sich mit dem Projekt seit dem Spätsommer 1965 – eröffnet wurde das über 300 Meter lange Gebäude schließlich im April 1979. Welch verschlungene Wege das Projekt in diesen knapp 14 Jahren genommen hat, schildert nun eine im Lukas-Verlag verlegte Biografie aus der Feder von Ursulina Schüler-Witte. Natürlich beleuchtet die Publikation nicht nur das ICC, aber schon der Untertitel von „Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte“ verdeutlicht, welch großen Stellenwert das Projekt in Werk und Leben der beiden Architekten hat und hatte: „Eine werkorientierte Biografie der Architekten des ICC“. Zudem ziert eine eindrückliche Aufnahme des großen Veranstaltungssaals des ICC das Cover.

Entsprechend nimmt das ICC auch 72 der 227 Seiten des Buches ein. Die anderen Projekte kommen deutlich kürzer. Ursulina Schüler-Witte ist keine Schriftstellerin. Das merkt man beim Lesen des Buches. Seiner Qualität tut dies indes keinen Abbruch. Auf sympathische Weise schildert sie das Werden der Beziehung zu ihrem 2011 verstorbenen Mann wie das der Projekte aus unmittelbarer Nähe. Das ist im Stil nicht immer sonderlich elegant, in der Wirkung für das Buch aber ehrlich authentisch und somit bereichernd. Detailliert beschreibt die Autorin etwa, wie ihr damaliger Chef, Bernhard Hermkes, für den die beiden jungen Architekten in den 1960er Jahren noch während ihres Studiums tätig waren, verärgert den Telefonhörer auf die Gabel wirft, als Schüler-Witte und ihr Mann ihn um eine dreitägige Verlängerung des Jahresurlaubs bitten, in dem der Wettbewerbsbeitrag „für die Erweiterung der Berliner Ausstellungen  und den Bau einer neuen Kongresshalle für 4.500 Personen“ entsteht.

Schüler-Witte beginnt das Buch – nach einer Widmung für ihren Ehemann – mit einem Vorwort, das die Faszination Ralf Schüler-Wittes für technische Gerätschaften in der Beobachtung der Luftschiffe „Graf Zeppelin“ und „Hindenburg“ über Berlin im März 1936 gründet. Entstanden ist daraus nicht nur eine beeindruckende Sammlung von Apparaten und Fahrzeugen, sondern auch ein stetes Reiben am Technischen als gestalterisches Sujet. Es folgen interessante Einblicke in das Studentenleben der beiden, gefolgt von Projektbeschreibungen und dem abschließenden Kapitel „Die letzten gemeinsamen Jahre“.

Den Auftakt des Werkverzeichnisses bilden die U-Bahnhöfe, die das Architektenpaar entworfen hat und das „Bierpinsel“ genannte Turmrestaurant in Steglitz. Relevanz erlangt das Buch nicht zuletzt auch durch den Umfang dieser Projektdarstellungen, die das Werk der beiden Architekten eben nicht – wie sonst so häufig – auf das ICC verengt. Stattdessen finden auch Wohnanlagen, Brücken und nicht ausgeführte Wettbewerbsbeiträge ihren verdienten Platz. Aus dieser Umfänglichkeit, die mit vielen Abbildungen unterschiedlicher Güte illustriert ist, und dem persönlichen Duktus der Erzählerin zieht das Buch seine Qualität. Damit ist es nicht nur den Fans der Architektur der späten sechziger bis achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ans Herz gelegt, sondern allen, die etwas wissen wollen, über das Werden von Architektur und Architekten.

David Kasparek

Ursulina Schüler-Witte: Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Eine werkorientierte Biographie der Architekten des ICC, 227 S., ca. 175 teils farbige Abb., Lukas Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-86732-212-6

 

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