Buch der Woche: Gebaute Geschichte

Authentizität im Stadtraum

Der Begriff „authentisch“ steht in Diskursen um die Stadt hoch im Kurs – etwa in Hinblick auf Altstädte, Orte historischer Ereignisse oder auch lokale Bautraditionen. Ähnlich wie in anderen Verwendungszusammenhängen verbindet man auch in der Architektur mit Authentizität vor allem Positives. Was aber genau ein Gebäude authentisch macht, ist dabei nicht einfach zu beantworten. Der Leibniz-Forschungsverbund Historische Authentizität, der sich auf unterschiedlichen disziplinären Feldern mit Authentizität beschäftigt, bearbeitet in der neuesten Publikation „Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum“ den Städtebau und die Architektur und beleuchtet die Thematik multiperspektivisch und mit zahlreichen Fallbeispielen. In dem Sammelband wird den Herausgebern Christoph Bernhardt, Martin Sabrow und Achim Saupe zufolge insbesondere der „gesellschaftlich vermittelte Prozess der Zuschreibung und Akzeptanz von Authentizität“ in den Vordergrund gerückt.

Im ersten Teil des Buches wird die Thematik aus disziplinären Blickwinkeln, so etwa der Denkmalpflege, durch Frank Pieter Hesse oder für den Städtebau durch Harald Bodenschatz beleuchtet. Hesse weist als ehemaliger oberster Denkmalschützer Hamburgs auf den unersetzlichen Wert der Substanz eines Baudenkmals hin: nur, wenn diese erhalten sei, könne „es als Quelle historischer Fakten und Umstände heute und in Zukunft immer wieder neu befragt und interpretiert werden“. Dabei könnten aber auch nach-bauzeitliche architektonische Schichten erhaltenswert sein, ebenso sei aber auch nicht ausnahmslos alles am und im Denkmal bewahrenswert. Denkmalwürdigkeit und Authentizität werden dabei als recht eng beieinanderstehende Kategorien aufgefasst, die umso höher ausfallen, je geringer der Anteil des Rekonstruierten ist.

Ganz anders ist die Debatte, wenn durch Kriegszerstörungen, Verfall oder Abriss keine Substanz mehr von einem Bauwerk übrig ist. Im zweiten Buchteil zu „Authentizitätskonflikten“ betrachtet Kathrin Zöller in ihrem Text zum rekonstruierten Potsdamer Stadtschloss die Argumentationslinien der Wiederaufbau-Befürworter, bei denen der Authentizitätsbegriff zum einen in Hinblick auf die Forderung nach detailgetreuer Nachbildung des Original-Bauwerks bemüht wurde – Authentizität also als eine möglichst gute Nachahmung oder, drastisch formuliert, eine optimal verschleierte „Täuschung“ – und zum anderen in Bezug auf das hiermit ermöglichte Anknüpfen an das Preußentum als die „wahre“ Geschichte. Wie Zöller treffend konstatiert, offenbart sich dabei „ein Sinnbildungsprozess, der sich als ahistorische, selektive und instrumentelle Geschichtsaneignung zu Gegenwarts- und zukunftsorientierten Zwecken beschreiben lässt“.

Auch die internationale Perspektive bleibt nicht aus: neben Ulrike Freitags Aufsatz zur Restaurierung arabischer Architektur in Saudi-Arabien betrachtet unter anderem Andreas Fülberth die Rathausplatz-Bebauung in Riga. Den Abschluss bilden drei Texte zu Authentizitätskonstruktionen im Geschichtstourismus, in denen die Rolle der Tourismusindustrie auf Authentizitätsdebatten im urbanen Kontext erläutert wird.

Insgesamt erlaubt das Buch einen tiefen Einblick in den Umgang von Gesellschaft, Politik, Denkmalpflege, Einzelakteuren und Tourismuswirtschaft mit den baulichen Zeugnissen vergangener Zeiten und die dabei verwendeten Argumentations- und Legitimierungsstrategien für Bewahrung und Rekonstruktion. Hierbei taucht Authentizität immer wieder als zentraler Begriff auf, der jedoch auch andere semantische Aufladung erfährt, und teils sogar von opponierenden Parteien aufgegriffen wird. Es zeigt, wie groß das Bedürfnis vieler Akteure der Stadt danach ist, die Geschichte und deren vermeintliche oder echte Zeugnisse für sich in Anspruch zu nehmen. Das Authentische kann dabei, so die Herausgeber, als „Anker der Selbstvergewisserung“ zwischen Vergangenheit und Gegenwart fungieren, aus dem sich unter anderem städtische Identität konstituiert.

Elina Potratz

Christoph Bernhardt, Martin Sabrow, Achim Saupe (Hrsg.): Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum, 328 S., 48 Abb., 29,90 Euro, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, ISBN 978-3-8353-3013-9

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