Bildsprache landschaftsarchitektonischer Konzepte

Das einfache Bild

Zeiten hoher gesellschaftlicher, technischer, normativer und politischer Komplexi­tät und daraus folgender Überforderung des Einzelnen scheinen geschichtlich betrachtet immer Gegenbewegungen zu erzeugen. Dazu zählen Tendenzen zur Vereinfachung, zur Rückbesinnung auf das Wesentliche, und die Sehnsucht nach einer Komplexitätsreduktion. Im Bauen ist dies heute unverkennbar ein Trend. Um das Einfache vorstellbar zu machen, braucht es einfache Bilder und Abstraktionen. Längst konkurrieren überbordende Mengen solcher Bilder nicht nur in sozialen Medien um ein Publikum, längst lösen Bilder das geschriebene Wort ab.

„Gärten sind von je her das Versprechen auf eine bessere Welt“(1) (Jean-Luc Nancy). Einfache Bilder verfügen über eine enorme Macht. Der Wille zur Komplexitätsreduktion bildet sich seit jeher in Religionen in der Idee der Tugenden ab. Mäßigung und Verzicht verheißen das bessere Leben, aber auch gesellschaftliche Handlungskonventionen und Moralbegriffe basieren darauf. Aristoteles setzte in seinem Werk Politik das einfache „natürliche“ Leben (Jagd und Ackerbau) gegen das „unnatürliche Leben“, das nur nach Anhäufung von Besitz strebt. Die Reduktion auf das Einfache wurde also mit dem Bild des Ruralen (Ländlichen) verbunden, während das Lasterhafte mit dem Bild des Urbanen, dem Städtischen, verbunden schien. Philosophie, Literatur und Baukunst antworteten auf diese Zuschreibung der Einfachheit stets mit neuen Entwürfen und damit neuen Bildern. Je einfacher diese gelangen, umso besser, aber was verbirgt sich dahinter? Die Entwicklung dieser Bildwelten lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Gartenkunst und Landschaftsarchitektur darlegen. In sieben kurzen Episoden sollen diese beleuchtet und im Zusammenhang zu ihren philosophisch-literarischen Vorbildern dargestellt werden.

Kamei Tôbei, Steingarten des Ryōan-ji (gemeinfrei)

Einfach nur Steine

„Oh Ruhe und Stille! Der Zikaden Stimme zirpt sich in den Fels hinein.“(2) Das Haiku aus dem Jahre 1689 des japanischen Dichters Matsua Munefusa, genannt Bashô, erzeugt beim Lesen vielfältige Natur-Assoziationen. Die Gedichtform stammt aus der Edo- oder auch Tokugawa-Zeit Japans. Die reduzierte Struktur des Gedichts bildet bewusst die Einfachheit einer meditativen Lebensweise ab. Auf seinen vielen Wanderreisen beschrieb Bashô Natur-Landschaften. Die japanische Gartenkunst wurde durch zahlreiche Textquellen inspiriert. Die Nachahmung natürlicher Landschaften erschuf Bildwelten im Miniaturformat. Dieser Stil, aus China importiert und in Japan weiterentwickelt, wurde auf Textrollen, dem Sakuteiki, genau beschrieben und diente der Anleitung zum Bau von Gärten. Darin wird unter anderem das perfekte Platzieren von Steinen in einem Kiesbett beschrieben. Die Reduktion auf einfache Materialien und genau komponierte Raumvorstellungen wurden in den späteren Zen-Gärten sublimiert. Mit dem im Japanischen als Karesansui bezeichneten Trockengarten, der nur aus Kies, Steinen und Moos besteht, wurde schließlich ein Stil entwickelt, der als Gegenbild zu den überbordenden Miniaturlandschaften vorheriger Parks zu sehen ist. In Kyoto, im Steingarten Ryōan-ji, der um 1500 entstand, wird diese einfache Bildwelt zur Raum gewordenen Anleitung. 15 Steine sind im Garten gesetzt. Es gibt keinen Blickwinkel, von dem aus man alle Steine in ihrer Gesamtheit sehen kann. Die Anleitung zur Zen-Meditation heißt: den 15. Stein zu sehen. Ein einfaches Bild für eine hochkomplexe Denkschule.

Steinerner Orcus im Parco dei Mostri, Foto: Ben Skála, Benfoto (CC BY-SA 3.0)

Einfach furios

„Da kommt das Ungetüm! Halb in den Wogen / Verborgen ist es, halb ragt es heraus / So wie ein Schiff im Nordwind kommt geflogen / Und nach dem Hafen eilt im Sturmgebraus: / So wird von seiner Mahlzeit angezogen / Das Scheusal –: seht, gleich speit das Meer es aus.“(3) Durch den weit aufgesperrten Rachen des steinernen Orcus betritt man im Parco dei Mostri eine finstere Kammer. Der in einem Heiligen Wald gelegene Park in Bomarzo, nordwestlich von Rom, lässt zahlreiche Bilder mythologischer Gestalten real erlebbar werden. Der im 16. Jahrhundert durch den Fürsten Vicino Orsini errichtete Park bei Viterbo spielt mit grotesk anmutenden Bildern.(4) Durch das Maul eines übergroßen Monsters zu schreiten, in einem schiefen Haus die Balance zu verlieren, sind nur zwei Beispiele des Bild- und Erlebnisprogramms eines Landschaftsgartens der manieristischen Renaissance. Inspiriert wurde der Fürst und seine Künstler durch den Roman Ariosts, „Orlando Furioso“ aus dem Jahr 1516. Der in deutscher Übersetzung als „Rasender Roland“ bezeichnete Held der Geschichte verliert auf Grund seiner rasenden Liebe den Verstand. Ein Helfer findet diesen in einer Flasche eingesperrt erst auf einer wilden Reise zum Mond und bringt ihn dem Besitzer zurück. Die Komplexität des Versepos, das aus 4822 Stanzen besteht (ital. stanza, „Raum“, im Sinne: Gedanken einen Raum geben), wird im Park von Bomarzo in einfache Raumbilder übersetzt und ermöglicht so ein Verständnis für die Romanfigur und die komplexe Handlung. So wird die Parklandschaft mit ihren Bauten zum begehbaren Gedicht. Das Versepos erscheint dem Besucher in einem Garten mit schiefen Türmen, pittoresken Brücken und bemoosten Giganten. Ein Bildprogramm, das sich in vielen späteren Parks des Barock, in den englischen Landschaftsgärten und heutigen Fantasy-Parks fortsetzt.

Einfach zerfallen

„… näher am Schlosse ist die Hermitage sehr artig angeleget, als ein wegen seines Alters zum gänzlichen Ruin und Untergange sich neigendes Werk, so man nicht ohne Verwunderung besehen kann. Bald scheint es, man habe mit Kalk und Steinen etwas daran verbessern und den Einfall verhindern wollen, bald fürchtet man, daß die hie und da sehr geborstenen Mauern, und an etlichen Orten nur ein wenig noch hängende Backsteine im Augenblicke gar zusammenfallen werden. Alles dies ist mit solcher Kunst nachgeahmet, dass auch einer von unserer Gesellschaft, der doch schon einmal mit dem Churfürsten hier gewesen, in Gedanken und spottweise unsern Führer fragte: wer der Baumeister von diesem so schlecht geratenen Werke sei …?“(5) 1729 besuchte der vielgelesene Reiseschriftsteller Johann Georg Keyßler die neu errichtete Kapelle und beschreibt die Ruinenarchitektur in seinem 1740 erschienenen Werk „Neueste Reisen durch Teutschland, Böhmen Ungarn, Schweiz, Italien und Lothringen“.

Magdalenenklause, Schlosspark Nymphenburg, Foto: vermutlich Ferdinand Finsterlin (gemeinfrei)

Keyßler wusste sehr wohl, dass es der Baumeister Josef Effner war, der mit dem Bau einer Eremitage in Form einer einfachen und ruinenhaft gestalteten Kapelle 1725 von Kurfürst Max Emanuel von Bayern beauftragt war. Die bauliche Verkörperung eines frommen und nach außen hin bescheiden erscheinenden Lebens war die Aufgabe. Die barocke Frömmigkeit des Kurfürsten hatte diesen veranlasst, die Kapelle inmitten scheinbar wilder Natur anlegen zu lassen – eine Einsiedelei als Rückzugsraum vom komplexen höfischen Leben. So wurde die Magdalenen-Kapelle in einem wilden Garten, dem „jardin sauvage“ des Nymphenburger Parks errichtet. Joseph Effner wurde für die Konzeption des kleinen Baus beauftragt. An der Stelle, wo schon 1647 eine kleine Holzkirche mit einem der Heiligen Magdalena geweihten Messbenefizium bestand, sollte eine als Ruine entworfene Klause entstehen. Der Auftraggeber war damit ganz im Stil der Zeit. Viele Adelige begannen in ihren Parks Eremitagen, Ruinen und kleine, ländlich anmutende Weiler zu errichten. Der 1728 fertiggestellte Bau weist mehrere Raumtypen auf. Im Süden besteht er aus einem als Grotte gestalteten Eingangsbereich, im Norden aus einer Abfolge von einem mit einfachem Eichenholz, à la Capucine, vertäfelten Wohnraum, einem Refektorium und der eigentlichen Kapelle.

Die Fertigstellung der Kapelle erlebte Max Emanuel selbst nicht mehr. Der Reiseschriftsteller scheint der Einweihung der Kapelle beigewohnt zu haben, denn er schrieb weiter: „Der Churfürst von Cölln hat erst vorm Jahre den Altar selbst eingeweiht, bey welcher Gelegenheit sich die Gesellschaft sehr lustig gemacht, und für zweihundert Thlr. Trinkgläser zerbrochen hat.“(6) Bis heute fasziniert das Ruinenbild im Park, das der Frühaufklärung zugeordnet werden kann. Die einfache Bildübersetzung für Bescheidenheit – eine „Architektur des Verfalls“.

„Hameau de la Reine“, Versailles, Foto: ToucanWings (CC BY-SA 3.0)

Einfach natürlich

„Während die Gebäude von außen aufgrund der Strohdächer, Steinmauern und des aufgemalten Schmutzes als vermeintlich vernakuläre Architektur erscheinen, waren die Innenräume teilweise prunkvoll ausgestattet“(7), schreibt Felix Vogel in seiner umfassenden Studie zum Bau des kleinen Dorfes „Hameau de la Reine“ in Versailles. 1783 hatte Königin Marie Antoinette den Bau eines ländlichen Weilers beauftragt. Das einfache und ‚natürliche‘ Leben, das sich die Königin hier einrichten wollte, sollte in einer einfach anmutenden, ländlichen Architektur verbildlicht werden. Das Ländliche wird mit Natürlichkeit gleichgesetzt. Natürlichkeit steht für Einfachheit und diese für Authentizität und Echtheit im Gegensatz zur artifiziellen Architektur.

Die barocke Bilderwelt in den Gärten des Absolutismus, die sich auf mythologische Sagen und Götterwelten bezogen, wurden durch die Einflüsse der Aufklärung gartenkünstlerisch und ikonografisch radikal verändert. Schriften von Jean-Jacques Rousseau in Frankreich und David Hume in England beeinflussten das Bildprogramm der frühen englischen Landschaftsgärten wie Stowe oder Prior Park. Eine neue Natürlichkeit wurde gestalterisch komponiert. Das Pittoreske hielt Einzug mit naturnah gestalteten Wildbächen, Wasserfällen, Seen und Dörfchen. Diese natürlichen Bildhintergründe bilden das Tableau für den Bau kleiner Tempel und neu-gotischer Parkstaffagebauten wie Kirchen und Türmen als Bezug zur griechischen Philosophie und der Gelehrtheit des Mittelalters an vielen Orten.

A. W. F. Schirmer, Anweisung für Baumgruppenpflanzungen des Fürsten Pückler (gemeinfrei)

„… Wenn ich das Hervorrufen eines Bildes, nicht mit Farben, sondern mit wirklichen Wäldern, Bergen, Wiesen und Flüssen so nennen, und dem Gebiete der Kunst anreichen darf…“, schreibt Fürst Pückler 1834 in seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei“ und empfiehlt dem Gärtner „nur die technische Ausführung eigener Ideen übergeben zu dürfen, und so ein aus eigener Individualität entsprungenes Kunstwerk selbst darzustellen, anstatt sich einen Garten, oder vielmehr eine Gegend machen zu lassen, wie man ein Kleid beim Schneider bestellt.“(8) Damit verfasst er das wohl erste Handbuch, besser ein Coffeetablebook, der Gartenkunst, das fortan in den Fürstenhäusern Europas die Blaupause für die Umgestaltung von barocken Parks in Gärten in der Manier der Englischen Landschaftsgärten darstellt.

Pückler malt Bilder mit Pflanzen und setzt das „Natürliche“ gegen das „Gekünstelte“, das die bisherigen Parks des Barock prägte. Dazu hatte er die Gärten Englands bereist und war von dem ästhetischen Ideal des Pittoresken, das unter anderem in den Landschaftsgärten William Kents und Humphrey Reptons seinen Widerhall fand, begeistert. In Pücklers Buch werden mit einfachen Bildern, in Vorher-Nachher-Manier, konkrete Anleitungen gegeben. Er beschreibt wie „gezwungene“ in „natürlich gepflanzte Baumgruppen“(9) verwandelt werden können. Eine Bildwelt der Natürlichkeit und Einfachheit, die bis heute in der Landschaftsarchitektur nachwirkt.

Einfach gärtnern

„Unser Leben zersplittert sich in Kleinigkeiten“ schreibt H.D. Thoreau 1897 in seinem Buch „Walden“. „Ein Ehrenmann hat kaum nötig mehr als seine zehn Finger abzuzählen, in außergewöhnlichen Fällen kann er ja seine zehn Zehen – und den Rest in Bausch und Bogen hinzunehmen. Einfachheit, Einfachheit, Einfachheit!“(10). Seinen Selbstversuch vom Leben in den Wäldern hat er eindrucksvoll festgehalten und seine Reflexionen beschreiben Bilder von dem einfachen Leben in und mit der Natur. Der frühe Vertreter des Nature-Writing hat in seiner Zeit weltweit zahlreiche Bewegungen bis hin zur Naturschutzbewegung im 20. Jahrhundert geprägt. Das tägliche Leben und die Ernährung selbst zu erwirtschaften, wurde auch in Europa eine der zentralen Ideen der Reformbewegung. Die Entstehung von einfachen Selbstversorgergärten wird zum sozialen Thema und zum „Grünen Manifest“(11), das der Gartenarchitekt Leberecht Migge 1918 in seinem Buch mit dem Titel: „Jedermann Selbstversorger! Eine Lösung der Siedlungsfrage durch neuen Gartenbau“, beschrieb. Einfaches Gärtnern ist die simple als auch praktische Idee auf geringer Fläche ganze Familien zu befähigen, sich selbst zu versorgen. Vor dem Hintergrund der Versorgungslage der kriegszerstörten Städte und der darauffolgenden Wirtschaftskrise wird dies eine städtebauliche Strategie. Das urbane Gärtnern der 1920er-Jahre wird in Mustergärten von Migge genauso wirkmächtig bebildert wie das Neue Bauen und die Typenbildungen in den Mustersiedlungen Ernst Mays am Beispiel des Neuen Frankfurt. Um die Praktiken des Gärtnerns gut zu vermitteln, mussten einfache Bilder entwickelt werden.

Leberecht Migge, Jedermann Selbstversorger!, Gartenheim für 5 Personen, Bild: Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin (gemeinfrei)

Einfach wild

„Sobald das Artefakt die Illusion des Natürlichen erwecken will, scheitert es.“(12) Ein Gebirgsfluss inmitten einer Stadt musste immer gezähmt werden, um ihn in seinen Hochwasserzeiten schadlos durch diese zu leiten. So auch die Isar in München, mit ihren Hochufermauern, Flutwiesen und Stauwerken, die dafür sorgten, dass das Wasser genutzt und für den Flutfall sorgenfrei die Stadt passierte. Das steife Betonbett des Flusses wurde im städtischen Bild des 21. Jahrhundert zunehmend als störend empfunden. Die Isar-Regulierung ermöglichte es, ein neues Bild von Stadtnatur zu verwirklichen. Ein Bild, dass durch ökologische Erkenntnisse, aber auch aus einer Natur-Sehnsucht der Städter genährt wurde.

Renaturierte Isar im Süden Münchens, Foto: Burkhard Mücke (CC BY-SA 4.0)

Das Großprojekt der Isar-Renaturierung, das seit den 1980er-Jahren vorangetrieben wurde, schuf schließlich das Artefakt eines Wildflusses, der die Metropole durchströmt. Was als Bild begann, dem Fluss wieder ein natürliches Aussehen und eine angereicherte Biodiversität zurückzugeben, führte zu einem hochkomplexen Bau, dessen technische Einbauten heute geschickt camoufliert sind. Nichts erinnert mehr an die massiven wasserbaulichen Ausbau- und Befestigungsarbeiten im Flussbett. Eine vernakuläre Fluss-Landschaft erscheint den Besuchern des Isarufers und vermittelt, wie bereits in den Gärten der Frühaufklärung und in den englischen Landschaftsgärten angewandt, ein perfektes Bild von Natürlichkeit. Dabei enthält dieses einfache Bild hier unterschiedlichste Bedeutungsebenen. „Das Natürliche als das Biologische, als das Selbstverständliche, als das Nicht-Artifizielle, als das Nicht-Kulturelle, und als das Nicht-Technische“(13) schreibt Schramme 2004. Das einfache Bild der wild erscheinenden Flusslandschaft vermittelt sich allen Besuchern als ein Stück Natur inmitten der Stadt.

Einfach grün

„Cosimo war auf der Steineiche. Die Zweige, hohe Brücken über dem Erdboden, bewegten sich lebhaft. Es wehte ein schwacher Wind, die Sonne schien. Die Sonne drang durch das Blätterdach, und so mussten wir die Hand vor die Augen halten, wenn wir Cosimo sehen wollten. Er aber betrachtete die Welt vom Baum aus: Alles, was man von dort oben sah, war andersartig, und schon das machte Vergnügen.“(14) So schreibt Italo Calvino über den Helden seines Romans „Der Baron auf den Bäumen“ 1957. Vielleicht ist das auch der Eindruck, den man von den Bäumen Stefano Boeris’ auf dem Bosco Verticale in Mailand haben kann. Der Architekt hat gemeinsam mit der Botanikerin Laura Gatti 2014 das Bild eines Waldes einfach in die Vertikale verlagert und zwei Hochhaustürme damit in ein Arboretum der Höhe verwandelt. Das Bild ging um die Welt und die 900 Bäume, in großen Betongefäßen, versuchen seither dem Anspruch dieses Bildes gerecht zu werden.

Architektur hat Grün neu entdeckt. Grüne Häuser sind in waghalsigen Visualisierungen en vogue. Die Bilder haben aber oft wenig mit den realen Umweltbedingungen zu tun. Diese einfachen Bilder zu realisieren, bedeutet eine komplexe landschaftsarchitektonische und technische Planung. Manche „Grünen Wände“ werden immer noch mit einem zweiten Besatz von Pflanzen versehen, die auf der Ersatzbank auf ihren Einsatz harren, um die Fassade über Nacht wieder stadtfein zu machen. Das ist weder nachhaltig noch ökologisch. Andere grüne Gestaltungen camouflieren die täglichen Anstrengungen, denn sie funktionieren nur mit einem enormen Einsatz an Unterhalt, nicht selten gepaart mit viel Energie, Chemie und Pflegeeinsatz. Doch die Projekte verändern sich und die Bemühungen sind inzwischen groß, diese grünen Versprechen mit forschungsbasierten, ökologisch sinnvollen und technisch nachhaltigen Konzepten zu hinterlegen.

ingenhoven associates, Calwer Passage, Stuttgart, Foto: HGEsch Photography

Einfache Bilder

Es stellt sich die Frage, welche neuen, welche einfachen Bilder vor dem Hintergrund unserer komplexen Umwelt notwendig sind, um wichtige Transformationen anzustoßen. Sind die Bilder und Montagen der üppig begrünten Gebäude, der blühenden urbanen Gärten und der renaturierten Flüsse, die uns in allen Wettbewerbsillustrationen und Immobilienvermarktungen anspringen, die einfache Losung? Alle diese Bilder machen ein großes Versprechen: einfach grün und alles wird gut.

Ist die suggestive Kraft dieser einfachen Formel in unserem gegenwärtigen Nachhaltigkeits-Diskurs hilfreich? Die Antwort ist einfach: Diese Bildwelten sind wesentliche Wegbereiter und Vermittler im Diskurs zu unserer Stadtnatur und der Schaffung einer lebenswerten Zukunft unserer urbanisierten Umwelt. Das muss für alle vorstellbar sein und machbar erscheinen, auch wenn es in der Praxis viel komplexer ist. Die bessere Welt braucht einfache Bilder.

Prof. Regine Keller studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft an der LMU München, absolvierte eine Theaterausbildung sowie eine Lehre im Garten- und Landschaftsbau und studierte Landespflege an der TU München. 1998 gründete sie das Büro keller landschaftsarchitekten, das heute als Uniola Landschaftsarchitektur Stadtplanung firmiert. Seit 2005 leitet Regine Keller den Lehrstuhl Landschaftsarchitektur und öffentlicher Raum der TU München. Sie ist Mitglied im Bund Deutscher Landschaftsarchitekt:innen bdla, im Werkbund, in der DASL, der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Akademie der Künste zu Berlin und bei ICOMOS.

Fußnoten

1 Nancy, Jean Luc: Am Grund der Bilder. Zürich 2012.

2 Ueberschaar, Hans: Bashô (1644 – 1994) und sein Tagebuch „Okon No Hosomichi“, in „Mitteilungen“ der Deutsche Gesellschaft Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Band XXIX Teil A, Tokyo 1935.

3 Ariosto, Ludovico: Orlando Furioso. Erstdruck Ferrara 1516, erweiterte Fassung 1521. Hier nach der Übers. v. Alfons Kissner, Berlin 1922.

4 Bredekamp, Horst / Janzer, Wolfram: Vicino Orsini und der Heilige Wald von Bomarzo. Ein Fürst als Künstler und Anarchist. Grüne Reihe Quellen und Forschungen zur Gartenkunst, Bd. 7, Worms 1991.

5 Keyßler, Johann Georg: Neueste Reisen durch Teutschland, Böhmen, Ungarn, Schweiz, Italien und Lothringen, 1740.

6 Ebenda.

7 Vogel, Felix: Empfindsamkeitsarchitektur. Der „Hameau de la Reine“ in Versailles. Schriftenreihe Passages, Band 65, Zürich 2023, https://doi.org/10.4000/books.editionsmsh.55558

8 Pückler-Muskau, Herman von: Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, verbunden mit der Beschreibung ihrer praktischen Anwendung in Muskau. Stuttgart 1894. https://doi.org/10.11588/diglit.1668

9 Ebenda.

10 Thoreau, Henry David: Walden, 1897, S. 98.

11 Migge, Leberecht: Der Soziale Garten. Das Grüne Manifest. Berlin 1926.

12 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt 1973, S. 268. Adorno schreibt dies im Zusammenhang mit dem natürlichen Gesang in der Musik, im Vergleich zu „mechanischem Gedudel“ in einer Oper Strawinskys.

13 Schramme, Thomas: Natürlichkeit als Wert, in: Analyse & Kritik 24 / 2002, Stuttgart, S. 249 – 271.

14 Calvino, Italo: Der Baron auf den Bäumen. Frankfurt a. M. 1957.

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