Andreas Hild

Der Primat des Sichtbaren

Ein ideeller Widerspruch zwischen Schein und Sein

Häuser erhalten – im Unterschied zu gewollten Denkmälern wie Skulpturen oder Gedenktafeln – ihren Schutzstatus erst im Laufe der Zeit und durch besondere Deklaration. Dafür kommen unterschiedliche Gründe in Frage. Die rechtlichen Normen, wie beispielsweise das Bayerische Denkmalgesetz, berufen sich auf eine Anzahl verschiedener Kriterien wie die geschichtliche, künstlerische, städtebauliche, wissenschaftliche oder volkskundliche Bedeutung eines Bauwerks. So sehr auch diese Differenzierung im Einzelfall auf bestimmte Merkmale eines einzelnen Gebäudes abstellt: geschützt wird annähernd immer das Haus in seiner Gesamtheit. Das Denkmal also ist, begründet durch seine angenommene Authentizität beziehungsweise Integrität, zumindest in der Theorie nicht teilbar. Und dennoch sind vor der Praxis der Denkmalpflege nicht alle Teile eines Gebäudes gleich. Einige scheinen gleicher zu sein.

Es leuchtet unmittelbar ein, wenn der Fassade in diesem Zusammenhang ein besonderes Gewicht zugemessen wird. Selbstverständlich ist auch die materielle Substanz des Rohbaus besonders zu berücksichtigen, schon aufgrund ihrer schieren Masse. Und gewiss sind die tragenden Konstruktionen charakteristische Teile eines Bauwerks. Hinter der speziellen Wertschätzung, die all diesen Elementen entgegengebracht wird, steht eindeutig ein Primat des Sichtbaren und der materiell dominanten Substanz. Von der reinen Lehre her betrachtet mag das problematisch sein, vor dem Hintergrund der Praktikabilität aber ist diese Entscheidung grundsätzlich nachvollziehbar.

Charlotte Posenenske, Vierkantröhren Serie D, 1967, Foto: Jan Windszus/Galerie Mehdi Chouakri

Nahezu unbeachtet, ja geradezu aus dem Bewusstsein der Denkmalschützer verdrängt, bleibt in diesem Zusammenhang ein gar nicht so kleiner Anteil oberflächlich weitgehend unsichtbarer technischer Systeme, die sehr wohl Teil der Substanz und damit im engeren Sinne des Denkmals sind. Zwar mag die eigentliche Technisierung eines Bürgerhauses aus dem 19. Jahrhundert im Regelfall erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben, die entsprechenden Anlagen sind also nicht bauzeitlich. Ab der Nachkriegsmoderne aber findet eine Verwebung der technischen Systeme mit der gebauten Substanz statt. Eine Trennung der beiden Bereiche ist spätestens in Gebäuden, die nach 1945 entstanden, nicht mehr ohne weiteres möglich. Dass dieser Umstand bislang nicht weiter problematisiert wurde, hat pragmatische Gründe. Schließlich ist der Baudenkmalpfleger oft schon froh, wenn er für die Erhaltung des Volumens und der Fassade sorgen kann. Wer möchte da schon die technischen Gebäudeanlagen ins Spiel bringen. Die Praxis also betrachtet neuere Haustechnik kaum als konstituierenden Teil eines Denkmals. Im Normalfall wird sie nicht zum Gegenstand einer vertieften denkmalpflegerischen Debatte, sondern landet ohne großes Federlesen auf der Deponie. Zurück bleibt ein grundlegender ideeller Widerspruch. Ganz selbstverständlich nämlich wird die Rauchkuchl eines oberbayerischen Gehöfts als wesentlicher Bestandteil seines Denkmalwertes anerkannt, dahingegen findet die Klimaanlage eines Bürohauses aus den 1960er Jahren kaum Würdigung.

Pragmatismus
Es ist sicherlich vernünftig, dass sich die praktische Denkmalpflege daran gewöhnt hat, komplexe Fragestellungen pragmatisch zu behandeln. Und natürlich ist es schwierig, den Eigentümer eines Denkmals davon zu überzeugen, beim Umbau Teile einer technischen Anlage zu erhalten. In den allermeisten Fällen würde dies zudem mit aktuellen Vorschriften und Zulassungen kollidieren. Trotzdem bedürfen die vor dem ideellen Hintergrund des unteilbaren Denkmals aufgeworfenen Fragen einer Erörterung, insbesondere bei der Unterschutzstellung neuerer Baudenkmale. Dabei eine fundamentalistische Position einzunehmen, verbietet bereits der gesunde Menschenverstand. Es ist einfach nicht realistisch, im großen Stile technische Einrichtungen zu erhalten, die nicht mehr funktionieren. Die Argumentationslinie, mit der diese Selbstverständlichkeit ideologisch untermauert wird, lohnt dennoch eine nähere Betrachtung. Sagt es doch einiges aus über die Theoriebildung in der Denkmaldebatte.

Charlotte Posenenske, Vierkantröhren Serie D, 1967, Foto: Jan Windszus/Galerie Mehdi Chouakri

Verschleißteile
Das häufigste Argument gegen die Denkmalwürdigkeit von Haustechnik stellt darauf ab, dass es sich dabei um Verschleißteile handele, die im Zuge eines Wartungszyklus ausgewechselt werden können. Das ist insoweit interessant, als dabei Ursache und Wirkung verwechselt werden. Ein Beispiel: Unbestritten ist, dass kaum mehr ein Haus aus der Barockzeit den originalen Putz aufweist. Dennoch würde ein entsprechender Putz, bestünde er noch, heute sicherlich unter Denkmalschutz stehen und könnte nicht einfach mit der Begründung, es handle sich um ein Verschleißteil, gegen einen Zementputz ausgetauscht werden. Übertragen auf unseren Zusammenhang: Allein dort, wo die originale Haustechnik bereits gewechselt wurde, mag das Verschleißargument greifen. Wir können aber davon ausgehen, dass noch erstaunlich viele der fraglichen Nachkriegsgebäude in einem komplett bauzeitlichen Zustand vorhanden sind. Ganz unabhängig davon: Aus der Tatsache, dass die haustechnischen Wartungszyklen deutlich kürzer sind als die Standzeit eines Gebäudes, ist nicht zwangsläufig zu folgern, dass Anlagenteile aufgrund ihrer reduzierten Lebenserwartung generell vom Denkmalstatus ausgeschlossen seien.

Technikgeschichte
Selbstverständlich sind Aufzugsanlagen, Klimatisierungen, Lüftungsgeräte und Zentralheizungen wichtige Relikte der Technikgeschichte. Haustechnische Anlagen waren in sehr vielen Gebäuden ein wesentlicher Ausdruck der Idee, des Lebensgefühls, ja des Anspruchs ihrer Zeit. Genau genommen vermitteln sie sogar mehr als viele andere Baubestandteile einen Blick auf die Welt ihrer Entstehungszeit. Überspitzt ließe sich fragen, ob es überhaupt sinnvoll sei, ein Bürohaus des internationalen Stils mit seinem Traum von Amerika und einer Erlösung durch Technik ohne die Klimaanlage zu erhalten. Ein historisches Auto gilt doch ohne Motor auch nicht als komplett. Natürlich hat die umfassende Industrialisierung auf diesem Gebiet wesentlich höhere Stückzahlen in der Produktion erreicht. Dies ermöglicht es dem Liebhaber, ein identisches Ersatzteil zu finden und so aus zwei kaputten Autos ein komplettes herzustellen. Der individuelle Zuschnitt technischer Gebäudeausrüstung erschwert es, dieses Verfahren auf die Haustechnik zu übertragen. Dem Besitzer eines alten Kraftfahrzeugs genügt es überdies, mit diesem bei schönem Wetter auf der Landstraße zum Oldtimertreffen zu gelangen. Für den täglichen Bedarf hält er sich ein neues Auto. Ein altes Haus dagegen muss im Prinzip denselben Vorschriften genügen wie ein neues Haus, und auch seine Funktionsweise wird an einem Neubau gemessen. Generell wird das insbesondere für neuere Denkmale auf Dauer nicht zu leisten sein, schafft man nicht die entsprechenden Ausnahmetatbestände.

Charlotte Posenenske, Vierkantröhren Serie D, 1967, Foto: Jan Windszus/Galerie Mehdi Chouakri

Plausibilität
Dabei geht es natürlich auch um die Frage, inwiefern sich der Erhalt historischer Architekturelemente, wie beispielsweise der Haustechnik, den Menschen plausibel machen lässt. Plausibilität ist an sich ein gutes Auswahlkriterium, weil der Begriff auf einen Urgrund der Denkmalidee zurückführt. Denkmäler existieren, um den Menschen eine bestimmte Zeitströmung begreifbar, also plausibel zu machen. Trotzdem: Ein Denkmal kann nicht nur das sein, was die Menschen ad hoc verstehen. Allein die Auswahl der entsprechenden Gebäude ist im Grunde ein elitärer Vorgang. Und oft sind gerade die am kontroversesten diskutierten Themen diejenigen, die eine Epoche im Nachhinein besonders gut charakterisieren. So gibt es keine Bautypologie, die eindrücklicher für die gesellschaftlichen Vorgänge der vergangenen Jahrzehnte stünde als das Atomkraftwerk. Dass ein Erhalt dieser Gebäude im Sinne der Allgemeinheit wäre, ist kaum zu widerlegen. Gute Argumente sprechen für die Präsenz des Baukörpers wenigstens eines deutschen Atomkraftwerks als Zeugnis für eine der bedeutendsten gesellschaftlichen Debatten der letzten dreißig Jahre. Dagegen ist der Erhalt des in diesem Gebäude befindlichen strahlenden Materials gewiss niemandem plausibel zu machen. Der Integrität des Denkmals stehen in diesem Falle sehr gewichtige Abwägungsgründe im Sinne der Allgemeinheit entgegen.

Ästhetik
Es ist nicht ganz richtig zu behaupten, dass der Erhalt von Haustechnik wirklich niemals eine Rolle innerhalb der Denkmaldebatte gespielt hätte. So schließt die Unterschutzstellung des Universitätsklinikums Aachen die Haustechnik des Gebäudes ausdrücklich ein. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass hier eher auf die ästhetische Wirkung der sogenannten High-Tech-Architektur abgestellt wurde als auf deren Funktionsweise. Zumal offenbar das Innere des Technikgeschosses von der Denkmaleintragung ausgenommen ist.

Ohne jede Frage ist es eine Errungenschaft, die ästhetischen Aspekte von Haustechnik, wie in diesem Fall geschehen, zu erkennen und zu würdigen. Zwar läuft dies der durchaus sinnvollen Praxis entgegen, die Ästhetik eines Denkmals nicht überzubetonen beziehungsweise sie in der Diskussion um den Denkmalwert weitgehend auszublenden. Möglicherweise führt uns aber auf dem unbeachteten Gebiet der Haustechnik ausgerechnet eine ästhetische Betrachtung zumindest in Teilbereichen weiter. Die daran anknüpfende Debatte kann zum tieferen Verständnis des Gegenstands beitragen. Und dies, obwohl es sich bei technischen Einrichtungen in der überwiegenden Zahl der Fälle eben nicht um ästhetisch wirksame, sondern um funktionale Elemente handelt.

Charlotte Posenenske, Vierkantröhren Serie D, 1967, Foto: Jan Windszus/Galerie Mehdi Chouakri

Ein Mittelweg
Die bisherigen Ausführungen haben es gezeigt: Die Haustechnik denkmalgeschützter Häuser zu erhalten, ist kein ganz einfaches Projekt. Dennoch darf man sich von diesen Widerständen nicht dazu verleiten lassen, über ein Bewahren der entsprechenden Elemente noch nicht einmal nachzudenken. Ein generelles, radikales Entsorgen würde das fundamentalistische Beharren auf dem unteilbaren Denkmal durch ein anderes Extrem ersetzen. Dabei ist es durchaus als praktikables Verfahren vorstellbar, nur einzelne Teile der Originaltechnik zu bewahren. Sie könnten zumindest exemplarisch bezeugen, welche Aspekte das geschützte Haus über Fassade und Volumen hinaus noch aufwies. In der Denkmalpflege sind derartige Mittelwege noch unüblich, wenn sie auch gerade bei neueren Gebäudeensembles schon mit Erfolg gegangen wurden. Ein schönes Beispiel bietet die Rekonstruktion des olympischen Frauendorfes in München. Wo acht der ursprünglichen Häuschen im Original erhalten blieben, wurden die achthundert restlichen unter Erhalt des räumlichen städtebaulichen Eindrucks, aber stark verändert, neu gebaut. Der reinen Lehre entspricht das wohl kaum. Die Alternative eines Totalverlustes dagegen wäre vielleicht konsequent, aber eben kulturgeschichtlich nicht adäquat gewesen.

Wenn nun also schon die unsichtbaren haustechnischen Anlagen nicht im Ganzen Gegenstand der Substanzdebatte sein können oder sollen, so müsste doch zumindest der ausschnittsweise Erhalt bestimmter Bereiche verhandelbar sein. Dass etwa die Deckenuntersicht eines Bürohauses aus Kühldecke, Sprinklerköpfen und Drallauslässen einen Teil der räumlichen Aussage bildet, steht vollkommen außer Frage. In einzelnen Fällen ist diese mit einem hohen ästhetischen Anspruch entworfen worden. Wenn wir also dem Deckenspiegel den Zeugniswert eines Deckengemäldes zusprächen, könnte man ihn zumindest in Teilen der Räume als Erläuterung des originalen Zusammenhangs erhalten. Damit würde man ein wertvolles Zeugnis bewahren, denn Haustechnik ist insbesondere in der neueren modernen Architektur Ausdruck eines gesellschaftlichen und kulturellen Wandels, der die fragliche Epoche und ihre Gebäude tief geprägt hat.

Charlotte Posenenske, Vierkantröhren Serie D, 1967, Foto: Jan Windszus/Galerie Mehdi Chouakri

Musealisierung
Eine ausschnittsweise Konservierung, die das Alte nachvollziehbar macht und daneben die heutigen Funktionen lebendig abbildet, mag manchen als problematische Musealisierung gelten. Dem Totalverlust ist das aber sicherlich vorzuziehen. Kann man doch im günstigsten Falle von den historischen Relikten auf den Rest des Denkmals schließen und so ein geschichtliches Zeugnis zumindest gedanklich rekonstruieren. Gegenüber dem „echten Denkmal“ fungiert dieses „imaginäre Denkmal“ als eine Art von Prothese. Die Akzeptanz eines solchen Hilfsmittels setzt voraus, dass zuvor die Verdrängung der technischen Substanz als fragwürdige Praxis erkannt wurde. Wo das Verschwinden der Haustechnik gar nicht als Verlust wahrgenommen wird, sind jegliche Erinnerungstechniken sinnlos. Dass man die übliche denkmalpflegerische Praxis weit dehnen müsste, um einen Teilerhalt technischer Anlagen zu bewerkstelligen, ist richtig. Dies aber erscheint mir ehrlicher zu sein als die Verdrängung eines gewichtigen Bestandteils historischer Bausubstanz aus dem Bewusstsein, mit dem Ziel, allgemeine denkmalpflegerische Wahrheiten nicht in Gefahr zu bringen.

Prof. Dipl.-Ing. Andreas Hild (*1961) studierte Architektur an der ETH Zürich und der TU München. 1992 gründete er zusammen mit Tillmann Kaltwasser das Büro Hild und Kaltwasser Architekten. Seit 1999 in Partnerschaft mit Dionys Ottl, seit 2011 mit Matthias Haber: Hild und K Architekten. Nach verschiedenen Lehraufträgen und Gastprofessuren wurde Hild 2013 auf die Professur für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München berufen. Andreas Hild ist Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift, er lebt und arbeitet in München.

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