Elina Potratz

Bauhaus Archäologie

Das Bauforschungsarchiv in Dessau

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die teilzerstörte ikonische Stahl-Glas-Vorhangfassade des Bauhausgebäudes in Dessau durch eine kasernenartige Lochfassade ersetzt. Erst in den 1960er und 1970er Jahren wurde der Bau saniert und damit stückweise in das ursprüngliche transparente Erscheinungsbild zurückversetzt. Bei diesen, auf das äußere Bild fixierten Umbauten wurde jedoch auch ein beachtlicher Teil der noch erhaltenen Original-Substanz geopfert. Putze, Fenster, Heizkörper und viele andere materielle Zeugnisse, die nach damaligem Verständnis nicht erhaltenswert waren, wurden schlichtweg entsorgt. Heute vermisst man die Substanz der Erbauungszeit schmerzlich. Das Bauforschungsarchiv am Bauhaus Dessau rettet, was noch zu retten ist und hat sich vor allem eines auf die Fahne geschrieben: vergangene Fehler nicht noch einmal begehen.

Walter Gropius, Bauhaus Dessau, 192 –1926, Foto: Elina Potratz

Vor uns ausgebreitet liegen trockene Bruchstücke eines braunen, faserigen Materials. „Das ist Torfoleum“, erklärt Monika Markgraf, die Leiterin des Bauforschungsarchivs der Stiftung Bauhaus Dessau. In ihrem lichtdurchfluteten Büro im 1925 bis 1926 nach Plänen von Walter Gropius errichteten Bauhausgebäude hat sie einige Archivalien ihres Archivs auf dem Tisch ausgebreitet. „Die Torfoleum-Platten, die aus Torf gepresst wurden, sind hier im Bauhausgebäude als Dämmmaterial eingesetzt worden“, erzählt Markgraf weiter, „es war zwar bekannt, dass man den Dämmstoff in der Moderne verarbeitet hat, wie zum Beispiel beim ‚Haus am Horn‘ in Weimar, aber wo und wie er hier verwendet wurde, haben wir erst bei Sanierungsmaßnahmen herausgefunden.“ Das Torfoleum, das man Ende der 1990er Jahre unter einer dicken Isolationsschicht in der Gebäudeabdeckung fand, gehört zu den wenigen Materialien aus der Bauzeit, die im Bauhausgebäude erhalten geblieben sind. Zwar musste es über der Aula, wo Oskar Schlemmer in den 1920er Jahren seine legendären experimentellen Theaterprojekte zeigte, entfernt werden, da es hier in den Saal hineintropfte; an vielen anderen Stellen hat es sich dagegen bis heute bewährt.

Torfoleum, Foto: Elina Potratz

Die Rekonstruktionsarbeiten am Bauhaus im Jahr 1976 müssen als große Leistung gewürdigt werden – schließlich markieren sie als erste umfassende Erhaltung und Wiederherstellung eines Bauwerks des Neuen Bauens den Beginn der Denkmalpflege der Moderne. Andererseits verdeutlichen sie, wie sich die Schwerpunkte des Bewahrens bis heute gewandelt haben. Denn während die Rekonstruktion des Erscheinungsbildes und die Erhaltung des Gebäudes als Ganzes im Vordergrund standen, wurden bedeutende Teile der Bausubstanz als wertlos oder irreparabel eingestuft und entfernt. Darunter auch gestaltende Elemente wie Lampen und Fußböden, aber auch ein großer Teil der technischen Infrastruktur wie etwa Leitungen und Rohre. Nur wenige matt-silberne Heizkörper des in Dessau produzierenden Flugzeugherstellers Junkers zeugen heute noch von der ursprünglichen Haustechnik.

Bauforschungsarchiv der Stiftung Bauhaus Dessau, Detail, Foto: Elina Potratz

Bei den anderen Bauten der Moderne in Dessau, wie den Meisterhäusern (Walter Gropius, 1926), der Siedlung Dessau-Törten (Walter Gropius,1926–1928), dem Arbeitsamt (Walter Gropius, 1929), den Laubenganghäusern (Hannes Meyer und Bauabteilung Bauhaus Dessau, 1929–1930) und dem Stahlhaus (Georg Muche und Richard Paulick, 1926) sieht es ähnlich aus. Vieles, was von den zahlreichen Veränderungen des letzten Jahrhunderts übrig ist, also das, was bei späteren Sanierungen entfernt oder bei Ausgrabungen gefunden wurde, befindet sich heute in der Obhut des Bauforschungsarchivs. Ergänzend zu der Sammlung von Materialien der Dessauer Bauten kamen nach und nach auch Proben und Teile aus anderen Bauten der Moderne hinzu, die für vergleichende Untersuchungen genutzt werden.

Ein Gewächshaus aus Bauhaus-Fenstern
Nur wenige Fahrradminuten vom Bauhaus Dessau entfernt befindet sich das Bauforschungsarchiv selbst. Gemeinsam mit dem Sammlungsarchiv der Stiftung Bauhaus Dessau befindet es sich in einer halb leerstehenden, historistischen Brauereianlage aus rotem Backstein. Über ein Treppenhaus, an dessen Wänden große Stahlrahmenfenster als Ausstellungsobjekte montiert sind, gelangt man schließlich in den Archivraum im obersten Stockwerk. Hölzerne Dachbalken und gedämpftes Licht lassen bei dem großzügigen Raum, der mit Regalen und sperrigen Gegenständen wie Fenstern und Türen vollgestellt ist, zunächst an einen geheimnisvollen Dachboden im Kinderbuch denken, nur etwas geordneter vielleicht. Die Patina, die sich hier über die meisten Objekte gelegt hat, vermittelt noch einmal deutlich, dass die aktive Zeit des Bauhauses eben doch schon fast 100 Jahre zurückliegt.

Ausgebaute Türen aus dem Bauhausgebäude, Foto: Elina Potratz

Monika Markgraf zeigt zunächst die Fenstersammlung, die an einer der Wände lehnt und berichtet dabei vom Wandel in der Denkmalpflege, der sich nach 1970 abzeichnete: „Weil über die Jahrzehnte hinweg so viel verloren gegangen ist, hat man schließlich umso mehr Wert darauf gelegt, alles was übrig war, zu erhalten.“ So sei sie eines Tages dem Hinweis einer Kollegin nachgegangen, die den Verdacht hatte, einige der bauzeitlichen Bauhausfenster seien in einem privaten Gewächshaus verbaut worden. Der Hinweis stellte sich als Volltreffer heraus. Sechs Fenster konnten geborgen, restauriert und wieder im Bauhausgebäude eingesetzt werden. Der Besitzer des Gewächshauses hatte sich glücklicherweise kooperativ gezeigt. „Die Frage, ob man etwas erhält oder nicht, hat natürlich viel mit Wertschätzung zu tun“, meint Markgraf. „Vieles, was man damals weggeworfen hat, würde man heute ohne weiteres restaurieren.“

Je größer der Abstand, desto größer das Interesse
Diese Erkenntnis hatte auch Einfluss auf die Sammlungspolitik des Archivs. Man hat aus den Fehlern der Vorgänger gelernt und die Sammlungstätigkeit beispielsweise auch auf Objekte der Zeit des Nationalsozialismus oder der DDR ausgeweitet. So lagert hier ein Fenster, das bei einem Umbau 1939 in eines der Meisterhäuser eingebaut wurde, da die großzügige Verglasung der Moderne nicht den nationalsozialistischen Vorstellungen vom Wohnbau entsprach. Die Umgestaltung sollte gewährleisten, „dass die wesensfremde Bauart aus dem Stadtbild verschwindet“ – so der Wortlaut eines damaligen Ratsbeschlusses. Die Auseinandersetzung mit dem Bauhaus durch nachfolgende Generationen findet heute immer mehr Beachtung. „Je größer der zeitliche Abstand, desto größer das Interesse“, konstatiert Monika Markgraf.

Triolin, Foto: Elina Potratz

In einer anderen Ecke des Archivs lagern Baumaterialien in den Regalen, allesamt mit rosafarbenen Inventar-Zetteln versehen. Oftmals zeugen die Baustoffe vom Erneuerungsdrang der 1920er Jahre und der Suche nach günstigen schnellen Bauweisen. So etwa die Jurkosteine – das sind große, flache Schlackebetonsteine, die in Hohlwandbauweise gesetzt und durch ihre Größe besonders schnell verlegt werden konnten. Ein Bild, das neben den Bausteinen liegt, zeigt Walter Gropius während der Bauarbeiten der Wohnsiedlung Dessau-Törten vor einer „Hohlblockmaschine“. In dieser Art Backform konnte ein weiteres Baumaterial gefertigt werden: der Schlackebeton-Hohlkörperblock. Der große, quaderförmige Betonklotz mit zwei runden Löchern sollte gerade so handlich und schwer sein, dass er von einem einzelnen Arbeiter noch versetzt werden konnte. Zu dieser materialtechnisch und arbeitsökonomisch rationalisierten Bauweise, die auf der Baustelle in einem fließbandartigen Bauvorgang organisiert war, kamen schließlich noch die sogenannten Rapidbalken. Diese armierten Beton-Schienen bildeten, eng nebeneinander gesetzt, die Decken der Wohnhäuser. Für die Verlegung eines Geschosses benötigte man damit nur 45 Minuten.

Steinholzestrich, Foto: Elina Potratz

Mit Blick auf das Baustellenfoto mit Walter Gropius hebt Monika Markgraf eine wichtige Prämisse der Denkmalpflege hervor: „Fotografien und Zeichnungen können nicht das transportieren, was ein Objekt transportieren kann. Da wir davon ausgehen müssen, dass die Fragen, die wir heute an die Bauten stellen, andere sind als in zwanzig oder dreißig Jahren, muss die Materialität hochgehalten werden.“ Zwar gäbe es Fälle, in denen das Baugeschehen und die Interessen ihren Gang gingen und sich Material am Bauwerk selbst nicht bewahren ließe – in diesem Fall fänden die Dinge dann jedoch Platz im Bauforschungsarchiv.

Gerade am Bauhaus ist die Materialität von großer Bedeutung, da viele Materialien und technische Elemente verwendet wurden, die heute nicht mehr produziert werden. Während man in Baudenkmälern anderer Epochen etwa einen Holzbalken austauschen kann, lassen sich viele der industriell gefertigten Produkte nicht ersetzen. Ein Beispiel hierfür ist der frühe Kunststoffbelag Triolin, der in blauer, grüner, schwarzer und brauner Farbausführung im Bauhausgebäude und in den Meisterhäusern zum Einsatz kam. Der Boden wurde auf Nitrocellulose-Basis gefertigt und sollte das teurere Linoleum ersetzen. Wer einen Blick für Details hat, sieht, dass sich Triolin und Linoleum in den Farben, der Materialstärke und auch im Glanzgrad unterscheiden. Darüber hinaus ist es aber auch Zeugnis des ökonomischen Drucks sowie der Experimentierfreude der Architekten jener Zeit.

Bauforschungsarchiv der Stiftung Bauhaus Dessau, Detail, Foto: Elina Potratz

Besonders die technische Ausstattung und die häusliche Infrastruktur unterliegen dem größten Veränderungsdruck und machen eine Erhaltung für die Bauabteilung des Bauhauses, das für Sanierungen zuständig ist, sehr schwierig. „Wenn etwas nicht mehr funktioniert oder wenn es neue Normen, etwa von der VDE gibt, lässt es sich oft nicht erhalten“, so Markgraf, „zum Beispiel kann man etwa die damaligen kleinen Steckdosen und Schalter nicht mehr verwenden“. Hinzu kommt, dass das Bauhausgebäude kein Museumsbau ist. Neben Ausstellungsräumen, dem obligatorischen Souvenirshop und einem Bistro im Souterrain gibt es einige Verwaltungs- und Unterrichtsräume sowie weitere Nutzungen der Stiftung Bauhaus Dessau und der Hochschule Anhalt. Und sobald Denkmale in Nutzung sind, also Menschen darin wohnen oder arbeiten, müssen bestimmte Auflagen erfüllt werden. „Der Klassiker ist hierbei der Brandschutz, der starke Eingriffe erfordert“, erzählt Markgraf weiter, „wir ringen dann mit dem Brandschutzbeauftragten darum, eine verträgliche Lösung zu finden. Aber irgendeine Lösung muss man schließlich finden.“

„Mit Heizungen hatten sie es nicht so“
In den anderen Bauhausbauten wie der Wohnbausiedlung in Dessau-Törten sind es die privaten Eigentümer, die auch über die Instandhaltung entscheiden. Einige Bewohner konnten hier sensibilisiert werden und sind auch interessiert an der bauzeitlichen Technik. Die Siedlung hatte dabei nicht nur in Bezug auf die Bauweise einen experimentellen Charakter, sondern wurde auch mit unterschiedlichen Heizungssystemen ausgestattet – durchaus auch mit Fehlschlägen. So wurde etwa das System „Druna“ getestet, bei dem die Luft in einen zentralen Schacht mit einem Heizungsofen in der Küche erhitzt, über einen Schacht verteilt und in die Räume gepustet werden sollte. Leider funktionierte das System nicht und wurde von den frierenden Bewohnern schließlich ausgewechselt.

Metro-Closett, Foto: Elina Potratz

Ein anderes System mit dem Namen „Narag“ funktionierte wesentlich besser. Trotzdem ist es nur in einem einzigen Haus der Siedlung Dessau-Törten, in dem die Moses-Mendelssohn-Gesellschaft ihren Sitz hat, erhalten. „Mit Heizungen hatten sie es nicht so“, meint Monika Markgraf schmunzelnd. Auch das Bauhausgebäude sollte mit einem innovativen Heizsystem ausgestattet werden, beruhend auf der Verbrennung von Kohlestaub. Dieses Prinzip funktionierte jedoch ebenfalls nicht, sodass man recht bald auf eine konventionelle Kohleheizung umstieg. Da für die als besonders effektiv geplante Heizmethode jedoch nur sehr kleine Kohlebunker angelegt worden waren, habe der Platz für die Kohle nicht gereicht, erzählt Markgraf, „deshalb gibt es viele Fotografien vom Bauhausgebäude, auf denen draußen Kohleberge vor dem Bauwerk liegen.“
Modern und archaisch zugleich

Auch in den Meisterhäusern, die von den Lehrern und Direktoren des Bauhauses bewohnt wurden, hatte man ein Kälteproblem. Durch die nach Norden ausgerichteten Ateliers und die großen Fensterflächen mit Einfachverglasung gelangte die Kälte ungehindert hinein. Der Maler Lyonel Feininger stellte sich daher noch einen kleinen Kanonenofen in seine Werkstatt. Im Bauhausgebäude dagegen wird es im vollverglasten Werkstattflügel im Sommer sehr warm. Dem habe man in der ursprünglichen Gebäudekonzeption vorbeugen wollen, meint Markgraf, „zwischen der vorgehängten Glasfassade und den Geschossböden war eigentlich ein breiter Spalt, der irgendwann aus Schallschutz- und vor allem Brandschutzgründen geschlossen werden musste“. Zwar war es dort zu jener Zeit, als der Bau noch durch die Bauhaus-Schüler genutzt wurde, sicher trotzdem heiß, jedoch konnte die Luftzirkulation durch den Spalt dem Aufheizen der Räume ein wenig entgegenwirken.

Leuchten aus dem Bauhausgebäude, Foto: Elina Potratz

Zum Schluss stehen wir wieder vor einer Kiste mit Resten des Torfoleums. In einem Teil des bröckeligen Dämmmaterials ist noch ein recht großes Stück eines Astes zu erkennen. Wir spekulieren, ob der Ast – wie der Torf – tausende Jahre alt ist oder erst beim Verarbeiten des Torfs hineingeraten ist. Monika Markgraf schätzt das gepresste Material besonders, weil es „zugleich modern und archaisch“ ist. „Ich hatte neulich hier junge Leute, die sich mit Material beschäftigt haben und da ging es auch darum, dass Torf nachwachsend ist. Zwar sehr langsam, aber dennoch nachwachsend und regional – eben all das, was man heute so gerne hat.“ Wer weiß, vielleicht werden einige Experimente des Bauhauses wie das Torfoleum ja auch noch einmal wiederentdeckt…

Jurkostein, Foto:
Elina Potratz

Monika Markgraf (*1955) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Bauforschung und Denkmalpflege. Davor war sie als Architektin mit den Arbeitsschwerpunkten Bauforschung und Sanierung von denkmalgeschützten Bauten tätig. Heute gilt ihr Interesse der Erforschung von Architektur und Geschichte der Bauhausbauten sowie der Erhaltung und Pflege dieser Bauten. Denkmalpflege der Moderne sowie Aufbau und Pflege des Bauforschungsarchivs sind weitere Kernpunkte ihrer Tätigkeit. Ihre Arbeitsergebnisse werden regelmäßig publiziert, sie ist Mitglied bei ICOMOS und DOCOMOMO.

Elina Potratz (*1989) studiert Kunst- und Bildgeschichte im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin und absolviert seit 2016 ein Volontariat in der Redaktion von der architekt. Sie lebt, studiert und arbeitet in Berlin.

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