Bauboom auf der grünen Wiese
Es ist manchmal erstaunlich, was aus den höchsten politischen Kreisen zum Thema des Bauens zu vernehmen ist, so etwa kürzlich von Olaf Scholz, der auf einer Veranstaltung in Heilbronn von einem „Umdenken“ sprach, das hier stattfinden müsse. Auf den ersten Blick klingt dies vielversprechend und entspricht im Grunde dem, was seit Jahren auf unzähligen Architekturveranstaltungen diskutiert wird. Scholz versteht jedoch unter ebenjenem „Umdenken“ vor allem, endlich die Vorbehalte gegenüber dem Bauen auf der grünen Wiese hinter sich zu lassen und sich dort wieder der Errichtung neuer Stadtviertel zu widmen. Gefragt seien angesichts der großen Wohnungsnot rund „zwanzig neue Stadtteile in den meistgefragten Städten und Regionen“, sagte der Kanzler, „so wie in den 70er-Jahren“.
Man muss immerhin zugestehen: Besser als neue zerfaserte Einfamilienhausgebiete an den Stadträndern wären verdichtete Neubauquartiere sicherlich. Doch ist es realistisch, hierdurch wirklich die erhofften günstigen Wohnungen zu schaffen? Große Zweifel sind angebracht, denn selbst wenn die Baulandkosten außerhalb der Stadtzentren geringer sein könnten, existieren weiterhin noch zahlreiche andere Kostentreiber. Hinzu kämen die gewaltigen Kosten für neue Infrastruktur, denn neben Straßen, Kindergärten, Schulen et cetera wäre insbesondere eine gute Nahverkehrsanbindung entscheidend, um keine abgehängten Quartiere zu erzeugen.
Besonders bestürzend ist jedoch, mit welcher Ignoranz hier alle Bestrebungen, die sich auf ein natur- und klimaschonendes Bauen richten, komplett außer Acht gelassen wurden. Dass etwa 2022 eine Studie veröffentlicht wurde, die im baulichen Bestand – insbesondere in Büro- und Verwaltungsgebäuden – das Potential von bis zu vier Millionen Wohnungen aufgezeigt hat (siehe Die Architekt 3 / 2022, „Die Zukunft des Bestands“), ist hier offenbar nicht angekommen. Zudem will die Bundesregierung eigentlich bis zum Jahr 2030 den Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar pro Tag verringern, bis 2050 strebt sie sogar das Flächenverbrauchsziel Netto-Null an.

Punkthochhäuser mit Originalfassade, Berlin Marzahn, Foto: Nico Grunze
Was an Neubauquartieren in den letzten Jahren entstanden ist, macht außerdem nicht unbedingt optimistisch, dass nicht wieder die gleiche Monotonie und Tristesse entstehen könnte wie in vielen Großwohnsiedlungen der 1970er-Jahre. Und damit ist man schon bei einem weiteren großen Fragezeichen angelangt, das Scholz mit seinen Äußerungen hinterlässt. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass er sich bei Wählerinnen und Wählern damit als „Anpacker“ beliebt machen wollte, ist vermutlich auch dies misslungen. Mit dem Bezug auf die 1970er-Jahre hat er denkbar schlechte Assoziationen geweckt, und auch das „Bauen auf der grünen Wiese“ wird eigentlich mehrheitlich als Negativ-Schlagwort verwendet. Traurigerweise traut man jemandem, der inhaltlich und sprachlich so herumtrampelt, auch kein Gespür für die komplexen sozialen, ökologischen, städtebaulichen und gestalterischen Fragen zu, die mit der Erstellung neuer Quartiere verbunden sein müssten.
Glücklicherweise geben die Äußerungen der Bauministerin Klara Geywitz wieder ein wenig Anlass zur Hoffnung. Beim „Zukunft Bau Kongress“ äußerte sie Ende November den Wunsch nach einem größeren Problembewusstsein für die Klimafolgen des Bauens in der Öffentlichkeit und hob hervor, dass die Bewertung der Klimafreundlichkeit nicht nur anhand der Energieeffizienz stattfinden sollte. Mit dem Ziel, innovative Lösungen für weltweit klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen zu entwickeln, wurden nun Bundesmittel für den Aufbau eines Bundesforschungszentrums bereitgestellt – vielleicht könnten neue Quartiere zumindest als wirkliche Experimentierfelder hierfür dienen.
Elina Potratz