Editorial

Italienreise für Eilige

Nur 2,4 Tage verbringen Rom-Reisende heutzutage im Schnitt in der Stadt. Zwei Jahre dagegen dauerte eine der bekanntesten Architekturreisen vor 220 Jahren: Karl Friedrich Schinkels erste Tour nach Italien, die er 1803 bis 1805 unternahm und ausführlich in Tagebüchern und unzähligen Zeichnungen dokumentierte. Mit der Kutsche, im Schiff und zu Fuß führte ihn damals die Route entlang vieler klassischer Stationen der Grand Tour. Wie Schinkel sich auf tage- und wochenlange Fahrten zu begeben, sich so intensiv und lange den Reiseorten zu widmen, stundenlang für eine Federzeichnung an einem Ort zu verharren, scheint heute kaum denkbar. Ebenso, wie seine weitschweifigen Tagebucheinträge zu lesen. Hier also für alle Eiligen eine kleine subjektive Zusammenfassung von Schinkels Reiseaufzeichnungen:

Dresden bis Prag. Schinkel ist zwar angetan von seinen ersten Stationen, trotzdem gebe es „noch immer die Hoffnung auf Schöneres“… Also weiter geht’s nach Wien. Schinkel ist vor allem begeistert von der gotischen St. Stephanskirche, die er täglich besucht. Auch ins Theater geht er, schaut sich „Richard Löwenherz“ an und ist beeindruckt von den „50 geharnischten Rittern auf Pferden und viele(n) hundert zu Fuß“, die so echt aussähen, als wäre es eine echte Schlacht.

Schinkel reist Richtung Triest wochenlang durchs Gebirge. In Italien angekommen, sieht er sich durch das Nachtleben schon nach kürzester Zeit in sämtlichen, das ganze Land betreffenden Vorurteilen komplett bestätigt: „Die Lebhaftigkeit der südlichen Nation zeigt sich bei jeder Handlung und ist dem Teutschen neu und frappant“.

Von Triest aus macht Schinkel einen Ausflug in das Quecksilberbergwerk Idria. In den tiefen Bergstollen hatte es ein Jahr zuvor einen großen Brand gegeben, weswegen ihm „eine entsetzliche Hitze und ein schlechter Geruch“ entweichen. Offenbar war nicht bekannt, wie giftig Quecksilberdämpfe sind. Schinkel ist beeindruckt: „Das gediegene Quecksilber trieft an allen Orten aus dem Schiefer und sammelt sich oft auf dem Boden zu kleinen Seen.“ Wie schön!

Bei der Erkundung von Istrien zu Wasser, die wegen großer Räuberbanden auf dem Landweg zu gefährlich ist, schaut er sich in Parenzo die Überreste eines Dianentempels an und ist entsetzt, dass dieser „auf die schrecklichste Art entheiligt“ sei: man hatte nämlich in die Tempelreste eine Toilette gebaut. Also wirklich! Aber auch ihn treiben menschliche Bedürfnisse um, er hat nämlich wegen des Mangels an Wirtshäusern permanent Hunger. Stattdessen finde man nur „Kaffeehäuser an allen Ecken, wo man freilich nur Kaffee, Schokolade und Limonade trinkt“. Das sei nicht nur „entsetzlich“, sondern zeige „ein Bild des faulen Lebens, welches durch ganz Italien und diese Kolonien herrscht.“ Nun ja.

Auf dem Weg nach Venedig gerät der junge Architekt mehrmals mit Segelbooten auf stürmischer See in derart brenzlige Situationen, dass er nach zwei Tagen völlig fertig in der Lagunenstadt ankommt. Schinkel ist entzückt vom venezianischen Architekturstil, der sich irgendwo „zwischen dem Sarazenischen, Gotischen und Römischen“ befindet und den er unentwegt als „abenteuerlich“ bezeichnet. Die mit Verkaufsständen vollgepackten Gassen gefallen ihm dagegen nicht so sehr, vor allem die „Menge der Bettler von der ekelhaftesten Art“.

Florenz. Dem preußischen Architekten sagt der Wohlstand hier mehr zu, alles ist top in Schuss, die Promenaden gut geputzt.

Nach insgesamt fünf Monaten kommt er schließlich in Rom an. Über fünf Monate wird er hier bleiben, sich aber fortwährend beschweren, dass er die Zeit eigentlich gerne „um das Zehnfache“ verlängern würde. Ansonsten belässt er es weitgehend bei der Weisheit „zu schweigen, denn über das Erhabenste klingt jedes Wort gemein“.

Von Rom nach Neapel. Schinkel hat nun offensichtlich nicht mehr so viel Lust auf Tagebuchschreiben und bringt nur noch Stichworte zu Papier: „Besteigung des Vesuv mit Maultieren. (…) Der Eremit, Frühstück, Lacrima.“ Aha.

Neapel. In einem Brief an Heinrich Graf von Reuß-Schleiz-Köstritz belehrt er ihn, nicht mit vorgefasstem Urteil nach Italien zu reisen. Er ist extrem fasziniert von den Wohnhäusern hier und von dem beständigen Werkstoff, der unter Zugabe von Pozzolane zum Vermörteln der weichen Tuffsteinblöcke genutzt wird. Der Weg der bis heute andauernden Faszination für den Baustoff Beton ist geebnet.

Sizilien. Nun liest sich bei ihm alles wie ein dionysischer Rausch: „Palmen, Orangen, indische Feigen als Gartenzaun, liebliche Gebirgsformen mit üppigem Grün“, „Tanz der Mädchen mit dem Tamburin vor den Höhlen und Felswohnungen“. Aber auch prosaischer: „Schöne Frau im Kaffeehaus, wo wir Eis aßen“.

Rückreise über Mailand, Turin, Lyon. In Paris schließlich, seiner letzten großen Station, erlebt er 1804 die Krönungsfeierlichkeiten Napoleons mit. Seine Briefe zeugen nun aber vor allem von einem peinlichen Problem, für das er um Hilfe ersucht: Ihm ist inzwischen das Geld ausgegangen. Man beneidet Schinkel heute zwar nicht um all die Strapazen, die er in den zwei Jahren aushalten musste – um die Intensität der Erlebnisse und das Abenteuerliche vielleicht aber schon…
Elina Potratz

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