Andreas Denk (1959–2021), Texte und Erinnerungen

Eine Zeitschrift als Projekt zwischen den Welten. 1990–2013: der architekt

Anlässlich des 110-jährigen Bestehens des BDA 2013 konzipiert Andreas Denk gemeinsam mit Alice Sárosi, David Kasparek und dem damaligen Präsidium um Michael Frielinghaus eine Chronik, die das Werden des Wahlbundes nachzeichnet. Für die Publikation entsteht dieser Text, in dem Denk die Genese der Zeitschrift ebenso darlegt, wie sein Verständnis ihrer Rolle im und für den BDA.

„Hier ist nun unsere seit langem gewünschte und beschlossene Zeitschrift…“: Diesen für die Geschichte der Zeitschrift bedeutenden Satz schrieb 1952 der Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA, Otto Bartning, in der ersten Ausgabe von „Der Architekt“, die in allen damaligen Ländern der westlichen Besatzungszone erschien. Der Bund Deutscher Architekten, 1903 als Wahlbund zur Interessenvertretung der freien Architekten im Deutschen Reich gegenüber Bauunternehmern und Bauspekulanten gegründet, hat seine Anliegen im Laufe der letzten hundert Jahre auch mit dem Medium einer eigenen Zeitschrift vermittelt.

Fast immer gingen die Inhalte der verschiedenen Blätter über eine bloße Nachrichtenübermittlung zwischen den Mitgliedern hinaus. Zu Beginn war es das von der Typographie des entwickelten Jugendstils geprägte Kampfblatt „Werk und Zeit“, in dem auch vorbildliche Bauten der Mitglieder und Tendenzen der Architekturentwicklung jener Zeit publiziert wurden. In den 1920er und 1930er Jahren erschien die „Baugilde“ im sachlichen Stil der Zeit. Sie unterrichtete – wie „Wasmuths Monatshefte für Baukunst“ oder „Bauwelt“ – über aktuelle Entwicklungen der Architektur und diente nebenbei auch als Mitteilungsblatt des Verbandes.

Die „Gleichschaltung“, die alle Korporationen, Verbände und Institutionen 1933 nach der Machtübernahme durch die Nazis traf, machte auch vor dem BDA nicht halt. Er wurde zunächst der Reichskulturkammer eingegliedert, diente eine Zeitlang – nur noch auf dem Papier bestehend – als Auffangbecken für alle Architekten und wurde endgültig aufgelöst, nachdem sämtliche genehmen Architekten über ihn zur Reichskulturkammer als Organ des nationalsozialistischen Staatsapparats gehörten. Ansonsten war eine Arbeit als freier Architekt untersagt. Die „Baugilde“ existierte weiterhin – als Zeitschrift der „Sektion Architektur“.

der architekt 1 / 1962, Foto: Archiv

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keinen Grund zur Neubelebung der durch die nationalsozialistische Übernahme „verbrannten“ „Baugilde“. Vielmehr orientierte sich der nordrhein-westfälische BDA bei der Neugründung eines so genannten Mitteilungsblattes offenbar um einen Anklang an das österreichische sezessionsnahe Blatt „Der Architekt“, das um 1900, also in der Gründungsphase der Moderne – und damit auch des BDA – ein wesentliches Sprachrohr der neuen Bewegung war.
Dass der Name Verpflichtung wurde, war auch das Verdienst Otto Bartnings, der in den fünfziger Jahren als Präsident des BDA (1950 – 1959) und als Vorsitzender des Deutschen Werkbunds mit Kontakten in höchste Regierungsebenen eine einflussreiche Architekturpolitik betrieb. Bartning berief den Kunsthistoriker Alfred Simon als „Schriftleiter“ der neuen, monatlich erscheinenden Zeitschrift, dessen umfassende Bildung aus dem dünnen nord-rhein-westfälischen Mitteilungsblättchen eine ernstzunehmende Zeitschrift mit jeweils etwa 40 Seiten Umfang machte: Die Themen von „Der Architekt“ in den fünfziger und sechziger Jahren waren nicht nur verbands- und berufspolitische Fragen oder die Propaganda vorbildlicher Bauten, sondern zunehmend die Berichterstattung über andere Sparten der Kultur, die die Spannweite des von Bartning und Simon idealisierten umfassenden Bildungskanons von Architekten nach innen abdecken und nach außen widerspiegeln sollte.

Der Architekt 7 / 1969, Foto: Archiv

Die späten 1960er Jahre bewirkten eine Politisierung des bis dahin in seiner Gesamthaltung liberal-konservativen BDA, seiner Mitglieder und seiner Zeitschrift. Das vehemente Vordringen der Soziologie in Bereiche des Städtebaus und der Architektur bildete sich auch in „Der Architekt“ ab. Das textlastige, ausgesprochen plakative Layout dieser Zeit entsprach den neuen Inhalten, die den bildungsbürgerlichen Kanon der Vorjahre ablösten und sich über urbanistische Utopien und die soziologischen Grundbedingungen von Architektur und Stadt verständigten.

Die Identitätskrise, die der BDA nach der Gründung einer Bundesarchitektenkammer als Dachorganisation für alle Architekten durchlebte, wirkte sich auf die Positionierung des Verbandes aus: Anstelle vorrangig berufspolitischer Ziele, die sich mit der Einrichtung der Kammer zu einem wesentlichen Teil eingelöst hatten, definierte sich der BDA von nun an als Wahlbund von freien Architekten, die in „Verantwortung gegenüber dem Menschen und der Gesellschaft“ handeln.

Das ideelle Bemühen um die Baukultur prägte von nun an auch „Der Architekt“: 1972 übernahm die Archäologin Ingeborg Flagge die Chefredaktion. Ein engagierter „Redaktionsausschuss“, ein zunächst nur mit BDA-Mitgliedern, später frei besetztes Gremium zur Themenfindung und Positionierung der Zeitschrift, setzte sich 1974 mit ihr für ein neues Layout ein, das der legendäre deutsche Grafiker Otl Aicher entwarf. Mit Flagge nahm die Zeitschrift nochmals eine andere Richtung. In ihre Ära fällt die Ausrichtung von „Der Architekt“ als themenzentrierte Zeitschrift: Jede Ausgabe verfolgte nun einen klar erkennbaren Schwerpunkt, für den jeweils ein anderes Mitglied des Redaktionsbeirats mitverantwortlich war. Das Engagement um eine den Produktionsbedingungen zuträgliche Architekturpolitik drückte sich nicht nur in spontanen und entschiedenen Kommentaren der Chefredakteurin und ihrer Mitstreiter (Alice Sárosi trat 1979 an Ingeborg Flagges Seite) zum zeitgenössischen architektonischen Geschehen aus, sondern auch im Bemühen um eine – für eine Monatszeitschrift – beachtliche Aktualität. Die BDA-internen Meldungen wurden durch aktuelle Informationen zum Architekturgeschehen und um gelegentliche Serien ergänzt und in einem eigenen Teil dem Themenschwerpunkt vorangestellt, so dass eine – aus journalistischer Sorgfaltspflicht logische – klare Unterscheidung zwischen der Meinung des Herausgebers und den Auffassungen der freien Redaktion und der freien Autoren erkennbar wurde.

der architekt im 21. Jahrhundert
Dieser Arbeitsweise ist die Zeitschrift grundsätzlich bis heute treu geblieben, auch wenn die Redaktion seit 2007 ihren Sitz nicht mehr wie früher in Bonn, sondern beim BDA in Berlin hat. 2000 folgte Ingeborg Flagge der Architekturhistoriker Andreas Denk als Chefredakteur nach. Ein im gleichen Jahr neu berufener Redaktionsbeirat, dem anerkannte Fachleute aus verschiedenen Disziplinen angehören1, berät die fünfköpfige unabhängige Redaktion, die aus dem Chefredakteur, einer Chefin vom Dienst, einem Redakteur, einem Volontär und einer Assistenzbesteht2, bei der Themenwahl. Die Themenschwerpunkte wurden zunächst – wie bisher – mit mehreren Aufsätzen verschiedener kompetenter Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen behandelt, die aktuelle architektonische und städtebauliche Themen auf einer konkreten, abstrakten, theoretischen oder metaphorischen Durchdringungsebene behandelten. Die ersten Jahre mit Andreas Denk waren einer inhaltlichen Neuorientierung gewidmet, die aus der Beobachtung des Marktes der deutschsprachigen Architekturzeitschriften eine genauere Positionierung von der architekt ermöglichte.

In gewisser Weise ist der architekt – wie sein allererster Vorgänger – ein „Kampfblatt“ geblieben, das – wie der BDA als Herausgeber der Zeitschrift – oft anstelle eines beliebigen Meinungspluralismus auf eine klare Position und Richtungsweisung setzt. Die Zeitschrift versteht sich als Plattform, auf der Grundlagen der Architekturentstehung und des Städtewesens interdisziplinär, grundsätzlich und kritisch diskutiert und neu definiert werden können. Dazu gehört einerseits eine stringente architekturtheoretische Durchdringung des jeweiligen Themas, andererseits der genauso entscheidende Hinweis auf die mögliche Realisierungsebene. Mit dieser Mischung einer „Theorie der Praxis“ bewegt sich die Zeitschrift zwischen den architekturpublizistischen Welten.

Der Architekt 1-2 / 2006, Foto: Archiv

Im Zentrum der Arbeit
Die kontinuierliche Arbeit hat in den letzten Jahren zu einer deutlich erkennbaren Schwerpunktsetzung unserer Zeitschrift geführt, die – wenn wir es recht sehen – genau jene Felder der Architektur und des Stadtbaus besetzt, um die es jetzt und in Zukunft gehen wird: auf der eher theoretischen Ebene ist es seit den 2000er Jahren das Thema des Raums. Den phänomenologischen Möglichkeiten des architektonischen Raums, den Möglichkeiten von Proportion, Licht, Material und Atmosphäre und ihrem Zusammenspiel sind wir in einer Vielzahl von Ausgaben mit immer anderen Schwerpunkten nachgegangen. Dabei steht – oftmals in Kooperation mit unserem Beiratsmitglied Uwe Schröder – bei dieser Sammlung von verwandten Themen die Idee im Hintergrund, Kriterien für einen Raum mit sozialer Bindung einerseits und positiven psychophysischen Eigenschaften andererseits zu sammeln – vielleicht das größte und schwerste Ziel von Architektur und Stadtbau.

Mittelbar zu diesem Themenkomplex gehören die Probleme des demographischen Wandels, der in Deutschland inzwischen wirksam ist und dessen Phänomene wir seit 2006 kontinuierlich bearbeiten.

Ein weiteres Spezialthema, dem wir uns immer wieder seit der Jahrtausendwende angenommen haben, ist die Zukunft des architektonischen und urbanen Erbes der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Bauten der „klassischen“ Moderne erfahren inzwischen eine hohe Wertschätzung, die sich durch ihre denkmalpflegerisch verordnete Unberührbarkeit sinnfällig ausdrückt. Für die meisten Bauten der fünfziger, sechziger und vor allem der siebziger Jahre gilt dies nicht. Sie sind mehr als alle Bauten aus anderen Epochen abrissgefährdet: Hier hat der architekt Basisarbeit geleistet. Neben der monographischen Vorstellung von Nachkriegsarchitekten wie Friedrich Wilhelm Kraemer oder Egon Eiermann haben wir – oft in Zusammenarbeit mit der Architekturhistorikerin Karin Wilhelm (Braunschweig), die unserem Beirat angehört – anhand ausgewählter Beispiele Kriterien für die Bewertung der Architektur der sechziger und siebziger Jahre erarbeitet, haben Alterungsprozesse von berühmten Wohnsiedlungen dieser Zeit untersucht und räumlichen Qualitäten von Platzbildungen nachgespürt. Parallel dazu hat der BDA eine Wanderausstellung initiiert, in der am Beispiel mehrerer Städte aus West- und Ostdeutschland die prägende und identitätsstiftende Wirkung des Nachkriegsstädtebaus auf jene Generationen untersucht wurde, die in diesen Architekturen aufgewachsen sind.

Die energetische Unzulänglichkeit vieler Bauten des 20. Jahrhunderts ist eins der Probleme, mit denen wir uns auch im Rahmen der großen Themenschwerpunkte der letzten Jahre beschäftigt haben: Der sich abzeichnende Klimawandel und die Möglichkeiten, ihn zu begrenzen, erscheinen uns als dringendstes Thema. Unser Beiratsmitglied Günter Pfeifer ist ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet energieeffizienter – und dennoch guter – Architektur, mit dem wir mehrere, in der heutigen Wahrnehmung fast handbuchartige Ausgaben von der architekt konzipiert haben. Aus dieser intensiven Beschäftigung ist dank einer Initiative des Präsidiums des BDA unter Mitwirkung Günter Pfeifers, der Redaktion und einiger unserer Autoren das so genannte „Klima-Manifest der Architekten und Ingenieure“ entstanden, das 2008 dem damaligen Bundesbauminister übergeben wurde und seitdem eine Kette von Folgeveranstaltungen bewirkt hat.

Die Struktur des Blatts
Um diese mitunter nicht leichten Themen stärker im Bewusstsein unserer Leser zu verankern, haben wir in den letzten Jahren verstärkt Wert auf die Durchmischung von Texttypen gelegt: Interviews, Reportagen, wissenschaftliche Beiträge und Essays sind meist zu Themenbögen komponiert, die die Hefte in ihrer Lesefreundlichkeit steigern. Dabei liegt große Aufmerksamkeit darauf, zum jeweiligen Thema das richtige Textformat zu finden.

Zum Heft gehört ein Kommentar auf der ersten Seite, mit dem (zumeist) der Chefredakteur ein aktuelles bau- oder verbandspolitisches Thema kritisch aufgreift. Ein umfangreicher Magazinteil informiert die Leser über tagesaktuelle Architektur, gemischte Notizen aus dem Kulturleben, Serien und Architekturkritiken. Das größte Heftvolumen (circa 50 Seiten) beansprucht das Schwerpunktthema, das von fachlich orientierten Beiträgen namhafter Autoren und Autorinnen sowie der Redaktion und ihrem Beirat getragen wird. Der BDA und seine Landesverbände verfügen anschließend über einen ansehnlichen, von der Redaktion redigierten Teil, der von der Präsentation eines jungen BDA-Architekturbüros (neu im club) und von Seiten mit Produktinformationen begleitet wird.

der architekt 1 / 2007, Foto: Archiv

Seit 2007 erscheint der architekt sechsmal im Jahr und in einem neuen Layout, das der Grafiker Jo Seibt zusammen mit der Redaktion entwickelt hat, und das mit mehr Bildern, einer gut lesbaren Schriftgröße und einem noch klareren Heftkonzept auf sich allmählich verändernde Seh- und Lesegewohnheiten abzielt. Jedes Heft hat 96 Seiten mit festgelegten Platzierungsmöglichkeiten für Anzeigen.

Derzeit erhalten etwa 9.000 Leser die Zeitschrift. Rund 5.500 gehören dem BDA an und sind damit automatisch Abonnenten des Blatts. Circa 3.000 Exemplare gehen an die Architektur- oder Städtebaulehrer der Hochschulen, an Bauministerien und Bauverwaltungen auf Bundes- und auf Landesebene, an alle Stadtplanungsämter in Gemeinden mit mehr als 30.000 Einwohnern, an Interessenten der Bauindustrie und des Investorenwesens und an andere Gremien und Personen, die mit der Kultur des Bauens zu tun haben. Insbesondere Hochschullehrer nutzen Inhalte der Zeitschrift zur Konzeption von Aufgaben und Inhalten für die Lehre. Studenten der Fächer Architektur und Städtebau nehmen die Hefte gern zur Hand, wenn es um theoretische Anregungen zu spezifischen Studieninhalten oder um allgemeine Bildung geht.

Zwischen zwei Welten
Neben der inhaltlichen Vertiefung der weiter gültigen Themenschwerpunkte, dem Detektieren neuer Themenfelder, auf denen die Zeitschrift und damit der BDA die gute Architektur und die gute Stadt fördern können, und dem Versuch einer intensiven Leser-Blatt-Bindung ist die wirtschaftliche Sicherung der Zeitschrift eines unserer Hauptanliegen. Die in den letzten Jahren immer wieder kriselnde Baubranche, die Finanzkrise und die neuen Medien haben ihre Spuren im Anzeigenmarkt hinterlassen. Viele Hersteller setzen heute auf Events für eine handvoll ausgewählter Architekten anstatt auf das traditionelle Schalten einer Anzeige. Bislang ist es gelungen, in großem Einverständnis mit unserem Herausgeber und unserem Verlag (corps Verlag Düsseldorf) strukturelle Änderungen der Heftstruktur und der Heftinhalte zu vermeiden. Aber auch dies ist ein Balanceakt zwischen zwei Welten, der unser Projekt zu einem nie vollendeten machen wird…

der architekt 1 / 2021, Foto: Archiv

Anmerkungen
1 2000: Dr. Ullrich Schwarz, Architekturtheoretiker; Prof. Dr. Gerd de Bruyn, Musikwissenschaftler und Architekturtheoretiker, Leiter des IGMA Stutt-gart; Michael Bräuer, Architekt BDA; Prof. Dr. Karin Wilhelm, Architekturhistorikerin; Dr. Iris Reuther, Stadtplanerin und Architektin; Prof. Uwe Schröder, Architekt BDA; Kaspar Kraemer, Präsident des BDA; Prof. Dr. Alban Janson, Stadtplaner und Architekt; Prof. Günter Pfeifer. 2011: Prof. Dr. Ullrich Schwarz, Prof. Dr. Gerd de Bruyn, Prof. Dr. Karin Wilhelm, Prof. Uwe Schröder, Architekt BDA; Michael Frielinghaus, Präsident des BDA, Prof. Andreas Hild, Architekt BDA; Prof. Günter Pfeifer, Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff, Stadtplanerin.
2 2011: Andreas Denk, Chefredakteur; Alice Sàrosi-Tumusiime, Chefin vom Dienst; David Kasparek, Redakteur; Daniel Hubert, Volontär; Silke Johannes, Assistenz.

Titelfoto: David Kasparek

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