Städtebau und urbanes Leben

Gesellschaft durch Dichte?

Städtebau und urbanes Leben

Urbane Dichte war offenbar nichts, dem Johann Wolfgang von Goethe besonders viel abgewinnen konnte. Der ‚Osterspaziergang‘ in seinem „Faust“ beschreibt, wie der Bürger den widrigen innerstädtischen Wohn- und Lebensumständen zu entkommen sucht: „Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern / Aus Handwerks- und Gewerbe-Banden / Aus dem Druck von Giebeln und Dächern / Aus den Straßen quetschender Enge / Aus den Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle an’s Licht gebracht.“

Auch heute ist eine Antwort auf die Frage, wie dicht zu bauen sei, so ohne weiteres nicht zu haben. Zwar mag unsere kulturelle Disposition es nahe legen, von der Stadt ein gewisses Maß an funktioneller und baulicher Dichte zu erwarten. Aber unter den herrschenden Bedingungen erfüllt sich diese Vermutung nicht unbedingt.(1) Gleichwohl rangiert das Gebot einer maßvollen städtischen Verdichtung heute weit oben auf der Agenda, und zwar längst nicht nur in der Fach-Community. Es gilt als ausgemacht, dass man den Prozess der Suburbanisierung aufhalten muss. Jene zukunftsfrohe Utopie, die sich aus der Charta von Athen speiste und deren Ausdruck das Spinnennetz der Schnellverkehrsstraßen ist, die alle Großstädte Europas heute umgeben und zerschneiden, diagnostiziert man längst als den eigentlichen Totengräber aller Urbanität. Zurecht wird darauf hingewiesen, dass nur kompakte Siedlungsgebilde mit intelligent ausgelegten Versorgungskonzepten – kulturell – jenen atmosphärischen Gehalt und – ökologisch – jene Effizienz bieten, die unsere Gesellschaft absehbar brauchen.(2)

Die Forderung nach höherer baulicher Dichte mag so nachvollziehbar wie aktuell sein, neu ist sie nicht. Denn dass mit dem städtischen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg nicht bloß vertraute räumliche Qualitäten verlorengingen, sondern etwas ganz Grundsätzliches, begann man bald zu ahnen. Es ist nicht ohne Ironie, dass es der Schweizer Ökonom Edgar Salin war, der vor mehr als einem halben Jahrhundert der deutschen Fachdebatte eine völlig neue Richtung gab.(3) Er artikulierte in einem weithin beachteten Vortrag den Wunsch nach einer „neuen, echten Urbanität“, die in der künftigen Stadtplanung zu entwickeln sei. Und er verband mit der Forderung von städtebaulicher Dichte den Anspruch, die Stadt als demokratische Gemeinschaft von Stadtbürgern zu erhalten. Diese Forderung stellte er einem sich in der Nachkriegszeit manifestierenden Rückfall in eine „Biedermeier-Gesellschaft“ mit einem allgemeinen Rückzug in die private bürgerliche Existenz entgegen.(4) Sein Begriff des Städtischen war eine Initialzündung, die in erstaunlicher Dynamik einen breiten Umdenkprozess einleitete.

Unter dem Schlagwort „Urbanität durch Dichte“ wurden nun die zuvor realisierten Planungen in Frage gestellt, namentlich die dominante Vorstellung einer „gegliederten und aufgelockerten Stadt“(5) sowie der „autogerechten Stadt“. Fortan war sogar „Gesellschaft durch Dichte“ gefragt, wie 1963 ein wegweisendes Symposium des BDA in Gelsenkirchen betitelt war.(6) Freilich verband man dies (noch) nicht mit einer Rückbesinnung auf die Kontinuität der europäischen Stadtentwicklung. Aber es wurden Themen aufgeworfen, die auch heute noch von eminentem Belang sind: Was hat Urbanität mit Planung zu tun? Welche Art von Stadt wünscht sich unsere Gesellschaft? Welche kann und will man sich leisten?

Lucius Burckhardt und Marcel Herbst etwa stellten klar: „Wir sind gewiss der Meinung, dass es eine absolute Planbarkeit nicht gibt. Kontrollierbar ist ja ohnehin nur die Struktur der Bausubstanz (die Bauten und Straßen der Gemeinde), nicht aber die Gesellschaft, die sie besiedelt. (…) Deshalb gibt es keine Möglichkeit des Planens als in Form eines Prozesses, welcher sich als eine fortschreitende Korrektur älterer Pläne darstellt und dessen Wirksamkeit daher auch darauf beruht, dass seine Maßnahmen nicht allzu präjudizierend und determinierend sind.“(7) Ulrich Conrads illustrierte in seinem „Stadtideal“ nahezu exemplarisch die enge Verwobenheit von Städtebau und Gesellschaft, indem er vier „einfache Voraussetzungen“ einforderte: „1. Eine Bodenordnung, die Raumordnung erst möglich und jeglicher Spekulation mit unserem Lebensraum den Garaus macht. 2. Eine Umwidmung des Eigentumsbegriffs in eine Lesart, die besagt: Eigentum ist Teilhabe, ist Leihgabe für die uns hier zugemessene irdische Zeit. 3. Eine entschlossene Neuorientierung der Ausbildung von Architekten, Planern und Sozialgeographen. 4. Ein anderes Bauklima.“(8)

Und Friedrich Spengelin forderte „eine komplexe Zusammenschau des komplexen Gebildes aus Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Versorgung, Innen- und Außenraum, ohne Rücksicht auf Bestimmungen und Gesetze aus einer Zeit, die unsere Probleme nicht kannte. Dann könnte vielleicht diese lebendige, wohnliche, mit dichter Atmosphäre erfüllte Stadt entstehen, die stimulierend auf alle Sinne des Menschen wirkt, eine Stadt, die in neuer Form das enthält, was wir an unseren historischen Städten so lieben.“(9) Doch auch an einer gehörigen Portion Skepsis gebrach es der Debatte nicht. Beispielsweise konstatierte der Architekt Günter Günschel: „Gesellschaft durch Dichte würde bedeuten, dass sich der Inhalt städtischen Lebens der Form unterzuordnen hat. Tun Sie das nicht.“(10) All das war – und ist – eine kreative, anregende und auch heute noch mit Gewinn zu lesende Auseinandersetzung mit der Planungswirklichkeit. Indes, die kulturellen und gesellschaftlichen Fragestellungen, die damit aufgeworfen wurden, wogen schwer. Offenbar zu schwer. Statt weitere Grundsatzdebatten zu führen, rückten, vielleicht etwas vorschnell, konkrete Entwürfe in den Vordergrund.

Planungsgruppe Egon Hartmann, Bernt Lauter et al., München Neuperlach, 1961–1978, Foto: Maximilian Dörrbecker (via wikimedia / CC BY-SA 2.5)

Planungsgruppe Egon Hartmann, Bernt Lauter et al., München Neuperlach, 1961–1978, Foto: Maximilian Dörrbecker (via wikimedia / CC BY-SA 2.5)

Die gewünschte Urbanität sollte durch Steigerung der Wohndichte und verdichtete Bauformen erreicht werden. In einer Art simplem Umkehrschluss wurden die alten Werte Auflockerung und Gliederung durch die neuen der Verdichtung und Verflechtung getauscht, und recht schematisch umgesetzt. Man formulierte Konzepte mit sehr hohen Geschosszahlen, deren Ausgangspunkt die Tragfähigkeit für Gymnasien und konkurrenzfähige Geschäftszentren darstellte. Großwohnanlagen am Rand der Stadt, die oft durch Freizeit- und Versorgungseinrichtungen ergänzt wurden, waren das Mittel der Wahl. Siedlungen wurden zunächst für fünf- bis zehntausend Einwohner, später, wie im Märkischen Viertel in Berlin oder in München-Neuperlach, für mehr als 40.000 Bewohner geplant. Zudem basierten sie weiterhin auf einer räumlichen Trennung von Arbeiten und Wohnen; und sie lagen meist weit ab von den Kernstädten oder größeren Stadtteilen.

So stellte sich die Reizarmut monofunktionaler, in zu kurzer Zeit hochgezogener und räumlich disparater Großstrukturen ein. Von der erhofften „Erlebnisdichte“ war nichts zu spüren. Und die Euphorie einer neuen ‚Urbanität‘ verwandelte sich zuweilen in technizistische Gigantomanie. Es bedurfte jedenfalls fundamentaler Kritik an Städtebau und Architektur(11), um zu erkennen, dass die für überholt erklärte traditionelle Stadt räumliche und funktionale Qualitäten aufwies, die mit den bislang realisierten Planungen nicht zu erreichen waren. Katalysator waren aber auch radikale Eingriffe in Altbausubstanzen in Citynähe wie etwa im Münchner Lehel und im Frankfurter Westend. Die vorherigen Ansätze deklarierte man nun als verkürztes „technokratisches“ Planungsdenken, das sowohl soziale Folgen ausblendet als auch Veränderungen der Konzepte und Anforderungen während der oft langwierigen Realisierungsprozesse.

Dabei lag der Mangel des Leitbildes weniger in seinen theoretischen Überlegungen, sondern vielmehr in den konkreten Projekten, die den Urbanitätsbegriff auf die Frage von Geschossflächenzahl reduzierten. Die Planungen sahen kaum Arbeitsplätze, Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen vor. Die bauliche Ausführung in Material (billige Baustoffe) und Form (Hochhäuser) stellte ein weiteres Problem dar. Zudem wurde in Politik wie Planung der Terminus „Urbanität durch Dichte“ als Aufforderung missverstanden, in Altbauquartieren Flächensanierungen durchzuführen und jwd, also ganz weit draußen, Trabantensiedlungen zu errichten. Gleichsam on top kam noch eine einseitige Belegungspraxis der Kommunen hinzu. Und obgleich im wissenschaftlichen Diskurs weitgehende Einigkeit darüber herrschte, dass neben der baulichen Dichte auch unbedingt eine Nutzungsmischung angestrebt werden müsse, um städtische Vielfalt und Lebendigkeit zu erzeugen, wurde dieser – zentrale – Aspekt weithin ignoriert.(12)

Ohnedies setzten sich alsbald, bedingt durch die Ölkrise 1973, kurzfristige Krisenmanagement- und Planungstechniken mit räumlich und sachlich reduziertem Umfang durch. In gewisser Weise hatte sich der Begriff Dichte für Jahrzehnte diskreditiert, zumal Anspruch und Wirkung ideologisch überhöht worden war. „Rettet unsere Städte jetzt!“ lautet nicht nur das Motto des Deutschen Städtetags 1971(13), sondern bildete auch symbolisch eine Zäsur, die einen erneuten Paradigmenwechsel in Städtebau und Stadtentwicklung einleitete.(14) Indem mit negativ konnotierten Begriffen dem – soeben noch gefeierten – Leitbild „Urbanität durch Dichte“ die Schuld an „Retortenstädten, Wohnsilos, Betonburgen und neuen Slumgebieten“ zugewiesen wurde, indem man in ihm die Schwungfeder des „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ (Heinrich Klotz) vermutete, wurde es nun ad acta gelegt. Freilich ohne seine impulsgebenden Komponenten nochmals einer Revision zu unterziehen.

Rainer Oefelein und Bernhard Freund, High-Deck-Siedlung, Berlin Neukölln 1970–1984, Foto: Lienhard Schulz (via wikimedia / CC BY-SA 3.0)

Rainer Oefelein und Bernhard Freund, High-Deck-Siedlung, Berlin Neukölln 1970–1984, Foto: Lienhard Schulz (via wikimedia / CC BY-SA 3.0)

Ein beredtes Beispiel für urbanistische Projekte der Übergangszeit stellt dabei die sogenannte High-Deck-Siedlung in Berlin-Neukölln dar. Die Wettbewerbsjury entschied sich 1970 für den Entwurf der Architekten Rainer Oefelein und Bernhard Freund, der das Spannungsfeld zweier sich scheinbar widersprechender Zielvorstellungen städtischen Wohnens neu definieren wollte: Stadtraum, Öffentlichkeitsbezug, Informationsdichte einerseits und ungestörte Grünzonen, Gartenbezug, Freiraum andererseits. Das städtebauliche Konzept relativierte die bauliche Dichte der übrigen Berliner Großsiedlungen und setzte auf eine baulich-funktionale Trennung von Fußgängern und Autoverkehr. Hochgelagerte, begrünte Wege (die namensgebenden High-Decks) verbinden die überwiegend fünf- bis sechsgeschossigen Gebäude, die über rund 2.400 Wohnungen verfügen, während die Straßen mit mehr als 1.000 Stellplätzen und Garagen darunter liegen. Die Konzeption wurde seinerzeit als bewundernswert radikal und bestechend einfach rezipiert, zwischenzeitlich als zu nüchtern angesehen, erfährt aber in jüngster Zeit neue Aufmerksamkeit – als Prototyp stadtverträglicher Dichte.

Grundsätzlich jedoch lehren die jüngsten Jahrzehnte einer eher kommerziellen Stadtproduktion, „dass der Markt die ökonomische Verdichtungslogik nicht mitträgt. Nachgefragt werden bestimmte Bautypologien (Büroturm, Office-Park, Einfamilienhaus, Golfklub) und diese haben ihre spezifischen Dichten. Wenn ein Developer verdichtete Einfamilienhäuser, einen verdichteten Golfplatz oder ein verdünntes Urban Entertainment Center baut, wird er Schwierigkeiten bei der Vermarktung haben. Dichte ist also zuerst einmal eine Frage der Typologie. In zweiter Linie stellt sich die Frage, in welchen Lagen diese Typologien zur Anwendung kommen. Diese Entscheidungen beruhen nur vordergründig auf Grundstückskosten. Denn die Preise reflektieren nur, welche Typologie in dieser Lage vom Markt angenommen wird.“(15) Sowohl hoch verdichtete, an der Bodenrendite ausgerichtete Nutzungskonzepte zu entwickeln als auch attraktive Wohn- und Lebenswelten zu schaffen: Ein solcher Anspruch an die öffentliche Planung birgt augenscheinlich ein Dilemma.

Mit Blick auf solche Aspekte nimmt es nicht wunder, wenn der Diskurs zur Dichte (insbesondere zur ‚optimalen’ Dichte einzelner Siedlungen oder ganzer Städte) kontrovers und emotional geführt wird. Bereits vor gut 20 Jahren stellte der renommierte Planer Tom Sieverts fest, dass sich offenbar niemand in seiner jeweils ideologisch einseitigen und damit bequemen Position zum Thema ‚Dichte’ mit rationalen Argumenten in Frage stellen lassen wolle. Wobei seltsamerweise die ökonomischen Implikationen selten offen angesprochen werden. Denn Dichte ist vor allem eine Sache immobilienwirtschaftlicher Rentabilität. Schon in den 1960er Jahren, so Gerhard Boeddinghaus, haben erfahrene Stadtplaner deutlich darauf hingewiesen, „dass eifrige Spekulanten sich die Thesen von der anzustrebenden höheren Dichte der Bebauung so schnell wie rücksichtslos zunutze machen würden. So kam es dann auch.“(16) Die Debatte über städtebauliche Dichte wird auch weiterhin von widersprüchlichen Anforderungen und dem Problem der Vergleichbarkeit verschiedener Zieldimensionen geprägt sein.

Gestaltung der Dichte
Bauliche Strukturen so zu komprimieren, dass sie ein weiteres Ausufern der Städte in die Peripherie verhindern, dass sie zudem gestalterisch anspruchsvoll und gesellschaftlich akzeptiert sind: Dies wäre eine zeitgenössische Forderung an den Städtebau, die weniger banal ist, als sie zunächst klingt.(17) Denn die Ausschöpfung und Erweiterung von Nutzungspotenzialen im bereits bebauten Bereich ist meist langatmig, kleinteilig und wenig spektakulär. Ähnliches gilt für ‚Nachverdichtungen’ wie das Schließen von Baulücken und das Recycling von Brachflächen – zumeist Areale, die zuvor industriellen, gewerblichen oder militärischen Zwecken gedient hatten. Städtebauliche Dichte kann durchaus Stimulans für urbane Qualitäten sein. Allerdings bedingt eine hohe Dichte nicht automatisch stadträumliche Qualität. Vielmehr ist hierbei große Sensibilität gefragt, offenbart sich doch (zu) hohe Dichte aufgrund der Planungsgeschichte (Großsiedlungsbau) als nachgerade stigmatisiert, weil sie oftmals mit schlechten Wohn- und Arbeitsverhältnissen gleichgesetzt wird.Viele Beispiele zeigen freilich, dass auch Quartiere mit gutem Image eine hohe städtebauliche Dichte aufweisen können.

Stadterweiterung Barcelona, 1859, Abb.: Museu d‘Historia de la Ciutat, Barcelona

Stadterweiterung Barcelona, 1859, Abb.: Museu d‘Historia de la Ciutat, Barcelona

Dennoch bleibt festzuhalten: Städtebauliche Dichte ohne adäquate Gestaltung ist kontraproduktiv. Oder anders herum: Erst unter einer dezidiert qualitativen Perspektive kann das planerische Bestreben zur Verdichtung produktiv werden. „Es zeigt sich, dass städtisches Flair eine Frage der Dichte und der klar definierten Straßen- und Platzräume ist. Und es zeigt sich, dass die Architektur im Ensemble Qualitäten annehmen kann, zu denen sie im Maßstab des einzelnen Gebäudes nicht in der Lage wäre. Klassische Qualität können so auch Ensembles annehmen, deren Mitglieder, wenn für sich genommen, nicht herausragen. (…) Es ist diese aufgelockerte Bebauung, durch die die Stadterweiterung in kompakten Blöcken in die Phase der Suburbanisierung überging (…).“(18) In Barcelona etwa tritt man den Beweis an, wie ein tradiertes räumliches Ordnungsgerüst mit hoher baulicher Dichte auch unter heutigen Bedingungen funktioniert. Gerade die von Ildefons Cerdà konzipierte Stadterweiterung (Eixample) war bei allem Pragmatismus eine visionäre Integrationsleistung: das rigide Blockraster von 113 x 113 Meter Kantenlänge und dazwischen liegenden 20 Meter breiten Straßen ermöglicht bis heute eine individuelle Ausgestaltung der Parzellen und genügt Erfordernissen der Mobilität genauso wie des Freizeitverhaltens.

Das heißt allerdings nicht, dass ein Städtebau sinnhafter, angemessener und sozialverträglicher Dichte nur auf diese Art und Weise funktioniert. Zugleich ist, eingedenk der Erfahrungen mit dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“, eine gewisse professionelle Demut bezüglich dessen angesagt, was mit Planen und Bauen gesellschaftlich bewirkt werden kann. Doch Ausgangspunkt und zentrale Komponente wäre, auch unter heutigen Bedingungen, die Res publica der Straßen und Plätze, also die Überlagerung von technischen Infrastruktur-Bausteinen einerseits und stadträumlichen Elementen andererseits. Und nicht zu Unrecht gilt örtliche Dichte als ein Indiz für soziale Nähe und Nutzungsmischung. Der private Raum trennt sich deutlich vom öffentlichen, dessen einprägsame Kontur einer parzellierten Masse gegenübersteht, die umbaufähig ist. Das bedeutet, dass sie flexibel ist gegenüber wechselnden Nutzungen über lange Zeiträume, resistent nach Außen und anpassungsfähig nach Innen. Wenn ‚gestalten’ das Addieren von einzelnen Teilen zu einem kohärenten Ganzen ist, dann passiert das nicht naturwüchsig, sondern als gesellschaftlicher Akt. Nicht nur bei der Frage nach der Dichte: Stadtpolitik und -gestaltung brauchen und ergänzen einander, sie sind Kehrseiten ein und derselben Medaille.

Dr. Robert Kaltenbrunner (*1960) studierte Architektur an der TU Berlin und ist Autor zahlreicher Artikel zum Thema Architektur und Stadtbau. Er ist Leiter der Abteilung „Bau- und Wohnungswesen“ im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Robert Kaltenbrunner lebt und arbeitet in Bonn und Berlin.

Anmerkungen
1 In Deutschland haben wir eine ganze Reihe von Großstädten, deren Wohnungsbestände weit überwiegend aus Ein- und Zweifamilienhäusern bestehen.
2 Der aktuelle Hype um den Begriff Dichte verdeckt, dass er über viele Jahrzehnte hinweg von einer Negativsicht geprägt war. Beispielsweise wurden in Deutschland im BauGB und der BauNVO keineswegs Mindestdichten zum Erreichen von gesellschaftlichem Fortschritt etabliert, sondern Höchstwerte, die der Allgemeinheit gesundheitliches Wohl garantieren und dem Wildwuchs vorbauen sollten. Diese Ambivalenz ist nach wie vor nicht überwunden.
3 Auslöser dafür war sein Auftritt bei der Zentralversammlung des Deutschen Städtetags 1960 in Augsburg, wo er den Hauptvortrag mit dem Thema ‚Urbanität’ hielt. Zwar sprach Salin von Urbanität als einer verloren gegangenen Tugend der antiken Polis, doch seine inhärente Skepsis überhörte man. Stattdessen wurde Urbanität auf Städtebau und Stadtentwicklung projiziert.
4 Salin, Edgar: Urbanität, in: Deutscher Städtetag (Hrsg.): Erneuerung unserer Städte, Vorträge, Aussprachen und Ergebnisse der 11. Hauptversammlung des Dt. Städtetags, Augsburg / Stuttgart / Köln 1960, S. 9-34.
5 Begriffsbildend für dieses planerische Idealbild ist die gleichnamige Publikation von Johannes Göderitz, Roland Rainer und Hubert Hoffmann (Tübingen 1957) geworden.
6 Obgleich eher provokativ denn programmatisch gemeint, führte der Slogan im Nachgang offenbar zu allerlei Missverständnissen. Das Motto eines weiteren BDA-Symposiums 1964, ebenfalls in Gelsenkirchen und dem Thema gewidmet, war demgegenüber deutlich herabgedimmt: „Großstadt, in der wir leben möchten“. Die Vorträge beider Veranstaltungen sind in dem von Gerhard Boeddinghaus herausgegebenen Tagungsband dokumentiert (s.u.).
7 Burckhardt, Lucius / Herbst, Marcel: Wachstum, Dichte und Flexibilität, in: Boeddinghaus, Gerhard (Hrsg.): Gesellschaft durch Dichte. Kritische Initiativen zu einem neuen Leitbild für Planung und Städtebau 1963 / 1964. Wiesbaden 1995 (Reihe: Bauwelt Fundamente 107), S. 86-103, hier: S. 93.
8 Conrads, Ulrich: Mein Stadtideal, in: Boeddinghaus, a.a.O., S. 112-129, hier: S. 122 f.
9 Spengelin, Friedrich: Zum Begriff „Verdichtung“, in: Boeddinghaus, a.a.O., S. 193-211, hier: S. 195.
10 Güschel, Günter: Gemeinschaftsbildung und bauliche Dichte, in: Boeddinghaus, a.a.O., S. 29-41, hier: S.41.
11 Im deutschsprachigen Raum durch die Bücher von Alexander Mitscherlich (Die Unwirtlichkeit unserer Städte), Hans-Paul Bahrdt (Humaner Städtebau) und Wolf Jobst Siedler (Die gemordete Stadt), grundlegend aber durch Jane Jacobs (Tod und Leben großer amerikanischer Städte) entfacht bzw. bestätigt.
12 Boeddinghaus, a.a.O., Vorwort, S. 10.
13 Es wurde u.a. vom seinerzeitigen Münchener Oberbürgermeister und späteren Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel proklamiert.
14 Möglicherweise ist es zutreffender, von einem Paradigmenverlust zu sprechen, da ein klares Leitbild in der Stadtentwicklung danach für lange Zeit nicht erkennbar war.
15 Fiedler, Johannes: Urbanisierung, globale. Böhlau, Wien / Köln / Weimar 2004, S. 24.
16 Boeddinghaus, a.a.O., S. 10.
17 Zumal die bereits angesprochene Nutzungsmischung auf zweierlei setzt: die baulich-räumliche Komponente, die funktionelle Durchmischung von Stadtquartieren, d.h. die Verflechtungen von Wohnstandorten und Arbeitsplätzen, aber auch Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen, zum anderen auf einen gesellschaftlichen Aspekt: die Durchmischung verschiedener sozialer Schichten, Haushaltstypen und Lebensstilgruppen.
18 Franck, Georg u. Dorothea: Architektonische Qualität, München 2008, S. 250 f.

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