tatort

Ironische Molluske

Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können Sie per Post oder E-Mail an die Redaktion senden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 24. März 2014.

Der „tatort“ liegt an der Ostsee, in einem Ort, der lange Zeit von einer nahe gelegenen Hansestadt als Hafenvorort genutzt wurde. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich hier ein reges Badeleben, das auch die Funktion des Gebäudes erklärt, nach dem diesmal gefahndet wird. Noch heute prägt der Bau mit seinem unverwechselbaren Dach in Form einer geschwungenen Muschelschale die Promenade des kleinen Seebades. Die Konstruktion des Dachs beruht auf gebogenen Stahlmatten, die mit Spritzbeton versteift wurden. Entwickelt hat diese Bauweise ein gelernter Zimmermann, der sich in seinem anschließenden Ingenieurstudium für die Theorien mehrfach gekrümmter Flächen begeisterte, die unter anderem rumänische und ungarische Mathematiker entwickelt hatten. Mit der Leitung der vom Staat enteigneten elterlichen Baufirma bekam er die Möglichkeit, seine Experimente in Architektur zu übersetzen. Die sozialistische Regierung unterstützte seine ungewöhnlichen Formfindungen durch Aufträge für „Sonderbauten“, zu denen auch der gesuchte „tatort“ gehört, der in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre entstand. Auch im Ausland waren seine Gebäude beliebt. Sogar der westliche Nachbar tauschte den Entwurf des heute fast legendären Architekten für ein Planetarium gegen 10.000 Fahrzeuge einer beliebten Automarke ein, die am Standort ihren Sitz hat. Manchmal werden die Ergebnisse der Konstruktionskunst des Architekten als sozialistische Antwort auf ein amerikanisches Geschenk im westlichen Teil der geteilten Hauptstadt interpretiert, das im Volksmund einen ironischen mollusken Namen bekam. Vielmehr aber haben den östlichen Schalenbaumeister neben den mathematischen Problemen, die die Berechnung solcher Flächentragwerke damals aufwarf, offenbar die Künste eines mexikanischen Architekten fasziniert, der zentimeterdünne Paraboloide in Beton bauen konnte. Wenngleich nicht in dessen filigranen Dimensionen, so gelang dem Architekten und Ingenieur gemeinsam mit einem Entwurfskollektiv am „tatort“ immerhin der Entwurf einer markanten Landmarke. Anders als manch anderer Bau des Außenseiters – darunter ein sinnlos abgerissener Restaurant-Bau im östlichen Teil der Hauptstadt – hat das Bauwerk an der Ostsee die Wendezeiten überdauert. Jedoch auch hier haben Umbauten und der Austausch von Materialien einiges am ursprünglichen Erscheinungsbild zerstört und verändert. Geblieben ist dem „tatort“ jedoch der einmalige Blick auf den Strand, das Meer und seinen älteren baulichen Kontrapunkt, mit dem er ein einzigartiges Ensemble bildet. Wie heißt das Gebäude, wie sein Entwerfer und wo steht es?

Der „tatort“ der Ausgabe 6/13 war die katholische Pfarrkirche St-Johann-Baptist in Neu-Ulm, die Dominikus Böhm in zwei Bauabschnitten zwischen 1922 und 1926 als „Schwäbische Kriegergedächtniskirche“ anstelle eines Vorgängerbaus errichtete. Der Gewinner des Buchpreises ist Paul Alfred Kesseler aus Krefeld, der seit Einführung der Rubrik ausnahmslos jeden „tatort“ richtig ermittelt hat.

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