Buch der Woche

Italomodern

Die Neuauflage des erfolgreichen zweibändigen Werkes „Italomoderne“ liegt nun im Verlag Park Books in erneuerter Außengestaltung vor, diesmal nicht in Veloursleder-Imitat, sondern im grob gewebten Leinen-Softcover. Grund genug, noch einmal auf diese wunderbare Publikation aufmerksam zu machen.

Der Buchtitel, der sowohl eine Art Stilbegriff – die „Italomoderne“ – als auch eine regionale und zeitliche Eingrenzung – Oberitalien, 1946–1976 – beinhaltet, lässt zunächst an ein aus dem akademischen Kontext entsprungenes Überblickswerk denken, tatsächlich entwickelte sich die Publikation aber vielmehr aus einer privaten Unternehmung. Bei den Autoren handelt es sich um die Brüder Martin und Werner Feiersinger, ersterer Architekt und zweiterer Bildhauer, die eher durch einen Zufall auf das Thema der italienischen „Nachkriegsmoderne“ stießen. Eigentlich wollten die beiden, nachdem sie sich Bauten von Le Corbusier in Frankreich angeschaut hatten, auf dem Heimweg über Mailand noch kurz die Kirche Mater Misericordiae von Angelo Mangiarotti und Bruno Morassutti besuchen. Aus diesem kurzen Ausflug wurde schließlich eine jahrelange, geradezu systematische Besichtigung oberitalienischer Städte auf der Suche nach weniger bekannten und eigenwilligen Beispielen der italienischen Architektur nach 1945 – unterstützt durch die Recherche in Büchern und Zeitschriften.

Beim Aufspüren und fotografischen Erfassen von Bauten der Region sei es dabei nicht nur um „die sogenannte zweite klassische Moderne“ gegangen, sondern, so heißt es im Vorwort von Arno Ritter, auch um „Bauten, die Ausdruck jener Phase des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs in Italien sind, in der man – heute mitunter naiv anmutend – noch an die architektonische Gestaltbarkeit der Zukunft wie der Gesellschaft glaubte“. Der Schwerpunkt liege dabei auf den „singulären, ambivalenten Erscheinungen, auf experimentellen, wenn auch nicht unbedingt spektakulären Architekturen“. Das Ergebnis sind zwei Bände, die vornehmlich in Bildern einen Kosmos an Architektursprachen ausbreiten und uns mit zahlreichen ungewöhnlichen Bauten konfrontieren, die von Einfallsreichtum zeugen und der Freude am Experiment in der Auseinandersetzung mit Form, Material und Grundriss.

Beispielsweise die „Casa sotto una foglia“ in Malo (Entwurf 1964 Giò Ponti, Überarbeitungen von Nanda Vigo): ein einstöckiges Ferienhaus mit blattähnlicher Bedachung, dessen gesamter Innenraum mit weißen Fliesen verkleidet ist, belebt lediglich von vereinzelten Einbauelementen mit grauer Plüsch-Bespannung. Oder eines der Büro- und Wohnhäuser von Luigi Moretti in Mailand, bei dem ein keilförmiger Hochhaus-Baukörper quer zur Straße lässig auf einem zweigeschossigen Gebäudeteil aufsattelt. Oder auch die Wohnhochhäuser von Luigi Caccia Dominioni, ebenfalls in Mailand, mit denen die Möglichkeiten einer verfeinerten Fassadengestaltung dieses Bautyps in unterschiedlichen Varianten, etwa in petrolfarbener Keramik oder umhüllt von einem ornamental gestalteten Ziegelgitter, gezeigt werden.

Während der Entstehung des Buches herrschte zwischen den Brüdern eine recht klare Arbeitsteilung: der Architekt Martin Feiersinger übernahm die Aufgabe der Recherche und Sammlung und eignete sich mit der Zeit ein umfassendes Wissen an, das in den zu jedem Gebäude verfassten prägnanten und kurzen anspruchsvollen Texten sowie in den Architektenbiographien im zweiten Band zu Tage tritt. Werner Feiersinger reagierte als Fotograf dagegen subjektiv und unvoreingenommen, das heißt ohne das Vorwissen des Bruders, auf die Gebäude. Die Mittel der bildimmanenten formalen Gestaltung wie Komposition, Ausschnitt, Lichtverhältnisse und Ansicht sind dabei durchaus vielfältig, oftmals wird auch die Umgebung gezeigt, bisweilen sogar Zufälliges wie Passanten oder vorbeifahrende Lastwagen.

Der Textbeitrag im ersten Band, verfasst vom Architekten und Publizisten Otto Kapfinger, ist in seiner Essay-Form wohl die ideale Entsprechung für diese anspruchsvolle und in Teilen systematische, aber dennoch auch subjektiv und persönlich gefärbte Auswahl und Darstellungsweise von Gebäuden. Wenn auch keine wissenschaftliche Publikation im klassischen Sinne, so sind die Bücher gleichwohl ein sehr ergiebiges Nachschlagewerk: Die chronologische Ordnung, gute Kurztexte, die neu gezeichneten Grundrisse sowie die alphabetisch gegliederten Architektenbiographien mit bibliographischer Auswahl und Werkverzeichnis, bieten eine ansehnliche Grundlage für eine tiefer gehende Recherche. Unterstützend für die Übersichtlichkeit ist dabei die grafische Gestaltung, die das Ordnungssystem unterstreicht – etwa mit farblich abgesetztem Papier.

Abseits davon, und dafür lohnt sich der Doppelband noch mehr, ist er einfach fabelhaft zum Blättern, Schmökern und Staunen angesichts dieser außergewöhnlichen, mitunter sehr fremd anmutenden und faszinierenden Bauwerke.

Elina Potratz

Martin und Werner Feiersinger: Italomodern 1. Architektur in Oberitalien 1946–1976, 352 S., 227 farb. Abb. und 112 Pläne, broschiert, Park Books, Zürich 2016. 45, – Euro, ISBN 978-3-906027-98-2

Martin und Werner Feiersinger: Italomodern 2. Architektur in Oberitalien 1946–1976, 552 S., 360 farb. Abb. und 165 Pläne, broschiert, Park Books, Zürich 2016, 48, – Euro, ISBN 978-3-906027-99-9

Fotos: Werner Feiersinger

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