Kritischer Raum:  Willkommenskirche in Overath, Springer  Architekten

Form und Geschichten

Schrumpfung ist ein Problem vieler deutscher Kirchengemeinden. Immer weniger Menschen besuchen die Gotteshäuser – und das gilt für evangelische und katholische Gläubige gleichermaßen. Kirchen sind zu groß und es gibt zu viele. Mit dem Strukturwandel einher gehen Fragen zu einer nachhaltigen Zukunftsfähigkeit der Häuser wie der Selbstfindung der Gemeinden in der aktuellen Situation.

In Overath lässt sich anhand des Neubaus der Willkommenskirche von Springer Architekten Interessantes beobachten. Der Ort liegt am Fuße des Bergischen Lands, wo das Rheinland im südlichen Nordrhein-Westfalen waldig und bergig wird: rund 25 Kilometer östlich von Köln, traditionell katholisch. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich hier eine protestantische Gemeinde aus Geflüchteten. Otto Bartnings Notkirchen-Typ D gab den Neuankömmlingen ab 1951 ein liturgisches Obdach. Im Zuge der Ansiedlung weiterer Geflüchteter und des Anwachsens der Ortschaft samt Ausweisung von Neubaugebieten, wurde 1965 im benachbarten Ortsteil Steinenbrück ein weiterer evangelischer Kirchenneubau nach Entwürfen von Peter Paul Smrha fertiggestellt. Gut fünfzig Jahre später aber fanden sich weder genügend Gemeindemitglieder, um die beiden Bauten zu füllen, noch ausreichend Gelder, sie zu betreiben.

Springer Architekten, Willkommenskirche, Overath 2018 – 2020, Foto: Stefan Müller, Berlin

Wie auch an anderen Orten lag die Lösung nahe: Aus zwei Kirchengebäuden sollte eines werden, Altes abgerissen und Neues gebaut werden, so die ersten Ideen. Nach eigenem Bekunden aber taten sich weder Pfarrer noch Gemeindemitglieder mit dem Abriss der beiden Bauten leicht, zudem zog die Frage nach dem Standort für den Neubau ausgiebige interne Diskussionen nach sich. Im Laufe eines langen Prozesses dann die überraschende Lösung: Keines der beiden mit Geschichten und Erinnerungen aufgeladenen Gebäude musste abgebrochen werden, eines trotzdem für den Neubau weichen. Während das Haus von Smrha in Steinenbrück von einer Freikirche übernommen wurde, nahm sich das Freilicht­museum Kommern in der Eifel dem Bartning-Bau an. Sorgsam in seine Einzelteile zerlegt, in die Eifel verbracht und dort wiederaufgebaut, ist er seit 2019 Teil der Baugruppe Marktplatz Rheinland. Die Overather Gemeinde bekam zudem das Recht eingeräumt, dort regelmäßig Gottesdienste abhalten zu dürfen.

Springer Architekten, Willkommenskirche, Overath 2018 – 2020, Grundriss

Nun sind die Anforderungen an den heutigen protestantischen Kirchenbau in aller Regel deswegen so komplex, weil die Gemeinden selbst zwischen multifunktionalen Zwecken und dem Wunsch nach liturgischer Sinnstiftung und entsprechendem räumlichen Ausdruck hin und her schwanken. So sollte auch hier der Kirchenraum von einer kleinen Alltagskirche bis zu einem maximal vergrößerten Raum für die nach wie vor gut besuchten Weihnachts- oder Traugottesdienste pendeln können, gleichzeitig die Prinzipalstücke aber mobil sein, da sich jenseits der Gottesdienste sowohl Jugend- als auch Eltern-Kind-Gruppen hier treffen.

Springer Architekten, Willkommenskirche, Foto: Stefan Müller, Berlin

Im Rahmen eines Wettbewerbs für den Neubau an Ort und Stelle der ehemaligen Notkirche konnten Springer Architekten aus Berlin gewonnen werden. Jörg Springer und sein Team translozierten für den Entwurf der Willkommenskirche die Migrations- und Gründungsgeschichte der Gemeinde und entwickelten eine Form, als direkte Referenz zur Laurentius-Kapelle auf der Schneekoppe, dem höchsten Berg der Sudeten direkt an der tschechisch-polnischen Grenze. Analog zu ihrem mit schwarzgrauem Holz bekleideten zylindrischen Baukörper, erdachten die Architektinnen und Architekten auch für Overath einen dunklen Holzbau auf rundem Grundriss. Auf seinem betonierten und in den Hang gegrabenen Sockel steht der kleine Bau nun selbstbewusst oberhalb des Aggertals und mutet, vom Fußweg den Klarenberg hinauf, selbst wie eine Bergkapelle an. Durch die Überlagerung von Kreis im Grundriss und Quadrat für die das Dach abschließende Laterne ergibt sich in der Verschneidung beider Formen eine interessante Dachfigur, die zu einem wahrlich skulpturalen Äußeren führt. Bei der Annäherung wird deutlich, dass diese Laterne nur auf einer der beiden zentralen Kreuzachsen, die der inneren Raumstruktur folgen, mittig aufgesetzt ist. Rot sind die Eingänge markiert: zum einen von der Straße ins alte, aber ebenfalls neu und schwarz-hölzern bekleidete Gemeindehaus, zum anderen von einem kleinen, aufgeschütteten Vorplatz in den Neubau. Schon beim Eintreten geht die formale Idee auch innenräumlich auf. Der Blick folgt der Konstruktion fast automatisch: vom axial gegenüber der Eingangstür angeordneten Fenster über den Altar in der Mitte des Raums hinauf und entlang der Dachsparren zum von oben einfallenden Licht der Laterne.

Springer Architekten, Willkommenskirche, Innenraum, Foto: Stefan Müller, Berlin

Jörg Springer und sein Team haben die Anforderungen durch die vielschichtigen Nutzungen in einen angemessenen räumlichen, sakralen Rahmen überführt. Der kreisrunde Neubau wurde über einen Verbindungstrakt orthogonal an das bestehende Gemeindehaus angegliedert und selbst etwa im Verhältnis eins zu zwei geteilt, was seinen äußeren Abdruck in der Position der Dachlaterne findet. Durch Schiebeelemente lässt sich so der Hauptraum teilen und der Bereich des Verbindungsbaus bedarfsweise zuschalten. Das helle Holz dieses flexiblen Innenraums kontrastiert das dunkle Äußere und setzt einen feinen, fast wohnlichen Kontrapunkt, zumal auch das alte Gemeindehaus durch die Homogenisierung der dunklen Holzbekleidung nun als Teil eines klar definierten formalen Ensembles auftritt, was aus den drei Bauteilen ein neues Ganzes macht.

Wo die architektonische Form und der städtebauliche Eingriff überzeugen, scheint dem Projekt auf dem Weg zur Fertigstellung irgendwo die Luft ausgegangen zu sein. Die Holzkonstruktion wird während des Geläuts der schweren Glocken hörbar herausgefordert, Details wie die außenliegenden Fallrohre der Dachentwässerung, die Prinzipalstücke oder die Bestuhlung wollen so recht nicht zum sonst so fein angelegten Duktus dieser kleinen Kirche passen. Es ist dem Neubau nicht anzulasten, dass die Kirchengemeinde nach Auskunft einiger Mitglieder noch mit dem Haus fremdelt. Und obschon kein Bestandsbauwerk abgebrochen werden musste, wird hier deutlich, dass es baukulturell um mehr als materielle Nachhaltigkeit geht. Architektur betrifft immer auch die kulturelle Nachhaltigkeit, die Erinnerung, die wir mit Orten und Räumen verbinden, die Geschichten, die in die Architektur selbst eingeschrieben sind. Selbst mit Narrativen belegt, bietet der Neubau der Willkommenskirche von Springer Architekten nun eine Carte Blanche für die neuen Geschichten der hiesigen kleinen Gemeinde. David Kasparek

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