Kritischer Raum

Ein neuer Geist

Wilmina, Berlin 2021 / 22, Grüntuch Ernst Architekten, Bauherr: Wilmina GmbH

Zum Schluss sieht es dann oft so einfach und selbstverständlich aus. Als wäre immer schon klar gewesen, dass in dem ehemaligen Frauengefängnis im Hinterhof der Berliner Kantstraße das Potenzial für einen wunderschönen Rückzugsort mitten in der Stadt lag. Die Geschichte hinter diesem beeindruckenden Umbau begann jedoch zunächst einmal mit vielen Zweifeln. Der Investor, der das bereits lange leerstehende Objekt erwerben wollte und das Architekturbüro Grüntuch Ernst beratend einbezogen hatte, widerrief sein Interesse nach einer Besichtigung. Denkmalschutz, schlechte Substanz – und nicht zuletzt die in hohem Maße beklemmende Atmosphäre dieses Bauwerks waren die Gründe. Auf den Fotos vom Ursprungsbau, in dem bis 1985 vorwiegend Frauen Freiheitsstrafen verbüßten, vermittelt das Gebäude noch deprimierende Abschottung, die Gänge sind dunkel, die Innenhöfe Ziegelschluchten mit kleinen vergitterten Fenstern. Es waren schließlich die Architekten selbst, Almut Grüntuch-Ernst und ihr Mann Armand Grüntuch, die das Bauwerk erwarben – das Konzept, das eine Hotelnutzung vorsah, hatten sie schließlich bereits skizziert und Feuer gefangen für die im Dornröschenschlaf liegenden Bauten.

Unten: Adolf Bürckner und Eduard Fürstenau, Strafgericht und Gefängnis Kantstraße, Berlin 1896; oben: Grüntuch Ernst Architekten, Transformation 2021 / 22. Umbauten (rot): ein Erweiterungsbau, der das ehemalige Gericht mit dem Gefängnis verbindet, das Restaurant, dessen begrüntes Dach den ehemaligen Schleusenhof in einen Innenraum verwandelt hat, sowie das Penthousegeschoss auf dem Hotel, Abb.: Wilmina

Heute, rund zehn Jahre sowie eine Pandemie später, ist das Gebäudeensemble, das nun in verschiedene Funktionsbereiche aufgeteilt ist, kaum wiederzuerkennen. Das direkt an der Kantstraße gelegene ehemalige Strafgerichtsgebäude, 1896 – 1897 erbaut, beherbergt heute einen Kunstort, den sogenannten Amtsalon. Über den ersten Hinterhof gelangt man in ein Restaurant, das sich von hier bis in den zweiten Hinterhof und von dort bis zu jenem verbindenden Gebäudeteil zieht, von dem aus die Frauen in den Gefängnistrakt geschleust wurden. Der um einen dritten Innenhof laufende Gefängnistrakt ist nun das Hotel, das um ein Geschoss aufgestockt wurde. Um die Hotelgäste vor dem lebendigen Gastronomiegeschehen und neugierigen Blicken zu schützen, wurde das Hotel durch einen neu eingestellten Gang erschlossen. Nur die vollflächig verglasten Toreingänge verbinden die beiden Sphären miteinander.

Grüntuch Ernst Architekten, Hotel Wilmina 2021 / 22, Foto: Wilmina / Robert Rieger

Der erste Innenhof des Hotels, vormals in Teilen betoniert, wurde entsiegelt, um den Bereich mit bereits aufgelaufener Vegetation zu erweitern. Der verwunschen anmutende, charmant zugewucherte Garten beweist nicht nur Sensibilität für den ökologischen Bestand, sondern auch Mut, sich von der herkömmlichen antiseptischen und glatten Hotelästhetik loszulösen. In den barrierefreien Eingangsräumen, die durch die Entnahme einer Geschossdecke besonders hoch sind, tauchen die Gäste in eine helle und freundliche Behaglichkeit ein: Es ist zweifellos gelungen, die beklemmende Stimmung hier komplett abzuschütteln.

Das heutige Hotel, früher der Zellentrakt mit der gefängnistypischen Erschließung über Galerien, erhielt ein neues Glasdach, das mehr Tageslicht hineinlässt. Die hohe Ziegelwand wurde weiß geschlemmt, im Luftraum davor hängt ein Schwarm handgefertigter Glaskugelleuchten des Designers Omer Arbel, die die Atmosphäre des Verwunschen-Märchenhaften unterstreichen. Während die Böden komplett ausgetauscht wurden – helles Terrazzo, Holzboden oder Teppich –, behielt man einige alte Details mitsamt ihrer Patina bei, wie etwa die Geländer und Türen.

Grüntuch Ernst Architekten, Hotel Wilmina 2021 / 22. Auch auf den Dachflächen wurden Gärten angelegt, auf der Bar (Bild), dem Küchenhaus und auf dem Dach des Speisesaals. Foto: Wilmina / Markus Gröteke

Wenngleich gewisse typologische Gemeinsamkeiten zwischen einem Gefängnis und einem Hotel existieren, mussten doch einige bauliche Veränderungen vorgenommen werden. Für die Hotelzimmer wurden teilweise zwei der kleinen Zellen zusammengelegt. Die weit oben sitzenden Fenster (damit sollte der Kontakt unter den Insassinnen reduziert werden) erweiterte man nach unten, sodass die Gitterstäbe, die bewusst bewahrt wurden, nur noch im oberen Fensterbereich vorhanden sind. Einige kleinere Hotelzimmer wurden aus ehemaligen Einzelzellen entwickelt: Ein Podest wurde eingesetzt, auf dem – wie in einer Koje – raumfüllend das Bett steht. Die Zimmereinrichtungen in hellem Beige und Holz sind schlicht und zeitlos, man kann sich vorstellen, dass die Gestaltung gut altern wird. Größere Zimmer und Suiten finden sich unter anderem im neu aufgesetzten Dachgeschoss, von dem aus die Dachterrasse zugänglich ist. Vor den großen Fensterfronten der Penthousezimmer sind feine außenliegende Metallgewebevorhänge angebracht, die sich schimmernd im Wind bewegen und zugleich vor sommerlicher Überhitzung schützen.

In Summe wurde hier mit großem Feingefühl eine Balance zwischen beherztem Eingriff und dem Erhalt historischer Elemente und Spuren gefunden. Es galt zwar einerseits, dem Gebäude einen neuen Geist einzuhauchen, andererseits aber respektvoll mit der belasteten Geschichte umzugehen, denn auch die Nationalsozialisten nutzten dieses Gefängnis, um Widerstandskämpferinnen wegzusperren. Eine der Zellen wurde daher im Originalzustand erhalten und soll in Zukunft eine Ausstellung zur Geschichte des Orts beherbergen. Darüber hinaus entdeckt man erfreulicherweise immer wieder Bestrebungen, den Gästen an einigen Stellen etwas mehr als das gemeinhin als erträglich geltende Maß an Alterungsspuren und historischen Bauteilen zuzumuten – darunter auch Überformungen aus der Nachkriegszeit.

Grüntuch Ernst Architekten, Hotel Wilmina 2021 / 22, Foto: Wilmina / Robert Rieger

Beim „Hotel Wilmina“ waren Architektin und Architekt mit höchstem Anspruch am Werk. Man könnte Seiten füllen, um die vielen klugen Eingriffe und Inszenierungen bei diesem Umbau darzulegen. Um den Erhalt des Bestands insgesamt weiter voranzutreiben und Bauherren von Umbau-Potenzialen zu überzeugen, sind immer wieder solche beispielhaften Transformationen gefragt, die verdeutlichen, dass sich auch „schwierigen Fällen“ gewaltige Qualitäten entlocken lassen. Dieses gelungene Projekt lässt die Hoffnung aufkeimen, dass diese Erkenntnis hoffentlich bald in ein breiteres kollektives Bewusstsein rückt.
Elina Potratz

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