kern und these

Wohnen umfassend denken

Als sich im Herbst 2015 die Situation in Deutschland aufgrund der hohen Zahl Geflüchteter zugespitzt hatte, wurde auch der Blick auf den Wohnungsmarkt geschärft. Doch die Lage dort war schon vorher aus der Balance geraten, es wurde nur intensiver wahrgenommen, was lange absehbar war. So finden wir uns im Herbst 2017, nachdem sich die Zahl der Geflüchteten, die bei uns aufgenommen werden, wieder stark reduziert hat, nach wie vor auch deswegen mit einer angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert, weil die Versäumnisse auf diesem Gebiet sich auf mehr als zwanzig Jahre erstrecken.

Sie betreffen die Art und den Umfang der Förderung, die soziale Segregation begünstigte, sie betreffen die fehlende vorausschauende Bodenbevorratung der Gemeinden, sie betreffen auch die Illusion, die man sich aufgrund glaubhafter Prognosen gemacht hat, dass die Bevölkerung Deutschlands abnehmen werde. Der Frage, wie ein Markt strukturiert sein müsse, der auch auf die veränderte Zusammensetzung der Gesellschaft, auf das steigende Durchschnittsalter, die vielfältigen Biografien und Lebensformen reagieren kann, wurde eine zu geringe Bedeutung zugemessen. Schon Mitte der 1980er Jahre hatte Ulrich Beck darauf hingewiesen, dass es der Wohnungsmarkt nahezu unmöglich mache, dass sich im Alltag familienübergreifende Unterstützung organisiert. Das Buch, in dem das zu lesen ist, „Risikogesellschaft“, gilt heute als Klassiker. Der Befund ist aktuell geblieben.

Das Wissen um die Fehler, die gemacht wurden, ist deswegen aber vor allem eine Verpflichtung. Denn gerade mit diesem Wissen gilt es heute darauf zu dringen, dass die Wohnungspolitik nicht nur auf kurzfristige Effekte zielt, sondern auf mittel- und langfristige Wirkungen achtet. Es geht darum, wie eine stabile Struktur in der Bewohnerschaft und in der Mischung von Nutzungen erreicht werden kann. Es geht darum, jetzt Verfahren, die sich bewähren, zu verstetigen, damit sie zukünftig als verlässliche Instrumente zur Verfügung stehen. Und es gilt, trotz aller gebotenen Eile, nicht in der Vergangenheit mühsam errungene Qualitäten über Bord zu werfen, Standards, von denen gerade die Benachteiligten der Gesellschaft profitieren, wieder aufzugeben.

Rüthen, Neubaugebiet, Foto: Petra Klawikowski (via wikimedia / CC-BY-SA 3.0)

Rüthen, Neubaugebiet, Foto: Petra Klawikowski (via wikimedia / CC-BY-SA 3.0)

Vielleicht besteht jetzt auch die Chance, die unbequemen Fragen zu stellen, die in Zeiten der entspannteren Marktlage keiner zu stellen wagte: Die nach einer fairen Besteuerung von Bodennutzung etwa, danach, ob nicht die öffentliche Hand – allen voran der Bund und die BIMA – einen anderen Umgang mit der nicht vermehrbaren Ressource Boden pflegen sollte, anstatt ihn an den Meistbietenden zu verkaufen. Es liegt genug Erfahrung mit dem Instrument der Konzeptvergabe vor – warum nur wird sie nach wie vor so sparsam angewendet? Es ist danach zu fragen, wie die Orientierung am Allgemeinwohl, zu dem das Grundgesetz Eigentümer verpflichtet, tatsächlich eingelöst wird. Wie sieht der Wohnalltag jener Menschen aus, die älter werdend, sich nicht auf ein familiäres Netzwerk verlassen können oder wollen? Wie kann man Bürger von vornherein stärker in die Stadt- und Raumplanung einbeziehen? Wie können Genossenschaften besser in die Stadtentwicklung eingebunden werden?

Ein Blick in die Programme der Parteien zur Bundestagswahl, den das Netzwerk Immovielien gewagt hatte, und dabei untersuchte, was die Parteien zur Stadt- und Quartiersentwicklung zu sagen haben, ernüchtert: Je konkreter die Fragen werden, desto seltener sind die Antworten, so lautete das Fazit: ein bitteres, wenn man bedenkt, dass die Wohnungsfrage eine der drängenden unserer Tage ist und nicht durch das Bauen allein gelöst wird, das den Kontext nicht berücksichtigt.

Gebaut wird viel – aber zum Teil an den falschen Orten, weil es an ausgleichender Steuerung fehlt. Es fehlt an der Ermutigung, die die Politik leisten könnte, um nicht nur die Siedlungen der Nachkriegszeit mit mehrgeschossigen Wohnbauten in den Blick zu nehmen, sondern auch über die vielen Einfamilienhausgebiete nachzudenken. Hier ist ein sensibles und kluges Management gefragt – der Markt regelt hier nur, dass die Menschen möglichst lange, und sei es allein, in ihren dann viel zu großen Häusern wohnen bleiben, weil die Angebote in ihrem vertrauten Umfeld fehlen.

Mehr denn je muss noch das Bewusstsein für einen breit angelegten Ansatz geschaffen werden, der viele Ebenen berücksichtigt: der den Bestand und Neubau einschließt, der verschiedene Wohnformen und Wohnmodelle neben Standardlösungen etabliert, der die Möglichkeiten zur Förderung und Aktivierung des zivilgesellschaftlichen Potenzials nutzt, der Städte jeder Größenordnung ebenso wie den ländlichen Kontext berücksichtigt und der Land, Kommunen und private Investoren gleichermaßen in die Pflicht nimmt. Eine einfache Antwort auf die Herausforderung des Wohnungsmarkts gibt es nicht.

Joachim Klie, Vorsitzender des BDA Hessen, und Christian Holl, Landessekretär des BDA Hessen

Zum Thema: Wohnen im Kontext. In der Gemeinschaft, im Quartier, in der Stadt. Herausgegeben vom BDA Hessen. Online verfügbar unter www.bda-hessen.de

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert