Buch der Woche: Architekturführer Frankfurt 1990–1999

Mach nommo de Jaguar!

Im Oktober 2020 hatte ich an dieser Stelle meine Spannung bekundet, wie Wilhelm Opatz und die Freunde Frankfurts als Herausgeber ihrer furiosen Architekturführerreihe über Frankfurt wohl die 1990er-Jahre in Szene setzen würden. Nun liegt der aktuelle Band vor, der grafisch konsequent die in den vorherigen Publikationen gesetzten Leitlinien fortschreibt. Die 1990er Jahre, so scheint es auf den ersten Blick, waren ein schwarzes Jahrzehnt, der Leineneinband zumindest suggeriert es. Aber: Es glänzt eben auch ganz gehörig, darauf deutet der silbrige Prägedruck der Lettern hin.

Wie schon in den voran gegangenen, strikt nach Jahrzehnten geordneten Büchern, gelingt es den Herausgebern auch mit Blick auf das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrtausends, Architektur in einen breiten kulturellen Kontext einzubetten. Frankfurt in den 1990er-Jahren war die Zeit der damals höchsten Häuser Europas und des Museumsufers, von Jay-Jay Okocha und Uwe Bein, von Rave und Konkret Finn. Nicht alles, aber beeindruckend vieles davon, findet sich nun auf den gut 200 Seiten dieses besonderen Architekturführers wieder.

DZ Bank Hochhaus (das ‚Kronenhaus’), Kohn Pedersen Fox, 1993.

Jedem Jahr ordnet Opatz – der als Kurator und Grafiker die Reihe betreut und für ihren stringenten Auftritt maßgeblich mitverantwortlich ist – ein Haus zu. Das Hochhaus der DZ Bank von Kohn Pedersen Fox etwa, die irrwitzige Villa Lunkewitz von Quinlan Terry oder das Union-Areal von Michael Landes. So vielfältig die Stadt, so heterogen auch die Typologien, die hier zusammenfinden und durch das grafische Konzept zu einem homogenen Ganzen mit den weiteren verhandelten Kulturgütern zusammenfinden. Kasper König würdigt Rosemarie Trockels „Frankfurter Engel“, in der Stadt entworfene T-Shirts tauchen ebenso auf wie hier aufgenommene und auf CD gebannte musikalische Kompositionen.

Die Fotos von Georg Dörr, Wolfgang Stahr und Jon Strack untermauern diesen anderen, weiteren Blick auf Architektur. Kein Haus ist in Gänze zu sehen, immer sind die Gebäude höchstens im Anschnitt gezeigt, viele werden nur durch Details erschlossen. Das ist – etwa beim Messeturm von Murphy/Jahn, der stellvertretend für das Jahr 1991 steht – überraschend, aber nicht einfach illustrative Idee, sondern zeigt die Stadt konkret aus der Perspektive der Menschen. In den allermeisten Fällen haben wir eben keine Drohne zur Hand, die uns ein Haus in der Vogelschau zeigt, keine Kamera mit Weitwinkelobjektiv, die Gebäude in der Totalen näherbringt. So begeben sich die porträtierten Architekturen tatsächlich auf Augenhöhe.

Wunderbar deutlich wird der Genregrenzen überwindende Ansatz des Buchs im Text des ehemaligen Groove-Chefredakteurs Torsten Schmidt, der die Lesenden mit in das Omen nimmt, eine der Geburtsstätten des deutschen Techno. Sven Väth legte in diesem legendären Frankfurter Club auf, Weltvergessenheit und Kultur krachten aufeinander und Schmidt versteht es, dieses Gefühl in einem herrlich mäandrierenden Essay einzufangen, der einen die Gerüche, Bässe und stroboskophaften Exzesse von damals erneut spüren lässt.

Den Abschluss bildet schließlich ein Ausflug ins „Umland“ zu Johannes Peter Hölzingers Erdkeilhaus in Liederbach, schön beschrieben von Adrian Seib. Es bestätigt sich der Eindruck: diese Reihe heißt zwar noch „Architekturführer“, beschreibt aber mehr als die bloße Bauproduktion, sondern sie dokumentiert einen Kosmos der Kultur, in dem die Baukultur ein Baustein von vielen ist – irgendwo zwischen Sven Väth, Arvo Pärt und Manni Binz.
David Kasparek

Freunde Frankfurts, Wilhelm E. Opatz (Hrsg.): Architekturführer Frankfurt 1990–1999, 208 S., ca. 100 farb. Abb., Junius Verlag, Hamburg 2022, 44,– Euro, ISBN 978-3-96060-557-7

 

 

 

 

 

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