Tatort

Tarantula auf der Wiese

Gesucht wird wieder ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per E-Mail (redaktion@die-architekt.net) eingereicht werden. Zu gewinnen gibt es das Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ (jovis Verlag) von Karin Hartmann. Einsendeschluss ist der 14. Januar 2023.

„Kühne Konstruktion trotzt bombastischen Phonstärken“ titelte das „Innenstadtmagazin“ am 35. Geburtstag des Tatorts. Zuvor waren dort die Puhdys aufgetreten. Motto: „Ist es zu laut, bist du zu alt!“ Der Tatort ist der einzige Bau seiner Art, der bis heute seiner ursprünglichen Bestimmung dient: Hauptsächlich Sport, aber auch Kultur und Unterhaltung fanden und finden unter dem stützenfreien Tragwerk statt. Die Stadtbevölkerung erinnert sich an Betriebsfeste, Schlagerstudio, Frauentag, Turniere, Frühschoppen…Derzeit stehen allerdings Bauzäune darum, eine Generalsanierung des eingetragenen Baudenkmals läuft, aber ihre Fertigstellung verzögert sich noch bis ins nächste Jahr.

Die Annäherung von Süden bietet ein Stadterlebnis der besonderen Art: Aus dem Nichts weitet sich die schmale Landstraße zu einer sechsspurigen Magistrale der autogerechten Stadt auf, gesäumt von bis zu dreizehngeschossigen Wohnblöcken. Hier in der Provinz ist ein beschauliches Städtchen mit Macht hochgezoomt worden auf die vierfache Einwohnerzahl, dazu brauchte es Wohnraum und Infrastruktur. In diesem Zusammenhang entstand auch unser Tatort. Kurz bevor man das historische Zentrum mit seiner rundum erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer erreicht, biegt man links ab und findet, etwas versteckt hinter einer unbedeutenden Hallenansammlung, ein expressives Schalentier vor, das wie Tarantula mit breit ausgestreckten Beinen auf der Wiese kauert. So muss die Zukunft einmal ausgesehen haben!

Foto: Benedikt Hotze

Leichte Flächentragwerke waren damals international groß in Mode. Mit einem Minimum an Material lassen sich damit große Spannweiten überbrücken; Architekten und Ingenieure wie Frei Otto, Félix Candela und Heinz Isler haben damit experimentiert und einige Ikonen ihrer Zeit geschaffen. Auch der Tatort gehört in diese Reihe, doch ihr Schöpfer musste sich einiges einfallen lassen, um in seiner Heimat überhaupt bauen zu können. Er hat sogar ein Bauunternehmen gegründet, um als Planer eigenständig arbeiten zu dürfen. Ihm gelang es, aus Schweden Beton-Spritzmaschinen zu importieren, die in seinem Land schnell heiß begehrt wurden.

Die Bauweise des Tatorts hat er an mehreren Orten und in verschiedenen Dimensionen anwenden können. Dazu wird ein Flächentragwerk nach mathematischen Grundsätzen gleichzeitig in zwei Achsen gekrümmt, um eine selbsttragende Stabilität zu erzeugen. Ausbauelemente und raumabschließende Fassaden konnten später darunter gestellt werden. Ein kleiner Busbahnhof nach diesem Prinzip ist inzwischen wieder abgestrippt worden, so dass das nackte Dach auf einer Verkehrsinsel wie eine Skulptur ausgestellt wirkt. Immerhin werden diese Bauten inzwischen wertgeschätzt und nicht mehr abgerissen wie sein bekanntestes Werk, das man 2004 zugunsten einer gesichtslosen Blockrandbebauung zerstört hat. Ihr Schöpfer wurde damals vom Abrissunternehmer um Konstruktionspläne gebeten, was er empört abgelehnt hat. Die Bilder vom Abriss haben einem dann das Herz bluten lassen. Inzwischen ist der Architekt verstorben, doch in einem seiner Kleinode kann man heute mit Blick auf die Dünen heiraten. Wie heißt der Planer, und welches seiner Gebäude in welcher Stadt ist hier gemeint?
Benedikt Hotze

Beim Tatort aus Heft 5 / 2022 handelte es sich um die Stuttgarter Liederhalle, das 1955 bis 1956 von Rolf Gutbrod und Adolf Abel erbaute Konzerthaus. Gewinnerin des Buchpreises ist Anette Erb.

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