Tatort

Gesetz des Kontrapunktes

Gesucht wird wieder ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per E-Mail (redaktion[at]die-architekt.net) eingereicht werden. Zu gewinnen gibt es das Buch „Datenspeichergebäude. Im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Bedeutung und räumlicher Präsenzlosigkeit“ (jovis Verlag) von Katharina Neubauer. Einsendeschluss ist der 14. November 2022.

Der gesuchte Bau ist vermutlich der einzige „Tatort“, der einmal von Jimi Hendrix betreten wurde, womit sich die Bauzeit bereits auf einen Zeitraum vor 1970 eingrenzen lässt. Die Geschichte des Bauwerks reicht jedoch noch weiter zurück – bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein Gesangsverein, der sich unter anderem dem Gedenken Friedrich Schillers widmete, hier ein Gesellschaftshaus errichtete. Nach einem Umbau – dem Bau wurde dabei gewissermaßen ein Jugendstil-Kleid übergestülpt – wurde er im Zweiten Weltkrieg zerstört und damit eine höchst erfolgreiche Nutzungsphase unterbrochen. An gleicher Stelle baute man schließlich den „Tatort“, der weiterhin die gleiche Funktion beherbergte, jedoch architektonisch kaum Bezug zum Vorgänger nahm. Zudem trat nun die Stadt als Bauherr auf, die das Grundstück erworben hatte.

Foto: Elina Potratz

Das Ensemble gliedert sich in drei Baukörper, die um einen niedrigen Foyertrakt gruppiert sind und jeweils einen Saal enthalten. Die drei Körper unterscheiden sich dabei sowohl in ihrer Größe als auch in Form und Oberflächenmaterial. Der größte Saal, dessen Grundriss an ein Tasteninstrument erinnert, weist eine geschwungene Sichtbetonfassade auf. Der nächstkleinere Saal mit polygonalem Grundriss, der den gleichen Namensgeber wie eine bekannte Konfektkugel besitzt, wird von einer geschlossenen Fassade aus Quarzitplatten umfasst, die im Kontrast zu farbigen und goldenen Mosaiksteinen stehen. Die Natursteinplatten bilden dabei eine abstrakte, großflächige Komposition. Der dritte und kleinste Saal, dessen Namensgeber wiederum zu den wichtigsten Protagonisten des Chorgesangs im 19. Jahrhunderts zählt, hat einen rechteckigen Grundriss und mehrere mit Keramikplatten verkleidete Fassadenseiten. Für die „Wahrhaftigkeit in bezug auf die Konstruktion“ wurde jedoch Wert darauf gelegt, dass die keramischen Platten nicht den Eindruck vermitteln, dass sie eine Klinkerfassade imitieren – ein Streifen der darunterliegenden Betonwände wurde teilweise sichtbar gelassen. Um diesen Raum für eine Vielzahl an Veranstaltungen nutzen zu können, besitzt er eine Belichtung mit Tageslicht, die über eine zweischalige Mauer aus Glasbausteinen erfolgt.

Wie für die Zeit typisch, wird das Gebäude-Ensemble an vielen Stellen durch aufwendige „Kunst am Bau“ bereichert, darunter abstraktes, aber auch figürliches, das motivisch auf die Funktion anspielt. Bemerkenswert sind auch die auf synästhetische Zusammenhänge verweisenden Erläuterungen der Architektengemeinschaft, die den Baukomplex nach dem „musikalischen Gesetz des Kontrapunktes“ entworfen haben will. Die „organisch“ anmutende Raumkonfiguration und die überindividualisierte Außengestaltung sind dabei auch als Absage an den International Style zu werten. So sollte in seiner Gesamtheit ein Kulturort entstehen, der gleichsam selbst ein einzigartiges Kunstwerk darstellt – was ohne Zweifel gelungen ist. Um welche Architekten und welches Gebäude handelt es sich, wo steht es und wann wurde es erbaut?
Elina Potratz

Beim Tatort aus Heft 4 / 2022 handelte es sich um das Warenhaus Kaufhof am Karlsplatz („Stachus“) in München, 1950 bis 1951 von Theo Pabst (1905 – 1979) erbaut. Der erwähnte Architekt, mit dem Theo Pabst sich projektweise zusammengeschlossen hatte, war der um drei Jahre jüngere Sep Ruf. Gewinnerin des Buchs „Tafelwerk Großwohnsiedlung“ von Andreas Müsseler und Khaled Mostafa ist Anja Bezdjian.

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