Buch der Woche: Asmara – Die Konstruktion einer Kolonialstadt

Moderne in Afrika

Diese so typisch italienische Ausprägung der Architekturmoderne, changierend zwischen römischem Klassizismus, französischem Art Déco, russischem Konstruktivismus und norditalienischem Rationalismus – diese Moderne hat Generationen von „Entdeckern“ aus dem internationalen Raum fasziniert, die sich immer wieder dieselbe Frage stellten: Wie kann es sein, dass der totalitäre Mussolini-Faschismus diese Avantgarde-Architektur hervorbrachte, ja, sie sogar eine Zeitlang scheinbar zum „Staatsstil“ adelte? Die Antwort auf diese Frage hat die Gemeinschaft der Architekturhistoriker in den 1980er Jahren gefunden: Es gibt diesen Widerspruch nicht. Baumaterialien und Stile haben keine politische Gesinnung. Ein Travertin-Stein ist nicht faschistisch, ebenso wie eine Glasscheibe nicht demokratisch ist.

Gleichwohl werden solche Entdeckungen immer wieder in den medialen Raum gespült. Besonders delikat, wenn ein als lupenrein italomodern beschriebenes Stadtensemble in einem bitterarmen afrikanischen Land, einer ehemaligen italienischen Kolonie, „gefunden“ wird. Der Fotograf Stefan Boness präsentierte 2006 im Deutschen Architektur-Zentrum DAZ in Berlin, das vom BDA getragen wird, seine Ausstellung „Asmara – The Frozen City“, in der er Eritreas Hauptstadt als einmaliges Ensemble avantgardistischer Architektur inszenierte und sich dabei auf einen Katalog stützte, den ein internationales Forscherteam 2003 vor Ort in Asmara erarbeitet hatte: „Asmara. Africa’s Secret Modernist City“.

Schon 2006 war die Ausstellung nicht nur als rein ästhetisches Ereignis wahrgenommen worden. Neben anderen hatte Christian Welzbacher damals in der FAZ angemerkt, die Stadt lasse sich nicht losgelöst von ihrem gewalttätigen Entstehungskontext und den Funktionen betrachten, die ihr gerade die Faschisten zugedacht hatten. Nun legt Vera Simone Bader eine umfassende Analyse über Asmara als „Die Konstruktion einer italienischen Kolonialstadt 1889–1941“ vor. Die Jahreszahlen im Buch-Untertitel sind insofern wichtig, als dass es eine Kernthese des Werks ist, „dass Stadtplanung und Architektur eingesetzt wurden, um die italienische Kolonialgesellschaft zu formen, auch schon bevor die faschistische Regierung Asmara weiter ausbaute“.

Asmara wird hier also als Produkt zweier Epochen dargestellt: zunächst als Neugründung der italienischen Kolonialmacht unter „liberalen“ Regierungen ab 1889 in historistischer architektonischer Ausprägung und dann, in einer zweiten Stufe, ab den frühen 1930er Jahren bis zum Ende der Kolonialzeit im Jahr 1941, als Prestigeprojekt der Faschisten, mit dem sich das Regime als fortschrittlich und modern wahrgenommen wissen wollte. Dieser zweite Ausbau, währenddessen die Bevölkerungszahl in wenigen Jahren von 8.000 auf 60.000 emporschnellte, „stampfte“ hier eine Stadt mit allen erforderlichen Infrastrukturen und Funktionsbauten „aus dem Boden” (Bader). Die Autorin benennt die handelnden Akteure und ihre Rückkoppelung mit Rom und erzählt so schlüssig die Geschichte einer Stadtwerdung, die immer das Ziel hatte, ein neues römisches Imperium zu symbolisieren. Insofern ist dieses verdienstvolle Buch der bislang vermisste theoretische Unterbau für die mediale „Entdeckung” des Jahres 2006.

Eritrea betreibt derzeit die Aufnahme dieses weitgehend im Ursprungszustand erhaltenen Stadtensembles in das UNESCO-Weltkulturerbe. Die bittere Pointe ist jedoch, dass Asmara heute eine schrumpfende, ausblutende Stadt ist. Der Journalist Alex Rühle berichtete kürzlich in der Süddeutschen Zeitung, dass pro Monat 5.000 Menschen Eritrea verlassen, und zitiert einen Einheimischen, der auf die Avantgarde-Bauten im Stadtzentrum deutet: „Alles leer, alles Kulisse!“

Benedikt Hotze

Vera Simone Bader: Moderne in Afrika. Asmara – Die Konstruktion einer italienischen Kolonialstadt 1889–1941. 288 S., 49 Euro, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-7861-2759-8

 

 

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