Eileen Gray-Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin

Schneckenhaus der Moderne

Während in Deutschland 1927 die Stuttgarter Weißenhofsiedlung unter der Leitung von Mies van der Rohe errichtet wurde, baute die irische Designerin Eileen Gray als eine der wenigen Frauen jener Zeit ihr erstes Haus an der französischen Riviera. „E.1027“ lautet der Name des meisterhaften kleinen Ferienhauses. In der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz ist nun eine Rekonstruktion des „Master Bedrooms“ von E.1072 zu besichtigen, die einen lebendigen Vorgeschmack auf Grays großartiges Erstlingswerk gibt.

Eileen Gray
E.1027, 2016
Foto © Viviana Andrada Baumann

Auf langgestrecktem Grundriss erhebt sich das zweigeschossige, teilweise auf Pfeilern ruhende Haus am Hang von Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d’Azur. Über eine schmale Treppe auf der Seeseite gelangt man von der Terrasse direkt in den großen Wohnbereich mit bodentiefen Lamellenfenstern. Der Raum lässt sich fast in ganzer Breite Richtung Mittelmeer hin öffnen. Alles in diesem Haus, auch im „Salon“, war von Gray für ihren Geliebten und Auftraggeber Jean Badovici individuell entworfen worden, von den Fenstern über die Einbauschränke bis zu den Beistelltischen. Unter den Möbelentwürfen finden sich ihre heute in Serie produzierte Leder-Sitzbank, mehrere Sessel und ein fast quadratischer Divan. Teppiche und gedeckt farbige Wandflächen vollendeten die Atmosphäre, die Gray zufolge das ideale Umfeld für Kontemplation und Entspannung schaffen sollte.

Eileen Gray – E.1027
Master Bedroom
Isometrie
© Hoidn Wang Partner

Auch in den anderen Räumen, die sich um den Hauptraum entfalten, steht die Möglichkeit des Rückzugs im Vordergrund. So auch im „Master Bedroom“, der paradoxerweise sowohl als Schlaf- wie auch als Arbeitszimmer gedacht wurde –  Ausruhen war für die Gestalterin und den Architekturkritiker Badovici offenbar eng mit dem Schöpferischen verknüpft. Um dennoch eine Differenzierung zu schaffen, besteht das Zimmer aus zwei versetzt ineinander geschobenen Volumina, die durch Wand- und Bodenfarben als verschiedene Bereiche markiert sind.

Eileen Gray – E.1027
Master Bedroom
1:1 Installation, Akademie der Künste, 2019
Foto © Andreas FranzXaver Süß

Für die Nachbildung dieser Raumkonfiguration in der Akademie der Künste in Berlin hat eine Forschergruppe um Wilfried Wang an der University of Texas at Austin sämtliche ursprüngliche Möbel anhand der originalen Fotografien nachbauen lassen. Wie Wang berichtet, war dies teilweise eine regelrechte Detektiv- und Experimentierarbeit, denn jedes der Stücke wurde von Gray als Unikat entworfen und mit eigens für Ort und Funktion ausgetüftelten, technischen Raffinessen ausgestattet, die sich nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen. Die meisten Objekte sind je nach Bedarf umwandelbar: der Nachttisch aus gewalztem Metall kann in mehreren Stufen ausgezogen werden, Schubfächer klappen nach unten oder oben und schwingen zur Seite, alles in präziser, hochwertiger Ausführung. Interessant ist dabei der Kontrast zwischen Anpassungsfähigkeit und Fixiertheit der Raumausstattung, die – teils sogar mit Aufschriften – Funktionen und Handlungsweisen vorgibt.

Eileen Gray – E.1027
Master Bedroom, 1929
© National Museum of Ireland, Eileen Gray Archive

Dass in der Akademie der Künste schwerlich ein ganzes Bauwerk nachgebaut werden konnte, scheint nachvollziehbar. Warum aber fiel die Auswahl gerade auf den „Master Bedroom“? Wilfried Wang, zugleich Kurator der Ausstellung, sieht in dem Schlafzimmer den Kondensationspunkt des gesamten Hauses – in ihm zeigt sich die bescheidene und zugleich ausgefeilte Raumdisposition, hinzu kommen viele besondere Designobjekte. Ein wirklich authentisches Gefühl für den originalen Raum kann uns der Nachbau jedoch nicht vermitteln – wie die historischen Aufnahmen verdeutlichen, sind gerade der sagenhafte Ausblick auf das Meer sowie das Licht und der Wind konstituierend für die Innenräume und ihre Anlage. Dennoch ist die Rekonstruktion durchaus erkenntnisreich und kann zusammen mit den Fotografien im Ansatz vermitteln, was sonst nur das Erlebnis im echten Bauwerk vermag. Wer beispielsweise auf dem Bett liegt, kann feststellen, dass der sichtbare angrenzende Raumbereich exakt so bemessen ist, das die Raumgrenzen von hier aus nicht sichtbar sind – ein subtiles Mittel, um ein Gefühl für Großzügigkeit in dem sonst recht kleinen Zimmer zu erzeugen. Zugleich wird Privatheit geschaffen, denn um in die Schlafnische zu gelangen, muss man zweimal um die Ecke gehen. Innerhalb des Schlafraums, eingekapselt durch einen raumtrennenden Schrank, findet sich ein Wasch- und Frisierbereich mit verstellbaren Spiegeln. Wie in einem Schneckenhaus sind die Räume ineinander verschlungen und schaffen auf diese Weise intime Orte, die Geborgenheit vermitteln.

Eileen Gray, Paris, 1926
Foto: Berenice Abbott
National Museum of Ireland, Eileen Gray Archive
© Berenice Abbott/Getty Images

Nicht zuletzt ranken sich um E.1027 – E für Eileen, 10 für Jean, 2 für Badovici und 7 für Gray – auch zahlreiche Geschichten. Die bei Fertigstellung des Hauses bereits 51-jährige Gray hatte sich von verschiedenen Architekten und Bauten inspirieren lassen, unter anderem von Adolf Loos’ Entwurf für die Villa Moissi und natürlich von den Arbeiten des Großmeisters Le Corbusier. Letzterer war über den Kontakt zu Badovici auch selbst zu Gast in der kleinen Villa am Meer und bewunderte die Architektin für ihr vollendetes erstes Werk. Leider konnte Corbusier dies jedoch offenbar nicht auf sich sitzen lassen – 1939 bemalte er bei einem Besuch die Wände des Hauses mit mehreren großflächigen und grellbunten Fresken, die nicht nur eine respektlose Dominanzgeste darstellten, sondern auch der kontemplativen Wirkung der Räume entgegenstanden. Gray erfuhr erst später durch Zufall davon und reagierte wütend und gekränkt auf den invasiven Akt durch ihr einstiges Vorbild. Corbusier hatte das Haus somit erfolgreich vereinnahmt, spätere Zuschreibungen des Baus an ihn statt an Gray korrigierte er nicht; es kam ihm dabei zupass, dass sie ihr Werk nun nicht mehr betreten wollte. Es muss somit als verdienstvoll angesehen werden, dass die Akademie der Künste den Fokus wieder auf Eileen Gray richtet und ihre Leistung auf sinnlich ansprechende Weise vermittelt.

Elina Potratz

Eileen Gray – E.1027
Master Bedroom

Ausstellung bis zum 10. Juni 2019
Öffnungszeiten: täglich 10.00 – 20.00 Uhr, Eintritt frei
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin

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