Spaziergänge mit Heiner Farwick

im park des archivs

Der kleine Park mit den alten Platanen mitten in der Stadt hinter dem gerade eingeweihten Baukunstarchiv im ehemaligen Dortmunder Ostwallmuseum dient Heiner Farwick, dem Präsidenten des BDA, und Andreas Denk, dem Chefredakteur dieser Zeitschrift, als Hintergrund für ein Gespräch über Zukunft und Verantwortung. Im Archiv finden gerade die Dortmunder Architekturtage statt. Eine anberaumte Kaffeepause nutzen unsere beiden Protagonisten für ihren turnusgemäßen Spaziergang und für Überlegungen zu einer architekturpolitischen Initiative, die auch mit dem zehnjährigen Jubiläum des Klimamanifests des BDA zu tun hat.

Andreas Denk: Der BDA hat in diesem Jahr politische Grundpositionen formuliert, die auch längerfristig Bedeutung haben sollen. Sie haben sich sicher Gedanken darüber gemacht, welche Zielsetzungen Sie im letzten Jahr Ihrer Präsidentschaft verfolgen wollen…

Heiner Farwick: Wir wollen uns 2019 mit der Frage beschäftigen, wie weit die Verantwortung des Architekten und der Architektur in Bezug auf das sich wandelnde Klima reicht. Dazu haben wir das Motto „Kulisse und Substanz“ gefunden. Dieser Titel hat viel mit der Fragestellung zu tun, wie wir die Art und Weise, wie wir Architektur denken und machen, in der sich schnell wandelnden Welt verstehen wollen.

Andreas Denk: Was heißt in diesem Fall „Kulisse“, was heißt „Substanz“, und in welchem Zusammenhang stehen die beiden Begriffe?

Heiner Farwick: Wenn es bisher um die Frage von Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimaschutz ging, wurde häufig in der Architektur über Technik gesprochen: Wie lassen sich die Klimaschutz von Häusern verbessern oder die U- und g-Werte der Fenster, welche technischen Anlagen müssen installiert werden, um unsere Gebäude möglichst energieeffizient zu machen? Wir vergessen dabei, dass die meiste Energie in der Substanz eines Gebäudes steckt. Wir beschäftigen uns also mit mehr oder weniger additiven Elementen, vernachlässigen dabei aber Betrachtungen über die Effizienz der Herstellung, der Nutzung und des möglichen Recyclings der Substanz selber. Aus der Erkenntnis dieses Defizits resultiert für uns Architekten die Herausforderung, Häuser mit einer so hohen Qualität zu bauen, dass sie nicht zur Wegwerfware werden können. Architektur muss werden, was sie einmal war: nämlich ein dauerhafter Teil unserer Umgebung, der nicht nur 30 Jahre, sondern viele Jahrzehnte, ja sogar noch länger Bestand hat. Das bedeutet, dass wir von Vorstellungen einer kurzfristigen Verwertbarkeit von Gebäuden, vom Haus als Kulisse, wegkommen müssen. Die Qualität von Architektur muss auf allen Ebenen die höchstmögliche sein, weil sie sonst die Forderung nach Beständigkeit nicht erfüllen kann.

Andreas Denk: Eine solche Initiative zum klima- und ressourcenschonenden Bauen hat es im BDA schon einmal gegeben. Nicht von ungefähr jährt sich 2019 zum zehnten Mal die Veröffentlichung des Klimamanifests „Vernunft für die Welt“, das wir 2009 mit einer Gruppe von Experten erarbeitet haben und das vom damaligen BDA-Tag verabschiedet und dann der Politik übergeben worden ist. Das Manifest hat große Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil damals zum ersten Mal eine größere Gruppe von Architekten, Ingenieuren und Stadtplanern sich in Form einer Selbstverpflichtung zu einer anderen, bewusst klimaschonenden Auffassung von Stadt, Architektur und Infrastruktur bekannt haben. Im Lauf der Jahre scheint diese Initiative im großen Ganzen fast folgenlos geblieben zu sein. Wie bewerten Sie das Fortleben des Manifests?

Heiner Farwick: Tatsächlich ist es kein Zufall, dass unser Vorstoß in das Jubiläumsjahr des Klimamanifests fällt, das auch immer noch richtige und wünschenswerte Forderungen enthält. Das Thema ist nicht verpufft, sondern – wahrscheinlich durch die stark angeheizte Baukonjunktur der letzten Jahre – aus dem Fokus geraten.

Andreas Denk: Es steht noch nicht fest, wie sich im kommenden Jahr die Agenda, die das Manifest vorsieht, differenzieren und ausdeuten lässt. In welche Richtung könnte es gehen?

Heiner Farwick: In den politischen Grundpositionen, die wir in diesem Jahr beim BDA-Tag in Hamburg beschlossen haben, finden sich die Thesen, dass jedes Bauen ein Bauen im Bestand ist, und dass jeder Neubau seine Notwendigkeit unter Beweis zu stellen hat. Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich unsere Anforderungen an die Architektur genauer und zugleich weiter fassen: Es geht nicht um das Einzelobjekt und seine klimatische Bedeutung, sondern immer um den Kontext, in dem es entsteht. Wir müssen unsere Bauten und unsere Städte in einem Zusammenhang und in einer gemeinsamen Verantwortung sehen. Dieser hohe Anspruch muss uns, unseren Bauherrn, muss Politik, Gesellschaft und Verwaltung deutlich werden. Wenn die integrale Qualität des Gebauten nicht als Notwendigkeit begriffen wird, wird das Anliegen des Klimaschutzes immer nur unzureichend behandelt werden.

Andreas Denk: Wenn von Substanz und Kulisse die Rede ist, deutet sich an, dass es neben der Formulierung von abstrakten ethischen Zielen auch um konkrete Hinweise gehen muss, wie wir in Zukunft bauen sollen…

Heiner Farwick: …wir werden eine Aussage darüber treffen müssen, wie wir grundsätzlich mit den irdischen Ressourcen umgehen müssen. Das ist zwar kein neues Thema, aber die Frage danach, mit welchen Materialien wir künftig arbeiten wollen, mit welchem Anspruch auf Dauerhaftigkeit wir es tun und wie wir den Energieaufwand rechtfertigen, mit dem wir Materialien zu Gebäuden zusammensetzen, bedarf offenbar der Klärung. Das könnte vielleicht auch die Frage nach der Funktionalität eines Gebäudes umfassen: Müssen wir weg von der einseitigen Funktionalität hyper-optimierter Gebäude hin zu einer Offenhaltung für verschiedene Determinierungen? Nehmen wir das Gebäude, um das wir gerade laufen, als gelungenes Beispiel: Das heutige Baukunstarchiv war zuerst Oberbergamt, dann Kunstgewerbemuseum und schließlich, nach Teilzerstörung und Neufassung, Museum für Moderne Kunst. Jetzt dient es der Bewahrung und Bearbeitung der Nachlässe von Architekten und Ingenieuren und anderen Archivalien zur Baukunst und für Ausstellungen, ohne dass man seine Grundsubstanz hätte ändern müssen. Heute hingegen sind wir oft gezwungen, mit flächen- und volumenoptimierten Gebäuden zurechtzukommen, die vordergründig wirtschaftlichen Überlegungen folgen, auf längere Sicht aber volkswirtschaftlich unrentabel sind.

Andreas Denk: Das Klimamanifest wurde vor zehn Jahren in einer großen, halböffentlichen Veranstaltung dem zuständigen Minister Tiefensee übergeben. Wie wird der BDA im nächsten Jahr mit seiner inhaltlichen Erweiterung umgehen?

Heiner Farwick: Es wird mehrere Ebenen geben müssen, auf denen das Programmpapier vorgestellt und diskutiert wird. Wir müssen uns vor allem in öffentliche Debatten einmischen – und zwar auf Bundes-, Länder-, Regional- und Lokalebene – das ist die Stärke des BDA. Der Bundesverband wird diese Durchdringung des politisch-gesellschaftlichen Feldes anstoßen. Ich würde mir indes wünschen, dass wir ein Programm entwickeln, das auch auf allen anderen Ebenen vertreten und weitergeführt werden kann. Sonst erreichen wir nicht die Wirkung, die wir erhoffen und brauchen.

Andreas Denk: Die Rückbindung zu den Mitgliedern des BDA ist auch deshalb nötig, um eine solche Programmatik ins Leben zu bringen und auch am Leben zu halten. Was passiert mit dem Papier zu den politischen Positionen des BDA? Werden sie durch die Reflexion des Klimamanifestes ergänzt werden müssen oder stehen diese beiden Programmatiken nebeneinander?

Heiner Farwick: Wenn man das Klimamanifest mit politischen Grundpositionen des BDA vergleicht, kann man ahnen, dass eine Fortschreibung des Klimamanifests eine konsequente Vertiefung und Weiterentwicklung der politischen Thesen sein wird. Wir sind weit davon entfernt, jedes Jahr neue Thematiken finden zu wollen, sondern setzen auf eine kontinuierliche Präzisierung unserer Thesen.

Andreas Denk: Ich bin nicht ganz sicher, ob die politischen Thesen innerhalb und außerhalb des BDA ausreichend bekannt sind. Was können wir tun, damit sie tatsächlich Teil des Selbstverständnisses im BDA werden, und was können wir tun, damit das Thesenpapier Politik, Verwaltung und Gesellschaft erreicht und damit als politischer Impuls öffentlich wirksam wird?

Heiner Farwick: Ich bin da optimistisch. Ich werde bei vielen Veranstaltungen auf unsere Grundpositionen angesprochen, die allgemein als außerordentlich bemerkenswert anerkannt werden. Wir sollten uns davor hüten, zu schnell auf andere Themenfelder auszuweichen, sondern daran arbeiten, das Begonnene sinnvoll weiterzuführen und bekannter zu machen. Ich würde mir wünschen, dass sich die BDA-Basis in ihren Gruppen immer mal wieder mit dem einen oder anderen Punkt unserer Grundpositionen beschäftigen würde. Nur so können sie sich als gedankliches Gerüst unserer Berufsausübung stabilisieren und über unsere Kreise hinaus in die Gesellschaft und die Politik hinein wirken. Es ist notwendig, dass wir Architekten unsere gesellschaftliche Verantwortung, zu der wir stehen, durch unser Denken und Handeln im Leben belegen. Und das ist mehr als jahresfüllend…

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